ThemenEthische Themen

Organentnahme und Organspende

Jährlich sterben viele Menschen, die vergeblich auf eine Organspende warten. Und selbst wenn das Leben durch ein fehlendes Organ nicht unmittelbar bedroht ist, könnte – wie beim Ausfall der Nierenfunktionen – das Leben durch eine Organspende erheblich an Lebensqualität gewinnen.

Als Organspender kommen Menschen in Frage, die plötzlich an einer Hirnschädigung oder am Herzkreislaufversagen sterben. Aber es werden in Deutschland von den möglichen Organspenden nur ca. 60 Prozent realisiert. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Deshalb ist man von vielen Seiten bemüht, die Zahl der Organspenden zu erhöhen, durch Aufklärung der Öffentlichkeit, durch Verpflichtung der Krankenhäuser, alle potentiellen Organspender zu melden.

Zuletzt hat der „Nationale Ethikrat“ den Vorschlag unterbreitet, das Transplantationsgesetz (=TPG) zu ändern. Dort ist die sogenannte „erweiterte Zustimmungslösung“ gesetzlich verordnet. Das heißt, der mögliche Organspender kann durch einen Organspendeausweis die Bereitschaft zur Organspende verfügt haben. Ist dies – wie ganz überwiegend – nicht der Fall, so haben die Angehörigen unter Berücksichtigung des Willens des möglichen Organspenders eine Entscheidung für oder gegen die Organspende zu fällen. Da sie meist wenig oder nichts über den Willen des Organspenders wissen, müssen sie ihre Entscheidung faktisch immer gemäß ihren eigenen Vorstellungen fällen. Viele Angehörige entscheiden gegen eine Organentnahme oder wollen oder können keine Entscheidung fällen, weil sie z.B. in dieser Krisensituation damit überfordert sind. Aus diesen Gründen hat der „Nationale Ethikrat“ dafür plädiert, diese Form der Zustimmungslösung dahingehend zu ändern, dass, wenn Angehörige sich nicht explizit gegen eine Organentnahme aussprechen, eine Organentnahme auch ohne ihre Zustimmung stattfinden sollte, es sei denn, es seien begründete Einwände des möglichen Organspenders gegen die Organentnahme bekannt.

Welche ethischen Fragen sind bei solchen Entscheidungen wie auch bei der Ausstellung eines Organspendeausweises zu bedenken?

1. Hirntod – Werden Organe von „Sterbenden“ oder „Toten“ entnommen?

Das TPG bestimmt, dass Organe nach dem Eintritt des Hirntods, also dem Erlöschen der Funktionen des gesamten Gehirns, entnommen werden dürfen. Man setzt den Hirntod mit dem Tod des Menschen gleich. Diese Gleichsetzung ist anthropologisch nicht unproblematisch, wenn damit behauptet wird, dass nur das Gehirn und nicht die gesamte Leiblichkeit Träger des Menschseins ist. Dann wäre der übrige Leib nur ein Anhang des Gehirns. Dies ist keine naturwissenschaftliche Erkenntnis, sondern eine Definition, die von anthropologischen Annahmen ausgeht.

Biologisch gesehen ist der Tod die unwiderrufliche Negation des Lebensträgers. Lebensträger ist der ganze Organismus, also die Leiblichkeit. Der Tod ist eingetreten, wenn die Integration der Organe zu einem ganzheitlichen Organismus unwiderruflich zerfallen ist. Diese Integration zu einer Ganzheit wird durch zwei Organsysteme bewirkt, das Herz-Kreislauf-System (=HKS) und das Zentralnervensystem (ZNS), wobei das letztere ersterem übergeordnet ist. Fällt das HKS aus, so fällt bald danach auch das ZNS aus. Seine zentrale Steuerungsinstanz ist das Gehirn. Fallen seine Funktionen unwiderruflich aus, so tritt auch das Versagen des HKS und damit der Tod in kurzer Zeit unwiderruflich ein, es sei denn, man hält die Funktionen des HKS durch eine künstliche Beatmung und andere Methoden aufrecht. Dann lebt der Leib ohne Gehirn mittels technischer Mittel weiter. Dies ist der Fall, wenn man bei einem hirntoten Menschen Organe entnehmen möchte.

