Kutschera, Ulrich (Hg.). Kreationismus in Deutschland: Fakten und Analysen. Mit Beiträgen von A. Beyer, U. Kutschera u.a. – Berlin, Münster: Lit 2007. – 370 S. 19,90 EUR.
Wer einmal die Argumente der profiliertesten und heftigsten Kritiker eines Schöpfungsmodells für die Entstehung der Erde kennenlernen will, der muss zu diesem Aufsatzband von Mitgliedern des Biologenverbandes greifen. Es ist der Biologenverband mit dem bekannten Evolutionsbiologen Prof. Ulrich Kutschera aus Kassel, der den Medien für ihre Angriffe auf den Kreationismus regelmäßig die Argumente liefert. Ulrich Kutschera selbst hat wiederholt die hessische Kulturministerin angegriffen, weil sie davon sprach, dass auch im Biologieunterricht über den Tellerrand einer rein materialistischen Welterklärung geschaut werden solle.
Der Biologenverband ist es auch, der seit Jahren heftig das kritische Evolutionslehrbuch von Scherer und Junker bekämpft hat. Dabei wurde sehr deutlich, dass der Biologenverband eine klare Entscheidung für eine atheistische Grundposition getroffen hat. Davon ist auch das vorliegende Buch geprägt. Es wird eine weltanschauliche Auseinandersetzung geführt, bei der die wissenschaftlichen Argumente eine Hilfsfunktion haben. Man muss den Autoren zwar zugute halten, dass sie damit auf das reagieren wollen, was sie den Kreationisten vorwerfen, dass sie wissenschaftliche Fakten zu Beweisen für eine Schöpfung machten. Aber selbst wenn das so wäre, was man für die Studiengemeinschaft Wort und Wissen m.E. verneinen kann, bleibt fraglich, ob diese Vorgehensweise etwas zu der sachlich gebotenen Auseinandersetzung beitragen kann. Empirische Wissenschaft, wie wir sie heute verstehen, taugt weder zum Beweis des unsichtbaren Gottes, noch zum Gegenteil. Aber Forschungsergebnisse können und dürfen weltanschaulich gedeutet werden. Jeder mag sie als Hinweise für seine Sicht ansehen und das überzeugend begründen.
Dass Junker und Scherer in ihrem Lehrbuch von Design-Signalen eines Schöpfers sprechen, wird aber nicht nur als unredlich angegriffen, sondern mit einem unsinnigen Argument gekontert:
„Wenn schon Schöpfung, dann sollte doch eigentlich für kein einziges Phänomen eine evolutive Erklärung (genauer ‚makroevolutive Erklärung’ im kreationistischen Sinne) möglich sein. Was ist der Sinn einer Schöpfung, was ist genial an einem Design, wenn es sich – zumindest im allergrößten Teil – problemlos mit Evolution erklären lässt?“ (116).
Es schmerzt, wenn sich hochkarätige Wissenschaftler in ihrer Polemik in die Niederungen solcher Argumentationen begeben. Ähnlich liegt es bei der Berechnung des evolutionären Abstands von 6 Millionen Jahren, die seit dem letzten gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Schimpanse verstrichen sein sollen. Hier werden geschätzte Zahlenwerte multipliziert und erfolgreich mit der so genannten molekularen Uhr abgeglichen. Schließlich kommt die Schlussfolgerung:
„Diese Übereinstimmung zwischen Evolutionstheorie und experimentell ermittelten Werten ist erstaunlich“ (141f).
Es ist allerdings nichts Erstaunliches an diesem Wert, weil der angeblich experimentell ermittelte Wert von 6 Millionen Jahren nicht aufgrund von Fossilfunden ermittelt wurde (dazu gibt es einfach zu wenig), sondern auf die gleiche Weise mit einer molekularen Uhr und angenommenen Mutationsraten wie in der Evolutionstheorie. Erstaunlich wäre gewesen, wenn bei zwei gleichen Multiplikationen nicht das gleiche Ergebnis herausgekommen wäre.
Überhaupt werden Design-Signale grundsätzlich geleugnet, einerseits mit der Behauptung, dass es überhaupt keine erstaunlichen Konstruktionen gebe, weil etwa das menschliche Auge tatsächlich sehr fehlerhaft sei und eben höchstens dem Menschen als genial gebaut erscheint. Verschwiegen wird dabei allerdings, dass das ein rein philosophisches Argument des Konstruktivismus darstellt, der behauptet, dass es sich bei den erstaunlichen Naturerscheinungen nur um menschliche Einbildungen handele. Diese Philosophie macht allerdings letztlich jede wissenschaftliche Forschung sinnlos (201ff) und damit auch die Arbeit von Prof. Kutschera.
