ThemenGlaube und Wissen(schaft)

Menschliches Erbgut und Gentechnik: Chancen und Grenzen menschlichen Handelns

Man sollte Gentechnik nicht verteufeln, sondern sich den ethischen Herausforderungen aufgrund biblischer Maßstäbe stellen

Am 26. Juni 2000 teilten F. Collins und C. Venter der Weltöffentlichkeit im Beisein des amerikanischen Präsidenten die Aufsehen erregende Nachricht mit, dass das menschliche Erbgut fast vollständig entschlüsselt sei. Damit biegt ein offiziell 1990 gestartetes international koordiniertes Projekt zur Erforschung des menschlichen Genoms[1] auf die Zielgerade zu einem ersten Etappenziel ein.

Molekularbiologische Forschungen haben bereits Einblicke in das Erbgut verschiedener anderer Organismen ermöglicht, so kennen wir z.B. das Genom verschiedener Bakterien, eines Fadenwurms, der Hefe, der Fruchtfliege und der Acker-Schmalwand.[2]

Neben solchen Kenntnissen stehen heute verschiedene Techniken zur Nachahmung von Vorgängen zur Verfügung, die Zellen in die Lage versetzen, ihre Erbinformation abzulesen, umzusetzen und in verschiedenster Weise (z.B. für die Zellteilung) zu bearbeiten. Diese Einblicke in molekulare Prozesse von Lebewesen und die Fähigkeit, diese teilweise im Labor nachzuvollziehen und technisch zu nutzen, haben uns einen Handlungsspielraum eröffnet, der in seiner Reichweite bisherigen Möglichkeiten des Menschen, in natürliche Vorgänge einzugreifen und diese zu verändern, weit übersteigt.

Diese neuen Technologien und deren rasante Entwicklungsgeschwindigkeit stellen uns vor große ethische Herausforderungen, wo wir über die Begründbarkeit und Rechtfertigung menschlichen Handelns nachdenken. Die Einschätzungen und Beurteilungen dieser molekularbiologischen Techniken in der Öffentlichkeit sind extrem unterschiedlich und nicht selten widersprüchlich.

Im Zusammenhang mit Gentechnik werden Hoffnungen geweckt, viele Krankheiten erfolgreich behandeln und Menschen von Erbkrankheiten heilen zu können. Mit genetisch veränderten (transgenen) Kulturpflanzen sollen Ernährungsprobleme einer rasant wachsenden Weltbevölkerung gelöst werden.

Daneben erheben sich Stimmen, die vor dem Einsatz solcher Techniken warnen, weil man damit dem Schöpfer ins Handwerk pfusche. Ängste werden artikuliert, und man sieht die eigene Gesundheit durch den Verzehr genetisch manipulierter Nahrungsmittel gefährdet oder fürchtet um Ökosysteme und deren sensibles Gleichgewicht durch die Freisetzung transgener Organismen.

In diesem Beitrag sollen einige der grundlegenden Zusammenhänge der Gentechnik beleuchtet und anschaulich erklärt, sowie Überlegungen zur ethischen Bewertung von Anwendungen angestellt werden.

Genetische Information am Beispiel des menschlichen Erbguts:

Setzen wir beim eingangs erwähnten Erbgut des Menschen ein. Die Erbinformation, die durch die Ei- bzw. Samenzellen von den Eltern an die Nachkommen weitergegeben werden, ist zum allergrößten Teil in einem insgesamt 2 Meter langen fadenförmigen Molekül enthalten, das als DNS[3] bezeichnet wird. Dieses Makromolekül DNS ist in den Zellkernen nahezu aller unserer Zellen in kleinen, typischerweise mehrere Zentimeter langen Stücken auf 46 Chromosomen verteilt. Die 46 Chromosomen sind paarweise angeordnet und wir haben 23 Chromosomen von jedem Elternteil. In unseren Zellen wird eine Mischung aus beiden Chromosomensätzen, d.h. also nur ein Meter DNS auf 23 Chromosomen aktiv genützt. Die andere Hälfte könnte man sich als Sicherheitskopie vorstellen.

