ThemenGemeindeleben

Biblische Seelsorge

Seelsorge gehört in das Zentrum der Gemeinde, und jedes Gemeindeglied hat sie nötig. Wie sieht aber eine solche biblische Seelsorge aus?

Seelsorge darf kein Randthema in der christlichen Gemeinde sein. Wo es keine Seelsorge gibt, gibt es in der Gemeinde viel unbewältigtes Leiden. Die einen leiden an ihren Verletzungen und Nöten und wissen nicht, wohin damit. Die anderen leiden an denen, die meinen, Seelsorge nicht nötig zu haben. Wichtig ist nun allerdings, daß Seelsorge in all ihrer Vielfalt auf biblischer Basis erfolgt. Worum es bei solcher biblisch bestimmten Seelsorge geht, möchte ich in dieser Predigt anhand von zwei Bibelversen aus dem 2.Timotheusbrief (3,16) und dem 1.Thessalonicherbrief (5,14) deutlich machen. Sie handeln von der Basis und der Vielfalt biblischer Seelsorge.

1. Die Basis biblischer Seelsorge:

Wenn ich hier von der Basis biblischer Seelsorge spreche, habe ich damit das Thema dieses Verses nicht verfehlt. Es geht hier um Hilfe zur Veränderung auf der Basis von Gottes Wort. Es geht darum, daß Menschen zu Menschen werden, die voll für die Durchführung von Gottes Absichten mit ihrem Leben zugerüstet sind. Damit sie so Gott dienen können, müssen Änderungen in ihrem Leben erfolgen. Sie müssen kennenlernen, was Gott sagt, müssen überführt werden davon, wo um Gottes willen etwas anders werden muß in ihrem Leben, müssen in Gottes Schule kommen, in der er sie zurechtweist und erzieht. Das sind ganz zentral seelsorgerliche Themen.

Für die Seelsorge ist nun wesentlich, daß diese Veränderungsprozesse da beginnen, wo der einzelne Mensch durch Gottes Wort angesprochen und getroffen wird. Veränderungen, die einen Menschen zu einem ‚Menschen Gottes‘ machen, der in Gottes Augen ‚gute‘ Werke tut – und das ist doch noch etwas anderes, als wenn der Sünder gutgemeinte Werke vollbringt! –, erfolgen auf der Basis des Wortes Gottes, oder sie erfolgen überhaupt nicht. Insofern ist es nicht zufällig, daß dieser Vers, an dessen Ende das gute Werk des Gottesmenschen steht, ganz oben einsetzt, nämlich bei Gott selbst. Alles geht hier „von Gott“ aus. Von dem Gott, der weiß, was zu unserem Heil nötig ist, der weiß, wie er sich seine Menschen gedacht hat, der weiß, wie ein in seinen Augen gutes Leben und gute Verhaltensweisen aussehen müssen –schließlich hat er den Menschen einmal „sehr gut“ erschaffen. Zum Glück hat Gott dieses Wissen nicht für sich behalten. Er hat seinen Heilswillen offenbart. Er hat sein Wort gegeben, seine Gedanken ‚ausgehaucht‘. Und sie blieben nicht Schall und Rauch; sie wurden zum Buch, zur ‚Heiligen Schrift‘. Die ganze (Hlg.) Schrift – im Zusammenhang ist zunächst einmal das AT im Blickfeld – ist von Gottes Geist ausgehaucht; d. h.: so, wie die Heilige Schrift entstanden ist, hat sie in Gott ihren Ursprung. Paulus, der – nun im Blick auf neutestamentliche Schriften – ja selbst ein Empfänger dieser Inspiration des Wortes gewesen ist, staunt einmal: „Was kein Auge gesehen, kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen selbst im Herzen aufstieg: das hat uns Gott geoffenbart durch seinen Geist. Und davon reden wir auch, nicht mit Worten, die menschliche Weisheit lehrt, sondern mit Worten, die der Heilige Geist lehrt!“ (1Kor 2,9ff). So kommt Gottes guter Wille in Menschenhand. Und das ist gut so. Es ist gut, daß es für uns hochkomplexe Leute eine zuverlässige ‚Betriebsanleitung‘ gibt. Wir können nämlich die Maßstäbe dafür, wie der Mensch sein soll, nicht vom vorfindlichen Sein des Menschen ablesen. Wenn wir nur den Menschen anschauen, kann uns Wunderbares oder Abgründiges begegnen. Der Maßstab für den Menschen ist nicht einfach der Mensch, sondern Gott als der Herr und Schöpfer des Menschen. Gott sagt uns, was gut ist und woraufhin er den Menschen verändern will. Er sagt uns übrigens auch, daß wir uns selbst nicht so ändern können, daß wir Gottesmenschen werden, die jetzt schon das tun, was in seinen Augen als gut gilt, und die einmal nicht nur im gnädigen Urteil Gottes, sondern dann auch in auferstehungsherrlicher Realität vollkommen Gottesmensch (d. h. Mensch im Ebenbild Gottes) sein werden.

