Antwort:
A. Der Gläubige muss sich mit der Frage nach der Erwählung beschäftigen, weil sie unbestreitbar zum zentralen Zeugnis der Heiligen Schrift gehört.
Die Christenheit hat darum gerungen, das Verhältnis von Freiheit des Menschen und Gottes souveränem Handeln zu beschreiben.
Man kann der Frage nach der Erwählung, dem Liebeswillen Gottes und der Freiheit des Menschen nicht ausweichen. Sie drängt sich jedem Bibelleser beim intensiven Studieren auf. Sie ist in der Geschichte der Kirche darum auch immer wieder diskutiert worden. Es geht also nicht um eine theologische Spitzfindigkeit, eine Erfindung von Johannes Calvin oder der reformierten Kirche, sondern die Christenheit hat sich in ihrem Hauptstrom aufgrund der Aussagen der Heiligen Schrift eindeutig zu Gottes erwählendem Handeln bekannt und darum gerungen, das Verhältnis von Freiheit und Würde des Menschen und Gottes souveränem Handeln zu beschreiben. Wer dem Wort Gottes treu sein will, der kann hier also nicht einfach den Kopf in den Sand stecken, denn er stößt auf viele zentrale Bibelworte. Außerdem ist die Frage so zentral mit der Errettung durch Jesus verbunden, dass sie auch keine Randfrage des Glaubens darstellt. Ich will einige Bibelstellen, geordnet nach den Themen Erwählung, Liebeswille und Freiheit, kommentierend benennen:
Erwählung Gottes:
Am Ende des Gleichnisses vom großen Hochzeitsmahl stellt Jesus mit Blick auf die fest, die draußen bleiben (Mt 22,14):»Denn viele sind Berufene, wenige aber Auserwählte«. Es sind aber nur die Auserwählten, die in Ewigkeit errettet sind, auch wenn der Ruf Gottes an alle Menschen ergeht.
Paulus nimmt die Frage, ob Gott seine Verheißungen an sein Volk Israel zurückgenommen hat, zum Anlass, Gottes frei erwählenden Willen ebenso herauszustreichen wie seine Treue zu den Versprechen, die er einmal gegeben hat. Er schreibt in Römer 9,16-19:
»So liegt es nun nicht an dem Wollenden, auch nicht an dem Laufenden, sondern an dem sich erbarmenden Gott. Denn die Schrift sagt zum Pharao: ›Eben hierzu habe ich dich erweckt, damit ich meine Macht an dir erzeige und damit mein Name verkündigt werde auf der ganzen Erde.‹ Also nun: wen er will, dessen erbarmt er sich, und wen er will, verhärtet er. Du wirst nun zu mir sagen: Warum tadelt er noch? Denn wer hat seinem Willen widerstanden?«
Diese Stelle bezieht sich – wie der Zusammenhang deutlich macht – nicht nur auf das Volk Israel. Außerdem hat Paulus Gottes erwählendes Handeln auch im Kapitel vorher deutlich ausgesprochen (Römer 8,28-33):
»Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken, denen, die nach seinem Vorsatz berufen sind. Denn die er vorher erkannt hat, die hat er auch vorherbestimmt, dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Die er aber vorherbestimmt hat, diese hat er auch berufen; und die er berufen hat, diese hat er auch gerechtfertigt; die er aber gerechtfertigt hat, diese hat er auch verherrlicht. Was sollen wir nun hierzu sagen? Wenn Gott für uns ist, wer gegen uns? Er, der doch seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben hat: wie wird er uns mit ihm nicht auch alles schenken? Wer wird gegen Gottes Auserwählte Anklage erheben? Gott ist es, der rechtfertigt.«
Es war Gottes Vorsatz zu berufen. Er hatte eine vorlaufende Bestimmung für seine Erwählten, die dann berufen und gerechtfertigt werden. Diese Auserwählten sind es auch, die voller Zuversicht im Blick auf ihre Errettung sein dürfen.