Die Gleichsetzung des Hirntods, und damit eines, wenn auch des wesentlichsten Organs mit dem Tod des Menschen, stellt ein Problem dar, weil der Hirntod an sich nicht schon zeitlich und sachlich mit dem Tod des ganzen Lebensträgers identisch ist. Er tritt zwar notwendig in kurzer Zeit ein, wenn der Zusammenbruch des HKS nicht medizintechnisch aufgehalten wird. Der Eintritt des Todes, man kann auch sagen der Endphase des Sterbens, wird aber unter den Bedingungen der Organentnahme mit aufwändigen medizin-technischen Mitteln manipuliert, durch die der natürlicherweise schnell eintretende Tod des Lebensträgers bis zur Organentnahme verhindert wird. Es entsteht dadurch der irrige Eindruck, der Tod werde durch die Organentnahme erst verursacht, tatsächlich wird er aber nur dann erst endgültig zugelassen. Niemand wird durch eine Organentnahme getötet. Das Tötungsverbot ist dadurch nicht berührt.

Die Angst, es würden Organe von Menschen entnommen, die als Organismen aus sich heraus noch lebensfähig sind, ist unberechtigt, wenn die von der Bundesärztekammer festgelegten Kriterien zur Feststellung des Hirntods genau beachtet werden. Natürlich ist die Gleichsetzung des Hirntods mit dem Tod des Menschen eine Definition, die es ermöglichen soll, dass man überhaupt Organe entnimmt. Würde man nämlich warten, bis die Funktionen des HKS erloschen sind, so wären die Organe überwiegend schon so geschädigt, dass sie nicht mehr transplantiert werden können. Insofern stellt diese Definition einen – durchaus akzeptablen – Kompromiss dar, ab wann Organe entnommen werden dürfen. Sie verhindert auf jeden Fall auch, dass Organe schon bei einer schweren und unwiderruflichen Schädigung des Gehirns oder des Herzens entnommen werden.

2. Organentnahme als ethisches und seelisches Problem

Das eigentliche Problem besteht in dem „manipulativen“ Umgang mit dem Leben angesichts des unabwendbaren Todes

Das eigentliche ethische, menschliche und seelsorgerliche Problem der Organentnahme besteht in dem „manipulativen“ Umgang mit dem Leben angesichts des unabwendbaren Todes. Dies ist eine Folge dessen, dass der unwiderruflich dem Tode geweihte Mensch schon vor dem endgültigen Todeseintritt als Organspender betrachtet und behandelt wird, also nicht mehr um seiner selbst, sondern um anderer Menschen willen behandelt wird, denn im Sterben befindliche Menschen oder Tote behandelt man eigentlich nicht mehr medizinisch mit dem Ziel der Lebensverlängerung. Das bedeutet, dass alle Beteiligten, auch Ärzte und Pflegekräfte, sich gegen die Ebene der sinnlichen Wahrnehmung und der durch sie bestimmten Gefühle auf der Verstandesebene bewusst machen müssen, dass der Mensch gemäß der Definition des Todes im TPG tot sein soll. Der Tod ist damit nur als „kognitver Akt“ gegenwärtig, wird aber nicht unmittelbar auf der sinnlichen Ebene, sondern nur über Apparate vermittelt erlebt.

