ThemenEthische Themen, Orientierung

Kultur des Todes oder der Barmherzigkeit?

Sterbehilfe führt zu einer Kultur des Todes und ist kein Akt der Barmherzigkeit. Das zeigt sich, wenn man die Entwicklung näher betrachtet und die biblischen Werte daneben stellt. Auch Sterbende sollen aktive Lebenshilfe statt Sterbehilfe erfahren.

Vor kurzem gingen durch die britischen Medien folgende zwei Nachrichten, die brennpunktartig die Brisanz des Themas erfassen und zugleich die Motivation zur Sterbehilfe und die übliche Reaktion darauf illustrieren:

Eine 57-jährige Mutter tötete ihren geistig behinderten 22-jährigen Sohn und erklärte öffentlich, dass sie ihn von seinem Leiden „befreien“ wollte. Angehörige und Freunde der Frau sagten, was sie getan hätte, sei kein Mord gewesen, sondern „a loving and courageous act“, und sie forderten die gesetzliche Freigabe für solche Tötungen von Behinderten1.

Ein BBC-Reporter trat an die Öffentlichkeit und berichtete: Sein AIDS-kranker Liebhaber war zur Behandlung in die Klinik gekommen. Er hatte zuvor mit ihm vereinbart, „to act if his suffering increased“. Als dann eines Tages der Arzt dem Reporter erklärt habe, dass man seinem Freund medizinisch nicht mehr helfen könne, habe er das Kopfkissen seines Liebhabers genommen und ihn damit erstickt. Er zeigte danach keinerlei Reue, im Gegenteil, er betonte kräftig den hilfreichen Charakter seiner Tat. Und in den Medien war danach zu lesen, diese Geschichte zeige doch, wie notwendig ein Gesetz zur Regelung von „assisted dying“ (Sterbehilfe) sei.2

Immer wieder haben Personen selber in die Hand genommen, was in anderen europäischen Ländern per Gesetz bei Beachtung bestimmter Regeln dem Arzt vorbehalten bleiben soll. Aber selbst bei eigenmächtigem Handeln kann der Sterbehelfer im Allgemeinen mit einer großen Zustim­mung rechnen. Und das ist auch kein Wunder. Denn wenn von Sterbehilfe gesprochen wird, werden – subjektiv vermutlich meistens ehrlich – die höchsten menschlichen Werte in Anspruch genommen. Da ist von Liebe die Rede, von Mut und von Befreiung, von Mitleid und von Humanität, meistens aber von Menschenwürde. Es geht beim Thema Ster­be­hilfe in der Tat um das rechte Verständnis von Men­schen­­würde. Das ist symptomatisch am Fir­men­namen jener bekanntesten, kommerziell arbeitenden Schweizer Sterbehilfe­organisation abzulesen, die immer mehr von sich reden macht. Sie trägt den programmatischen Namen „Dignitas“ – zu deutsch Würde, gemeint ist Menschenwürde. Die Firma stellt ihr Programm im Internet selbstbewusst unter das Motto: Dignitas – menschenwürdig leben und menschenwürdig sterben. Die andere, ebenfalls in der Schweiz beheimatete Sterbehilfeorganisation gibt sich in ihrer Selbstbezeichnung etwas sachlicher – sie nennt sich schlicht „Exit“.

1. Was bedeutet „Sterbehilfe“?

Die folgenden Bezeichnungen werden zwar von Juristen und Medizinern nicht gerne gebraucht. In der öffentlichen Diskussion aber stehen sie nach wie vor im Vordergrund.

1. Passive Sterbehilfe

Die sogenannte „passive Sterbehilfe“ kon­­zen­triert sich auf palliative (die Be­schwerden lindernde) Maßnahmen und möchte so dem sterbenden Menschen ein natürliches Sterben ermöglichen, ihm also eine künstliche Verlängerung seiner Leiden ersparen. Gegen diese Form der Sterbehilfe gibt es grundsätzlich weder moralische noch rechtliche Bedenken. Dennoch ist dieser Handlungsbereich ganz und gar nicht unproblematisch. Verwerflich wird das Sterbenlassen natürlich dann, wenn der Behandelnde eine Therapie, die Leben retten oder erhalten könnte, ablehnt oder abbricht. Rechtlich eindeutig ist die Situation dann, wenn der Patient eine Behandlung ablehnt. Der Arzt ist an die Entscheidung des Patienten gebunden. Das hat der deutsche Gesetzgeber im September vorigen Jahres im Blick auf Patienten­verfügungen abschließend geklärt („Drittes Gesetz zur Änderung des Betreuungs­rechts“). Vom christlich-ethischen Standpunkt aus gesehen, würde der Patient aber mit der Ablehnung einer lebensrettenden oder -erhaltenden Maßnahme dann unrecht tun, wenn er damit den Tod selber herbeiführt, also im Grunde Suizid begeht.

2. Indirekte Sterbehilfe

Bei der sogenannten „indirekten Sterbe­hilfe“ geht es allein um die Minderung der Schmerzen des Patienten, wobei der Patient und der Arzt eine eventuell durch Nebenwirkungen der Schmerzmittel verursachte Beschleunigung des Todeseintritts in Kauf nehmen. Auch diese Form der Sterbehilfe ist, wieder grundsätzlich gesehen, weder moralisch noch rechtlich bedenklich. Recht gesehen, kann sie sogar moralisch geboten sein. Und ein beschleunigter Todeseintritt ist bei fachlich qualifizierter Schmerztherapie auch viel seltener, als man denkt oder befürchtet. Man kann nur hoffen, dass die Schmerztherapie in Deutschland Fortschritte macht. Freilich, hinter dem Schutzmantel dieser zurecht anerkannten Form der indirekten Sterbehilfe kann sich, wie im Fall der passiven Sterbehilfe, auch ein schlimmer Missbrauch verstecken, wenn nämlich der Arzt bewusst eine so hohe Dosis Schmerzmittel verabreicht, die direkt zum Tode führen muss. Auf diesem Gebiet liegen große Gefahren!

3. Aktive Sterbehilfe

Der Begriff Sterbehilfe klingt ja für sich allein schon nur positiv. Es gibt doch nichts Humaneres als dem Mitmenschen in einer Not Hilfe zu leisten. Und nun dem Mitmenschen gerade in der Phase seiner tiefsten Schwachheit, also im Zusammenhang seines Sterbens, beizustehen – ist das nicht ein noch stärkeres Zeichen wahrer Humanität? Und diese Hilfe schließlich nicht nur theoretisch oder passiv oder indirekt, sondern praktisch, also direkt, aktiv zu üben – ist das nicht der reinste Ausdruck von Humanität? Der beschönigende, verhüllende Begriff „aktive Sterbehilfe“ suggeriert solche Schlüsse und soll sie auch auslösen. Wer diesen Begriff hört, soll ihn nicht nur unbewusst den anderen, legalen und legitimen Formen der Sterbehilfe zuordnen, sondern ihn sogar noch diesen empfindungsmäßig vorordnen. Vergleichbar ist die bewusste sprachliche Fehlsteuerung bei den Begriffen „Schwangerschaftsabbruch“ oder gar „Schwangerschaftsunterbrechung“, als ginge es bei der Abtreibung lediglich um die Beendigung beziehungsweise Unter­brechung des Zustandes einer Frau! Der gleiche verführerische Euphemismus liegt auch bei dem Begriff Euthanasie (schöner, leichter Tod) vor, der in Deutschland nach den Erfahrungen der Nazi-Diktatur kaum, in anderen Ländern jedoch üblicherweise verwendet wird. Er ist bedeutungsgleich mit aktiver beziehungsweise direkter Sterbehilfe. Es geht aber bei der aktiven Ster­be­hilfe = Eutha­nasie gar nicht um irgendeine Hilfe­stellung beim Ster­ben eines Menschen, son­dern um ein von außen gefasstes negatives Urteil über ein Menschenleben bzw. um die Übernahme der negativen Selbstbeurteilung eines Patienten mit der Folge einer gezielten Tötung des Patienten, freilich unter dem moralischen Anspruch, ihm dadurch ein menschenwürdiges Sterben zu ermöglichen.