Paulus sieht den erwählenden Willen Gottes schon von Ewigkeit her am Werk (Eph 1,3-6):
»Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus! Er hat uns gesegnet mit jeder geistlichen Segnung in der Himmelswelt in Christus, wie er uns in ihm auserwählt hat vor Grundlegung der Welt, dass wir heilig und tadellos vor ihm seien in Liebe, und uns vorherbestimmt hat zur Sohnschaft durch Jesus Christus für sich selbst nach dem Wohlgefallen seines Willens, zum Preise der Herrlichkeit seiner Gnade, mit der er uns begnadigt hat in dem Geliebten.«
Die Erwählung in Christus hat einige dazu geführt, eine Erwählung aller Menschen zu lehren.
Bereits die Schöpfung steht im Dienst der Erwählung von Menschen zur Heiligkeit, damit sie als Kinder Gottes Ihn in Ewigkeit preisen können. Aber es ist aus Gottes Sicht entscheidend, dass die Erwählung im Sohn Jesus Christus geschieht. Erwählt sind Menschen um Jesus willen, weil er sie errettet hat, als er sein Leben für sie gab. Das hat Karl Barth und in der Folge die Mehrheit der heutigen evangelischen Theologie dazu geführt, eine Erwählung aller Menschen zu lehren: Weil Jesus für alle gestorben ist und in Jesus Erwählung geschieht, darum seien alle Menschen zum Heil bestimmt. Jesus selber geht aber wohl von etwas anderem aus (Joh 6,35-37):
»Jesus sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens: Wer zu mir kommt, wird nicht hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr dürsten. Aber ich habe euch gesagt, dass ihr mich auch gesehen habt und nicht glaubt. Alles, was mir der Vater gibt, wird zu mir kommen, und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinaus stoßen«.
Jesus stößt niemanden weg, der kommt, aber nur die kommen, die auch von Gott gezogen werden. Das unterstreicht er (6,65):
»Darum habe ich euch gesagt, dass niemand zu mir kommen kann, es sei ihm denn von dem Vater gegeben«.
Bei der Erwählung geht es um die ewige Errettung. Sie aber soll allein aufgrund der Gnade und Barmherzigkeit Gottes zustande kommen. Das menschliche Mitwirken an seiner eigenen Errettung will Gott ausschließen (Eph 2,8-9):
»Denn aus Gnade seid ihr errettet durch Glauben, und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es; nicht aus Werken, damit niemand sich rühme«.
Der Glaube, der die Gnade annimmt, ist dann auch noch durch den Heiligen Geist gewirkt und so auch aufgrund von Gottes Wirken bei uns vorhanden.
Liebeswille Gottes:
Liebt Gott alle oder liebt er nur diejenigen, die er sich vorher erwählt hat? Gott hat bewiesen, dass er die Welt liebt. In den bekannten Worten im Johannesevangelium ist mit Welt sicher die ganze Menschheit in ihrer Verlorenheit gemeint (Joh 3,16):
»Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat«.
Dabei machen aber die folgenden Verse deutlich, dass Gott als Antwort auf seinen Liebeswillen den Glauben der Menschen erwartet. Das Freikommen aus dem Gericht ist an den Glauben an Jesus gebunden. Zum Glauben gehört, das Wort Gottes gehört und angenommen zu haben, denn (Röm 10,14)
»Wie sollen sie nun den anrufen, an den sie nicht geglaubt haben? Wie aber sollen sie an den glauben, von dem sie nicht gehört haben? Wie aber sollen sie hören ohne einen Prediger?«
Darum hat Gott Boten seines Evangeliums ausgesandt, damit alle die Wahrheit des Evangeliums erfahren sollen. So versteht Paulus auch seinen Dienst im Schreiben an Timotheus (1Tim 2,5-7):
»Denn einer ist Gott, und einer ist Mittler zwischen Gott und Menschen, der Mensch Christus Jesus, der sich selbst als Lösegeld für alle gab, als das Zeugnis zur rechten Zeit. Dafür bin ich eingesetzt worden als Herold und Apostel – ich sage die Wahrheit, ich lüge nicht – als Lehrer der Nationen in Glauben und Wahrheit«.
Und Timotheus selber soll für alle Menschen beten und ein vorbildliches Leben führen, weil Gott, der der Retter ist, »will, dass alle Menschen errettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen« (2,4). Darum ist er auch »ein Retter aller Menschen, besonders der Gläubigen« (4,10). Für alle Menschen ist Gott ein Retter, weil Gottes Liebe dem Glauben der Menschen immer vorangeht. Er schließt dabei niemanden von vornherein wegen seiner Herkunft oder Vergangenheit aus (1Joh 4,9-10):
»Hierin ist die Liebe Gottes zu uns geoffenbart worden, dass Gott seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben möchten. Hierin ist die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn gesandt hat als eine Sühnung für unsere Sünden«.