Die bisher als fadenförmig beschriebene DNS weist eine Struktur auf, die wir uns als verdrillte Strickleiter (Doppelhelix) vorstellen können. Diese spiralig verdrehte Strickleiter hat einen Durchmesser von 2 Nanometern (1 nm = 10-9 m = 1 millionstel Millimeter). Ein Größenvergleich soll diese im Alltag nicht geläufigen Dimensionen verdeutlichen: Wenn die DNS-Doppelhelix so vergrößert wird, dass sie wie ein Strich erscheint, den man mit einem Kugelschreiber auf Papier malen kann, dann beträgt bei derselben Vergrößerung die Körperlänge eines erwachsenen Menschen etwa 400 km.

Wenn ein Milligramm DNS als ein einziger Strang vorläge, könnte man damit die Entfernung von der Erde bis zum Mond überbrücken

Das DNS-Molekül ist in seinem prinzipiellen Aufbau so weit untersucht, dass wir wissen, wo die einzelnen Atome sitzen. Wir kennen diesen Stoff so genau, dass er von einem Chemiker im Labor aus seinen Bestandteilen synthetisiert werden kann. Die Synthese von DNS Molekülen erfolgt heute in großem Umfang durch voll automatisierte Syntheseroboter. Nimmt man ein Milligramm von diesem Stoff DNS, so würde dieses Molekül – wenn es als ein einziger Strang vorläge – ausreichen, um ungefähr die Erde mit dem Mond zu verbinden. Die Länge beträgt etwa 320.000 km – und das bei einer Masse von 1 mg!

Auf dieser verdrillten Strickleiter – der DNS – ist also die genetische Information niedergelegt. Die Erbinformation steckt in der Abfolge der Leitersprossen (Basenpaare) der Strickleiter. Wie wir durch die Abfolge von Zeichen aus unserem Alphabet Silben, Wörter und Sätze bilden und damit Information formulieren und weitergeben können, so sind in der DNS Informationen durch die Abfolge (Sequenz) von vier verschiedenen Basenpaaren (Leitersprossen der Strickleiter) abgebildet. Die ein Meter lange DNS, die in unseren Zellen aktiv genützt wird, weist etwas mehr als 3,1 Milliarden Basenpaare auf. Wenn wir heute das Erbgut des Menschen nahezu vollständig entschlüsselt haben, dann bedeutete dies, dass wir die Sequenz der 3,1 Milliarden Basenpaare kennen.[4]

In der Sequenz dieser 3,1 Milliarden Basenpaare sind unter anderem die Bauanleitungen zur Herstellung der etwa 100.000 verschiedenen Eiweiße, die z.B. als Enzyme in unseren Zellen agieren, niedergelegt.[5] Dafür würden weniger als 10 % der vorhandenen Informationen ausreichen. Ein weiterer Teil der Information, dessen Umfang derzeit unbekannt ist, hat steuernde und regulierende Funktionen.

Vom allergrößten Teil der in unserm Erbgut gespeicherten Information wissen wir nicht wie sie lautet und wofür sie benötigt wird

Dennoch gilt gegenwärtig, dass wir vom weitaus größten Teil der in unserm Erbgut gespeicherten Information nicht wissen wie sie lautet und wofür sie benötigt wird. Von der noch ausstehenden Aufklärung der Bedeutung (Semantik) des allergrößten Teils der Information wird erwartet, dass dieses Unterfangen komplizierter und zeitaufwendiger wird als die bisher geleistete Arbeit. Wir stehen also in Sachen Verständnis des menschlichen Erbguts erst ganz am Anfang eines noch langen und spannenden Weges.

Das Erbgut aller bekannter Lebewesen liegt, wie am Beispiel des Menschen beschrieben, in Form von DNS vor.[6] Das bedeutet, dass das Erbgut aller Lebewesen hinsichtlich seines Aufbaus gleich ist, in allen finden wir eine Doppelhelix. Diese ist im Bakterium gleich aufgebaut wie im Gänseblümchen, in einer Orchidee, einer Fruchtfliege, einem Adler, einem Elefanten oder einem Menschen, sie unterscheidet sich lediglich in der Länge und in der Abfolge der Basenpaare.

Gentechnik – wie funktioniert das?

