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Ältester archäologischer Hinweis auf Jesus von Nazareth – eine Fälschung?

Die nicht endende Geschichte des Jakobus-Ossariums

Das archäologische Thema des letzten Jahres in Palästina waren ohne Zweifel Fälschungen bzw. der Verdacht auf Fälschung, wobei die beiden prominentesten Beispiele die König-Joasch-Inschrift (vgl. Stud. Int. Journal 10,45-46) und das Jakobus-Ossarium waren. Ende 2002 hatte André Lemaire, Leiter des Bereiches für hebräische und aramäische Philologie und Epigraphie an der Pariser Sorbonne über das Ossarium berichtet, das kurz zuvor aus einer Privatsammlung in Israel aufgetaucht war. Ossarien sind hölzerne oder steinerne Behältnisse, in denen die Gebeine Verstorbener aufbewahrt wurden, nachdem diese nach etwa einem Jahr in der Grabkammer skelettiert waren. Die Praxis der Zweitbestattung in Ossarien war im Israel des ersten Jahrhunderts weit verbreitet, da der Platz in den in den Fels gehauenen Grabhöhlen sehr begrenzt war.

Sensationelle Inschrift

Was den Fund des 50x20x30 Zentimeter messenden Kalkstein-Behältnisses unter Hunderten weiterer zu einer Sensation machte, war eine in die Seite eingravierte Inschrift, die einen „Jakobus, Sohn des Josef, Bruder Jesu“ ausweist (Abb. 1). Lemaire war sich seinerzeit nahezu sicher: Dieser Jakobus war der Bruder Jesu, der als Leiter der Jerusalemer Urgemeinde im Jahre 62 den Märtyrertod starb. Der jüdisch-römische Historiker Flavius Josephus berichtet davon, dass Jakobus auf Betreiben des Hohenpriesters Ananus gesteinigt wurde. Ananus hatte sich dabei das kurzzeitige Machtvakuum in Palästina nach dem Tode des Statthaltes Festus, während dessen die Römer nicht eingreifen konnten, zunutze gemacht (Jüdische Altertümer, 20. Buch, 9. Kapitel):

„Der junge Ananus jedoch, …, war von heftiger und verwegener Gemütsart und gehörte zur Sekte der Sadduzäer, die, … , im Gerichte härter und liebloser sind als alle anderen Juden. Zur Befriedigung dieser seiner Hartherzigkeit glaubte Ananus auch jetzt, da Festus gestorben, Albinus [sein Nachfolger] aber noch nicht angekommen war, eine günstige Gelegenheit gefunden zu haben. Er versammelte daher den Hohen Rat zum Gericht und stellte vor dieses den Bruder des Jesus, der Christus genannt wird, mit Namen Jakobus, sowie noch einige andere, die er der Gesetzesübertretung anklagte und zur Steinigung führen ließ.“

Der Kirchenvater Eusebius ergänzt den Bericht unter Bezugnahme auf Clemens von Alexandria und den Historiker Hegesippus dahingehend, dass Jakobus auch in Jerusalem begraben wurde. Zu dem durch Josephus verbürgten Datum paßte die Aussage Lemaires, dass die Form des gefundenen Ossariums für die Zeit zwischen den Jahren 20 und 70 des ersten Jahrhunderts typisch war, und dass der Stil der eingravierten Schrift ans Ende dieser Zeitspanne weist.

Ein Problem war die Häufigkeit der Namen. Sowohl „Jesus“, als auch „Jakobus“ und „Josef“ waren weit verbreitet

Ein Problem war die Häufigkeit der Namen. Sowohl „Jesus“, als auch „Jakobus“ und „Josef“ waren weit verbreitet. Neben dem Bruder Jesu fanden sich allein unter den zwölf Jüngern zwei Männer mit dem Namen Jakobus und auch der Vater des Apostels Judas hieß so. Auf einem Katalog von 233 beschrifteten Ossarien findet sich „Jakobus“ fünfmal. „Jesus“ taucht zehn und „Josef“ sogar 19 mal auf. Zweimal findet sich gar die Kombination „Jesus, Sohn des Josef“. Was die Inschrift dennoch fast einmalig macht, ist die Nennung des Bruders neben dem Vater, wofür nur noch ein weiteres Beispiel bekannt ist. Sie könnte eigentlich nur bedeuten, dass ihm für den Verstorbenen besondere Bedeutung zukam. Träfe Lemaires Vermutung zu, so wäre der Fund der älteste archäologische Hinweis auf Jesus von Nazareth, der je gefunden wurde.

