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ThemenKritik der Bibelkritik, Schöpfungsglaube

Haben Adam und Eva nicht gelebt?

Prof. Siegfried Zimmer, der sich seit Jahren um eine größere Akzeptanz bibelkritischer Positionen innerhalb der evangelikalen Bewegung bemüht, hat ausführlich begründet, warum Adam und Eva in der Bibel nicht als historische Personen gemeint sein können. Es zeigt sich, dass er seine Argumentation an vielen Stellen auf falschen Annahmen aufbaut. Außerdem ergibt sich ein erheblicher Bedeutungsverlust der biblischen Botschaft.

Die ersten Kapitel der Bibel wollen nicht über die zeitlichen An­fänge der Menschheit berichten, sondern den tiefsten Grund des mensch­lichen Daseins erklären. Adam und Eva seien entsprechend nicht als bestimmte Personen zu verstehen. Der Theologieprofessor Siegfried Zimmer (ehemals PH Ludwigsburg) begründet diese Auffassung in Vorträgen und in einem Internetartikel (Anm. 6) damit, dass es in der Antike kaum ein historisches Interesse gegeben habe, weiter dass die biblischen Begriffe für „Anfang“ nicht zeitlich, sondern im Sinne von „grundsätzlich“ gemeint seien, und schließlich mit verschiedenen Beobachtungen an den Texten von 1. Mose 1-5. Außerdem würde ein historisches Verständnis von 1. Mose 2 und 3 zahlreiche Unstimmigkeiten beinhalten und sei daher auszuschließen.

Demgegenüber wird in diesem Artikel1 zunächst darauf hingewiesen, dass es in der Antike sehr wohl ein Interesse an der Historie gab, erst recht bei den Verfassern der alt­tes­tamentlichen Bücher. Im Weiteren wird anhand zahlreicher Bei­spiele gezeigt, dass in den Texten, in denen es um den „Anfang“ geht, der zeitliche Aspekt wichtig ist und dass die für einen „Anfang“ verwendeten Begriffe in den biblischen Sprachen ausdrücklich und in erster Linie den zeitlichen Aspekt beinhalten. Das Wort „Adam“ wird im Alten Testament zwar mehrheitlich im Sinne von „Menschheit“ gebraucht, kann aber in 1. Mose 1-5 an mehreren Stellen nur im individuellen Sinne verstanden werden, und in diesem Sinne wird „Adam“ auch an prominenten Stellen des Neuen Testaments als erster Mensch verstanden. Schließlich wird gezeigt, dass der Verlust der biblischen Aussagen über einen zeitlichen Beginn und über historische Veränderungen zu einem Verlust des Verständnisses des Menschen als Geschöpf und erlösungsbedürftigen Sünder führen. Es geht also nicht darum, die biblischen Texte über die Anfänge auf historische Aspekte einzuschränken. Vielmehr werden viele wichtige Aspekte der Gegenwart und des Soseins des Menschen erst von der Geschichte her verständlich.

Die Frage nach der Historizität des ersten Menschenpaares ist für den christlichen Glauben von außerordentlicher Wichtigkeit. Zu dieser Frage gibt es ein entsprechend umfangreiches Schrifttum.2 Der pensionierte Theologieprofessor (PH Ludwigsburg) Siegfried Zimmer hat sich in Vorträgen und Internetbeiträgen in jüngerer Zeit dazu geäußert. Von ihm stammt auch das Buch „Schadet die Bibelwissenschaft dem Glauben?“ Darin argumentiert er, dass Jesus Christus über der Heiligen Schrift stehe und dass auf der Basis der Aussagen Jesu Teile der Bibel kritisiert werden müssten.3

Zimmers Gedanken zu Fragen der biblischen Urgeschichte haben den Tenor: Die ersten Kapitel der Bibel beanspruchten nicht, über tatsächliche Geschehnisse zu berichten.4 Hier soll Zimmers Internet­ar­ti­kel „Haben Adam und Eva wirk­lich gelebt?“5 analysiert werden.

Zimmer stellt darin „die wichtigsten Gründe vor, die in der wissenschaftlichen Exegese seit langem dazu geführt haben, Adam und Eva nicht als geschichtliche Personen zu verstehen“ (S. 1).

Er erhebt also nicht den Anspruch, hier Originäres zu schreiben, sondern er nimmt Positionen des gegenwärtigen universitär-theologischen Mainstreams auf und wiederholt sie.

1. Eine falsche Weichenstellung am Anfang

Zimmer macht zunächst einen Exkurs über das Geschichtsverständnis in früheren Jahrhunderten. Dies sei ein „wichtiger Gesichtspunkt“, schreibt er dazu; die weiteren Ausführungen hängen tatsächlich wesentlich vom Ergebnis dieses Exkurses ab. Er behauptet: Erst im 18. und 19. Jahrhundert sei in Europa das „historische Denken“ entstanden, da erst zu dieser Zeit deutlich wurde, „wie umfassend das Leben und Denken des Menschen einem geschichtlichen Wandel unterliegt“ (2). Erst durch die in dieser Zeit erfolgte Beschleunigung der gesellschaftlichen Veränderungen sei ein geschichtlicher Wandel überhaupt in den Blick gekommen. Vorher erschien die Welt weitgehend statisch und unveränderlich. Neben dem Ausmaß der Veränderungen wurde auch die Unumkehrbarkeit der Geschichte erkannt; „das Rad der Geschichte ließ sich nicht mehr zurückdrehen“ (3).

„Das führte dazu, dass zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart ein historischer Abstand (‚Graben‘) entstand, den es bisher so nicht gegeben hatte“ (3).

Es habe früher keine „wissenschaftliche“ Rückfrage nach der Entstehung gegeben, vielmehr hätten Mythen, Ätiologien, Märchen, Sagen, Legenden und Fabeln im Vordergrund des Erzählens gestanden, die „erzählen, als ob die Welt immer die gleiche bleibt“ (3). Daher habe es auch keine historische Forschung wie z. B. die Archäologie gegeben. Das moderne Verständnis der „Wirkungsgeschichte“ historischer Ereignisse bewerte solche Ereignisse von der Zukunft her.

„Ein Geschichtsverständnis dieser Art war in der Antike unbekannt“ (3).