Nun haben alle Organismen in ihren Zellen ein Instrumentarium, um dieses DNS Molekül zu bearbeiten, d.h. der Zelle stehen molekulare Werkzeuge zur Manipulation von DNS zur Verfügung. Grundlegende Einsichten wurden durch Untersuchungen an einem Bodenbakterium[7] gewonnen, welches durch genetische Manipulation an Pflanzen Tumore verursacht. Dieses Bodenbakterium ist sozusagen Lehrmeister in Sachen Gentechnik gewesen. Wenn ein solches Bakterium eine Pflanze infiziert, dann benützt es eigene Enzyme, um den DNS Strang der Pflanzenzellen zu schneiden (Restriktionsenzyme) und wieder zu verkleben (Ligasen). Die so manipulierten Pflanzenzellen werden in ihrem Stoffwechsel vollständig umgesteuert, verhalten sich nicht mehr wie gesunde Zellen und produzieren die vom Bakterium zu seiner Vermehrung benötigten Substanzen. Dieser veränderte Stoffwechsel zeigt sich auch in der Gestalt der Zellen: Diese wuchern in pflanzenuntypischer Weise.

Diese Einblicke in faszinierende Details der Abläufe in Zellen und Organismen führen denjenigen, der um den Schöpfer all dieser Wesen weiß und ihn kennt, so wie die Autoren der Psalmen immer wieder neu ins Staunen, Loben und Anbeten. Andererseits ernüchtert aber auch die Einsicht, dass in der Natur selbst diese Werkzeuge und Mechanismen missbraucht werden und sich dadurch Lebewesen gegenseitig versklaven. Bis in diese Details hinein ist erkennbar, dass die ganze Schöpfung infolge der Emanzipation des Menschen von Gott pervertiert ist.

Voraussetzung für die Gentechnik war nun, dass es gelungen ist, die oben genannten Enzyme (molekularen Werkzeuge) aus verschiedenen Organismen (aus praktischen Gründen meist Mikroorganismen) zu charakterisieren und zu isolieren, so dass man sie in Gefäße abfüllen und im Labor einsetzen kann. Diese Enzyme ermöglichen nun einen gezielten Eingriff in die Erbinformation verschiedener Lebewesen und zwar nach Gesichtspunkten, die vom Anwender vorgegeben werden können. Lebewesen können nach menschlichen Vorstellungen verändert, „optimiert“ werden.

Anwendung in der Arzneimittelproduktion:

Insulin wird heute in Deutschland praktisch vollständig mit Hilfe der Gentechnik hergestellt

Dies gelingt heute mit verhältnismäßig großen Erfolgsaussichten bei Mikroorganismen. Bereits Anfang der 80er Jahre konnte ein Stamm von Escherichia coli so manipuliert werden, dass er menschliches Insulin produziert. Seit wenigen Jahren wird das zur Behandlung von Diabetespatienten in Apotheken erhältliche Insulin in Deutschland praktisch vollständig über solche biotechnologischen Wege hergestellt und nicht mehr aus den Bauchspeicheldrüsen von Rindern und Schweinen gewonnen. Die Anwendung der Gentechnik in der Pharmazie oder allgemeiner in der Humanmedizin befürwortet eine Mehrheit der Bundesbürger.[8] In der Pharmazie, d.h. zur Herstellung von Arzneimitteln wird derzeit in Deutschland die Gentechnik für die Produktion von mehr als 60 zugelassenen Arzneimitteln eingesetzt[9]

Versucht man das Erbgut komplexerer Organismen zu manipulieren, so machen sich bereits bei Versuchen mit Pflanzen Probleme bemerkbar. Bei gentechnischen Veränderungen an Nadelbäumen schlägt z.B. – häufig nach 2-3 Jahren in denen die genetische Veränderung ausgeprägt wird – die ursprüngliche Struktur wieder durch, was bedeutet, dass Korrekturmechanismen in den betroffenen Pflanzenzellen die Veränderung erkannt und in irgendeiner Weise rückgängig gemacht haben. Bei Tieren und bei Menschen sind die Verhältnisse noch unüberschaubarer. Das kommt z.B. darin zum Ausdruck, dass bis heute – vielfachen Erwartungen und Hoffnungen zum Trotz – noch keine in der Klinik etablierte Gentherapie verfügbar ist.