Wir müssen aber lernen, dass Gottes Liebe nicht in der Einbahnstraße schon zur Erfüllung kommt. Selbst Christen sollen ihre Feinde lieben,
»damit ihr Söhne eures Vaters seid, der in den Himmeln ist! Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte« (Mt 5,45).
Die allgemeine Zuneigung und das Wohlwollen Gottes genießen, das mag jeder Mensch gern und Gott gibt es auch reichlich. Aber seine Gnade hat ein Ziel, weil seine Liebe eine eifersüchtige Liebe ist, das heißt, sie findet Erfüllung erst darin, dass sie mit Liebe beantwortet wird. Gottes Liebe und Gnade will den Menschen aus seiner Abwendung herausholen.
»Oder verachtest du den Reichtum seiner Gütigkeit und Geduld und Langmut und weißt nicht, dass die Güte Gottes dich zur Buße leitet?« (Röm 2,4).
Freiheit des Menschen:
Wer darum im Unglauben bleibt, der wird trotz und wegen der Liebe Gottes gerichtet, denn er glaubt nicht an den Sohn Gottes (Joh 16,8), der zu unserer Rettung gesandt wurde. So macht der Mensch Gott zum Lügner (1Joh 1,10), denn Gott schätzt die menschliche Situation so ein, dass sein Sohn zur Rettung sterben musste. Wir werden also durch Gottes Liebe herausgefordert, Stellung zu beziehen und Gott zu antworten (Heb 3,15-19):
»Wenn gesagt wird: ‚Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht wie in der Erbitterung’, welche haben denn gehört und sich aufgelehnt? Waren es denn nicht alle, die durch Mose von Ägypten ausgezogen waren? Welchen aber zürnte er vierzig Jahre? Nicht denen, welche gesündigt hatten, deren Leiber in der Wüste fielen? Welchen aber schwor er, dass sie nicht in seine Ruhe eingehen sollten, wenn nicht denen, die ungehorsam gewesen waren? Und wir sehen, dass sie wegen des Unglaubens nicht hineingehen konnten«.
Kein Mensch wird gegen seinen Willen gerettet und in Gottes Reich kommen.
Kein Mensch wird gegen seinen Willen gerettet und in Gottes Reich kommen. Er soll, wenn Gott ihn anspricht, sein »Ja« von Herzen geben und Gott so von Herzen lieben. Jesus ruft darum zur Umkehr (Mk 1,15):
»Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe gekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!«
Er klagt darüber, dass er gesucht und gesammelt hat und ihm Unwille entgegenschlug (Mt 23,37):
»Jerusalem, Jerusalem, die da tötet die Propheten und steinigt, die zu ihr gesandt sind! Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken versammelt unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt!«
»Er kam in das Seine, und die Seinen nahmen ihn nicht an; so viele ihn aber aufnahmen, denen gab er das Recht, Kinder Gottes zu werden, denen, die an seinen Namen glauben; die nicht aus Geblüt, auch nicht aus dem Willen des Fleisches, auch nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind« (Joh 1,11-13).
Der Mensch ist herausgefordert, Jesus anzunehmen, und doch ist seine Wiedergeburt, die ihm die Annahme als Kind Gottes schenkt, nicht durch menschlichen Willen bewirkt, sondern aus dem Willen Gottes. Was in Paulus Aussage zuerst widersprüchlich erscheint, ist in dieser Hinsicht ganz logisch:
»Daher, meine Geliebten, wie ihr allezeit gehorsam gewesen seid, nicht nur wie in meiner Gegenwart, sondern jetzt noch viel mehr in meiner Abwesenheit, bewirkt euer Heil mit Furcht und Zittern! Denn Gott ist es, der in euch wirkt sowohl das Wollen als auch das Wirken zu seinem Wohlgefallen« (Phil 2,12-13).