Die Frage nach der aktiven Sterbehilfe wird in Europa immer drängender gestellt. Genau besehen, muss man sogar sagen: der Zeitgeist fragt gar nicht mehr, er fordert regelrecht die aktive Sterbehilfe – oder aber er hat sie bereits durchgesetzt, wie in den Niederlanden.

2. Die Entwicklung in den Niederlanden – ein warnendes Beispiel

1973: Ein in aller Welt beachteter Prozess gegen die Ärztin Postma van Boven wegen Tötens auf Verlangen. Sie hatte ihre eigene Mutter (78), die nach einem Schlaganfall gelähmt war, auf deren Bitte hin mit einer Überdosis Morphium eingeschläfert. Eine Welle der Sympathie schlug der Angeklagten im ganzen Land entgegen, tausende Unterschriften wurden zu ihrer Unterstützung gesammelt. Auch Vertreter der ärztlichen Standesorganisation erklärten sich solidarisch mit ihr. Eine Reihe von Ärzten bekannte freimütig, auch schon euthanasiert zu haben. Manche Politiker prophezeiten einen Sturm der Entrüstung im Volk im Falle einer Verurteilung der Ärztin. Auch Pfarrer der protestantischen Kirche plädierten für Freispruch. Die Verteidigung vertrat den Standpunkt, Barmherzigkeit könne nicht bestraft werden. Die Bevölkerung spürte, dass der Ausgang dieses Prozesses darüber entscheidet, ob Euthanasie in Holland danach geduldet wird. Und die Weltöffentlichkeit ahnte und äußerte, dass die Folgen des Prozessausgangs keine interne Angelegenheit der Niederlande bleiben werden. Die Ärztin bekam schließlich statt einer Gefängnisstrafe von bis zu zwölf Jahren, wie sie nach dem damals geltenden Recht zu erwarten gewesen wäre, lediglich eine symbolische Strafe von einer Woche Haft.

2.1 Veränderte Auffassungen

„Das Gericht berücksichtigte bei der Urteilsfindung die veränderten Auffas­sungen in der Ärzteschaft über Sterbehilfe“. Die veränderten Auffassungen in der Bevölkerung insgesamt dürften aber letztlich den Ausschlag gegeben haben. So kam also der Schneeball ins Rollen. Schnell wuchs er zur Lawine!

1985: Die Synoden von zwei reformierten Kirchen der Niederlande bejahen, dass die Entscheidung, das eigene Leben zu beenden oder beenden zu lassen(!), vom christlichen Standpunkt gesehen verantwortet werden könne. Wie zu befürchten, so geschah es also: die Kirche hechelte dem Zeitgeist hinterher und sanktionierte noch den Trend mit theologischen Argumenten. Hier geschah der eigentliche Dammbruch. Wer oder was sollte daraufhin noch die drohende Flut abwehren?

1990: Bei einer vom Staat in Auftrag gegebenen statistischen Erhebung werden für dieses Jahr 2300 sichere Fälle von Euthanasie erfasst. Eine hohe Dunkel­ziffer wird angenommen. „Wir helfen im Stillen“, meinte ein Euthanasie-Arzt. Was unter den 22.500 in jenem Jahr erfassten Fällen von Behandlungsabbruch bzw. -verzicht geschah, weiß man natürlich nicht, mit Sicherheit verbargen sich darunter aber auch viele Fälle von getarnter Euthanasie.

1993/94: Vom holländischen Parla­ment wird ein Gesetz verabschiedet (1994 in Kraft getreten), das die bereits bestehende Euthanasie-Praxis duldet, aber gewissen Regeln unterwirft. Euthanasie bleibt im Grundsatz verboten, steht aber unter Beachtung der Regeln unter Straffreiheit. Die meisten Ärzte in den Niederlanden bejahen dieses Gesetz, der Welt­ärzteverband lehnt anlässlich der niederländischen Entscheidung die Euthanasie als unethisch ab (noch!). Holländische Katholiken reagierten mit der Credo Card, mit der sie für sich Euthanasie entschieden ablehnen. Tausende solcher Karten wurden in kürzester Zeit bestellt.

1995: Ärzte, die außerhalb des gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrens aus „humanitären Gründen“ euthanasierten, bleiben dennoch vor Gericht straffrei. Die Regierung sieht sich unter Druck, ein neues, erweitertes Sterbehilfegesetz einzubringen. Die Zahl der Tötungen auf Verlangen nimmt stetig zu (1995: 3200 im Vergleich zu 2300 im Jahr 1990). Der Deutsche Ärztetag reagiert auf die neuerliche Tendenz in den Niederlanden mit der Erklärung, allen Bestrebungen zur Durchführung aktiver Sterbehilfe entschieden entgegenzutreten – noch!

1997: Andersdenkende niederländische Ärzte berichten, sie gerieten mittlerweile unter Druck, wenn sie Sterbehilfe ablehnen. Man bedenke den Wandel im Bild des Arztes: bis in die 70er Jahre galt ein Arzt, der Euthanasie praktizierte, moralisch als Mörder und bis in die 90er Jahre rechtlich als Straftäter, jetzt aber als Wohltäter!

2.2 Strategische Mittel

Befürworter einer noch erweiterten gesetzlichen Erlaubnis für Euthanasie setzen erfolgreich folgende strategische Mittel ein:

1. Öffentliche „Geständnisse“ von Ärzten,

2. Veröffentlichung der Meinung einflussreicher Fürsprecher,

3. regelmäßige Umfragen, um so auf das Volk und die Politik Einfluss zu nehmen.

Der Vorsitzende des Hartmannbundes stellt in Deutschland Entwicklungen fest, die eine Euthanasie wieder gesellschaftsfähig machen könnten (Mentalitätswandel)!

2001: Das niederländische Parlament verabschiedet ein erweitertes Gesetz zur Euthanasie (am 1.4. 2002 in Kraft getreten), das weltweit Aufsehen erregt: „Gesetz über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei der Selbsttötung“. Euthanasie-Handlungen, seit 1994 unter bestimmten Voraussetzungen geduldet, werden jetzt entkriminalisiert bzw. legalisiert und ihre Möglichkeiten erweitert, zum Beispiel Euthanasie für 12- 16-­jäh­rige mit Zu­stim­mung der Eltern; Euthanasie für 17-18-jährige mit Einbeziehung (Infor­mation) der Eltern; Euthanasie per Verfügung ab dem 17. Lebensjahr. Das neue Gesetz verlangt nicht mehr grundsätzlich die Meldung einer Euthanasie an den Staatsanwalt, sondern lediglich an eine staatliche Kommission, die nur in bedenklichen Fällen an den Staatsanwalt weiterleiten muss. Nach wie vor wird kein Arzt zur Euthanasie gezwungen, aber der öffentliche Druck wächst.

2004: Zwischen der niederländischen Ärzteschaft und den Justizbehörden wird eine Vereinbarung getroffen, die eine Ausweitung der Möglichkeit zur Euthanasie auch bei Kindern unter zwölf Jahren bis zum Säuglingsalter regelt.