Anwendung in Nahrungsmitteln:

Einen weiteren in der Öffentlichkeit sehr kontrovers diskutierten und weitgehend abgelehnten Anwendungsbereich der Gentechnik stellt die Produktion von Nahrungsmitteln dar. Ein großer Teil der gegenwärtig realisierten Projekte betrifft Pflanzen, die derart manipuliert sind, dass sie entweder ein Toxin für Schadinsekten bzw. deren Larven produzieren oder gegen ein bestimmtes Spritzmittel resistent sind. Kritiker führen häufig als Argument gegen den Einsatz der Gentechnik im Nahrungsmittelbereich an, dass im Zusammenhang mit der Manipulation auch Resistenzen gegen Antibiotika eingeführt werden und dass eine Zunahme der Allergien befürchtet werden muss. Zu den Antibiotikaresistenzen kann gesagt werden, dass sie in den weit überwiegenden Fällen Antibiotika betroffen haben, die im humanmedizinischen Bereich nicht mehr eingesetzt werden. Außerdem stehen heute Techniken zur Verfügung, die eine solche Resistenz überflüssig machen.[10] In Bezug auf die Allergien kann gesagt werden, dass diese tatsächlich eine rapide Häufung erfahren (Pollen-, Staub-, Lebensmittel-Allergien). Dieser Trend ist allerdings unabhängig von der Gentechnik und hat vielfältige, im Detail häufig nur wenig verstandene Ursachen. Eine Korrelation von gentechnischen Produkten und der Zunahme von Allergien konnte bis heute nicht aufgezeigt werden.

Eine Manipulation im Erbgut eines Organismus stellt eine Veränderung in einem hochkomplexen System dar, deren Folgen grundsätzlich nicht vorhersehbar sind

Trotzdem gilt, dass eine Manipulation im Erbgut eines Organismus eine Veränderung in einem hochkomplexen System darstellt und dass die Folgen eines solchen Eingriffs hinsichtlich aller Konsequenzen für den direkt betroffenen Organismus grundsätzlich nicht vollständig vorhersehbar sind. Das gilt auch für einen Konsumenten und für das Ökosystem, in welchem der genetisch veränderte Organismus freigesetzt wird.

Was von Kritikern häufig unberücksichtigt bleibt, ist die Tatsache, dass z.B. der menschliche Körper beim Verzehr von Nahrungsmitteln (Obst, Gemüse, Fleischprodukte), immer mit körperfremder Erbinformation konfrontiert wird. Immer nehmen wir mit diesen Nahrungsmitteln auch deren Erbinformation auf. Dies geschah selbstverständlich auch schon zu Zeiten, als man von molekularbiologischen Vorgängen in Lebewesen noch nichts wusste oder diese gar beeinflussen konnte. Bei der Verdauung werden die DNS-Stränge im Nahrungsmittel fragmentiert (in Bruchstücke zerlegt) und weitgehend abgebaut und zur Energiegewinnung oder zum Aufbau körpereigener Substanzen verwendet.[11] Die also weit zurückreichenden Erfahrungen darüber, wie unser Körper auf die Konfrontation mit körperfremder, nichtmenschlicher Erbinformation reagiert, widersprechen vielen Schreckensvisionen, die manche Zeitgenossen in Aufregung versetzen.

Anwendungen in der medizinischen Diagnostik:

Das durch die Untersuchungen im Rahmen des Menschlichen Genom Projekts zusammengetragene Wissen hat auch viele Zusammenhänge zwischen atypischer Sequenz der Basenpaare in der DNS und sogenannten Erbkrankheiten aufgedeckt. Diese Zusammenhänge sind in speziellen Datenbanken aufbereitet und verfügbar. Die erkannten Zusammenhänge zwischen Defekt im Erbgut und der dadurch (mit-) verursachten Erbkrankheit kann zur Diagnose herangezogen werden, lange bevor eine Erbkrankheit sich manifestiert. In der Diagnose können Aussagen in Bezug auf eine zu erwartende Krankheit in der Regel nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit gemacht werden. Der Grund dafür liegt darin, dass für Erbkrankheiten mehrere Faktoren zusammentreffen müssen, damit diese auch ausbricht, d.h. die genetische Disposition ist nur eine von mehreren Voraussetzungen für die Erbkrankheit. Man bezeichnet diese genetisch (mit-) bedingten Krankheiten als multifaktoriell.