Zweifel

Es regten sich jedoch Zweifel. Während das Ossarium über die Jahreswende 2002/2003 nach Übersee verschifft und im Royal Ontario Museum in Toronto ausgestellt wurde, machte sich die Israelische Antikenbehörde (IAA) auf die Suche nach der Herkunft des Fundes. Lemaire hatte den Namen des Eigentümers auf dessen Wunsch hin zunächst geheim gehalten. Die Spuren führten dann aber zu Oded Golan, einem 51-jährigen Ingenieur aus Tel Aviv. Golan gilt als der größte israelische Altertümer-Sammler. Nach seinen Aussagen hatte er das Ossarium 1967, kurz nach dem Sechs-Tage-Krieg von einem Palästinenser erworben. Es stellte sich heraus, das auch die König-Joasch-Inschrift und einige weitere Aufsehen erregende Funde aus seiner Sammlung stammten. Der Verdacht, dass es sich dabei um Fälschungen handelte, lag nahe. Um ihm nachzugehen, gründete die IAA mehrere Arbeitsgruppen, die das Material und die Inschriften des inzwischen beschlagnahmten Kastens gründlich untersuchen sollten.

Entgegen einer ursprünglichen Untersuchung des Geological Survey of Israel vom September 2002, die keine Anzeichen für die Unechtheit des Ossariums sah, sind sich die Experten in ihrer im Juni 2003 publizierten Vorab-Zusammenfassung des Berichtes einig: Während das Ossarium selbst authentisch ist, handelt es sich bei der Inschrift um eine moderne Fälschung. So schreibt etwa Amos Kloner, Experte für Begräbnisse während der zweiten Tempelperiode an der Bar Ilan-Universität:

„Die Inschrift macht einen neuen Eindruck. Der Schreiber bemühte sich durch den Rückgriff auf zeitgenössische Inschriften, den Buchstaben ein antikes Aussehen zu geben.“

Auch Esther Eshel, ebenfalls Bar Ilan-Universität ist sich ihrer Sache sicher:

„Aufgrund meiner Untersuchung der Inschrift und der Daten, die ich erhalten habe, scheint es mir ganz eindeutig, dass die Inschrift nicht authentisch ist, sondern sehr viel später … ergänzt wurde.“

Weniger sicher formuliert Roni Reich von der Haifa-Universität:

„Die Inschrift weist keine Kombination von … Merkmalen auf, die auf eine Fälschung deuten. Davon, dass sie eine Fälschung ist, wurde ich auf Grund der Funde des Materials Committee überzeugt.“

Stellvertretend für diese Arbeitsgruppe sei Yuval Goren zitiert:

„Das Ossarium selbst ist authentisch … Der Stein besteht aus Grauwacke, einem für Israel exotischen Material, das in Nordsyrien und Westzypern gefunden wird. Die originale Silikat-Patina ist auf der Rückseite der Tafel erhalten, wo sie fest am Stein haftet. Die eingravierten Buchstaben scheinen keinen Korrosionsprozeß durchlaufen zu haben, wie er für eine antike Inschrift zu erwarten wäre. Die Schicht über der Inschrift weist eine andere Zusammensetzung auf als die Patina auf der Rückseite des Steins und scheint aus einer künstlichen Mischung aus Lehm, körniger Kreide, Kohlenstoff und korrosionsbeständigem Metall zu bestehen, die in heißem Wasser aufgeschwämmt und dann über den Stein gegossen wurde. Anschließend wurde der Stein auf eine Temperatur nicht höher als viertausend Grad erwärmt, um die Schicht zu härten und ihr das Aussehen von Patina zu geben.“

Ein neues Gutachten.