In der antiken Welt habe man anders nach dem Anfang gefragt, als man es heute tue. Anfang bedeute mehr als den zeitlichen Beginn einer Sache, vielmehr gehe es um den „tiefsten Grund“ (4). Den Anfang im zeitlichen Sinne habe es nur in Fragen des Alltags gegeben. Was Zimmer genau vertritt, bleibt allerdings unklar, denn er schreibt, „Anfang“ bedeute „mehr als den zeitlichen Beginn“; dann aber bedeutet es logischerweise, dass es auch den zeitlichen Beginn meint. Damit aber widerspräche er seiner eigenen These.

Siegfried Zimmer gibt keinerlei Belege für seine weitreichenden Thesen. Tatsächlich sind sie fragwürdig und teilweise unhaltbar.

Zunächst fällt auf, dass Zimmer keinerlei Belege für diese doch sehr weitreichenden Thesen gibt. Woher Zimmer das alles „weiß“, erfährt der Leser nicht. Tatsächlich sind seine Thesen sehr fragwürdig, teilweise unhaltbar:

1. Bereits Otto von Freising (um 1112-1158), einer der bedeutendsten Geschichtsschreiber des Mittelalters, hat die „mutatio“, die dauernde Veränderlichkeit in der Geschichte, zum zentralen Begriff seiner Weltgeschichte gemacht.6

2. Der starke geschichtliche Wandel aller Dinge war zu allen Zeiten bewusst und dementsprechend oft Thema zahlloser Klagen und Schriften. Dass dies erst mit dem 18. und 19. Jahrhundert durch die als stark empfundenen Veränderungen geschehen sein soll, trifft nicht zu. Schon in der Zeit der Renaissance (ab dem 15. Jhdt.) empfanden die Menschen ihre Zeit als im epochalen Wandel begriffen, kaum weniger als im 18. und 19. Jahrhundert.7

3. Das Geschichtsdenken der Griechen war zwar eher zyklisch und nicht linear, aber das gilt ganz sicher nicht für das Zeitverständnis Israels. Wenn Zimmer also von „Antike“ spricht, wirft er sehr verschiedene Kulturen und Sichtweisen stark vereinfachend in einen Topf. Mit Heraklit („alles fließt“) und Parmenides (nur das konstante Sein) gab es in der Antike entgegengesetzte Geschichtsmetaphysiken.

4. Die Kategorie der „Unum­kehr­bar­keit“, die Zimmer einführt, ist ebenfalls frag­würdig. Inzwischen wissen wir von einer ganzen Reihe von Erfindungen in der Antike, die wieder in Vergessenheit geraten sind.8

5. Die Behauptung Zimmers, die Antike habe ein Ge­schichtsverständnis nicht gekannt, wonach Ereignisse von der Zukunft her9 bewertet würden, ist falsch. Dagegen sprechen bereits viele biblische Texte (z. B. vom Turmbau zu Babel), aber auch andere antike Texte hatten bereits ein feines Gespür für „historische Ereignisse“: Thukydides, Ptolemaios, Josephus oder Tacitus waren sich durchaus der epochemachenden Qualität der Ereignisse ihrer Zeit bewusst. Auch die christlichen Historiker der Antike bewerteten die Ereignisse von der Zukunft her.10

Bereits Herodot bemühte sich um Unterscheidung von Legenden und historisch Tatsächlichem.

6. Bereits Herodot bemühte sich um Unterscheidung von Legenden und historisch Tatsächlichem. Spätestens jedoch mit der christlichen Geschichtsschreibung im 3./4. Jh. wird nirgends mehr so erzählt, „als ob die Welt immer die gleiche bleibt“.

7. Gegen Zimmers Behauptung spricht auch, dass schon Kirchenlehrer wie Origenes darüber diskutiert haben, ob Geschehnisse historisch oder anders zu verstehen seien. Vermutlich hat sich schon seit Augustinus (um 400) ein „modernes“ Geschichts­ver­ständ­nis etabliert.

8. Dass es in der Antike keine Archä­ologie gab, stimmt auch nicht ganz. Gemeinhin gilt Helena, die Mutter Konstantins, als Gründerin der christlichen Archäologie, da sie nach der Hinrichtungsstätte und dem Grab Jesu suchen ließ; freilich nicht mit dem rein wissenschaftlichen Interesse heutiger Archäologie. Aber immerhin gilt ein Forscher der Renaissance, Cyriacus von Ancona (um 1420) als einer der Gründungsväter der modernen klassischen Archäologie.

9. Selbst wenn Zimmer Recht damit hätte, dass die Antike Geschichte als unbedeutend ansah, würden die Verfasser der Texte des Alten und Neuen Testaments gerade dieser Sicht klar und ausdrücklich widersprechen. Denn die biblischen Autoren betonen das Gegenteil dessen, was Zimmer behauptet, nämlich dass es große Veränderungen mit nachhaltiger Wirkung gab und diese zum Verständnis der Gegenwart wesentlich sind.11

Man denke z.B. an 2Pet 3,4-6:

Spötter behaupten: „Seit die Väter entschlafen sind, ist alles geblieben, wie es seit Anfang der Schöpfung war.“ Petrus entgegnet: „Wer das behauptet, übersieht, dass es einst einen Himmel gab und eine Erde, die durch das Wort Gottes aus Wasser entstand und durch das Wasser Bestand hatte. Durch beides ging die damalige Welt zugrunde, als sie vom Wasser überflutet wurde.“

Und es wird auch in der Zukunft einen gewaltigen Umbruch geben (V. 7).

Jesus verweist in der so genannten Endzeitrede auf Verhältnisse zu der Zeit vor der Sintflut und vergleicht sie mit der Zeit seiner Wiederkunft.

Paulus schreibt in Röm 8,20, dass die Schöpfung der Nichtigkeit unterworfen wurde. Die in diesem Vers verwendete Zeitform des Aorist drückt genau das aus, was Zimmer verneint: Ein besonderes Ereignis in der Vergangenheit, das Auswirkungen bis zur Gegenwart haben kann. Der Aorist setzt einen diesem Ereignis vorausgehenden Zustand voraus, in welchem die Schöpfung nicht unter diesem Verhängnis stand.12 In Röm 5,12ff. führt Paulus aus:

„Durch einen einzigen Menschen kam die Sünde in die Welt und durch die Sünde der Tod und auf diese Weise gelangte der Tod zu allen Menschen, weil alle sündigten.“

Die Geschichte erklärt, warum der Mensch so ist, wie er ist: eines Retters aus Sünde und Tod bedürftig. Auch das Wort Jesu in Mt 19,8 kann hier genannt werden: er konstatiert einen ausdrücklichen Unterschied zwischen dem Anfang und einer späteren Zeit. Petrus schließlich vergleicht im 2. Petrusbrief Mythen mit tatsächlichen, beobachtbaren Ereignissen (2Pet 1,16).