Bis heute kann keine Erbkrankheit durch Gentherapie verhindert oder geheilt werden

Problematisch wird diese diagnostische Kompetenz angesichts der Tatsache, dass bis heute keine Erbkrankheit durch Gentherapie, d.h. durch direkten, korrigierenden Eingriff in das Erbgut des Menschen, verhindert oder geheilt werden kann. Trotzdem können solche Diagnose-Verfahren hilfreich sein. So sind z.B. genetische Auffälligkeiten bekannt, die bei Frauen in einen Zusammenhang mit Brustkrebs stehen. Auch hier gilt, dass nur Aussagen mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit möglich sind. Dennoch steigert eine frühzeitige Diagnose bei diesem wie bei vielen anderen Tumortypen die Erfolgsaussichten von klassischen Therapieverfahren[12] Gendiagnostik als Baustein der pränatalen (vorgeburtlichen) Diagnostik liefert Erkenntnisse über möglicherweise zu erwartende Erbkrankheiten (auch über solche die erst im fortgeschrittenen Alter auftreten), ohne dass bis heute irgendwelche Therapieverfahren angewendet werden könnten. Ein extremes Beispiel stellt der erbliche Veitstanz[13] dar, der im Prinzip mit 100% Sicherheit diagnostiziert werden kann und insofern schon eine Ausnahme ist. Zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr manifestiert sich diese Krankheit und führt über einen längeren Zeitraum mit zunehmender Demenz zum Tod. In Großbritannien wurden im Herbst 2000 die gesetzlichen Weichenstellungen dafür diskutiert, dass diese Diagnose von Versicherungen gefordert werden darf.

In Großbritannien wurden im Herbst 2000 die gesetzlichen Weichenstellungen dafür diskutiert, dass diese Diagnose von Versicherungen gefordert werden darf

Ethische Herausforderungen:

Ein weiterer Bereich der Diagnose ist von einem amerikanischen Arzt in Zusammenarbeit mit zwei Kollegen erschlossen worden. Sie haben Verfahren entwickelt, um menschliche Embryonen nach einer künstlichen Befruchtung[14] vor deren Einpflanzung in die Gebärmutter einer Frau zu diagnostizieren[15] Nun sind Eltern eines Kindes mit einer erblichen Immunschwäche an ihn herangetreten mit dem Wunsch, ein weiteres Kind zu bekommen, wenn möglich genetisch so disponiert, dass es für die kranke Schwester als Knochenmarkspender dienen kann und somit ihre Aussicht auf ein längeres Leben zu vergrößern. Der Arzt wurde kürzlich in einem Interview gefragt:

„Immerhin zeigt dieser Fall, wie schnell neue Technologien neue ethische Konflikte erzeugen. Hatten Sie nicht doch ein ungutes Gefühl bei der Sache?“

Die Antwort lautete:

„Ach, ich war ratlos. Ich habe mich mit sachverständigen Leuten rund um die Welt besprochen. Wir hatten lange Debatten, es gab Symposien, wir haben unsere Bedenken in Bioethikzeitschriften publiziert. Aber was richtig und falsch ist, wussten wir nicht. Und ehrlich gesagt: Ich weiß es noch immer nicht. Aber ich bin Arzt und hatte mich um diese Familie zu kümmern, und ich kam zu dem Schluss, dass es in diesem Fall richtig war, ihr zu helfen. Wenn es eine Möglichkeit gibt, diesem Kind die wunderbare Kraft zu verleihen, das erste Kind zu retten, was ist daran schlecht?“

Bevor wir anhand dieses konkreten Beispiels einige Aspekte der ethischen Herausforderungen und Problemstellungen betrachten, sei noch erwähnt, dass es seit kurzer Zeit einen Jungen gibt, der die genetischen Wünsche der Eltern erfüllt und als Knochenmarkspender für seine große Schwester aufgrund seiner genetischen Disposition geeignet ist. Es wurden 15 menschliche Embryonen erzeugt[16] und nach entsprechender Diagnose der geeignete in die Gebärmutter der Frau transferiert.