Ende 2004: Ein von der größten Ärzteorganisation der Nieder­lande eingesetztes Gremium kommt zum Ergebnis, es gebe keinen Grund, Euthanasie für Personen auszuschließen, die an Lebens­müdigkeit leiden. Bereits Anfang 2001 hatte ein Gericht in Haarlem einen Arzt freigesprochen, der einen über 80jährigen ehemaligen Politiker auf dessen wiederholte Bitte hin getötet hatte; der alte Mann, der nicht erkrankt war (!), hatte beklagt, dass er völlig vereinsamt (!) sei und das Leben nicht mehr ertrüge. Ein selbstbestimmter Tod?

2006: Erneuter gesetzgeberischer Vor­stoß – die Tötung unheilbar kranker Neu­geborener soll gesetzlich geregelt werden; der Arzt soll straffrei bleiben, wenn er Sorgfalts­kriterien beachtet; das Kind muss unerträglich leiden und die Eltern müssen der Tötung zustimmen; dasselbe soll gelten, wenn Ärzte Kinder im Mutterleib nach der 24. Schwangerschaftswoche töten wollen.

Bis heute: Euthanasie-Befürworter in den Niederlanden sehen die bisherigen gesetzlichen Regelungen als Zwischenstufe. Eine weitergehende Forderung der Eutha­nasie-­Befürworter ist beispielsweise die Ausgabe von Giftkapseln an alte Men­schen.

2.3 Heidnische Praktiken

Zwei Beispiele, die illustrieren, wie die Praxis in den Niederlanden aussehen kann:

a) Eine Frau wollte nicht mehr länger für ihren Ehemann sorgen. Sie stellte ihn vor die Wahl zwischen Euthanasie oder Pflegeheim. Der Mann wählte den Tod. Obwohl der Arzt die Situation bestens kannte, hinderte ihn nichts daran, das Leben des Ehemanns zu beenden.

b) Der Sohn eines kranken alten Mannes teilte dem behandelnden Arzt mit, dass er einen Urlaub geplant hätte und nicht mehr absagen könnte, und plante die Beerdigung noch vor dem Urlaub. Daraufhin verabreichte der Arzt dem alten Mann eine sehr hohe Dosis an Morphin mit der klaren Absicht, ihn zu töten …

Gibt es bei solchen Vorgehensweisen einen Wesensunterschied zu heidnischen Praktiken? Ein ehemaliger Pioniermissionar unter den Papuas erzählte mir, welchen Umgang mit den Alten er dort angetroffen hatte: Sobald die Alten zur Last wurden, jagte man sie mit deren letzter Kraft in den Urwald. Unter Indianerstämmen waren ähnliche Praktiken im Gange. Aber selbst in der griechischen und römischen Antike wurden solche Grundsätze propagiert: „Die Alten sollten, da sie doch keinen Nutzen mehr der Erde bringen, sterben und fortgehen und den Jungen nicht im Wege stehen“ (Euripides; ähnlich Plato und Aristoteles). Sogar in einem hochzivilisierten Land wie den USA gab es bereits in den 90er Jahren in jährlich tausenden Fällen das sogenannten „granny dumping“ (Aussetzen von dementen alten Angehörigen), eine Vorstufe der Euthanasie. – Bemerkenswert ist demgegenüber die Eröffnung eines „Altersheims“ für Affen 2006 in Almere/Niederlande!

Resümee: Die Entwicklung in den Niederlanden zeigt klipp und klar, wie recht die Warner vor einem Dammbruch hatten. In Holland ist der Dammbruch geschehen und die trübe Flut wird weit über dieses Land hinausgespült. Die Triebkraft hinter diesem Trend ist mit Händen zu greifen: die Gesellschaft entlastet sich von Mitmenschen, die ihre besondere Zuwendung brauchen würden.

3. Die Folgen einer staatlich geduldeten (geförderten?) Euthanasie

3.1 Kultur des Todes

Vor Jahren schon sprach der damalige Papst Johannes Paul II mit guten Gründen von einer heute um sich greifenden „Kultur des Todes“. Mit diesem Begriff sind gesellschaftliche Strömungen und rechtliche Strukturen gemeint, die dahin ausgerichtet sind, das Töten gesellschaftsfähig zu machen, indem es als medizinische oder sonstige soziale Dienstleistung getarnt wird. Wohlgemerkt: in dieser „Kultur des Todes“ wird sehr wohl und sehr betont von Menschenwürde gesprochen, sie wird allerdings neu definiert und das heißt, sie wird relativiert und reduziert. Mit der Abtreibung wurde diese „Kultur des Todes“ eröffnet, mit der Euthanasie wird sie fortgesetzt und verstärkt. Sie schafft ein Klima, in dem das Leben nicht mehr heilig ist und in dem der schwache und hilfsbedürftige Mensch immer stärker bedroht und schließlich seines Lebens nicht mehr sicher ist. Wer will den Menschen vor dem Menschen schützen, wenn die moralischen und dann auch noch die gesetzlichen Schutzdämme abgetragen werden.

3.2 Wer hinterfragt, der stört

Die Majorität der Bevölkerung bezieht ihre moralische Orientierung aus den Gesetzen des Staates, das bedeutet: was nicht verboten ist und mit Strafe belegt wird, das ist erlaubt – und das entsprechende Verhalten wird dann schnell zur ungeprüften Selbstverständlichkeit. Das heißt im Zusammenhang unseres Themas: die Euthanasie wird zur nicht mehr hinterfragten Praxis. Wer sie dennoch hinterfragt, der stört und wird missliebig.

3.3 Weh dem, der weiterleben will

Wie wollen einzelne Menschen in diesem Klima vor der Gesellschaft bestehen, wenn sie sich dem gegebenen Trend schon immer oder spontan widersetzen und als Schwerkranke weiterleben wollen? Oder wie mag es den Angehörigen eines Schwerkranken unter den anklagenden Blicken und Äußerungen ihrer Mitmenschen ergehen, wenn sie einen schwerkranken Angehörigen am Leben erhalten wollen, aber dafür natürlich die Hilfe der Gesellschaft in Anspruch nehmen müssen?

3.4 Wird Euthanasie verpflichtend?

Das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Patient ändert sich grundlegend. Aus der Solidargemeinschaft, die verpflichtet ist, für ihr schwaches Glied einzutreten, wird ein mächtiges und bedrohliches Gegenüber, das mit den gesetzlich geschaffenen Möglichkeiten auch Erwartungen verbindet. Wo will der Schwerkranke noch Rückhalt und Geborgenheit finden? Sollte nicht er jetzt seine Solidarität, seine Rücksicht und Selbstlosigkeit mit einer überalterten Gesellschaft unter Beweis stellen?! Erst recht, wenn diese Gesellschaft finanzschwach ist! Die Möglichkeit zur Euthanasie wird zur Verpflichtung, insbesondere den Angehörigen gegenüber. Muss man als moralisch empfindender Mensch nicht die Kraft und Lebensqualität der Angehörigen und deren Vermögen schonen? Und vielleicht doch auch auf ungeduldige Erben Rücksicht nehmen? Wie kann ein sensibler Mensch seiner Mitwelt noch die teure Pflege zumuten, wenn die Gesellschaft einen Ausweg aus dieser Misere geschaffen hat? So verwandelt sich die „Tötung auf Verlangen“ in eine Nötigung des Verlangens, und die vermeintliche Selbstbestimmung wird zur puren Fremdbestimmung. Johannes Rau sagte einmal:

„Wo das Weiterleben nur EINE von ZWEI legalen Optionen ist, wird jeder rechenschaftspflichtig, der anderen die Last seines Weiterlebens aufbürdet. Was die Selbstbestimmung des Menschen zu stärken scheint, kann ihn in Wahrheit erpressbar machen.“

So ist es. – Wenn einmal einzelne Men­schen in bestimmten Lebenslagen aus dem grundsätzlichen Schutz durch die Gesell­schaft hinausdefiniert wurden, gibt es – früher oder später – kein Halten mehr.