Der Mensch soll wollen und zugleich wissen, dass ihm auch das Wollen geschenkt ist. Die Freiheit des Menschen ist offenbar von Gott gegebene Freiheit und keine absolute im Menschen wohnende. Die menschliche Freiheit besteht also nicht darin, dass der Mensch über den Dingen stehend frei auswählt, ob er gerettet werden möchte oder nicht, sondern frei ist der Mensch, insoweit er eine von Gott gegebene Möglichkeit, nämlich die Errettung allein durch Jesus, mit seinem von Gott gewirkten Willen annimmt. Das christliche Freiheitsverständnis weicht hier stark vom allgemeinen Verständnis ab, aber das ist sowieso nur eine Täuschung.
Wenn ich noch weiß, warum Gott mich liebt, dann weiß ich noch gar nicht, dass er mich liebt.
Denn die Freiheit der Wahl etwa vor einem Regal mit 250 verschiedenen Seifensorten besteht nur, wenn alle Seifen im Wesentlichen gleich gut und die Auswahl ohne Bedeutung ist. Sind 249 Sorten tödlich giftig und eine einzige überlebenswichtig, dann besteht Freiheit darin, dass mir jemand zuverlässig sagt, welche ich wählen soll und ich es dann auch tue. Man mag es Freiheit nennen, wenn ein Mensch eine tödliche Sorte wählte, weil sie so schön riecht. Aber wirklich frei macht nur die Wahrheit, die der Sohn Gottes ist und schenkt (Joh 8,31-36).
B. Der Gläubige kann Folgerungen aus dem anscheinend widersprüchlichen Zeugnis der Schrift ziehen, ohne dass es ihm gelingt, Gottes Ratgeber zu werden. Er kann aber zur Anbetung Gottes gelangen.
1. Der einzig wahre Gott ist Richter und Retter. ER ist absolut gerecht und voller Barmherzigkeit. ER tut, was ER will und will gebeten werden. ER erwählt einige und liebt alle. Dabei ist er als dreieiniger Gott in Vater, Sohn und Heiligem Geist ungeteilt, und es ist kein Widerspruch in Ihm. Und es ist auch nicht so, dass Gott im AT zornig und im NT liebend wäre, im AT erwählt und im NT alle ruft. Er ist auch in der Heilsgeschichte derselbe geblieben, auch wenn sich seine Erwählung zuerst nur auf sein Volk Israel und wenige Heiden erstreckte und dann alle Welt einschließt. Gottes Erwählung und seine Liebe erscheint uns deswegen widersprüchlich, weil beides zum Wesen Gottes gehört und wir nicht in der Lage sind, Gottes Wesen zu erfassen.
Wir müssen uns aber vor Augen führen, dass Liebe nur Liebe ist, wenn sie frei von Zwang, Notwendigkeit und sogar von äußeren Gründen bleibt. Wenn ich geliebt werde, weil ich ein frommer Mensch bin oder noch werde, dann ist das nicht Liebe, sondern Lohn. Die freie und unbegreifliche Liebe Gottes erfordert es geradezu, dass Gott unbegreiflich erwählt und der Grund seiner Wahl nur in ihm selbst liegt. Wenn ich noch weiß, warum Gott mich liebt, dann weiß ich noch gar nicht, dass er mich liebt. Dieser Zusammenhang wird an der Wahl des Volkes Israel ganz deutlich (5Mo 7,6-8):
»Denn du bist dem HERRN, deinem Gott, ein heiliges Volk. Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt, dass du ihm als Eigentumsvolk gehörst aus allen Völkern, die auf dem Erdboden sind. Nicht weil ihr mehr wäret als alle Völker, hat der HERR sich euch zugeneigt und euch erwählt – ihr seid ja das geringste unter allen Völkern -, sondern wegen der Liebe des HERRN zu euch, und weil er den Eid hielt, den er euren Vätern geschworen, hat der HERR euch mit starker Hand herausgeführt und dich erlöst aus dem Sklavenhaus, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten«.
Gott braucht niemanden zum Verlorensein bestimmen. Wenn er uns unserer Freiheit überlässt, dann bleiben wir immer Feinde Gottes.