Ich möchte an dem genannten Beispiel 4 Aspekte beleuchten:

1. An diesem Arzt sehen wir – und darin ist dieses Beispiel nach meinen Erfahrungen durchaus repräsentativ – dass Wissenschaftler, die mit modernen molekularbiologischen Methoden arbeiten, ethisch sehr wohl sensibel sind und nicht unter allen Umständen alles Machbare auch verwirklichen. Wissenschaftler nehmen sehr wohl und oft zuerst wahr, dass mit den Möglichkeiten der Gentechnik auch viele Fragen aufgeworfen sind, deren Beantwortung ihre Fachkompetenz übersteigt und die nicht leicht fällt.

2. Bei allem Problembewusstsein fallen die ausbleibenden Antworten und die bleibende Unsicherheit auf. An vielen Forschungseinrichtungen sind Ethikkommissionen installiert. Darin bemühen sich Fachleute verschiedenster Fachbereiche, wie Biologie, Medizin, Jura, Philosophie, Theologie usw. um Antworten auf konkrete Fragen; in Instituten für Technikfolgenabschätzung bemüht man sich ebenfalls. Allein die Antwort des Arztes zeigt, wie groß die Unsicherheit oftmals bleibt.

Bei dem erwähnten Human Genome Project wurde zu Anfang beschlossen, dass 3% der für das Projekt verwendeten Finanzmittel für ethische Begleitforschung verwendet werden soll. Ein typischer Schlusssatz in den daraus hervorgegangenen Publikationen ist die Forderung, die Fragen noch auf viel breiterer Basis, von der ganzen Gesellschaft diskutieren und entscheiden zu lassen.

Die Absicht helfen zu wollen allein kann nicht ausreichende Begründung für den Einsatz riskanter Methoden sein

3. Ein typisches Element vor allem in medizinischen Fragestellungen stellt immer wieder die Bemerkung dar, dass mit der gewählten Methode Menschen geholfen werden soll. Die Absicht helfen zu wollen allein kann aber nicht ausreichende Begründung für den Einsatz riskanter Methoden sein.

4. Zudem kommt oft die Reflexion darüber zu kurz oder unterbleibt ganz, worin denn konkret die Hilfe bestehen soll, wie weit sie überhaupt reichen kann und welchen Preis man für die erhoffte Hilfe zu zahlen bereit ist. Was konkret kann es denn heißen, wenn der erwähnte Arzt sagt: „… um diese Familie zu kümmern … zu helfen … die wunderbare Kraft zu verleihen … zu retten.“? Da ist sicher vieles gut gemeint, aber ist das Gesagte überhaupt einlösbar?

Angesichts der deutlich wahrgenommenen ethischen Herausforderung fällt die bisher weitgehende Wirkungs- und Hilflosigkeit der (bio-) ethischen Ansätze auf. Man kann sich des Eindruck nicht erwehren, als sei es uns bisher nicht gelungen eine Ethik zu konzipieren. In vielen Diskussionen wird deutlich, dass das zugrundegelegte Bild vom Menschen angesichts der faszinierenden molekularen Zusammenhänge zunehmend und umfänglich (auf molekularem Niveau) materialistisch ist.

Zwei Beispiele mögen das unterstreichen: Im Mai 2000 wurde im Deutschen Museum eine Dauerausstellung Pharmazie eröffnet unter dem Titel: „You are Chemistry“, auf der EXPO 2000 hat sich die Chemie in einem Pavillon unter dem Motto: “ Leben ist Chemie“ präsentiert.

Einige ethische Anmerkungen angesichts biblischer Beobachtungen:

Zuerst ist festzustellen, dass es in der Wahrnehmung von Lebewesen einschließlich des Menschen zwischen den (Natur-)Wissenschaften und der Bibel einen grundlegenden Unterschied gibt.

In den Naturwissenschaften werden Lebewesen einfach als Gegebenheiten wahrgenommen und ihr geschichtliches Gewordensein in evolutionären Rekonstruktionsversuchen erklärt. Dabei werden Mechanismen postuliert, die sich im Wesentlichen auf bekannte und beobachtbare Vorgänge gründen. Diese Konzepte wirken sich auch auf die Wertschätzung von Lebewesen aus: Für etwas, das aufgrund materieller Wechselwirkung ins Dasein gekommen ist und sich in der Zeit entwickelt hat, kann kein allgemein verbindlicher Wert abgeleitet und begründet werden.