10. Aber auch zur Zeit des Alten Bundes war die verflossene Geschichte wichtig. Die Israeliten hatten ein lineares Zeit­geschichtsbild und Gottes Handeln in Zeit und Raum war für sie von grundlegender Bedeutung. Daher sollten sie sich an die großen Taten erinnern, die Gott unter ihnen getan hatte (5Mo 6,20-23). Dazu gehört selbstverständlich auch die Urgeschichte. Die Geschichte erklärt die jeweilige Gegenwart.

2. Nach der falsch gestellten Weiche in die falsche Richtung

Zimmers falsche Sicht von der antiken Denkweise und vom antiken Geschichtsverständnis wird im Folgenden zum irreführenden Verständnisschlüssel für die Lektüre biblischer Texte und für das Verständnis biblischer Begriffe.

Zimmer meint, der im Neuen Testament für „Anfang“ gebrauchte griechische Begriff arché sei nicht zeitlich gemeint, ebensowenig der hebräische Begriff reschit, der in Gen 1,1 verwendet wird: „Am Anfang – bereschit – schuf Gott Himmel und Erde.“ Dieser Begriff ist von rosch (Haupt) abgeleitet und bereschit meine daher „grundsätzlich“ und nicht einen zeitlichen Beginn.

Besonders klar seien die Begriff­lich­keiten in der lateinischen Sprache, in der für den zeitlichen Beginn einer Sache das Wort initium und für den tiefsten sachlichen Grund principium verwendet werde. Es sei aufschlussreich, dass in der lateinischen Übersetzung des ersten Satzes der Bibel principium verwendet werde. Über den Anfang im zeitlichen Sinne mache daher die Bibel gar keine Aussage, diesen könne man nicht datieren; vielmehr gehe es um

„qualitative und existentielle Fragen wie ‚Worauf ist alles Leben gegründet? Von welchen Grundlagen leben wir? Welche Kräfte prägen das Leben von Grund auf und darum zu jeder Zeit?‘“ (4).

Warum Zimmer sich irrt

Doch auch hier liegt Zimmer falsch – aus mehreren Gründen:

1. Der griechische Begriff arché meint – entgegen Zimmer – vor allem einen zeitlichen Anfang. So stellt das Theologische Wörterbuch zum Neuen Testament fest:In der Septuaginta bezeichnet arché „in der Mehrzahl der Fälle“ den „(zeitlichen) Anfang (auch in den im NT geläufigen präpositionalen Ausdrücken), stereotyp gelegentlich die Urzeit; ziemlich selten wird es räumlich gebraucht“. Im NT kommt der Begriff am häufigsten in den Formeln ap und ex archés vor und gibt den ersten Zeitpunkt an, „sei es den der Schöpfung (…) oder des ersten Auftretens Jesu (…) oder den Anfang des Christseins und -werdens (…) usw.“ Es ist also völlig klar, dass arché einen zeitlichen Beginn meint. In vielen Fällen macht eine andere Übersetzung auch gar keinen Sinn.

Zimmers Meinung, die biblische Rede vom Anfang der Welt meine keinen zeitlichen Anfang, steht im Widerspruch zu mehreren biblischen Aussagen über die Anfänge der Welt.

2. In Matthäus 19,4 steht in der lateinischen Übersetzung das Wort initium:

„Habt ihr nicht gelesen, dass der Schöpfer die Menschen von Anfang an [ab initio] als Mann und Frau geschaffen hat …?“

Damit wäre nach Zimmers eigenen Aus­führungen ausdrücklich ein Anfang im zeitlichen Sinne bestätigt. Aber auch das Wort principium wird häufig im zeitlichen Sinne oder im Sinne eines Beginns (etwa einer Strecke) verwendet; die Verwendung dieses Wortes bedeutet für sich alleine nicht, dass kein zeitlicher Aspekt gemeint sei.

3. Es ist eine absolute Minder­heiten­position, dass bereschit in Gen 1,1 keine zeitliche Bedeutung habe. Die Exegeten diskutieren zwar, ob es sich um einen absoluten Anfang handelt oder nicht. Aber auch die Gegner eines absoluten Anfangs gehen i.d.R. von einer zeitlichen Bedeutung aus. Als Beispiel sei der Kommentar von H. Seebass zitiert:

„Damit bezeichnet ‚am Anfang‘ den Beginn, hinter den wir nicht zurück können, während die Frage nach philosophisch absolutem oder relativem Beginn kaum alttestamentlichen Vorstellungen entspricht …“.13

In den hebräischen Wörterbüchern (z.B. im neuen Gesenius-Donner, 18. Aufl.) ist in der Regel die erste Bedeutung „Anfang, Beginn“. Weitere Bedeutungen sind: „erstes Erzeugnis, Erstling, Erst­ertrag“. Die Behauptung, reschit bzw. bereschit beinhalte keine Aussage über den zeitlichen Beginn, ist nicht auf­recht­zuerhalten.

Es ist zwar richtig, dass das griechische arché und das hebräische reschit auch im nichtzeitlichen Sinne verwendet werden, etwa im Sinne von „Grundlage“; Zimmer erwähnt als Beispiel Spr 1,7: „Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit“ und ähnliche Stellen, oder Jer 49,35 („Anfang der Macht“), Micha 1,13 („Anfang der Sünde“) und Hiob 40,19 (das Behemot als „Anfang der Werke Gottes“). Hier ist aber jeweils durch den Kontext klar, dass es nicht um den zeitlichen Aspekt geht, während in anderen Fällen der Kontext die zeitliche Bedeutung nahelegt. Es ist immer zuerst der Kontext daraufhin zu befragen, welcher Bedeutungsinhalt eines Begriffes unter mehreren zutreffend ist. Spr 1,7 ist ein Lehrtext und als solcher nicht vergleichbar mit einem Text über Historie. Die Erwähnung dieser Stellen als Belege dafür, dass reschit nicht zeitlich gemeint sei, ist irreführend und sie entkräftet zudem nicht die unter 1.-3. genannten Argumente.

