ThemenFrage & Antwort

Der Sinn der Reinheitsgesetze

Frage: Welchen Sinn haben die Reinheitsgesetze in 3Mo 19, wenn ganz natürliche Vorgänge wie die Menstruation als unrein gelten?

Welche Bedeutung haben die Reinheitsgesetze im 3Mose 11-15? Ein gesundheitlicher Aspekt erscheint mir zur Erklärung nicht auszureichen. Warum etwa ist der Mann beim Samenerguss und die Frau bei der Menstruation unrein? Warum bleibt nach 3Mo 12,1-5 eine Frau nach der Geburt eines Mädchens doppelt so lange unrein wie nach der Geburt eines Jungen? Sind das nicht alles natürliche Abläufe, die Gott so gegeben hat?

Antwort:

Über die theologische Bedeutung der Reinheitsgesetze gab es im Lauf der Geschichte viele Spekulationen. Vor allem das „Warum” der einzelnen Regelungen blieb dunkel. Bisher hat niemand ein eindeutiges Prinzip entdecken können, warum etwa ein Tier unrein, das andere rein sein soll.Und die Bibel selbst sagt nichts zu den Gründen für die Unterscheidungen, obwohl sie, was die Tiere betrifft, schon früh bestanden haben müssen (1Mo 7,2; 8,20).

So waren die Ideen bei Juden und Christen zahlreich: Man hat im Wiederkäuen der reinen Tiere schon mal symbolisch die Beschäftigung mit dem Wort Gottes angedeutet gesehen. Rationalistisch gedeutet wurde alles als Hygienevorschriften (Schweinefleisch sei weniger haltbar oder weniger gesund) oder als Opposition gegen kanaanäische Riten gesehen (wenn in Kanaan das Schwein als Gott verehrt wird, dann ist es für Israel unrein). Ein gesundheitlicher Aspekt könnte höchstens im Blick auf die Ansteckungsgefahr bei bestimmten Hauterkrankungen geltend gemacht werden, die einen Menschen z. B. bei Aussatz unrein werden ließen. Aber gerade Aussatz ist in dieser Hinsicht eine ungefährliche Krankheit.

Moderne Interpreten meinten, dass sich die soziale Ordnung Israels in den Reinheitsgeboten abbilde. Auch eine Art Tierschutz wurde schon darin gesehen: Weil das Schwein nur zum Schlachten und Essen aufgezogen wird und sonst keinen Nutzen hat, soll man es nicht essen, weil dies der Würde des Tieres nicht entspricht. Auch die Überlegung, dass an den Stellen, wo 3Mose von Unreinheit redet, die Macht und das Wirken des Todes besonders zum Ausdruck kämen, ist nicht überzeugend. Man muß feststellen: keine Erklärung ist befriedigend.

Bei der Reinheit geht es offenbar vor allem um die kultische Reinheit. Das heißt: wer unrein wurde, war vom Tempel und von den Opfern ausgeschlossen, d.h. von der Begegnung mit Gott. Weil man sich durch Berührung eines unreinen Menschen selbst verunreinigen konnte, so war ein teilweiser gesellschaftlicher Ausschluß erst weitere Folge der Unreinheit. Die Reinheitsgesetze für Israel dienten auch der Absonderung von anderen Völkern und untereinander. Rein und unrein verdeutlichen, dass Israel das auserwählte Volk des heiligen Gottes ist. Er erwartet von seinem Volk auch Heiligkeit (3Mo 19,1ff; 5Mo 14,1ff).

Ich halte die Auswahl der reinen und unreinen Tiere und auch der reinen und unreinen Zustände für Willkür Gottes. Er verordnet in völliger Freiheit, ohne dass dafür innere Gründe zu erkennen sind. Sinnlos ist Gottes Ordnung deswegen trotzdem nicht. So erinnert die Freiheit der Wahl Gottes an Gottes freie Gnade und Liebe. Sie unterliegt ebenso keinem Prinzip. Der Töpfer kann mit dem Ton machen, was er will. „ Ist der Töpfer nicht Herr über den Ton und kann aus derselben Masse ein Gefäß machen, das auf der Festtafel zu Ehren kommt, und ein anderes, das für den Abfall dienen soll?” (Röm 9,21 vgl. Jer 18,4-6).

Die Unterscheidung von rein und unrein bei den Tieren hatte ihren Anfang genommen mit der Verfluchung der Schlange. Ohne dass damit gesagt ist, dass bestimmte Tiere oder Zustände der Sünde näher sind als andere, erinnern sie den Menschen ständig an seine Sündhaftigkeit und fordern ihn auf, auf seine Reinheit zu achten. So hat Gott die Geburt des Kindes mit Schmerz belegt. Um die Geschlechtlichkeit und das Zeugen eines Kindes herum, sind zahlreiche Gebote gelegt, die uns Menschen zeigen, wie wir uns von Gott entfernt haben und unsere eigenen Herren sein wollen.

Das Bundeszeichen der Beschneidung der Vorhaut des israelitischen Mannes soll verdeutlichen, dass das Böse aus jedem menschlichen Herzen weg muß (Beschneidung an der Vorhaut der Herzen). Die Unreinheit beim Samenerguss und der Menstruation zeigen das Gleiche an: „Mensch du bist nicht so wie Gott es will. Du brauchst Reinigung, um zu ihm kommen zu können.” Das liegt aber nicht daran, dass Samenerguss und Menstruation etwas Schlechtes wären, sondern an Gottes Entscheidung beides als Mahn- und Erinnerungszeichen einzusetzen. So wird zwangläufig jeder Israelit regelmäßig unrein.

Die unterschiedliche Stellung von Mann und Frau, die hier in der Länge der Unreinheit zum Ausdruck kommt, hat nichts mit ihrem Wert oder ihren Fähigkeiten zu tun, sondern sind ebenso Gottes willkürliche Entscheidungen, die ihren Anfang genommen haben mit der Schöpfung. Nach dem Sündenfall aber wird uns die Unterschiedlichkeit nicht mehr als beglückende gegenseitige Ergänzung bewusst, sondern führt uns immer wieder unsere Sündhaftigkeit vor Augen, weil es zu Konkurrenz und Machtkampf kommt. Die Stellung der Frau darf nicht als Herabsetzung verstanden werden, auch wenn dies von Männern und Frauen immer wieder getan wird.

So wird nachvollziehbar, dass die unreinen Tieren in der Erscheinung des Petrus als rein gelten sollen (Apg 10,15). Es liegt nicht an ihnen, sondern ist Gottes Entscheidung. Paulus kann sagen, dass nichts unrein an sich selber ist (Röm 14,14). Das ist es auch was er meint, wenn er schreibt (Tit 1,15): „Für Reine ist nämlich alles rein; für Ungläubige und Unreine dagegen ist nichts rein”. Da es bei den Reinheitsgeboten um das Verdeutlichen des menschlichen Zustand gegenüber dem Heiligen Gott geht, der fordert: „Ich bin heilig und ihr sollt auch heilig sein!”, darum ist für den Menschen, der durch den Glauben an Christus geheiligt und gereinigt ist, nichts mehr unrein. Die Reinheitsgebote haben im Neuen Bund durch den Glauben ihre Aufgabe verloren. Der Glaube an Christus tritt an die Stelle der Reinheitsgesetze, in dem er uns zugleich erinnert, dass wir Sünder sind und wie wir gereinigt wurden durch das Blut des Herrn Jesus Christus.