3.5 Zustimmung ist vorauszusetzen

Wenn es nach allgemeinem Verständnis eine anerkannte Hilfe ist, eine zustimmungsfähige Person auf deren Bitte hin zu töten, warum sollte man dann diese „Wohltat“ gerade Behinderten und Nichtzustimmungsfähigen vorenthalten? Sollte man hier nicht generell deren Zu­stimmung schlichtweg voraussetzen?

3.6 Und wer schützt die Patienten?

Eine Legalisierung der Euthanasie schützt letztlich den Arzt, nicht den Patienten! Und der Arzt wird – viel stärker noch als in patriarchalischen Zeiten – zum Herrn über den Patienten. Wenn bei Befragungen unter niederländischen Ärzten, die Patienten euthanasiert hatten, als Hauptgrund für ihr Vorgehen nicht etwa unbehandelbare Schmerzen genannt werden, sondern die Aussichtslosigkeit der Behandlung, eine elende Lebensqualität des Patienten, aber auch die Unfähigkeit der Familie des Patienten, mit der Lage umzugehen, dann manifestiert sich dabei die den Patienten beherrschende Position des Arztes. Zwangsläufig verändert sich auch die Rolle des Arztes und sein Bild in der Bevölkerung. Der berühmte deutsche Arzt Hufeland hat schon im Jahr 1836 gesagt:

„Der Arzt soll und darf nichts anderes tun als Leben erhalten, ob es Glück oder Unglück sei, ob es Wert habe oder nicht. Dies geht ihn nichts an. Und maßt er sich einmal an, diese Rücksicht mit in sein Geschäft aufzunehmen, so sind die Folgen unabsehbar, und der Arzt wird der gefährlichste Mensch im Staate.“

So ist es. Muss denn der Patient in einer „Kultur des Todes“ nicht das Vertrauen in seinen Arzt verlieren und befürchten, wenn der Arzt kommt, dass dieser als Handlanger der Gesellschaft beziehungsweise der Verwandten erscheint, die sich seiner entledigen möchten, dass er also kommt, um die Lage und den Patienten zu überprüfen und dabei ein Urteil über Leben und Tod zu fällen?

3.7 Gefährlich veränderte Berufsethik

Schrecklich, wenn man solche Gedanken hegen muss in einer Situation, in der man am allermeisten Schutz und Vertrauen, Solidarität und Zuwendung brauchen würde! Und wird sich nicht auch, ob bewusst oder unbewusst, die eigene Berufsethik des Arztes verändern? Das Töten gehört ja nun zu seinen beruflichen Tätigkeiten! Im Eid des Hippokrates heißt es:

„…Ich will meine Ratschläge und Verord­nungen zum Heil der Kranken nach bestem Wissen und Können geben. Meine Patienten werde ich dabei schützen vor allem, was ihnen schaden könnte oder Unrecht täte. Niemals werde ich ein tödlich wirkendes Mittel verabreichen noch einen Rat dazu erteilen, selbst wenn man mich dazu auffordern sollte …“

Was ist daraus geworden? Wird unter den neuen Gegebenheiten ein Arzt noch sein Bestes geben und alle seine Kräfte einsetzen, um auch den alten, kranken Menschen wirklich zu kurieren? Werden die neuen Möglichkeiten von der ihnen innewohnenden Konsequenz her nicht eher den Willen des Arztes – und natürlich auch den der Angehörigen! – schwächen, umfassend zu helfen? Dasselbe gilt auch für die anderen Gesundheitsberufe: werden alle motiviert an einem Strang ziehen, wenn ein schwerkranker Patient gegen den Trend weiterbehandelt werden möchte? Ich glaube es nicht. Der Aachener Medizinprofessor Radbruch, Präsident der Europäischen Gesellschaft für Palliativmedizin, erhob im vergangenen Jahr warnend seine Stimme und sagte:

„Die Überlegungen zur Legali­sierung der sogenannten Eutha­na­sie und der ärztlichen Hilfe zum Suizid sind und bleiben eine anhaltende Bedrohung für die wirklich konsequente und humanitäre Versorgung der Menschen am Lebensende.“

Wenn bereits Überlegungen, die in die besagte Richtung gehen, solche Gefahren beinhalten, wie viel mehr dann eine bereits verwirklichte Legalisierung der Eutha­nasie!

3.8 Kommerzialisierte Euthanasie

Die Kommerzialisierung der Euthanasie tut ein Übriges, um den Trend zu verstärken. Verschiedene Anbieter treten auf dem Markt auf, so zum Beispiel in der Schweiz beim assistierten Suizid, um sich Marktanteile zu sichern. Furchtbar!

Welche innerfamiliären Prozesse mögen sich abspielen, wenn einige Familien­mitglieder auf die Euthanasie eines kranken Familienmitgliedes gedrungen haben? Ob man die Geister, die man rief, eines Tages nicht selber fürchten muss angesichts der Möglichkeit, krank und pflegebedürftig zu werden? Kann es in einer solchen Familie wirklich noch Vertrauen geben? Und wie mögen sich solche häuslich-atmosphärischen Vorgänge auf das gesamtgesellschaftliche Klima auswirken? Eine „Kultur des Todes“ hat immer destruktive und ruinöse Potenzen.

4. Das niederländische Beispiel zieht Kreise

Nur ein paar Monate nach der Legalisierung der Euthanasie in den Niederlanden übernahm Belgien im Wesentlichen die niederländische Konzeption (2002). Belgien ging freilich gleich noch einen Schritt weiter (Schneeballeffekt!) und regelte ausdrücklich, dass auch psychisch unheilbar Kranke euthanasiert werden können. Und im Fall einer physischen Erkrankung braucht der Patient nach dem belgischen Gesetz nicht im End­stadium der Erkrankung sein, um den freien Zugang zur Euthanasie zu bekommen, es muss lediglich eine „unheilbare Krankheit“ vorliegen. Doch welche Volkskrankheit ist denn heilbar?

Als symptomatisch kann man auch die Tatsache ansehen, dass das belgische Gesetz ein staatliches Melderegister mit allen Patientenverfügungen verlangt, so dass Ärzte bei nichteinwilligungsfähigen Personen zügig handeln, also die Behandlung abbrechen können.

Anfang 2008 schloss sich Luxem­burg dem Trend an und legalisierte die Eutha­nasie. Die Hauptargumente der Befürworter im Parlament waren: das Recht auf Selbstbestimmung, die Möglichkeit, in Würde sterben zu können, und der Wunsch der Mehrheit in der Bevölkerung. Ein paar Tage vor der Parlamentsentscheidung hatte eine große Tageszeitung noch eine Umfrage publiziert, nach der über 78 Prozent der Bevölkerung für die Euthanasie eingestellt seien. Die Stimme des Volkes lenkt die Gesetzgebung und die Rechtsprechung, aber die Stimme des Volkes kann sehr wohl durch gesellschaftliche Interessengruppen produziert und dirigiert werden.