Mit dem IAA-Gutachten hätte der Fall erledigt sein können, wenn nicht zeitgleich ein weiteres Gutachten des Royal Ontario Museum erschienen wäre. Beim Transport von Israel nach Kanada war das Ossarium zerbrochen, wobei der Riß schräg durch die Inschrift verlief. Das eröffnete den Wissenschaftlern in Toronto die Möglichkeit einer gründlicheren Untersuchung z. B. kleiner Bruchstücke, die sich von den Rißkanten gelöst hatten. Im Unterschied zu ihren israelischen Kollegen kamen die Kanadier zu dem Schluss, dass die Inschrift „auf keinen Fall eine moderne Fälschung“ sei, wie Edward Keall, der Leiter des Bereiches für Nahöstliche und Asiatische Zivilisationen des Museums es unlängst in einem Aufsatz über die Untersuchungen formulierte.

Im Unterschied zu ihren israelischen Kollegen kamen die Kanadier zu dem Schluss, dass die Inschrift „auf keinen Fall eine moderne Fälschung“ sei

Besonders interessant klingt seine Erklärung dafür, dass die Inschrift in zwei unterschiedlichen Abschnitten unterschiedlich gut erhalten erscheint. Der IAA-Konservator Jaques Neguer hatte vermutet, dass sie „von zwei unterschiedlichen Schreibern mit unterschiedlichen Werkzeugen“ eingeritzt worden sei. Damit ergab sich die weitere Möglichkeit, dass der erste Teil der Schrift identisch und nur der zweite Teil „…, Bruder Jesu“ hinzugefügt sein könnte. Keall widerspricht dieser Deutung:

„Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass dieser Teil der Inschrift unlängst gereinigt wurde, und zwar etwas zu rigoros mit einem scharfkantigen Werkzeug. Wer immer auch die Reinigung vorgenommen hatte, er bearbeitete lediglich den Beginn, nicht aber das Ende der Inschrift. Bei dem Vorgang wurde ein Teil der Oberflächenkruste aus dem Inneren der Buchstaben entfernt, etwas blieb aber erhalten. Die Buchstaben, für die ein scharfkantiges Werkzeug benutzt worden war, erscheinen darüber hinaus etwas ‚erweitert‘. Sie sehen gestochener aus als der Rest der Schrift. Dieser Rest (auf der linken Seite) erscheint weicher, weniger eckig, mehr wie Kursivschrift und damit moderner. Das ist aber lediglich ein Effekt der nicht hinweggeputzten Kruste.“

Von Bedeutung könnte auch eine andere Beobachtung der Kanadier sein. Über die Oberfläche des Ossariums verlaufen feine, unter der Lupe zu erkennende Wölbungen, die als Verwitterungserscheinungen gedeutet werden können. Der Kalkstein weist eine lamellare Struktur auf, die sich an der Oberfläche in Form kleiner „Äderchen“ manifestiert, die, da sie aus härterem Kalkspat bestehen, schwerer abtragbar sind als das sie umgebende Kalziumkarbonat. Die Äderchen, so Keall „verlaufen in konsistenter Weise über die Oberfläche des Ossariums und durch die eingravierten Buchstaben der Inschrift hindurch.“ Das bedeutet, dass auch die Schrift verwittert sein muss, was wiederum ein Indiz für hohes Alter ist.

Weitere Argumente

Im bislang letzten Akt der Geschichte hat sich im November 2003 noch einmal André Lemaire zu Wort gemeldet, der den Fund zuerst publiziert hatte. Lemaire diskutiert die bisher bekannten Statements der IAA und hält sie für wenig überzeugend. Intensiv setzt er sich mit den vorgebrachten paläographischen Argumenten auseinander und verweist darauf, dass Merkmale wie leicht variierende Schreibweisen einzelner Buchstaben aber auch inhomogene Verwitterung auch bei allgemein anerkannten Inschriften nicht unüblich sind. Da die Argumente für die Unechtheit aber weniger auf epigraphischen Argumenten als auf der Oberflächenstruktur der eingeritzten Fläche beruhen, widmet er sich auch diesem Komplex.