Die Angehörigen sind in diesen Fällen meist mit einem plötzlichen Tod konfrontiert. In dieser meist schockierenden und oft dramatischen Situation sollen sie zugleich mit der Frage konfrontiert werden, ob sie einer Organentnahme zustimmen. Eine beabsichtigte Organentnahme verhindert eine Sterbebegleitung und das Erleben des Sterbens und Todes bis zu einem „natürlichen“ Ende und – in der Regel – ein dem folgendes Abschiednehmen. Dies kann die seelische Verarbeitung eines plötzlichen Todes erheblich beeinträchtigen und gibt zu der Frage Anlass, ob man Menschen in einer solchen Lebenssituation überhaupt mit der Frage nach einer Organentnahme behelligen darf. Sie zu verschweigen, stellt aber auch keine Möglichkeit dar. Ebenso wenig kann es menschlich und ethisch gerechtfertigt werden, sie gegen den Willen der Angehörigen vorzunehmen. Ja selbst eine Entnahme ohne explizite Zustimmung der Angehörigen ist nicht zu rechtfertigen, denn dies würde beinhalten, dass andere Menschen ein Recht auf die Organe eines Verstorbenen haben und dass gegenüber diesem Recht die Bedürfnisse der Angehörigen, z. B. das Sterben und den Tod eines geliebten Menschen bis zum Ende zu erleben, auf jeden Fall zurückzutreten hätten. Dies sind sich aus der Praxis der Organentnahme ergebende ethische Bedenken von erheblichem Gewicht, die auf jeden Fall ausschlaggebend dafür sein sollten, dass eine ausdrückliche und ohne Druck entstehende freie Zustimmung der Angehörigen Bedingung der Organentnahme ist.

Eine Organentnahme schließt notwendig einen Gebrauch des menschlichen Körpers zu ihm fremden Zwecken ein. Die ungeteilte Würde des irdischen Lebens endet mit dem Tode, doch fordert selbst das TPG, dass der Körper als leibhafte Gestalt des toten Menschen weiterhin unter „Achtung seiner Würde“ und nicht nur als „Gebrauchsgegenstand“ zu behandeln ist. Der tote Körper, der Leichnam, wird nicht zum Besitz anderer Menschen oder der menschlichen Gesellschaft. Er ist auch nicht mehr Besitz des Toten oder seiner Angehörigen (auch wenn sie ihm gegenüber Pflichten haben), sondern er fällt zurück in die Hand dessen, der sein Leben geschaffen hat, in Gottes Hand. Niemand hat ein uneingeschränktes Verfügungsrecht über den toten Körper. Seine Teile können weder verschenkt noch verkauft oder gekauft werden. Niemand hat einen Rechtsanspruch auf sie. Wohl aber gibt es die Pflicht, die Bedürfnisse der Angehörigen zu bedenken, die dem Verstorbenen in Liebe verbunden waren und die von seinem plötzlichen Tod tief betroffen sind.

Die Auferweckung zum ewigen Leben hängt nach christlicher Sicht nicht an der Unversehrtheit des Leichnams

Es ist einheitliche Auffassung der katholischen Kirche und der evangelischen Kirchen, dass gegen die Organentnahme aus christlicher Sicht keine grundsätzlichen ethischen Bedenken bestehen. Dass in der Auferweckung von den Toten derselbe irdische Mensch zum ewigen Leben auferweckt wird, hängt nach christlicher Sicht nicht an der Unversehrtheit des Leichnams. Die Auferweckung ist nicht mit einer Wiederbelebung des Leichnams zu verwechseln, sie gilt der Person und hat den Charakter einer dieses irdische Leben transzendierenden „neuen Schöpfung“, in der und durch die die irdische Person bewahrt wird (vgl. 1Kor 15, 35 ff.).