In der Bibel erhebt Gott selbst den Anspruch, Schöpfer Himmels und der Erde zu sein. Die Ausgestaltung der Erde, jedes Lebewesen, entstammt seiner Willensäußerung und seiner Aktivität. Das gilt in ganz besonderer Weise auch für den Menschen[17] der von Anfang an der Grundgedanke der Schöpfung war, d.h. alles zuvor Geschaffene zielt auf den Menschen, dient ihm. Die Erkenntnis, dass wir, alle Lebewesen und unser Lebensraum, Gottes Schöpfung sind, ist von grundlegender Bedeutung, wenn wir ethische Fragen beantworten wollen. Denn daraus ergeben sich auch die zugrundeliegenden Wertmaßstäbe.

An dieser Stelle möchte ich kurz folgende Bemerkung kommentieren: „Von der Gentechnik muss man die Finger weglassen, weil wir damit Gott ins Handwerk pfuschen!“

Bei dieser Äußerung wird außer Acht gelassen, dass wir Menschen seit der Entscheidung in 1. Mose 3 mit allem was wir tun „Gott ins Handwerk pfuschen“. Seit dieser Zeit hinterlassen wir, was auch immer wir tun – selbst bei besten Absichten – eine Spur der Zerstörung in einer Welt, die aufgrund der Unabhängigkeitserklärung des Menschen von Gott nicht mehr dem von Gott geschaffenen Original entspricht, sondern nur noch ein verzerrtes Abbild derselben ist.

Gott bezeichnet sich ausdrücklich auch als Schöpfer des Stummen, Tauben und Blinden

Gott bezeichnet sich beim Einstellungsgespräch mit Mose am brennenden Dornbusch ausdrücklich auch als Schöpfer des Stummen, Tauben und Blinden (2. Mose 4,11). Das heißt, Gott ist auch der Schöpfer derer, die wir als „in ihrer Lebensqualität eingeschränkt“ bezeichnen. Aus dieser Sicht steht es keinesfalls in unserer Kompetenz, darüber zu befinden, denn wir sind nicht in der Lage zu sagen, was für sie denn besser wäre.

Wir sind nicht einmal in der Lage exakt und positiv zu beschreiben, was denn Gesundheit eigentlich ist.18 Nach biblischen Aussagen ist Gesundheit auch gar nicht auf biologische Gegebenheiten reduzierbar, sowenig wie Krankheit und Tod. Die Bibel sieht über den biologischen Verhältnissen immer auch noch geistliche Dimensionen; solche werden in den aktuellen Ethikdiskussionen nicht einmal ansatzweise thematisiert.

Die Einsicht, dass Gott der Schöpfer und wir seine Geschöpfe sind, bedeutet nach meiner Sicht der Dinge nicht, dass wir gentechnische Methoden nicht einsetzen dürften. Wir müssen aber diese wie auch alle anderen Handlungen vor Gott verantworten.

Ich will das an einem Bild verdeutlichen: Ein Ingenieur erhält den Auftrag, auf einem neuen Gebiet Entwicklungsarbeit zu leisten. Bevor er seinen Mitarbeitern das Startsignal gibt, erwarten wir von einem guten Ingenieur, dass er recherchiert, was auf dem besagten Gebiet bereits durch Arbeiten anderer bekannt ist und welche Bereiche patentrechtlich abgedeckt sind. Liegen bereits Patente im geplanten Themenbereich vor, so kann der Ingenieur entweder die geplanten Arbeiten einstellen und sich einen neuen Bereich suchen oder er muss mit dem Patentinhaber in Kontakt treten und nachfragen, ob er gegen Bezahlung von Lizenzgebühren das patentrechtlich geschützte Know-how nützen darf.

Gott hat als Schöpfer alle Rechte in seinem Besitz, d.h. Aktivitäten sind nur nach vorheriger Rücksprache mit ihm zulässig

Gentechnische Anwendungen scheinen mir mit diesem Bild darin vergleichbar, dass hier in Bereichen operiert wird, in welchen ähnliche Abklärungen erforderlich sind. Nur verhalten wir uns wie ein dummer Ingenieur und unterlassen die Recherchen. Typischerweise geht man heute – vorschnell – davon aus, dass die Lebewesen einfach da sind und keine Patente vorliegen. Aus biblischer Sicht stellt sich der Sachverhalt aber insofern anders dar, als dass Gott als Schöpfer alle Rechte in seinem Besitz hat, d.h. Aktivitäten sind nur nach vorheriger Rücksprache mit ihm zulässig.