Der humanistische Pressedienst in Deutschland kommentierte damals die luxemburgische Entscheidung folgendermaßen:

„Die Legalisierung der passiven und aktiven Sterbehilfe ist ein weiterer Schritt in Richtung Selbstbestimmung des Menschen bis zum Tod und zugleich eine Befreiung von kirchlichen Wertvorstellungen und Diktionen. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Regierungen anderer europäischer Länder am konservativen und kirchendominierten Luxemburg ein Beispiel nehmen.“

Die tödliche Lawine

Mit dem niederländischem Gesetz wurde eine Lawine losgetreten, die kaum mehr aufzuhalten sein dürfte. Der Druck des Zeitgeistes auf die weiteren europäischen Länder und die ganze westliche Welt nimmt zu. Anzeichen genug sind vorhanden. Im Herbst 2001 sprachen zum Beispiel französische Richter einem behinderten Jungen eine Entschädigung dafür zu, dass er nicht im Mutter­leib getötet worden war. Eine absurde Entscheidung, die den Arzt zur präventiven Abtreibung führt und die Tötungsmentalität vorantreibt. Im Frühjahr 2005 verabschiedete das französische Parlament ein Gesetz, das das „Recht zum Sterbenlassen“ regelt, aber die aktive Sterbehilfe nach wie vor verbietet; im Frühjahr 2007 erklärten jedoch über 2000 Ärzte und Pflegepersonen in Frankreich, dass sie bereits Sterbehilfe geleistet haben, womit sie dem Gesetzgeber einen Impuls zu einer weitergehenden Regelung vermitteln wollten. In der Schweiz haben seit 2001 im Kanton Zürich Sterbehilfeorganisationen Zugang zu Alten- und Pflegeheimen. Die Schweizerische Akademie der Medizini­schen Wissenschaften, die sich 1995 noch für ein striktes Verbot der Euthanasie ausgesprochen hatte, befürwortet inzwischen eine Liberalisierung des ärztlich assistierten Suizids bei kranken und alten Menschen. In England gab es 2004 bereits ca. 3000 verbotene Euthanasien, davon 2/3 ohne Zustimmung des Patienten! Im Herbst 2003 stellte ein Europa­ratsmitglied aus der Schweiz den Antrag zur Legalisierung der Euthanasie in Europa nach holländischem Vorbild. Die Entscheidung steht noch aus … Der Trend zur Euthanasie verbreitet sich still und schnell – parallel zum Schwinden christlicher Positionen. Und dies unter dem Vorzeichen der Selbstbestimmung und der Menschenwürde!

Und es ist zu befürchten, dass die überall unter demselben Vorzeichen propagierten Patientenverfügungen zumindest ansatzweise dem Euthanasietrend entgegenkommen.

So ist beispielsweise in Dänemark zwar die aktive Sterbehilfe nicht erlaubt, aber schon seit 1992 gibt es in Kopenhagen, wie ähnlich später in Belgien, ein zentrales Register aller Patientenverfügungen. In einem dänischen Standardformular steht kennzeichnenderweise als Ablehnungs­grund für eine lebensverlängernde Behand­lung auch dieser Aspekt vorformuliert, dass die betreffende Person physisch oder geistig nicht mehr in der Lage ist, sich um sich selbst zu kümmern.

Daraus lässt sich kritisch folgern, zumindest aber ist zu befürchten, dass bei einer breiten Abgabe von Patienten­verfügungen ein Staat weiterhin Euthanasie vermeiden, aber teure Behandlungen dennoch auf dem Weg des gewollten Behandlungsabbruchs sparen kann. Denn die letzten vierzehn Tage im Leben eines Kranken sind die teuersten.

5. Die Situation in Deutschland

Aktive Sterbehilfe ist nach wie vor gesetzlich verboten. Und die offiziellen Stellungnahmen der Kirchen sind hier erfreulich einmütig und eindeutig ablehnend. So haben die EKD und die Deutsche Bischofskonferenz im Jahr 1989 gemeinsam und zusammen mit den übrigen Mitgliedskirchen der ACK eine inhaltlich klare und hilfreiche Erklärung herausgegeben unter dem schönen Titel „Gott ist ein Freund des Lebens“. Und an dieser Position hat sich auf der offiziellen Ebene auch nichts geändert. Dennoch verstärkt sich in der Bevölkerung der Trend, die aktive Sterbehilfe zu befürworten. Immer wieder werden Umfrageergebnisse mitgeteilt, die freilich je nach Fragestellung unterschiedlich aussehen. 2004 wurde zum Beispiel behauptet, die Zustimmung liege zwischen 70 und 90%. Interessant ist jedenfalls, dass die Befürworter der Euthanasie desto weniger waren, je älter die Befragten waren! Das gibt zu denken. Würde man nach dem gängigen Bild nicht das Gegenteil erwarten? Und Vertreter der Hospizbewegung berichten außerdem, dass der Wunsch nach Euthanasie bei Patienten fast immer verschwindet – er kann ja auch krankhaft sein! – , wenn sich andere Menschen liebevoll um sie kümmern!

5.1 Wir wollen sterben dürfen, wann und wie es uns passt

Erschreckend ist, dass schon 2001 bei einer Emnid-Umfrage nur 14% der Protestanten und 18% der Katholiken dem Satz zustimmten: „Über Leben und Tod darf nur Gott entscheiden. Das Leben ist heilig und muss es bleiben.“ Hier, mitten in der Christenheit, liegt die eigentliche Not! Dass damals nur 4% der Konfessionslosen die Euthanasie ablehnten, ist dagegen ganz und gar nicht verwunderlich, es ist im Gegenteil zu erwarten. Die zunehmende Säkularisierung in unserem Land transportiert die „Kultur des Todes“ und somit auch eine Zunahme der Euthanasie-Befürwortung.

Prominente Stimmen verstärken die Zu­stim­mungstendenz in der Bevölkerung. So haben die berühmten Tübinger Professoren Hans Küng (Theologe) und Walter Jens (Rhetoriker) im Jahr 1995 ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „Menschenwürdig sterben. Ein Plädoyer für Selbstverantwortung“. Darin behaupten sie, wir müssten unser Sterben in die eigene Hand nehmen, wir seien als Menschen zur Selbstbestimmung und Selbstverantwortung berufen.

Auch Philosophen und Schriftsteller melden sich zu Wort, so zum Beispiel Martin Walser, der erklärt:

„Wir wollen sterben dürfen, wann und wie es uns passt. Solange eine Gesellschaft dafür nicht jede erdenkliche Freiheit schafft, ist es keine freie Gesellschaft, sondern ein peinlicher Verein zur Einpferchung des Lebens.“

Man denke nicht, dass derlei Äußerungen anerkannter Persönlichkeiten des kulturellen Lebens wirkungslos blieben. Intensiv trat seit den 80er Jahren der australische, aber auch in Deutschland sehr aktive Bioethiker Peter Singer in Veröffent­lichungen und Vorträgen für die Euthanasie ein. Er kämpfte stets für den Unterschied zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben.

So haben in seinem Wertesystem Neu­ge­borene noch kein Recht auf Leben und bestimmte Geisteskranke oder Alte ohne Bewusstsein kein Recht auf Leben mehr. So sei die Tötung eines seiner selbstbewussten Schim­pansen „schlimmer … als die Tötung eines schwer geistig gestörten Menschen, der keine Person ist.“

Daneben denken aber manche Ärzte und Politiker und auch einflussreiche Juristen über mögliche Einschränkungen der Strafbarkeit bei Tötung auf Verlangen nach. So sagte die heutige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die übrigens zum Beirat der kirchenkritischen Humanistischen Union Deutschlands (!) gehört, im Jahr 2005:

„Der freie Wille von Schwerstkranken hat bis zum Schluss Priorität. Daher befürworte ich Überlegungen, in ganz schweren Fällen aktive Sterbehilfe zuzulassen.“

Und im Jahr 2004 forderten ca. 80% (!) der Vormundschaftsrichter in Deutschland eine Möglichkeit, das Leben eines unheilbar Kranker straffrei beenden zu können, wenn ein Patient dies ausdrücklich wünscht.