Sich über das Wort Gottes stellen bedeutet, sich gegen Gott stellen.

Wie armselig sind Seelsorger, die nicht glauben können, daß dieses Buch von Gott eingegeben ist! Sie sägen sich den Ast ab, auf dem sie sitzen sollten. Umgekehrt: Wo dieses Wort geglaubt und verkündigt wird, da dreht Gott den Segenshahn auf. Da schenkt er einen Hunger nach Gottes Wort, und Menschen kommen, um ihren Hunger an dem zu stillen, was wirklich satt macht. Zur ganzen Inspiration der Bibel stehen, das ist nach Gottes Sinn. Sich über dieses Wort stellen bedeutet sich gegen Gott stellen und sich seines lebensverändernden Segens berauben.

Eine Seelsorge, die nur noch das aus Gottes Wort herausnimmt, was ihr paßt, kann nicht unter Gottes Segen stehen. Biblische Seelsorge fragt immer, was Gott in seinem Wort sagt. Manches, was wir dort dann hören, läßt uns staunen. Anderes paßt uns überhaupt nicht – und gilt doch! Ich kann Gottes Wort nicht nur bei den Stellen schätzen, die mir etwas verheißen oder mich in meinem Sosein bestätigen. Bei biblischer Seelsorge muß es darum gehen, daß das göttliche Wort auch da gelten darf, wo es mich trifft, richtet, korrigiert und verändern will. Wenn mir die ganze Schrift wirklich als Gottes Wort gilt, muß ich sie auch da gelten lassen, wo sie gegen meine Gedanken, meine augenblicklichen Empfindungen und mein Verhalten spricht. Daran wird sich letztlich zeigen, ob ich zutiefst von der Gottesfurcht oder von Selbstverwirklichungsmotiven bestimmt bin. Hier beginnt deutlich zu werden, ob ich ein ‚Gottmensch‘ oder letztlich doch ein Egoist bin. Sagen wir es kurz: Die ganze Schrift – in dem, wo sie uns paßt und nicht paßt – soll für uns gelten, gleich ob wir sie lesen, ob sie uns gepredigt oder in der Seelsorge zugesprochen wird.

Und nun, was tut die Schrift?

Zunächst „belehrt“ sie uns über das, was von Gott her gilt und was er für uns getan hat. Wenn man die Briefe des NT liest, begegnet man zuerst dem sogenannten ‚Heilsindikativ‘ – nicht gleich dem Imperativ. Es wird uns einfach geschildert, wie Gott unsere Lage sieht, was in Christus für uns gilt und was wir einfach glauben dürfen, um es zu besitzen. So ist das z. B. im Römerbrief (Kap. 1–11) und im Epheserbrief (Kap. 1–3). Und dann erst, nach diesem Lehren des Evangeliums, kommt die Ermahnung: „Nun ermahne ich Euch auf der Grundlage der (geschilderten) Barmherzigkeiten Gottes, daß Ihr Eure Leiber hingebt als ein Opfer …“ (Röm 12,1); bzw.: „Nun ermahne ich Euch, lebt würdig der Berufung, mit der Ihr berufen worden seid. …“ (Eph 4,1f). Seelsorge aus dem Evangelium beginnt also immer damit, daß ich mir durch das Wort sagen lasse, was Gott schon in Christus für mich bereitet hat.

Die Basis biblischer Seelsorge ist die ganze Schrift – wo sie uns paßt und wo sie uns nicht paßt.

Und dann will die Schrift uns „überführen“. Sie will uns zeigen, wo unser Leben anders ist, als Gott es will. In der evangelistischen Seelsorge will das Wort dem Ratsuchenden zeigen, daß er vor Gott ein rettungsloser Sünder ist. In der weiterführenden Seelsorge deckt das Wort auf, wo die Probleme sind, an die wir Gott noch nicht herangelassen haben. Solche Punkte gibt es bei uns Christen leider mehr als genug. Bei manchem Christen hat man den Eindruck, er wolle seinen Rechtsstreit, den er mit einem anderen in der Gemeinde hat, unbedingt mit in die Ewigkeit nehmen. Aber Gottes Wort will ihm deutlich machen: Hör mal, das ist Sünde, wenn Du an Deiner Unversöhnlichkeit festhältst! Ich habe Dir immer wieder Deine Schuld vergeben; und auch für die Schuld des anderen ist Jesus am Kreuz gestorben. Ich habe Euch miteinander in die Gemeinde gestellt, daß Ihr mir dient. Wenn Du Grund zum Zorn hast, sollst Du die Sonne nicht untergehen lassen, bevor Du die Sache abgelegt hast. Bringt die Sache in Ordnung – und dient wieder gemeinsam dem Herrn. Das ist wichtiger als das Festhalten an den alten Verletzungen. – So will die Bibel von Sünde überführen.