Für das Alte und das Neue Testament gibt es keinen Zweifel, dass Adam und Eva als historische Personen gemeint sein müssen.

Zimmers Meinung, die biblische Rede vom Anfang der Welt und der Men­schen meine keinen zeitlichen Anfang im historischen Sinn (7), steht darüber hinaus im Widerspruch zu anderen biblischen Aussagen über die Anfänge, über die er sich nicht äußert:

  • „Denn in 6 Tagen hat Gott Himmel und Erde gemacht …“ (2Mo 20,11; zeitliche Aussage).
  • „So wurden Himmel und Erde vollendet und ihr ganzes Gefüge“ (1Mo 2,1; anfängliche Schöpfung ist abgeschlossen).
  • „… waren die Werke seit der Erschaffung der Welt vollendet“ (Heb 4,3; anfängliche Schöpfung ist abgeschlossen).
  • „Er hat aus einem einzigen Menschen das ganze Menschengeschlecht erschaffen …“ (Apg 17,26; was einen Anfang einschließt).

Schlussfolgerung

Zimmer liest sein Verständnis über das angeblich mangelnde Interesse an geschichtlichen Veränderungen in der Antike in die biblischen Texte und Begriffe hinein. Die Texte und Begriffe weisen jedoch deutlich in eine andere Richtung. Die Fahrt auf dem falschen Gleis führt an einen falschen Ort. Zimmers Mahnung „Wir dürfen nicht einfach unsere heutigen Sprach- und Denkgewohnheiten in die biblischen Texte hineinprojizieren“ (7) betrifft ihn selber; er liest sein unhaltbares Verständnis über das Interesse der Antike an Geschichte in die biblischen Texte und Begriffe hinein, entgegen den jeweiligen Kontexten. Gerade die zeitlichen Anfänge legen den tieferen Grund für spätere Entwicklungen. Wenn Zimmer behauptet, die antiken Texte erzählen „vom tiefsten Grund der Welt und des menschlichen Lebens“, dann ist das ohne einen zeitlichen Anfang gar nicht möglich.

3. Zur Bedeutung von „Adam“

Im weiteren Text befasst sich Zimmer mit der Frage, ob „Adam“ in den ersten Kapiteln der Bibel als bestimmte Person verstanden wird und verneint dies. Adam stehe für „Menschheit“ schlechthin. Diese Sicht passt natürlich zu Zimmers Auffassung, die biblischen Autoren wollten keine nachhaltig wirksamen Geschehnisse der Frühzeit schildern, sondern Dinge zum Ausdruck bringen, die immer in der Welt gelten, also so „als ob die Welt immer die gleiche bleibt“ (3).

Seine Auffassung, Adam meine nie eine bestimmte Person, also niemals den ersten Menschen, begründet Zimmer vor allem damit, dass Adam im Alten Testament fast immer mit Artikel stehe, womit ausgeschlossen sei, dass ein Eigenname gemeint ist.

„Der Ausdruck ‚ha adam‘ bezieht sich nicht auf das Besondere und Unverwechselbare eines Individuums, sondern auf das typisch Menschliche, das allen Menschen … gemeinsam ist“ (8).

Nur wenn kein Artikel bei einem Namen stehe, könne ein Eigenname und mithin eine bestimmte Person gemeint sein.

Das Wort adam komme außerdem in der großen Mehrzahl außerhalb der ersten drei Kapitel der Bibel vor; ein spezielles Wort adam, das als Name für einen bestimmten Menschen reserviert ist, gebe es im Hebräischen nicht.

Und auch wenn adam ohne Artikel gebraucht werde, gehe aus dem Zusammenhang hervor, dass die Menschheit als Ganze gemeint sei, so im Schöpfungsbericht, wo es heißt, dass sie (Plural) herrschen sollen, und dass sie männlich und weiblich geschaffen seien.

Warum Adam in der Urgeschichte eine Einzelperson sein muss

Es ist richtig, dass ha’adam in der Regel mit „Menschheit“ übersetzt werden muss. Das ergibt sich aus den jeweiligen Kontexten, die – wie erwähnt – als erstes zu beachten sind, wenn geklärt werden muss, welcher von den möglichen Bedeutungsinhalten zutrifft. Ebenso klar ist aber, dass der Kontext in 1. Mose 4,1 für ha’adam (also mit Artikel; in der Parallelstelle 4,25 steht kein Artikel) nur die Bedeutung von Adam als einzelne Person zulässt: „Und Adam erkannte seine Frau und sie wurde schwanger.“

Die Häufigkeit einer bestimmten Bedeutung ist kein zwingendes Argument für die Bedeutung im Einzelfall. Die Verwendung des Artikels verbietet das Verständnis, dass es sich um eine Einzelperson handelt, angesichts 1Mo 4,1, offenbar nicht grundsätzlich. Hier können „Adam“ und „seine Frau“ (4,1) nur individuell verstanden werden. Aus dem Kontext geht auch hervor, dass in 1Mo 2,20ff. Adam und Eva als Personen gemeint sein müssen.

Im Schö­pfungs­bericht wird auch gesagt, dass die Menschen sich vermehren sollen, was mindestens auf einen kleinen Anfang hinweist und eine Dynamik beinhaltet. Zweifellos geht in 1. Mose 1 der Blick über die ersten Menschen hinaus, da vom Vermehrungs- und Schöpfungsauftrag die Rede ist.

Bei den Geschlechtsregistern (1Mo 5,1ff.; 1Chr 1,1ff.) kann „Adam“ nur als Einzelperson gemeint sein, denn nur eine einzelne Person kann Nachkommen zeugen und dabei ein bestimmtes Alter haben (1Mo 5,3) und insgesamt ein bestimmtes Alter erreichen (1Mo 5,5). Eine andere Bedeutung würde zu einer unsinnigen Aussage führen. Ebenso wäre die Aussage in 1Mo 3,20, dass Eva die Mutter aller Lebenden ist, unsinnig, wenn „Eva“ die Menschheit allgemein meinen würde.

Dass Begriffe mit verschiedenen Bedeutungen gebraucht werden (Poly­semie), ist in der Bibel nicht ungewöhnlich und kommt sogar häufig vor.14 Aber auch wir kennen das, wenn z.B. bestimmte Nachnamen zugleich Städtenamen sind. Wie immer ist zuerst der Kontext zu befragen, was in den meisten Fällen eine Klärung ermöglicht.