Der bereits zitierte Yuval Goren sieht die Oberflächenveränderungen im IAA-Gutachten dadurch begründet, dass „die Inschrift in moderner Zeit eingeritzt oder gereinigt“ wurde. Lemaire hält, anders als Goren, die Möglichkeit der Reinigung des Behälters für sehr viel wahrscheinlicher, wobei er sich auf Informationen stützt, die auf Golan zurückgehen. Folgt man dem Franzosen, so könnte sich die Geschichte so zugetragen haben:

„Der Besitzer sagt, dass er das Ossarium vor einigen Jahrzehnten von einem Jerusalemer Antiquitätenhändler in der Altstadt gekauft habe. Auf dem Markt hängt der Preis für ein Ossarium von der Qualität der Verzierung und/oder der Inschrift ab. Ein nicht verzierter und beschrifteter Behälter hat nur wenig Wert. Klar, dass der Verkäufer seine Ware möglichst vorteilhaft darbieten und die Qualität der Dekoration und die Klarheit der Schrift betonen möchte. Im vorliegenden Fall war die Verzierung so schwach, dass er sie möglicherweise nicht einmal bemerkt hat, und selbst wenn, hätte er kaum für einen höheren Preis argumentieren können. Anders die Inschrift. Sehr wahrscheinlich hat er versucht, sie zu reinigen. Wie? Mit einer Bürste, warmem Wasser und vielleicht einem Nagel, um die Buchstaben auszukratzen.

Auf diese Weise würde die Schrift schärfer aussehen. Zugegeben, das ist eine Mutmaßung, aber zumindest könnte es ein plausibles Szenario sein. Folgt man dem Besitzer, so fand das Ossarium anschließend seinen Platz auf dem Balkon der elterlichen Wohnung, der halb offen war, so dass er teils dem Regen, teils der üblichen Beheizung im Winter ausgesetzt war. Später kam der Kasten auf den Balkon und in eine kleine Abstellkammer seiner eigenen Wohnung und wurde von Zeit zu Zeit durch die Putzfrauen gereinigt. Noch später stellte der Besitzer das Ossarium in ein Lager. Dort war es auch, als er mir zuerst ein Foto davon zeigte. Im Gebiet von Tel Aviv ist das Klima sehr viel feuchter, es ist wärmer und die Temperatur ist wechselhafter als in der Höhle bei Jerusalem, wo das Ossarium ursprünglich gestanden hatte.“

Frank Cross, der emeritierte „Papst“ unter den Paläographen-Spezialisten für antike semitische Inschriften äußerte sich nach seiner Inspektion der Inschrift in Toronto:

„Wenn dies eine Fälschung ist, dann ist der Fälscher ein Genie.“

Trotzdem glaubt auch er an eine Fälschung, weil das Ossarium auf der Inschriftenseite weniger verwittert ist, als auf der Rückseite, ein Umstand, den Lemaire gerade durch die Jahrzehnte lange Lagerung auf den Balkonen im witterungsintensiven Tel Aviv zu erklären versuchte.

Vorläufiges Fazit

Was ist die Wahrheit um das Jakobus-Ossarium? Wird man sie jeweils zweifelsfrei aufklären können? Bislang – so scheint es – ist die Affäre vor allem ein Lehrstück für die Möglichkeiten und Grenzen der Forschung. Dabei ist die Aufklärung des Falls von einer eminenten Bedeutung, die weit über das spektakuläre Element des Fundes hinausgeht. Unausdenkbar, wenn Fälscher eines Tages in der Lage wären, nach Belieben Daten zu manipulieren ohne dass ihnen dies jemand noch nachweisen könnte. Deshalb wird die Diskussion weitergehen müssen.

Literatur

  • Dahari U (2003) Summary Report of the Examining Committees for the James Ossuary and Yehoash Inscription. Nachdruck in Biblical Archaeological Review 29, 27-31 mit Kommentaren von Shanks H (2003) Observations on the IAA´S Summary Report; Is Oded Golan a Forger?; Paleography – an Uncertain Tool in Forgery Detection. Biblical Archaeological Review 29, 32-33; 34-37; 37-38.
  • Keall EJ (2003) New Test Bolster Case for Authenticity. Biblical Archaeological Review 29, 52-55.70.
  • Lemaire A (2002) Burial Box of James the Brother of Jesus. Biblical Archaeological Review 28, 25-33.70.
  • Lemaire A (2003) Ossuary Update. Israel Antquites Authority´s Report Deeply Flawed. Biblical Archaeological Review 29, 50-59.67.70.
  • Shanks H (2003) Cracks in James Box Repaired. Biblical Archaeological Review 29, 20-25.