Das biblische Wort beläßt es dann aber nicht dabei, unser Fehlverhalten als Sünde aufzudecken. Es will vielmehr ‚zur Neuausrichtung‘ helfen. Das, was nicht in Ordnung ist, soll ‚eingerenkt‘ werden (so die Grundbedeutung des Wortes ‚Neuausrichtung‘). Der biblisch orientierte Seelsorger kann nichts besseres tun, als Gottes neu ausrichtendes und einrenkendes Wort deutlich und klar zu sagen. Daß Dinge heil werden, geschieht dann nicht durch krampfhafte Selbstverbesserung, sondern infolge des Glaubens an das Wort – wobei echter Glaube, der sich das Geglaubte von Gott erbittet, zugleich den Glaubensgehorsam mit einschließt. Letztlich ist es Gottes Handeln, das durch das geglaubte Wort die Situation einzurenken vermag.

Weiter ‚erzieht‘ uns das Wort ‚in der Gerechtigkeit‘. Es geht hier um die seelsorgerlich höchst relevante Pädagogik Gottes am Gerechtfertigten. Sein Erziehungshandeln an den Gerechtgesprochenen hat das Ziel, daß deren Glauben, Denken und Handeln recht wird vor ihm. Im Titusbrief schreibt Paulus, daß dieses Erziehen ebenso durch die Gnade Gottes zustande kommt wie sein Rettungshandeln: „Denn die Gnade Gottes ist erschienen, rettend für alle Menschen und erziehend, damit wir die Gottlosigkeit und die weltlichen Lüste verleugnen und besonnen, gerecht und gottesfürchtig leben im jetzigen Zeitlauf.“ (Tit 2,11). Die Gnade Gottes wirkt dahingehend auf uns ein, daß wir schon jetzt, in dieser unvollkommenen Welt, so leben, wie es Gottes künftiger Welt entspricht. Das Mittel, durch das Gott in seiner Gnade dies wirkt, ist das Wort.

Wie kann das geschehen? Stellen wir uns einmal ein Ehepaar vor, das in die Seelsorge kommt. Beide leben in großen Spannungen. Der Mann sagt: „Unsere Ehe ist ein einziger Frust. Im intimen Bereich erleben wir nie Freude. Meine Frau hat kein Interesse daran. Sie weist mich ab. Wenn meine Frau offener wäre, hätten wir keine Schwierigkeiten.“ Von seiten der Frau klingt das ganz anders: „Ich bin für meinen Mann offenbar nur das Dienstmädchen. Er kommandiert mich dauernd herum. Selbst als ich krank war, mußte ich damals, als wir gebaut haben, die Schubkarre fahren – und er lag auf dem Sofa und ruhte sich aus und las Zeitung. Und immer will er nur das eine, jeden Tag. Ich habe schon richtig Ekel davor!“

Wie könnte da eine bibelbezogene Seelsorge aussehen? Gut, der Mann sagt, der Seelsorger solle der Frau einmal 1Kor 7 vorlesen, wo steht, daß sich die Frau dem Mann nicht entziehen solle. Der Seelsorger fängt aber mit dem Mann an, denn er soll – nach Eph 5,21ff – die Haupt-Verantwortung vor Gott für Wohl und Wehe seiner Familie tragen. Darüber wird er belehrt, und auch darüber, daß zu dieser Hauptverantwortung in erster Linie gehört, seine Frau aufopferungsbereit zu lieben und ihr Bestes zu suchen. Das Wort überführt ihn, daß er nicht so liebevoll mit seiner Frau umgegangen ist. Umgekehrt lernt die Frau, daß Sexualität nach Gottes Gedanken nicht etwas Schmutziges ist, sondern eine gute Gabe Gottes, die Eheleute dankbar gebrauchen dürfen (Spr 5; 1Kor 7). Zugleich muß ihm klar werden, daß auch die innereheliche Sexualität in das Heiligungsleben eines Christen gehört: nach 1Thess 4,2ff sollen Männer ihre Frau im sexuellen Bereich ‚gewinnen‘, und nicht wie die Heiden in egoistischer Leidenschaft nur fordern. – Wenn nun beide Ehepartner das Wort Gottes im Glaubensgehorsam annehmen, wird es sie (an je unterschiedlichen Stellen) von ihrem Fehlverhalten überführen, ein neues Verhalten zeigen und dazu verhelfen, daß es zu einer ganz neuen Praxis kommt. Da liegt die Chance, daß eine Ehe, die eher einem Martyrium als einem Paradies auf Erden gleicht, doch noch eine gute Ehe wird, durch die Gott verherrlicht wird.