Im Jahr 2006 forderte der Deutsche Juristentag eine gesetzliche Regelung der Sterbehilfe, hier noch in dem Sinne, dass ein Behandlungsabbruch und das Unterlassen lebenserhaltender Maßnahmen auch schon vor(!) der Sterbephase eines Pati­enten rechtlich möglich sein soll. Wäre das nicht im Grunde aktive Sterbehilfe?

5.2 Publiziert, akzeptiert, realisiert?

Im gleichen Jahr, 2006, veröffentlichte die Illustrierte „stern“ einen großen Beitrag unter dem Titel „In Würde sterben“. Darin kamen zwölf deutsche Mitglieder der Sterbehilfeorganisation Dignitas zu Wort, welche forderten, dass „die gnädige Hand, die Patienten das Glas mit dem tödlichen Trunk reicht, den sie dann selbst leeren“, nicht mehr bestraft werden dürfe. Damit versuchte die Zeitschrift– wie 1971 mit dem Aufsehen erregenden Beitrag „Ich habe abgetrieben“, in dem sich 374 Frauen und danach auch eine beachtliche Liste von Männern selbst der Abtreibung bezichtigten – auf die Politik und die Gesetzgebung Einfluss zu nehmen. Damals gelang die Bemühung.

1974 wurde die sogenannte Fristen­lösung (Straffreiheit bei Abtreibungen inner­halb der ersten drei Monate) vom Bundestag beschlossen, die später vom Bundesverfassungsgericht wieder revidiert wurde. Die vom Geist der Zeit her selbstverständliche Erwartung, über den Anfang, den Verlauf und das Ende des Lebens selber bestimmen zu können, steht beherrschend im Raum der Gesellschaft.

Im Juli 2007 war im Fernsehen die wegen fünffachen Mordes zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilte sogenannten „Todesschwester“ der Berliner Charite´ zu sehen und zu hören. Sie sagte unter anderem:

„Ich habe das Leben verkürzt und ich stehe dazu … ich denke nicht allein so, man muss die zehn Gebote ausdehnen, humaner verstehen.“

Sie berichtete, dass ihre Kollegen von ihrem Handeln wussten und sie deckten. So sagte sie einmal, als ein Patient nur noch stöhnte, laut und ungehindert vor anderen: „Das muss man beenden!“ Das Klima in manchen Intensivstationen der Republik ist nicht viel besser, wenn man dort zum Beispiel ungehindert rufen kann: „Lohnt sich das denn noch für den?“ oder „Was? 90 Jahre alt? Was schafft denn die da?!“

5.3 Wie die Sprache Menschen zerstört

Die allgemeine Einstellung zum alten Menschen ist heute eine atmosphärische Vorstufe zur aktiven Sterbehilfe. Symptomatische Zeitungs- beziehungsweise Zeitschriftenüberschriften und Filmtitel: „Wohin mit Oma?“ „Wohin mit den Eltern?“ „Wohin mit den Alten?“ „Die Zeitbombe tickt weiter“ „Rasanter Zuwachs von Pflegebedürftigen“ „Hohe Krankheitskosten für Ältere“ „Die Alten­republik Deutschland“ „Aufstand der Alten“ „Giftmüll der Gesellschaft“ und so weiter. Wenn dann noch vom „Altenberg“, von der „Rentnerschwemme“ oder gar von einem „Kostenfaktor auf zwei Beinen“ gesprochen wird, muss man sich da wundern, wenn Einzelne sich gedrängt fühlen, konkrete Schritte im Sinne dieser veröffentlichten Meinung zu unternehmen? Frank Schirrmacher in „Das Methusalem-Komplott“: „Die Jungen töten die Alten, indem sie die Identität der Alten zerstören. Das geschieht fast ausschließlich mit den Mitteln der Sprache und der Bilder“ – zunächst!

Symptomatisch mag auch das mehrfach veröffentlichte Ergebnis der Debatte einer Jugendgruppe zum Thema „Pflege­notstand“ sein. Die jungen Leute sagten – schon 1995(!):

„Von ‚lebensunwertem Leben’ und ‚Bal­last­existenzen’ sprechen wir nicht, wir raten aber dringend zur Lockerung der Strafandrohung bei erlaubter Sterbehilfe… Die Menschen dürfen nicht zu alt werden, dann werden alle Probleme auf einmal gelöst.“

Hier sind wir bei des Pudels Kern. So offen wie Jugendliche reden andere nicht. Hier sind wir bei der katastrophalen Verkehrung der christlichen Gesinnung in ihr glattes Gegenteil: Wer das Leben eines anderen nimmt, der wird sein eigenes Leben gewinnen. Und in dieser Atmosphäre wächst eben der Druck auf den alten oder schwerkranken Menschen, sich das Leben lieber zu nehmen oder es sich zeitig nehmen zu lassen.

Aus der alten Bitte des Glaubens „Mein Gott, mein Gott, ich bitt durch Christi Blut: Mach’s nur mit meinem Ende gut!“ (Ä. J. von Schwarzburg-Rudolstadt, in „Wer weiß, wie nahe mir mein Ende“), die in der Abhängigkeit von Gott und in der Geborgenheit bei Gott ausgesprochen wurde, entwickelt sich inzwischen unter dem Vorzeichen der Autonomie die Abhängigkeit von der Medizin und so die neue Bitte: „Mein Arzt, mein Arzt, bei dir mein Leben ruht. Machst du’s nicht heil, mach’s Ende gut!“ Aber auch auf ärztlicher Seite steht nicht mehr das alte, bewährte Prinzip „Salus aegroti suprema lex“ (oberstes Handlungsgesetz ist das umfassende Heil des Patienten) im Vordergrund; dieses wurde vielmehr abgelöst durch das zeitgenössische Prinzip „voluntas aegroti suprema lex“ (oberstes Gesetz ist der Wille des Patienten), hinter dem aber letztlich die voluntas populi, der Wunsch der Mitmenschen und der Gesellschaft, steht. Ob die bei uns auf den Thron gesetzte Autonomie des Menschen sich überhaupt noch bändigen lässt oder ob sie zum Schaden des Menschen immer weiteres Terrain erobert?

5.4 Tiere sind auch nur Menschen – oder umgekehrt?

Prüfen Sie einmal: welchen Klang hat das Wort „Lebensschutz“ in unserer Bevölkerung? Hat es nicht den Geruch von gefährlichem, nicht akzeptablem Fundamentalismus? Und wie klingen demgegenüber Begriffe wie „Umweltschutz“ oder „Tierschutz“ (Aufkleber „Recht auf Leben – Aktion Krötenschutz“!)? Im Jahr 2002 wurde in Deutschland der Verfassungstext erweitert und der Schutz der Tiere von Staats wegen in den Katalog der ranghöchsten Werte aufgenommen. Tierschutz gehört seither zu den Staatszielen. Darüber hinaus fordert die Tierrechtsbewegung, die bisher auf den Menschen beschränkten elementaren Rechte auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit auch auf die Tiere zu erweitern! Wo sind wir hingekommen? Und wie lange mag die rechtliche Ablehnung der Euthanasie in Deutschland noch halten? Die Medizin wird den Schutzdamm nicht halten, sie wird dem Trend folgen, wenn auch die offiziellen Verlautbarungen der deutschen Ärzteschaft – Gott sei Dank – im Augenblick noch anders klingen. Aber wie sich unter den jüngeren Ärzten im Vergleich zu den älteren ein gewaltiger Gesinnungswandel hinsichtlich der Abtreibung vollzogen hat, so verändert sich auch die Einstellung zur Euthanasie und zunächst zu deren Vorstufe, dem ärztlich assistierten Suizid.