3. Organspende: Ein Akt der Nächstenliebe und ethisches Gebot?

Wie wir darlegten, ist die Organentnahme mit ethischen Bedenken belastet, die nicht einfach mit dem Argument übergangen werden können, die Rettung oder gar nur die Gesundheit eines Menschenlebens sei ein höherrangiges Gut als die Beachtung der seelischen Bedürfnisse von Angehörigen. Wer – wie der Verfasser dieses Beitrags – als Klinikseelsorger mit beiden Seiten, den Menschen, die plötzlich sterben müssen, und ihren Angehörigen, befasst ist und sie, aber auch Menschen, deren Leben bedroht ist und durch eine Organspende gerettet werden könnte, in dieser schweren Situation seelsorgerlich begleitet, wird immer beide Seiten im Blick haben. Die „Deutsche Bischofskonferenz“ und der „Rat der EKD“ haben 1990 in einer gemeinsamen Erklärung die Organspende als Akt der Nächstenliebe bezeichnet. Das würde bedeuten, dass Angehörige, die gegen eine Organentnahme votieren, und Menschen, die für sich eine Organentnahme ablehnen, gegen das Gebot der Nächstenliebe verstoßen. Demgegenüber ist zu fragen, in welcher Weise hier vom Begriff „Nächstenliebe“ Gebrauch gemacht wird. Liebe ist eine Qualifizierung von Beziehungen unter Personen. Nächstenliebe im eigentlichen Sinne setzt daher voraus, dass zwischen dem Geber und dem Empfänger von Liebesgaben ein Mindestmaß an personaler Beziehung besteht. Das Verhältnis von Spender und Empfänger ist bei der Organspende aber völlig anonym und versachlicht. Die Vergabe des Organs wird durch eine Institution (Eurotransplant) organisiert. Der Spender bleibt dem Empfänger anonym. Zudem ist der „Spender“ zum Zeitpunkt der Organspende „hirntot“ und zu keinen personalen Akten wie der Liebe mehr fähig. Er kann und hat auch nichts mehr zu verschenken, wenn der tote Körper nicht sein Eigentum ist und – aus christlicher Sicht – auch nie war.

Aus dem Gebot der Nächstenliebe ergibt sich keine unbedingte moralische Verpflichtung zur Organspende

Die Organspende ist eine verantwortliche Entscheidung im Umgang mit dem eigenen Leben zu Gunsten anderer Menschen, zu der es aber keine sich aus dem Gebot der Nächstenliebe ergebende unbedingte moralische Verpflichtung gibt. Über die Möglichkeit der Organspende sollten Menschen sich zu Lebzeiten Gedanken machen, möglichst eine Entscheidung fällen und sie dann auf jeden Fall auch den nächsten Angehörigen mitteilen und möglichst mit ihnen besprechen, bevor sie sie schriftlich niederlegen. Bei der Entscheidung sollte immer das Geschick schwerst kranker Menschen mitbedacht werden. Aber die Ablehnung der Organentnahme sollte nicht als „liebloser Egoismus“ und Rücksichtslosigkeit gegenüber diesen Menschen eingestuft werden. Niemand hat eine eindeutige sittliche Verpflichtung, seine Organe für andere zu spenden oder als Angehöriger der Organentnahme zuzustimmen. Alle Zustimmungen zur Organentnahme sollten unter den Vorbehalt gestellt werden, dass die dem Toten in Liebe verbundenen Menschen dem in der jeweiligen Situation wirklich zustimmen können, denn dies kann man – ohne in der konkreten Situation zu sein – letztlich nicht verbindlich vorweg entscheiden.

4. Fazit

Die Regelungen im deutschen TPG stellen eine hinreichende und tragfähige rechtliche Basis der Organentnahme und Organspende dar. Sie bedürfen keiner Veränderung, vor allem nicht in die Richtung, die der „Nationale Ethikrat“ vorgeschlagen hat. Zu begrüßen ist eine öffentliche Aufklärung, die jeden einzelnen dazu ermutigt, sich mit dieser Thematik zu befassen und für sich eine Entscheidung zu fällen, sie aber auch mit den nächsten Angehörigen abzusprechen und sie dann möglichst auch schriftlich niederzulegen. Darüber hinaus sollten die Krankenhäuser ermutigt werden, mögliche Organspender zu melden. Dabei ist aber auch die moralisch und seelisch belastende Situation zu bedenken, in der Ärzte und Pflegekräfte und ganz besonders die Angehörigen sich befinden. Sie sollten nicht einem offenen oder heimlichen moralischen und seelischen Druck zur Organspende ausgesetzt werden. Deshalb ist bei der Aufklärung Einfühlungsvermögen und Behutsamkeit angesagt, und es ist zu empfehlen, dass zu den Gesprächen mit den Angehörigen über die Organentnahme möglichst Personen zugezogen werden, die sich in solchen schweren Situationen in den Krankenhäusern auskennen, die aber von den Angehörigen als „neutrale“ Berater und auch Anwälte ihrer Interessen anerkannt werden können.

Hierfür bieten sich insbesondere erfahrene Krankenhausseelsorger/innen an.