Der Seelsorger muß auch die Menschen gut kennen und verstehen.

Für einen Seelsorger ist unabdingbar, daß er im Wort Gottes gegründet ist und die nötige Weisheit besitzt, dieses Wort auf die gegebene Situation zu beziehen. Um Menschen zu kennen, muß er in der Heiligen Schrift zu Hause sein. Aber er muß nicht nur das Wort gut kennen. Er muß auch die Menschen in ihren Lebenssituationen kennen und ihre oft verschlungenen Denk- und Verhaltensmuster verstehen. Er muß gut zuhören und beobachten können. Auch die Erkenntnisse anderer etwa aus den Gebieten der Natur- oder Sozialwissenschaften können ihm verstehen helfen. Wo es aber um Dinge geht, die dazu beitragen sollen, daß ein Mensch auf das ausgerichtet wird, was vor Gott recht ist und was dazu beiträgt, daß er als Gottesmensch lebt, kann nur die Bibel die Richtung angeben und die Verhaltensänderung bewirken. An diesem entscheidenden Punkt gibt es für den Seelsorger keinen Ersatz. Seelsorge, die Glaubenshilfe als Lebenshilfe anbietet, muß im Wort Gottes gegründet sein. Das ist ihre Basis.

Werfen wir abschließend noch einen Blick auf die Vielfalt seelsorgerlichen Handelns, das auf dieser Basis möglich ist.

2. Die Vielfalt seelsorgerlichen Handelns:

„Wir ermahnen Euch aber, Geschwister: Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, nehmt Euch der Schwachen an, seid geduldig gegen alle!“ (1Thess 5,14).

Eine erste wichtige Einsicht ist hier, daß biblische Seelsorge nicht nur eine Sache für ‚Profis‘ ist. Seelsorge ist nicht an ein bestimmtes Amt gebunden. Sicher, es gibt auch Leitungspersonen in der Gemeinde, die neben der Aufgabe der Gemeinde vorzustehen auch Seelsorge in der Gemeinde üben. Gerade zwei Verse zuvor hat Paulus die Gemeinde ermahnt, die Brüder anzuerkennen, die der Gemeinde „vorstehen in dem Herrn und euch seelsorgerlich ermahnen“ (1Thess 5,12). Nun spricht er die Gemeindeglieder (die Geschwister) allgemein an und ermahnt sie zu seelsorgerlichem Handeln (V. 14). Ganz ähnliches finden wir im Kolosserbrief, wo einerseits die Seelsorge als Teil des apostolischen Dienstes erwähnt wird, andererseits Seelsorge aber auch die gegenseitige Pflicht der Gemeindemitglieder ist (Kol 1,28; 3,16). Ich bin überzeugt, es gehört zur notwendigen Vielfalt seelsorgerlichen Handelns, daß Seelsorge nicht auf einzelne Amtsträger beschränkt bleibt. Es gibt viel zu viele Lasten zu tragen, viel zu viele Gelegenheiten, einander zurechtzuhelfen im Namen Jesu, als daß dies z. B. der Pastor allein bewältigen könnte. Wo der Seelsorgedienst allein an Pastoren oder psychologisch versierten Therapeuten hängen bleibt, wird die Gemeinde in seelsorgerlicher Hinsicht verarmen. Biblische Seelsorge in ihrer gottgewollten Vielfalt lebt davon, daß viele von Gott begabte Lastenträger bereit sind, sich der großen Herausforderung zu stellen, auf der Basis der Bibel Glaubens- und Lebenshilfe zu geben.

Die ‚Kleinmütigen‘ sind zu ‚trösten‘. Es wäre völlig falsch, sie zurechtzuweisen!