Der Zeitgeist diktiert die Wertvor­stel­lungen auf allen Ebenen. Moral ist dann ein sehr dehnbarer Begriff, wenn er nicht von der absoluten Gültigkeit des göttlichen Gebots abgeleitet wird. Wellness, fitness, fun sind die großen Ideale unserer Zeit. Man meint, nur ein gesundes, glückliches Leben sei lebenswert, und man habe ein Recht darauf, von Kummer und Leid befreit zu werden beziehungsweise sich selbst zu befreien. Egoismus, Hedonismus und Utilitarismus geben den Ton an. In einer vermeintlich schönen, neuen Welt der Gesunden und Starken, in der die Schwachen und Behinderten nicht mehr die besondere Zuwendung und Unterstützung der Allgemeinheit erfahren, herrscht sicher nicht der erhoffte humane Fortschritt, sondern ein menschenverachtender Geist. Unser Herr sagt: „Weil die Ungerechtigkeit überhandnehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten“ (Matthäus 24,12).

In dieser Kälteperiode, die zur Eiszeit werden könnte, leben wir.

6. Aktive Sterbehilfe und Menschenwürde

Wir stießen schon wiederholt darauf: Befürworter der aktiven Sterbehilfe betonen gerade die Bewahrung der Menschen­würde am Lebensende als ihr fundamentales Anliegen. Der Theologe/Ethiker Joseph Fletcher, USA, erklärte:

„Todeskontrolle ist wie Geburtenkontrolle eine Sache menschlicher Würde. Ohne sie verkommen Menschen zu Marionetten.“

Wer Euthanasie ablehnt, lebt nach diesem Urteil fremdbestimmt, nicht selbstbestimmt, also gar nicht wirklich als Mensch, sondern als Marionette und damit unterhalb der Menschenwürde. Und in der Zeitung war zu lesen, ein deutscher Politiker habe – etwas milder als jener Ethiker – behauptet, es gäbe

„unheilbare Krankheiten, welche mit fortschreitender Entwicklung die Würde
des Menschen in schwerer Weise beeinträchtigen“,

und deswegen hätten immer mehr Men­schen „den Wunsch, selber über ihr Ende mitbestimmen und in Würde sterben zu können.“ Wer so argumentiert, ist offenbar überzeugt, dass der Mensch seine Würde durch Krankheit und Schmerzen verlieren könne, vor allem aber dann – und darin sind sich die beiden Positionen einig –, wenn man seine Autonomie nicht mehr wahrnehmen kann.

6.1 Würde nur durch Autonomie?

Die erste logische Folgerung aus diesem Ansatz lautet: es sichert die Menschenwürde und die Würdehaftigkeit des Sterbens, wenn der Mensch über seinen Tod selbst bestimmt. Und die zweite, für unser Thema besonders wichtige logische Folgerung lautet schließlich: Wer den angeblich autonomen Wunsch eines Patienten ausführt, der hilft dadurch, dessen Menschenwürde zu wahren. Er handelt also im Sinne des höchsten Wertes unserer Verfassung!

Mit diesem Bewusstsein treten die Befürworter der aktiven Sterbehilfe auf und warten nur darauf, dass endlich auch die deutsche Legislative die entsprechende, nach der eben vorgetragenen Logik sogar zwingende Euthanasie-Regelung zum Schutz der Menschenwürde schafft. Damit sind wir im Kernbereich der Sterbehilfe-Debatte. Denn es bleibt die Frage: Was ist Menschenwürde überhaupt und worin besteht sie?

6.2 Selbstbestimmung des Individuums oder Bezug zu Gott?

Die Jurisprudenz findet keine eindeutige Antwort darauf. Die Philosophie hat sich immer wieder bemüht, eine Eigenschaft zu finden, die den Menschen für die unantastbare Würde qualifiziert. Seit Kant wird hier normalerweise die Autonomie genannt, die auf den Gebrauch des eigenen Verstandes gegründete Fähigkeit zur Selbstbestimmung des Individuums. Aber kann dieses ohne Zweifel hohe Gut der Fähigkeit des Menschen zur Selbstbestimmung wirklich und letztlich die Unantastbarkeit der Menschenwürde tragen? Was ist etwa mit solchen Menschen, die diese Fähigkeit noch nicht oder nicht mehr haben? Was wäre bei einer solchen Einschränkung die Menschenwürde noch wert?

Wir alle kennen den berühmten Artikel 1 Absatz 1 unseres Grundgesetzes:

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Seit über 60 Jahren steht nun dieser Leitsatz unserer Rechtsordnung in der Verfassung. Die Väter des Grundgesetzes reagierten damit auf die ins Unermessliche gehende Entwürdigung des Menschen während der Nazidiktatur. Nach dieser schrecklichen Erfahrung sollte ein neues Staatswesen entstehen, dessen Basis der Schutz der Menschenwürde ist. Und dieser Schutz sollte „im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen“ geleistet werden. Der Staatsrechtler Paul Kirchhof hat wiederholt in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit betont:

„Die unantastbare Würde der Person, Fundamentalnorm unserer Verfassung, hat ihre Grundlage im biblischen Menschenbild … Deshalb ist und bleibt das Christentum … das Fundament unseres Verfassungsrechts.“

6.3 Euthanasie? Um Gottes Willen: Nein, danke!

Es ist eindeutig: nach dem Zusammenbruch des NS-Systems hatte man sich wieder auf die christlichen Wurzeln unserer Gesellschaft besonnen. Diese sollten den neuen Staat tragen. Und aus diesen Wurzeln kann niemals Euthanasie wachsen.Wer „in der Verantwortung vor Gott“ leben möchte, der muss konsequenterweise nach Gottes Willen fragen. Und der lautet in diesem Zusammenhang kurz und prägnant: „Du sollst nicht töten!“ Von Gott kommt das Leben, dann können wir es nicht eigenmächtig beenden, auch nicht auf Wunsch oder aus subjektiv ehrlichem Mitleid. Wir haben zu warten, bis Gott ruft: „Kommt wieder, Menschenkinder!“ (Psalm 90, 3) – und dürfen nicht von uns aus rufen: „Geht endlich, Menschenskinder!“ Im selben Psalm 90 steht übrigens auch die Bitte zu Gott, „das Werk unserer Hände wollest du, Herr, fördern. Soll diese Bitte dann auch für „das Werk der Hände gelten“, wenn jemand den Menschen, den er liebhat, mit dem Kopfkissen erstickt?

Aber in jüngerer Zeit findet in der juristischen Lehre und in der öffentlichen Diskussion eine Denkrichtung immer mehr Anhänger, die für ein sogenanntes „metaphysikfreies Recht“ eintritt. Man kann von einem maßgebenden deutschen Rechtswissenschaftler beispielsweise lesen, man müsse von einem „gestuften Schutz der Menschenwürde“ ausgehen, und die „Art und Weise des Würdeschutzes“ müsse „für Differenzierungen durchaus offen“ sein! Inhalt­lich parallel rüttelte auch die ehemalige Bundesjustiz­ministerin Brigitte Zypries am Schutz der Menschenwürde für den Embryo und sah bei ihm einen „Spielraum für Abwägungen“!