Für mich persönlich stellt die Gentechnik einen Bereich dar, der mich ins Staunen versetzt darüber, wie genial Gott gedacht, geplant und umgesetzt hat. Ich finde hier in großer Fülle Stoff, um Gott zu loben und ihn zu preisen. Ich habe bei dem Thema Gentechnik die Gelassenheit zur differenzierten Betrachtung – nicht aus einer Einstellung, die darauf hofft, dass alle Anwendungen schon irgendwie gut ausgehen werden und wir die entstehenden Probleme irgendwie lösen können. Meine Hoffnung gründet darauf, dass der Schöpfer Himmels und der Erde seine Schöpfung bis auf diesen Tag in seiner Hand hält und dass er zugesagt hat, einen neuen Himmel und eine neue Erde zu schaffen, wo es dann kein Leid und keine Tränen mehr geben wird. Darauf freue ich mich und weiß, dass dieser Zustand nicht durch menschliche Technik erreicht werden wird, sondern durch das erneute schöpferische Eingreifen unseres Gottes.

Bis er das tut, haben wir als seine Nachfolger in allen Diskussionen unserer Tage als seine Zeugen nicht das Feld zu räumen, sondern in aller Nüchternheit zu bezeugen, dass wir von einer Ethik wissen, die wir vom Schöpfer selbst haben. Damit wissen wir noch lange nicht die Antworten auf alle Fragen, aber wir kennen den, vor dem wir unser Tun und Lassen verantworten müssen und der uns die Eckpfeiler der Ethik in seinem Wort gegeben hat.


Fußnoten

[1] Human Genome Project, HGP.
[2] Darunter mehrere Vertreter aus den Archaea, Nematoden: Caenorabditis elegans, Saccharomyces cerevisiae, Drosophila melanogaster, Arabidopsis.
[3] Desoxyribonukleinsäure; angelsächs: desoxyribonucleic acid: DANN. Die Mitochondrien der Eizellen enthalten ebenfalls DNS, sogenannte mitochondriale DNS; diese werden damit von der Mutter an die Nachkommen weitergegeben.
[4] Die Daten sind in elektronischen Datenbanken abgespeichert. Diese sind, soweit sie vom mit öffentlichen Mitteln finanzierten Menschlichen Genom Projekt erstellt worden sind, frei zugänglich.
[5] Die Schätzungen verschiedener Autoren über die Zahl der in menschlichen Zellen aktiven Eiweiße gehen zur Zeit noch weit auseinander.
[6] Dabei bilden einige Mikroorganismen insofern eine Ausnahme, als sie Ihr Erbgut als RNS vorliegen haben (RNS ist eine chemisch veränderte Form der DNS; im Rückgrat (Leiterholm) ist Desoxyribose durch Ribose ersetzt).
[7] Agrobakterium tumefaciens.
[8] Umfragen belegen eine Akzeptanz im Bereich von ca. 60 – 80 %.
[9] Darunter verschiedene Insulinvarianten, Hypophysenhormone, Blutgerinnungsfaktoren und Zytokine.
[10] Dass heute noch Produkte mit Antibiotikaresistenzen Anwendung finden, liegt auch in den Vorschriften zur Genehmigung begründet, die sehr lange und umfangreiche Untersuchungsverfahren erfordern. Eine verbesserte Technologie kann auch deshalb in der Regel erst mit erheblichen Verzögerungen eingeführt werden.
[11] Bei der Aufbereitung von Nahrungsmitteln (mechanisch, vor allem aber durch Erhitzen) werden die DNS-Stränge bereits in umfangreichem Maße fragmentiert.
[12] Chirurgische Eingriffe, Chemo- und Strahlentherapie.
[13] Chorea Huntington
[14] In-vitro-Fertilisation
[15] Präimplantationsdiagnostik; PID
[16] In-vitro-Fertilisation
[17] Auch für die Menschen nach Adam und Eva – s. Jer 1,4f.
[18] Die offizielle Definition der WHO ist wohlweislich sehr allgemein gefasst.