Eine zweite wichtige Einsicht ist zugleich, daß diese von vielen zu übende Seelsorge, je nach Situation, eine große Vielfalt von Formen annehmen kann. Die ‚Unordentlichen‘ sind ‚zurechtzuweisen‘. Sie haben sich außerhalb der Ordnungen Gottes gestellt. Nun muß ihnen auf biblischer Grundlage wieder der Sinn zurechtgerückt werden, damit sie ihre Lebensrichtung korrigieren. – Die ‚Kleinmütigen‘ sind zu ‚trösten‘. Es wäre völlig falsch, sie zurechtzuweisen! Sie sind ohnehin entmutigt; und wenn sie jetzt noch jemand in ihrer Entmutigung hart korrigiert, werfen sie vielleicht alles hin. Nein, sie brauchen Zuspruch, Ermutigung, Motivation. – Die ‚Schwachen‘ brauchen Brüder oder Schwestern, die sie ‚tragen‘. D. h. sie brauchen Menschen, die bereit sind, fremde Lasten mit auf die eigenen Schultern zu nehmen und viel Bereitschaft zum Ertragen der Schwachheiten des Bruders. Und überhaupt, Seelsorge geht nur, wenn da Menschen sind, die einen langen Atem haben: ‚Geduld‘ üben gegenüber ‚jedermann‘ ist angesagt.

Die Vielfalt der Handlungsanweisungen für die Seelsorge allein schon in diesem einen Bibelwort liegt auf der Hand. Wohl dem Seelsorger, der nicht einfach alle Ratsuchenden über einen Kamm schert! Enge Schablonen helfen in der Seelsorge nicht weiter. Der biblisch denkende Seelsorger richtet sein Handeln auf die jeweilige Situation aus. Er tröstet nicht die Unordentlichen, sondern weist sie zurecht. Und er weist den Verzagten nicht zurecht, sondern tröstet ihn. Er hat nicht Geduld mit der Sünde, wohl aber Geduld mit der Schwachheit. Seelsorge nimmt je nach Fall unterschiedliche Formen an. Aber – und das ist der Unterschied etwa zur Situationsethik – sie erfolgt, gleich in welcher Form, immer auf unverrückbarer biblischer Grundlage.

Wenn so auf biblischer Basis eine Vielzahl von Seelsorgern in den Gemeinden situationsgerecht Seelsorge zu üben beginnen, wird dies ein Segen für unsere Gemeinden sein. Es war mein Wunsch, mit dieser Predigt anläßlich unserer Bibelbundtagung zum Thema ‚Seelsorge und Psychotherapie‘ deutlich zu machen, was nötig ist, wenn Menschen so verändert werden sollen, daß sie zu ‚Gottesmenschen‘ werden, deren Verhalten im Sinne der Heiligung und des Dienstes für Gott ‚gut‘ ist. Dazu ist Seelsorge auf biblischer Grundlage nötig. Keine Psychotherapie der Welt wird das bewerkstelligen können. Eine andere Frage ist, ob man nur diese biblische Seelsorge als ‚Seelsorge‘ bezeichnen will. Es gibt auch medizinische, soziale und psychische Nöte, in denen Menschen Hilfe brauchen. Ob man diese Hilfe, wenn Christen sie leisten, lieber als ‚Diakonie‘ bezeichnen will, oder Aspekte medizinischen, sozialen und therapeutischen Handelns dem Begriff ‚Seelsorge‘ zuordnet, braucht kein grundsätzlicher Streitpunkt unter Christen zu sein, denn unser Begriff ‚Seelsorge‘ ist kein biblisches Wort, das man als solches verteidigen müßte. Wichtig ist mir nur, daß man nicht meint, mit therapeutischen, sozialen oder medizinischen Mitteln das leisten zu können, was im Bereich Heil und Heiligung allein auf biblischer Basis möglich ist. Man fällt sonst nur allzu leicht in eine vorreformatorische Werkgerechtigkeit zurück. Anderseits ist aber auch klar, daß der von Gott geschaffene Mensch eine Einheit ist: geistliche Hilfe kann sich daher auch auf sein körperliches und seelisches Befinden sowie auf seine Beziehungen positiv auswirken – und umgekehrt kann Hilfe bei körperlichen, seelischen oder sozialen Problemen förderlich für das biblisch begründete Leben eines Menschen sein. Äußere Hilfe für den notleidenden Menschen ist wichtig, nicht zuletzt unter dem Aspekt praktizierter Liebe. Aber bleibt es bei äußerer Hilfe allein, stehen wir vor dem Mahnwort Jesu: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, und nähme doch Schaden an seiner Seele!“ Von daher ist biblische Seelsorge unverzichtbar. Und wir alle sind eingeladen zu prüfen, ob Gott uns nicht gerade in diesem Dienst als ein Werkzeug seiner Liebe und als Boten seines Wortes gebrauchen will.