Zimmer übergeht, dass in 1Mo 2,20; 3,17.21 „Adam“ mit dem Dativzeichen ebenfalls ohne Artikel steht (le’adam). Die Dativform gibt es auch mit Artikel (la’adam; z. B. 2Mo 4,11; Spr 27,19; Hi 28,28; Pred 1,3; 2,18.22; 6,12-13; 8,15; Jer 10,23; Zef 1,17).

Besonders bedeutsam ist aber, dass Adam im Neuen Testament eindeutig als Person verstanden wird, dazu noch mit zentraler Bedeutung. Paulus stellt in Röm 5,12ff. den ersten Menschen Adam Jesus Christus gegenüber (ebenso in 1Kor 15,20ff.); es ist klar, dass dies nur Sinn macht, wenn Adam wie Jesus eine bestimmte Person ist. Andernfalls bliebe völlig unklar, wie es dazu kam, dass der Mensch Sünder ist und Jesus Christus als Retter braucht.

Aus Zimmers Sichtweise folgt, dass der Mensch schon immer Sünder gewesen wäre – also schon von der Schöpfung her? Auf diese zentral wichtige Frage, die auch das Verständnis der Person Jesus Christus ganz grundlegend betrifft, geht Zimmer nicht ein, genauso wenig wie zuvor auf die Frage, woher die Schöpfung überhaupt kommt, wenn die Bibel nichts zu ihrem Anfang sagt. In Zimmers Konzeption bleiben also Grundfragen des Menschseins unbeantwortet. Genau das aber wollen die biblischen Autoren in ihren Schilderungen über die Anfänge erklären; und entsprechend wird im NT Bezug darauf genommen.

Auch Jesus bestätigt die Erschaffung eines ersten Menschenpaares (Mt 19,3ff.); es würde erneut zu einer unsinnigen Aussage führen, wenn dort von „Menschheit“ allgemein die Rede wäre. Ebenso bestätigt Paulus in seiner Areopagrede (Apg 17,26) ausdrücklich die Erschaffung des ersten Menschen und die Herkunft aller Menschen aus ihm.

Außerdem wird Adam als erster Mensch auch in Luk 3,38 und 1Tim 2,13f. erwähnt. An beiden Stellen ist ein kollektives Verständnis unmöglich.

Später (S. 19) schreibt Zimmer:

„Dann wären alle ‚späteren‘ Menschen nicht mehr in der gleichen (direkten) Weise von Gott aus Erde erschaffen, sondern (im Unterschied zu Adam) von irdischen Eltern gezeugt und geboren. Diesen Unterschied zwischen ‚Adam‘ und den anderen Menschen macht das AT aber an keiner Stelle.“

Das Neue Testament macht diesen Unterschied jedoch ausdrücklich: Adam stammt von Gott (Luk 3,38); Paulus erklärt den Athenern, dass die gesamte Menschheit von einem einzigen Menschen abstammt (Apg 17,26) und stellt in Röm 5,13 fest, dass die Menschen nach Adam nicht mit gleicher Sünde wie Adam gesündigt haben.

Ohne den geschichtlichen Hintergrund der erstmaligen Erschaffung des Menschen tritt eine andere Weltsicht an diese Stelle.

Zimmer räumt ein, dass in 1. Mose 2 die ersten Menschen als handelnde Personen beschrieben werden (S. 11), wundert sich aber, warum der Erzähler „keinen eindeutigeren Begriff für eine Einzelperson“ verwendet. Das ist aber leicht zu beantworten: Weil es im Kontext völlig klar ist, wie es gemeint ist. Zimmer meint dagegen, es sei im Orient üblich gewesen, so zu erzählen wie in 1. Mose 2, obwohl keine bestimmten Personen gemeint seien. Außerdem würden unsinnige und unlösbare Probleme entstehen, wenn man in 1. Mose 2 Adam und Eva als Einzelpersonen verstehen würde. Hier verwendet Zimmer einen sachfremden Auslegungsschlüssel.

Weitere Argumente sollen nicht im Einzelnen besprochen werden. Es zeigt sich in vielen Fällen, dass die Beachtung des Kontextes ausreichend Klärung bringt, ob „Adam“ im Sinne von „Menschheit“ oder als Einzelperson gemeint ist.

Die Generationen nach Adam

Zimmer stellt fest, dass in den Genealogien in 1. Mose 5 adam vier Mal ohne Artikel vorkommt und dabei zwei Mal als Eigenname verwendet wird. Damit bestätigt er selber, dass „Adam“ eine bestimmte Person meinen kann.15 Genealogien hätten wichtige theologische Funktionen, so Zimmer, sie machten deutlich, dass der Mensch „in hohem Maß bestimmt [werde] durch seine Vorfahren, durch Vergangenheit und Tradition“ (12). Das scheint im Widerspruch zu seiner eigenen eingangs entfalteten These zu stehen, dass einer Auswirkung historischer Ereignisse für die Gegenwart in der Antike wenig Bedeutung zugemessen worden sei.

Obwohl also Genealogien eine wichtige Funktion hätten, sei eine historische Auswertung der Genealogien in 1. Mose 5 dennoch unmöglich, weil die Altersangaben für die Patriarchen enorm hoch und dazu unterschiedlich überliefert seien. Außerdem kämen häufig markante Zahlen wie 7, 10 oder 365 vor, was kein Zufall sein könne und auf eine symbolische Bedeutung hinweise. Und Noah falle mit einem Zeugungsalter von 500 Jahren aus dem Rahmen, was ebenfalls dafür spreche, dass diese Zahl eine symbolische Bedeutung habe.

Doch selbst wenn in diesen Texten die angegebenen Zahlen teilweise symbolische Bedeutungen haben sollten,16 folgt daraus nicht, dass die Genealogien an sich insgesamt nicht historisch zu lesen sind. Man könnte nur schließen, dass eine zahlengenaue Chronologie nicht abgeleitet werden kann. Die Genealogien von 1. Mose 5 werden am Anfang des 1. Chronikbuches und im Matthäus- und Lukasevangelium aufgegriffen und dort immer im historischen Sinne verstanden. Es gibt also keinen Grund, die offenen Fragen bezüglich der zeitlichen Genauigkeit der Genealogien als Argument gegen einen historischen Adam zu verwenden, wie Zimmer es nahelegt (S. 13).17 Das gilt erst recht, wenn man Zimmers eigene Aussage bedenkt, dass die Genealogien zum Ausdruck brächten, dass der Mensch „in hohem Maß … durch seine Vorfahren, durch Vergangenheit und Tradition“ bestimmt wird (s. o.).