6.4 Wie lange ist der Mensch denn Mensch?

Wir sehen: das Verständnis von Menschen­würde wandelt sich. Wenn der gesellschaftliche Trend immer mehr bejaht, dass man Embryos „verwerfen“ beziehungsweise „verbrauchen“ könne, weil sie noch nicht die volle Menschenwürde besitzen würden, dann hat das zwingende Konsequenzen für die Position des behinderten, des unheilbar kranken, des alten und des sterbenden Menschen. Mit anderen Worten: die Frage, ab wann der Mensch wirklich ein Mensch ist und schon die volle Menschenwürde besitzt, führt zwangsläufig zu der Frage, wie lange der Mensch wirklich ein Mensch ist und noch die volle Menschenwürde besitzt? Unsere Gesellschaft weiß einfach nicht mehr, was den Menschen ausmacht, dessen Würde zu schützen ist. Das im Christentum verankerte Würdeverständnis wird unter der Hand durch ein anderes, im Grunde heidnisches Würdeverständnis abgelöst. Nach dessen Logik ist aktive Sterbehilfe der elementare Ausdruck von Humanität und Menschenwürde. Aus dieser heidnischen Wurzel wuchs und wächst die Euthanasie.

7. Die Antwort der christlichen Gemeinde

Mitten in der Kultur des Todes, die uns mit ihrer Kälte umgibt, wissen und erfahren wir Christen eine andere Wirklichkeit, die Paul Gerhardt so besingt: „Die Sonne, die mir lacht, ist mein Herr Jesus Christ.“ Von dieser Sonne empfangen wir Licht und Klarheit, aber auch Wärme, also Liebe und Barmherzigkeit, um sie an andere weiterzugeben. So stellen wir uns der Kultur des Todes mit einer Kultur des Lebens und das heißt mit einer Kultur der Barmherzigkeit entgegen. Wenn Christen nicht kompromisslos für den Lebensschutz der Schwachen und Schwächsten eintreten, wer sollte es dann tun?! Hier gilt es heute, seinen Mund aufzutun für die Stummen (Sprüche 31,8). Unser Herr ist der Anwalt des Lebens und der Anwalt der Schwachen, also sind wir es auch. Das Zeichen des Kreuzes ist das göttliche Garantiezeichen für die Würde des Menschen von der Empfängnis bis zum Tod, unabhängig von der konkreten gesundheitlichen Verfassung.

7.1 Menschenwürde – von Gott vorgegeben, dem Menschen mitgegeben

Christen entscheiden also nicht über den Wert oder Unwert eines anderen menschlichen Lebens, auch nicht des eigenen, und wehren sich dagegen, dass andere sich ein solches Urteil anmaßen. Leid und Behinderung gehören zum Menschsein, und wahre Menschlichkeit erweist sich im helfenden Umgang mit dem Leidenden und nicht in seiner Auslöschung.

Auch für diesen Zusammenhang gilt das Wort unseres Herrn: „… unter euch soll es nicht so sein“ (Lukas 22,26). Wir sollten also in Wahrheit alternativ denken, reden, handeln – der Gemeinde zur Ermutigung, der Welt zur Korrektur und Richtungsanzeige. Nur mit einem klaren Profil können wir „Stadt auf dem Berg“ sein für die Menschen, die unterwegs sind und nach Orientierung suchen.

Für uns gründet die Menschenwürde in der Gott­ebenbildlichkeit des Men­schen sowie in der Tatsache, dass Gott in Jesus Christus Mensch wurde, uns Menschen zugute, Mensch wie wir. Damit ist unser Menschsein gewürdigt, wie es höher nicht sein könnte. Diese Würde ist also vorgegeben und mitgegeben, zugeeignet und damit unabhängig davon, ob sie jemand zuerkennt, und unabhängig von Qualitäten und Fähigkeiten. Deswegen ist sie auch unveräußerlich.

7.2 Wo Gott nichts gilt, gilt auch der Mensch nichts

Sobald nun diese Verankerung der Menschen­würde in Gott verlassen wird, gilt die Menschen­würde nicht mehr absolut. Dann könnte heute eine demokratische Mehrheit entscheiden, wo früher ein Diktator entschied, welchen Menschen die Würde zuerkannt wird, welchen weniger und welchen gar nicht. Wo es Zuerkennung gibt, gibt es auch Aberkennung. Nach der Bibel aber hat der Mensch seine Würde einfach als Mensch ohne jede Einschränkung. Unter der bib­lischen Botschaft allein ist Raum für das Fragmentarische, Mangel­hafte und Schwache, das wir alle in uns tragen.

7.3 Zuwendung zum Schwachen, weil Gott es auch so macht

So kann es für uns Christen angesichts der Situation eines sterbenden Menschen ausschließlich nur darum gehen, ihm durch Zuwendung und ein liebevolles Geleit Hilfe beim Sterben zu geben mit dem Ziel, die äußere Not des Sterbenden zu lindern und ihn auf die Ewigkeit vorzubereiten.

Und in allgemeiner Hin­sicht sollten wir schließlich die Palliativmedizin und die Hospiz­arbeit unterstützen, die nachge­wiesenermaßen die beste praktische Euthanasieprophylaxe darstellen. Und wir sollten natürlich auch auf der politischen Ebene unsere Stimme erheben und nicht einfach den Trend laufen lassen.

Der lebensgefährdete Mensch unserer Tage braucht in der Kultur des Todes einen Ort der Geborgenheit, an dem er Heil und Heilung, Stärkung und Ermutigung, Selbstwert und Lebensmut gewinnt. Und dieser Ort soll nach Gottes Willen die christliche Gemeinde sein. So wollen wir unter der „Sonne, die mir lacht“ unseren Mitmenschen praktisch und seelsorgerlich zum Leben helfen und dabei ein besonderes Augenmerk auf diejenigen richten, die von anderen leicht übersehen oder an den Rand gedrängt werden. Wir sollten also Einsame besuchen, Kranken beistehen, verzweifelten Pflegebedürftigen das Empfinden der Wertlosigkeit nehmen, Sterbende begleiten, Trauernde trösten und schließlich „heben, tragen und erretten“ (Jesaja 46,4). Wenn Gott selber so handeln möchte, sollte es dann nicht auch für uns das schönste Handeln sein? Und der Herr verspricht: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan!“ (Matthäus 25, 40). Nur mit Ihm können wir uns dem gewaltigen Trend entgegenstellen. Aber mit Ihm sind wir in der Mehrzahl.

Unser Programm heißt darum: aktive Lebenshilfe statt aktiver Sterbehilfe, Kultur der Barmherzigkeit statt Kultur des Todes! 

mit freundlicher Genehmigung aus Das Fundament Nr. 3/2013


  1. die Frau wurde im Januar 2010 von einem englischen Gericht wegen Mordes zu lebenslänglich mit mindestens 9 Jahren Haft verurteilt 

  2. Der Mann hatte die Geschichte allerdings erfunden. Es hatte keinen aidskranken Freund gegeben und auch keine Tötung auf Verlangen. Das gab er allerdings erst zu, nachdem die englische Polizei in verhaftet und dann einige Zeit aufwendig ermittelt hatte. Solche Tötungen aus Mitleidsgefühlen kommen nämlich nicht selten vor. Ein Gericht verurteilte ihn wegen der öffentlichen Falschaussage zu 90 Tagen Haft auf Bewährung.