Andererseits wird versucht Design-Signale durch Zufall zu erklären, was kaum überzeugen kann, wenn als logisches Argument die Zeichnung eines Steinhaufens präsentiert wird, dem im Laufe der Zeit bestimmte Steine abhanden gekommen sind und der dann wie ein konstruierter Rundbogen aussieht (212). Nun widerspricht dieses Beispiel nicht nur jeder Erfahrung, es nimmt auch ein Konstrukt aus der unbelebten Welt als Beleg für einen Vorgang in der belebten Welt und missachtet damit die Grenze zwischen Leben und Nicht-Leben. Statt aber einmal einen plausiblen Entstehungsmechanismus für ein Design-Signal zu präsentieren, wie spekulativ der auch sein mag, wird der Gegenbeweis verlangt:
Wer von Design-Signalen spreche, müsse „alle denkbaren ‚Pfade’ der Entwicklung kennen und zeigen können, dass das Merkmal unter den einst herrschenden Randbedingungen nicht zur Funktionsreife gelangen konnte“ (213).
Leider gehen in dieser Art sinnloser und polemisch geprägter Argumentation die wenigen echten Anfragen beinahe unter. Junker und Scherer haben ja nie behauptet, unfehlbar zu sein und sich auch gelegentlich korrigieren müssen. Aber das ist in der Wissenschaft ein normaler Vorgang und weil Wort und Wissen Empirie und Glaube möglichst nicht vermischen will, bricht damit auch nicht der Glaube an Gott in sich zusammen. Das Argumentieren im vorliegenden Band macht allerdings manchmal den Eindruck, als fürchte man, die Entwicklung von Schöpfungsmodellen sei eine Gefahr für den Atheismus. Schlimmer aber ist, wenn hier und da suggeriert wird, mit dem Glauben an einen Schöpfer ginge zuerst die Wissenschaft unter und dann der Fortschritt. Als „Beleg“ dient die Ablehnung bestimmter gentechnischer Verfahren durch viele Christen. (Die Ablehnung in der weithin nicht-christlichen Ökologiebewegung ist allerdings viel stärker.)
Die Autoren zitieren sich gern selbst und gegenseitig, was das Vertrauen nicht gerade fördert und zudem etwas ist, was sie bei Junker und Scherer (zu Unrecht) kritisieren. Leider wird auch nicht immer sauber zwischen etwas tatsächlich Vorhandenem, Daten, die oft nur bruchstückhaft sind, und einem Modell unterschieden, das versucht, diese Teilstücke zu einem Bild zusammenzufügen. Wenn das logisch gelingt, wie anerkanntermaßen weitgehend in der neueren Evolutionstheorie, ist das ein Beweis für die Brauchbarkeit des Modells, aber noch kein Beweis, dass das Modell auch genau die Wirklichkeit abbildet.
In dieser Hinsicht ist auch die stolze Feststellung, mit wie vielen wissenschaftlichen Disziplinen die Evolutionstheorie harmoniere und hingegen Schöpfungsmodelle dort keinen Platz haben, ein Scheinargument. Erstens ist die starke Unterteilung innerhalb der Wissenschaften eine relativ neue Erscheinung. Die Zahl sagt also nichts. Und zweitens ist die Evolutionstheorie für die meisten dieser Fachgebiete als ergänzende Betrachtung hinzugetreten. So will die Verhaltensforschung Sinn und Funktion von Verhalten erklären, die evolutive Entstehungsgeschichte der Verhaltensweise ist eigentlich ein Zusatz dazu. Wenn sie das eigentliche Forschungsziel verdrängt, schadet sie aber der Wissenschaft. Das gleiche gilt analog für andere Bereiche. Nur etwa die Geologie, Paläontologie und Evolutionsbiologie befassen sich hauptsächlich mit der Erdgeschichte und der Geschichte des Lebens.
Der Band enthält aber auch einzelne interessante Aufsätze, etwa über das Leben und die atheistische Einstellung von E. Haeckel, auch wenn das höchstens entfernt mit dem Titel des Buches zu tun hat. Auch der einleitende Aufsatz, dem es darum geht nachzuweisen, dass der Materialismus zum Berufsethos eines Biologen gehört und keine weltanschauliche Entscheidung darstellt, verdeutlicht informativ das Selbstverständnis des Biologenverbandes, aber bestimmt nicht das aller Biologen. Der Beitrag von Prof. Thomas Junker ist ebenfalls lesenswert, weil dabei überaus deutlich wird, wie ihm die Evolutionstheorie zum Religionsersatz geworden ist.
Eines macht der Band auf jeden Fall sehr deutlich, die Diskussion kann fruchtbar nicht auf der Ebene der Populärwissenschaft geführt werden. Und da ist es traurig – wenn auch aus seiner Sicht konsequent – wenn U. Kutschera das Gespräch mit Wissenschaftlern, die an eine Schöpfung glauben, für „Zeitverschwendung“ (360) hält. Seine Reaktion auf solche Menschen schwankt zwischen „Bewunderung“ für ihren Mut an Wunder zu glauben, „Aversion“ gegen ihre „Propaganda“ und Mitleid, weil sie eigentlich nichts für ihre Verirrung könnten. „Aufrichtige, moderne Christen“, damit sind wohl solche gemeint, die nicht an einen Schöpfer glauben, wolle man „nicht beleidigen oder diffamieren“ (352). Bei solchen Hinweisen kann man sich wohl auch in Zukunft auf Einiges seitens des Biologenverbandes gefasst machen.