Manfred Stephan stellt mit Bezug auf exegetische Fachliteratur fest:

„Das historisch-genealogische Element der Geschlechtsregister [ist] das exegetische Primärelement.“ Und: „Grund­sätz­lich ist zu sagen, dass es im Sinn des antiken Autors von Genesis 5 (und 11) kein Widerspruch war, die Genealogie einer­seits als historisch zu verstehende Generationenfolge mit wirklichen Alters­angaben, andererseits aber den Text teilweise mit Hilfe der diesen Altersangaben nahekommenden Zahlenordnung kunstvoll auszuformulieren.“18

In diesem Zusammenhang widerspricht Siegfried Zimmer erneut seiner eigenen Grundthese:

„Wahrscheinlich bewegte ihn [den Autor von 1. Mose 5] ein theologisch berechtigtes Motiv. Er möchte eine Verbindung schaffen zwischen dem ‚Anfangsgeschehen‘ und der geschichtlichen Existenz des Menschen. Es gehört zu den Besonderheiten des israelitischen Gottes- und Weltverständnisses, dass Israel seine Erzählungen vom ‚Anfang‘ der Welt und des Menschen in einen Zusammenhang bringt mit der Geschichte (vgl. Gen 12ff)“ (14).

Selbst unter seinen eigenen Voraus­setzungen kommt Zimmer offenbar nicht um die Feststellung herum, dass die Geschichte der Schlüssel zum Verständnis der Gegenwart und des Soseins des Menschen ist.

4. Die „Gegenprobe“

Um sein Verständnis zu untermauern, Adam sei nicht der erste Mensch, führt Zimmer eine „Gegenprobe“ durch:

„Hält die Behauptung, Adam und Eva seien geschichtliche Personen, einer Über­prüfung am Bibeltext stand?“ (14) „Ergibt die Erzählung in diesem Fall überhaupt einen in sich stimmigen, plausiblen Sinn?“

Um den Text nicht zu umfangreich werden zu lassen, soll nur auf wenige Punkte aus Zimmers Gegenprobe eingegangen werden. Zimmer vermisst in 1. Mose 2 Zeitangaben19 und nähere Angaben darüber, wie der Tagesablauf von Adam und Eva waren. Die Angaben seien auffallend mager.

Man kann hinzufügen, dass ungenaue, vage Angaben auch in geografischer Hinsicht in den Texten von 1. Mose 1-11 anzutreffen sind. Die Knappheit der Schilderungen ist offenkundig, wir würden oft sehr viel mehr wissen wollen; die biblischen Autoren konzentrieren sich auf das Wesentliche. Ein „plausibler, stimmiger Sinn“ (Zimmer) wird dadurch jedoch nicht verhindert. Und Zimmer erklärt auch gar nicht schlüssig, warum bestimmte Dinge hätten gesagt werden müssen. Später stellt er selber in Bezug auf den Schöpfungsvorgang fest, dass vieles für uns ein Geheimnis bleibt: „Trotz der anschaulichen Sprache wahrt der Text das Geheimnis des Schöpferwirkens“ (17). Das kann genauso für das Leben von Adam und Eva im Garten Eden gelten.

Zimmer meint dann aber, dass die Zurückhaltung des biblischen Erzählers verloren gehe, wenn man die Erschaffung des Menschen nach 1Mo 2,7 wörtlich-konkret versteht, „als einen einmaligen ‚handfesten‘ Erschaffungsvorgang im historischen Sinn“.

Doch das stimmt nicht: Dass die Erschaffung ein besonderer einmaliger Akt war, wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Details ein Geheimnis bleiben und daher nur bildhaft dargestellt werden können. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass bildhafte Elemente in einer Erzählung über ein besonderes Ereignis verwendet werden;20 wir machen das heute nicht anders.

Zimmer schüttet hier das Kind mit dem Bade aus, wenn er aus der Verwendung bildhafter Elemente schließt, dass es sich bei 1Mo 2,7 gar nicht um einen besonderen, einmaligen Schöpfungsvorgang handle. Schließlich macht er dieses Verständnis mit polemischen Fragen auch noch lächerlich:

„Wog die Erde, die Gott nahm, achthundert Gramm oder dreißig Kilogramm?“ (18).

„Sollen wir Forschungsexpeditionen ausrüsten, die nach diesem Garten suchen?“ (20).

Wenn Zimmer also schließt: „Man darf Gen 2,7 auf keinen Fall wörtlich verstehen!“ dann ist darauf zu entgegnen: Nein, man darf die bildhaften Elemente nicht anschaulich ausmalen, sondern sollte das Geheimnis der Erschaffung des Menschen wahren.21 Daraus kann aber nicht gefolgert werden, dass es sich nicht um ein besonderes Ereignis gehandelt hat, so wie es auch die neutestamentlichen Autoren sehen.

Zimmer weist auf die „Noch-nicht“-Sätze22) zu Beginn der Paradieser­zäh­lung hin und meint, dem Leser solle damit gesagt werden: „Stell dir einmal vor, das alles habe es noch nicht gegeben!“ Den damaligen Lesern sollte die Freude daran vermittelt werden, dass es diese Dinge gibt, dankbar dafür zu werden und die eigene Lebenswelt bewusster wahr­zunehmen. Offensichtlich steht das aber nicht im Text. Was Zimmer hineinlegt, ist bloße Mutmaßung, mit der er sich weit vom Text entfernt.23

5. Verlustbilanz

Angesichts des Gesagten ist es nicht überraschend, dass Zimmers Ertrag recht dürftig ist:

„Die Erzählungen Gen 1 und Gen 2-3 wollen vielmehr die grundlegenden und bleibenden Wesensmerkmale der Schöpfung und des Menschen zum Ausdruck bringen. Das ist ihnen wichtig. Was ‚im Anfang‘ war, das gilt immer und für alle“ (7).