2. Manchmal ist Erwählung so verstanden worden, als ob Gott die Menschen von Ewigkeit vor sich hat und dann den einen zum ewigen Verlorensein bestimmt und den anderen zur Rettung erwählt. Diese Vorstellung entspricht nicht dem biblischen Zeugnis. Es ist vielmehr so, dass der sündige Mensch seine gottgegebene Freiheit immer dazu nutzt, sich gegen Gott zu entscheiden. Gott braucht niemanden zum Verlorensein bestimmen. Alle Menschen sind Sünder und wenn Gott uns unserer Freiheit überlässt, dann bleiben wir immer Feinde Gottes. Denn die Menschen sind »tot in ihren Vergehungen und Sünden«, wenn Gott sie aus diesem Tod erweckt (Eph 2,1). Aus allen, die zu Recht verurteilt sind und sich aus der Trennung von Gott nicht selbst befreien können, erwählt Gott einige, die dann trotz ihres verdrehten Herzens zum Glauben an Jesus finden und errettet werden.
3. Gottes Erwählung ist aber offenbar kein kalter bürokratischer Akt, sondern besteht auch darin, dass Gott sich Menschen offenbart, zu ihnen redet, um sie wirbt, selber auf die Erde kommt. Zur Erwählung vor »Grundlegung der Welt« (Eph 1,4) gehört Gottes Beschluss, durch Jesus Christus zu retten. Seine Liebesbotschaft vom Kreuz lässt er allen verkündigen. Teil der Erwählung Gottes ist die Evangelisation, der Ruf und die Bitte: »Lasst euch versöhnen mit Gott« (2Kor 5,20). Natürlich schließt sich hier die Frage an, warum die einen die Botschaft annehmen und andere, die doch das Gleiche gehört haben, ablehnend vorübergehen. Die Antwort auf das »Warum« bleibt offen, außer wir sagen: »Weil Gott es so will!« Denn Gott will die Ablehnung mit dem ewigen Tod bestrafen und will doch viele retten, die zum Glauben finden. Nicht anders ist Apg 13,48 zu verstehen:
»Als aber die aus den Nationen es hörten, freuten sie sich und verherrlichten das Wort des Herrn; und es glaubten, so viele zum ewigen Leben verordnet waren«.
4. Die Lehre von der Erwählung führt zur Glaubensgewissheit und zur Anbetung. Wenn unsere Rettung an unserem Wollen oder Laufen liegt, dann ist und bleibt sie ungewiss. Niemand, der sich heute »für Jesus entschieden hat« und meint, aufgrund dessen gerettet zu sein, kann sich auf seine Entscheidung verlassen. Glaubensgewissheit gibt es nur, wenn Gottes Wollen und Ziehen mich gerettet hat. Weil uns die Botschaft von der Erwählung vor den allmächtigen und barmherzigen Gott stellt, darum kann man dieser Botschaft nur mit Anbetung begegnen und je mehr wir uns damit anhand der Schrift befassen, desto mehr werden wir zur Anbetung getrieben. Denn Gottes Handeln ist voller Weisheit und Erkenntnis, die unsere weit übersteigt (Römer 11,33-36):
»O Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes! Wie unerforschlich sind seine Gerichte und unaufspürbar seine Wege! Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Mitberater gewesen? Oder wer hat ihm vorher gegeben, und es wird ihm vergolten werden? Denn aus ihm und durch ihn und zu ihm hin sind alle Dinge! Ihm sei die Herrlichkeit in Ewigkeit! Amen«.
In der Bibel findet sich das Miteinander von erwählendem Liebeswillen Gottes, ohne dass der Mensch dabei seine Gottesebenbildlichkeit mit Freiheit und Verantwortung verlöre.
5. Die Lehre von Erwählung und Liebeswille Gottes ist eine Bestätigung der Wahrheit der Bibel. Was die Bibel uns darüber lehrt, kann sich kein Mensch ausgedacht haben. Wir würden entweder einen Determinismus, also die vorlaufende Festlegung aller Geschehnisse, oder die Freiheit des Menschen gegenüber dem liebenden Gott bevorzugen. Oder wir wählen die zwanghafte Errettung aller Menschen selbst gegen ihren Willen. Die Bibel müsste entweder eine dieser Ansichten konsequent verfolgen oder ein widersprüchliches Gegeneinander darstellen. Aber das findet sich nicht, sondern überall das Miteinander von erwählendem Liebeswillen Gottes, ohne dass der Mensch dabei seine Gottesebenbildlichkeit mit Freiheit und Verantwortung verlöre. Diese wunderbare Weisheit Gottes, wie sie in der gesamten Bibel in dieser Hinsicht bezeugt ist, kann nur auf Gott selbst zurückgehen.