Für diese Erkenntnis bräuchten wir die biblischen Texte aber wohl kaum. Ein solches Fazit ist fast trivial und ziemlich belanglos. Völlig unbeantwortet bliebe die Frage, wie es dazu kam, dass die Welt und der Mensch so sind wie sie sind. Es bliebe unbeantwortet, wie die Welt ins Dasein kam und was Gott mit ihrem zeitlichen Ursprung zu tun hat (eine anfängliche Schöpfung ist nach Zimmer ja nicht das, was die ersten Kapitel der Bibel zum Ausdruck bringen wollen). Obwohl viele biblische Autoren Gott als Schöpfer in vielfältiger Weise und in verschiedensten Zusammenhängen bezeugen, bliebe die Frage nach dem zeitlichen Beginn erstaunlicherweise ohne Antwort. Unbeantwortet bliebe auch die Frage, weshalb der Mensch Sünder ist, weshalb es Leid und Tod in der Welt gibt.

Ohne den geschichtlichen Hintergrund geht auch die aktuelle Bedeutung verloren. Wir haben nicht mehr, sondern weniger biblische Substanz.

Wenn aber die ersten Schritte der Menschheit nicht so verliefen, wie sie die historische Lesart der Genesis beinhalten (die Jesus und die Apostel aufgegriffen haben), wie verlief sie dann? In jedem Fall hat die tatsächliche Geschichte Folgen für das Verständnis des Menschen. Viele wichtige Aspekte der Gegenwart werden von der Geschichte her verständlich. Wenn die biblische Historie preisgegeben wird, tritt folgerichtig eine andere Geschichte an ihre Stelle, heutzutage ist das eine evolutionäre Geschichte – mit schwerwiegenden Folgen für das Menschen- und Gottesbild.24

Beispielhaft wird diese Problematik anhand einer Frage deutlich, die Zimmer aufwirft, um die Historizität von Adam und Eva in Frage zu stellen:

„Warum sagt Gott ausgerechnet zu Adam und Eva: ‚Deshalb wird der Mann Vater und Mutter verlassen und an seiner Frau hängen‘?“

Die Antwort muss wohl lauten: Weil hier für ihn und seine Nachkommen etwas Allgemeingültiges gesagt wird, was aus der erstmaligen Erschaffung folgt. Was allgemein für den Menschen gilt, gilt vor dem Hintergrund seiner Erschaffung, aber auch vor dem Hintergrund seines Falles. Ohne diesen Hintergrund verlieren wir die Begründung für das Sosein des Menschen (wie sie Jesus nach Mt 19,3ff. beispielhaft verwendet hat) und – noch schlimmer – es tritt eine falsche Weltsicht an seine Stelle25 mit u. U. fatalen Konsequenzen.

Dagegen meint Zimmer offenbar, Theologie und Geschichte voneinander vollständig trennen zu können (oder zu müssen).

„Die Erzählung von Adam und Eva hat es nicht verdient, dass man sie in eine weit entfernte Vergangenheit abschiebt und sie damit ihrer stets aktuellen Bedeutung beraubt. Es geht dabei nicht um weniger Wirklichkeit und weniger biblische Substanz. Es geht um mehr Wirklichkeit und mehr biblische Substanz“ (23).

Hier wird zum einen ein falscher Gegensatz aufgebaut: Abschieben in ferne Vergangenheit oder stets aktuelle Bedeutung. Es ist gerade anders: Weil etwas Bestimmtes geschehen ist, folgt eine aktuelle Bedeutung (so argumentiert auch Jesus in Mt 19,3ff.).

Zum anderen geht ohne den historischen Hintergrund in Wirklichkeit die aktuelle Bedeutung verloren und wir haben nicht mehr, sondern weniger biblische Substanz und der Verlust wird durch eine andere Geschichte ersetzt. Denn – um es in den Worten des Alttestamentlers C. John Collins zu sagen:

„Die Theologie kann nicht von der Geschichte getrennt werden, was wir an der Tatsache erkennen können, dass eine dieser ‚theologischen Wahrheiten‘ darin besteht, dass derjenige, der die Welt erschaffen hat, der gute Gott ist, der sich selber Israel offenbart hat, und nicht die launischen Götter anderer Völker – eine historische Behauptung!“26

Und: Die Aussage, dass Menschen Sünder sind, ist keine zeitlose Wahrheit für sich allein, denn früher oder später will man wissen, ob Gott den Menschen mit einer Tendenz zur Sünde geschaffen hat.27 Die existentiellen Bedeutungen resultieren aus den geschichtlichen Ereignissen. Erst der historische Bezug sichert sowohl Realitätsbezug als auch die gegenwärtige Bedeutung. Zimmers Hinweis auf die existentielle Relevanz ist sicher berechtigt, aber der Verlust der Historie führt gerade zum Verlust der damit zusammenhängenden existentiellen Bedeutungen.


  1. Die kritischen Anmerkungen im Abschnitt „Eine falsche Weichenstellung“ verdanke ich Dr. Axel Schwaiger. Hinweise zum Gebrauch der hebräischen Begriffe habe ich von Dr. Walter Hilbrands erhalten. Für die kritische Durchsicht des Textes und Verbesserungsvorschläge danke ich Prof. Dr. Peter Imming, Ron Kubsch, Dr. Peter van der Veen und Dr. Markus Widenmeyer. 

  2. Vgl. z. B. die in Reinhard Junker (19942) Leben durch Sterben? Schöpfung, Heilsgeschichte und Evolution. Holzgerlingen, verarbeitete Literatur. 

  3. Ausführlich hinterfragt wird dies in meiner Rezension des Buches unter http://www.wort-und-wissen.de/info/rezens/b35.html 

  4. Zu dem Thema gibt es bei worthaus.org einen Vortrag von S. Zimmer: http://worthaus.org/mediathek/ist-der-mensch-unsterblich-erschaffen-worden-3-4-2/ Darin werden Argumente genannt, die zu einem großen Teil in meinem Artikel „Theistische Evolution nach Denis Alexander und nach BioLogos“ (http://www.wort-und-wissen.de/artikel/a12/a12.html) behandelt werden, auch wenn es darin nicht um Zimmers Beitrag geht. 

  5. Siegfried Zimmer: „Haben Adam und Eva wirklich gelebt? Warum es sich lohnt, von der wissenschaftlichen Theologie zu lernen.“ http://www.schuldekan-ditzingen.de/file-admin/mediapool/einrichtungen/E_schuldekan_ditzingen/Haben_Adam_und_Eva_wirklich_gelebt._Zur_Interpretation_der_Erzaehlung_von_Adam_und_Eva__Gen_2-3_.pdf;
    Vortrag zum Thema: http:// worthaus.org/mediathek/kann-die-erzahlung-von-adam-und-eva-historisch-gemeint-sein-3-5-2/ 

  6. Chronik oder die Geschichte der zwei Staaten, übers. von Adolf Schmidt, hrsg. von Walther Lammers, Darmstadt 19905 (= Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters – Freiherr von Stein-Gedächtnisausgabe Bd. 16). 

  7. Vgl. Herfried Münkler, Machiavelli – Die Begründung des politischen Denkens der Neuzeit aus der Krise der Republik Florenz, 2. Aufl. Frankfurt/M 2007. 

  8. Vgl. Lucio Russo, Die vergessene Revolution oder die Wiedergeburt des antiken Wissens, Berlin 2005. 

  9. Er meint wohl im Hinblick auf deren zukünftige Auswirkungen. 

  10. Vgl. Gerhard Podskalsky, Byzantinische Reichseschatologie, München 1972. 

  11. C. John Collins schreibt in „Genesis 1-4. A linguistic, literary, and theological commentary“ (P&R Publishing, Phillipsburg, New Jersey, 2006), S. 15: „If we say that the ‘happenedness’ of the events in a story does not matter, we are making an ideological prejudgment about what kind of message the Bible gives us. … The ancients were capable of telling the difference between stories whose function lie in their happenedness and those whose function lies in the ‘storyness,’ at least as early as the fifthcentury B.C. Greeks“ und zitiert (S. 13) Edmund Fryde (The study of history. Encyclopedia Britannica 20, 621685): „The Jews were the only people of antiquity who had the supreme religious duty of remembering the past because their traditional histories commemorated the working out of God’s plan for his chosen people.“ 

  12. H.-K. Chang: Die Knechtschaft und Befreiung der Schöpfung, BWM 7, Wuppertal 2000. 

  13. Seebass, H.: Genesis I. Urgeschichte (1,1-11,26). Neukirchen-Vluyn 1996, S. 65. 

  14. Z. B.: „hebel“ = 1. Hauch, 2. Abel; „Baal“ = 1. Besitzer, 2. Gottesname; „Debora“ = 1. Biene, 2. Eigenname, „Jona“ = 1. Taube, 2. Eigenname. 

  15. Zimmer könnte also selber sehen, dass mindestens aus dem Fehlen des Artikels nicht geschlossen werden kann, ob Adam als Eigenname oder als Gattungsbegriff gebraucht wird. In 1. Mose 5 erschließt sich das jeweils aus dem Kontext. Korrekt ist allerdings, dass adam in 1Mo 5,1-5 sechs Mal vorkommt, immer ohne Artikel, und viermal davon nur im Sinne eines Eigennamens gemeint sein kann. 

  16. vgl. dazu M. Stephan: Entgegnung auf einige Aspekte der Kritik an der biblisch-urgeschichtlichen Geologie. http://www.wort-und-wissen.de/artikel/a01/a01.pdf, S. 7-10. 

  17. Er schreibt hier auch intern widersprüchlich: Einerseits schreibt er (S. 12), „Adam“ sei zum Eigennamen „geworden“; später aber, dass aus der Verwendung von „Adam“ in 1. Mose 5 kein überzeugendes Argument für einen historischen Adam resultiere (S. 14). 

  18. Stephan Entgegnung, a.a.O., S. 9 [Hervorh. im Original]. 

  19. Was insofern seltsam ist, da er die Zeitangaben in 1Mose 1 für nicht relevant hält. Wenn er also Zeitangaben vermisst, müssen die Zeitangaben in 1. Mose 1 also doch wichtig sein. 

  20. Vgl. C. John Collins, Did Adam and Eve really exist? Who they were and why you should care. Wheaton, Illinois 2011. 

  21. Im Übrigen sind Zimmers Ausführungen an dieser Stelle etwas verwirrend: Einerseits behauptet er, die Schilderungen in 1. Mose 2 und 3 müssten viel konkreter und detaillierter sein, um historisch glaubwürdig zu sein (s. o.), und meint, die Geschehnisse müssten anschaulich ausgemalt sein; andererseits aber unterstellt er denjenigen, die ein historisches Verständnis haben, sie würden die Geschehnisse im „handfesten“, ausgemalten Sinne missverstehen. 

  22. „Zur Zeit, als Gott, der Herr, Erde und Himmel machte, gab es auf der Erde noch keine Feldsträucher und wuchsen noch keine Feldpflanzen, …“ (1Mo 2,4f. 

  23. Weitere Beispiele nicht zwingender Schlussfolgerungen, hier zum Garten Eden: „Es steht in der Bibel auch kein Wort davon, dass die Sintflut den Garten Eden zerstört oder den Lauf der Flüsse in jener Region verändert hat“ (20). Die Erzählungen sind – wie bereits festgestellt – sehr knapp. Daraus sind keine Argumente gegen die Existenz eines Garten Edens zu gewinnen. – „Es fällt auf, dass der Erzähler keinen dieser beiden Bäume seinen Lesern erklären muss. Er kann sie offenbar als bekannt voraussetzen. D.h. beide Bäume waren der Leserschaft als Erzählmotiv bekannt“ (20). Was für einen Erklärungsbedarf gibt es hier überhaupt? Zimmers Schlussfolgerung ergibt sich auch hier nicht aus dem Text. 

  24. vgl. dazu z. B.: R. Junker, Leben durch Sterben? Schöpfung, Heilsgeschichte und Evolution. Neuhausen 19942; R. Junker, Evolution – passend für Evangelikale? http://www.wortund-wissen.de/artikel/a13/a13.pdf 

  25. Die evolutionäre Erzählung, die unsere Kultur in mehr und mehr Lebensbereichen prägen will, geht auch zentral davon aus, dass wir nur im Werden das Sein richtig verstehen können. Das gilt angefangen von ganz grundlegenden Fragen zur menschlichen Natur bis beispielsweise zu Fragen der Ernährung und Medizin, in denen wir davon lernen sollen, wie der Mensch sich entwickelt hat, damit er richtig und gesund lebt. 

  26. C. John Collins, Did Adam and Eve really exist? Who they were and why you should care. Wheaton, Illinois 2011, S. 36. Original: „The theology is not separable from story, as we can see from the fact that one of those ‘theological truths’ is that the one who created the world is the good God who revealed himself to Israel, and not the capricious gods of the other peoples – an historical assertion!“ 

  27. a. a. O., S. 37.