ThemenIslam und Christentum

Lust auf Tod: der Unterschied zwischen islamischen und christlichen Märtyrern

Offenbar sind mehr Geld, mehr Bildung, mehr Selbstbestimmung, mehr Chancen kein funktionierendes Rezept gegen die islamische Lust auf den Tod. Im Vergleich des islamischen mit dem christlichen Verständnis des Märtyrertodes zeigt sich, warum das so ist.

Mehr Geld, mehr Bildung, mehr Selbstbestimmung, mehr Chancen, mehr Hoffnung. Das ist nach Ansicht der westlichen Welt das Rezept gegen die islamische Lust auf den Tod, die seit 1994 jede Friedenshoffnung im Nahen Osten im Keim erstickt hat und spätestens seit dem 11. September 2001 mit der Kriegserklärung islamischer Fundamentalisten an den „dekadenten Westen“ assoziiert wird. Überall wo heute militante Muslime säkularen Einfluss mit Gewalt einzudämmen suchen, gehören „Märtyreroperationen“ – wie die Selbstmordattentate von Muslimen in der Regel genannt werden – zu den effektivsten Kampfmethoden des weltweiten islamischen Dschihad und auch die Konflikte in Afghanistan und Tschetschenien, in Kaschmir, Irak und Iran haben Tausende in den „Märtyrertod“ getrieben.

Am 28. Januar 2006 gewann die radikal-islamische Hamas-Bewegung in der Palästinensischen Autonomie bei einer traumhaften Wahlbeteiligung von 77,69 Prozent 76 von 132 Sitzen im Palästinensischen Legislativrat PLC. Über das Ergebnis der ersten wirklich freien Wahlen des Nahen Ostens außerhalb Israels waren selbst die Wahlsieger überrascht. Die Hamas befürwortet nicht nur ausdrücklich „Märtyreroperationen“ im Kampf gegen den verhassten jüdischen Staat, dessen Existenzrecht sie sich standhaft weigert anzuerkennen, sondern hat auch selbst Hunderte von Selbstmordattentätern mit blutigem Erfolg nach Israel entsandt.

Dass die „Gotteskrieger“ und vor allem die „Märtyrer“ großes Ansehen im Volk genießen, weiß nicht nur, wer die Freilassung und Rückkehr palästinensischer Gefangener miterlebt hat. Der ehemalige palästinensische Minister Kaddura Fares, der zur jüngeren Führungsriege der säkular orientierten Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO gehört, meinte im Wahlkampf: „Das Volk liebt eben seine Märtyrer.“ Die unüberhörbare Resignation des Fatah-Politikers war dabei offensichtlich nicht so sehr in der Reue über die Korruption in den eigenen Reihen begründet, als vielmehr in der Einsicht, dass die Verhandlungsbereitschaft der eigenen Partei weit weniger Früchte für „die palästinensische Sache“ vorzuweisen hatte, als die knallharte „Märtyrerideologie“ der Hamas.

Die Europäer gelobten nach der palästinensischen Parlamentswahl zwar hoch und heilig, die Hamas sei kein Gesprächspartner, solange sie nicht dem Terror absage und Israel sowie die bestehende Vertragsbasis anerkenne. Gleichzeitig werden aber im Laufe des Jahres 2006 weitere 350 Millionen Euro in die Palästinensische Autonomie gepumpt, davon 20 Millionen aus der Bundesrepublik Deutschland. Seit langem sind die Palästinenser die Volksgruppe auf Erden, die pro Kopf so viel Finanzhilfe aus dem Ausland erhalten hat, wie kein anderes Volk jemals in der Geschichte – und innerhalb der arabischen Welt haben sie mit Abstand den höchsten Bildungsstandard.

„Ihr Christen habt verloren, weil ihr das Leben in dieser Welt zu sehr liebt.“

Dass sich eine Mäßigung der Palästinenser weder durch einen israelischen Rückzug noch durch eine pekuniäre Sintflut erzwingen lässt, zeigen nicht nur der blühende Waffenhandel im angeblich von einer Hungerkatastrophe bedrohten Gazastreifen, sondern auch die Aussagen von Vertretern des radikalen Islam. Jussef wohnt in Ostjerusalem und ist nur auf Umwegen zu treffen, weil die Hamas in Israel verboten ist. Nachdem er mich selbstsicher grinsend darauf aufmerksam gemacht hat, dass ich jetzt beim israelischen Geheimdienst aktenkundig sei, weil er unter ständiger Beobachtung stehe, erklärt der 23-Jährige mit dem schütteren Bart siegesgewiss: „Ihr müsst verstehen lernen, dass wir uns nicht in die Luft sprengen, weil wir keine Hoffnung haben. Unsere jungen Leute gehen in den Tod, gerade weil sie Hoffnung haben, weil sie wissen, dass nach dem Tod das Eigentliche kommt.“

Jussef widerspricht damit den stereotypen Aussagen derer, die nach jedem erfolgreichen Selbstmordattentat vor laufender Fernsehkamera auf die grausame israelische Besatzung und die furchtbaren humanitären Verhältnisse in der Palästinensischen Autonomie verweisen. Er erklärt das schulterzuckende Schweigen der arabischen Gesprächspartner, wenn man sie darauf verweist, dass sich die Selbstmordstrategie doch als eher kontraproduktiv im Blick auf den Lebensstandard, die Bewegungsfreiheit und den Traum von einem eigenen Staat erwiesen hat. Dass „die Mauer“ eine effektive Reaktion der Israelis auf die „Märtyreroperationen“ mit fatalen humanitären Folgen für die Palästinenser ist, geben immer mehr Betroffene zu. Und Jussef bestätigt was der Hamas-Symphatisant Nasser in der Jerusalemer Altstadt triumphierend verkündete: „Ihr Christen habt verloren, weil ihr das Leben in dieser Welt zu sehr liebt.“

Scheich Najef Radschub, Religionsminister in der Hamas-Regierung, macht kein Hehl daraus, dass der Kampf des palästinensischen Volkes keine nationale Frage ist, sondern ein weltweites islamisches Anliegen, bei dem es letztendlich um die Herrschaft der aus seiner Sicht einzig wahren Religion geht. Er bemüht sich auch nicht, die Todessucht seines Volkes als spontanen Ausbruch einer verzweifelten, weil unterdrückten Menschenmasse darzustellen. Die Hamas ist eine straff und diszipliniert geführte Organisation und „wir können die Märtyreroperationen anordnen oder einstellen, je nachdem es unserer Sache dient.“ – Wenn es aber nicht Verzweiflung über Krieg und Besatzung ist, was treibt dann junge Muslime zu Hunderten dazu, gezielt und militärisch oftmals wenig effektiv in den Tod zu gehen?

Ich bin auf dem Weg zu einem christlichen Palästinenser, der jahrelang die Schriften und Denkweise des Islam studiert hat und in einem kleinen muslimischen Dorf in der Westbank lebt. Aus dem Fenster seines spartanisch eingerichteten Büros, an dessen Wänden lange Reihen von islamischen Büchern stehen, sehen wir den „Anti-Terror-Zaun“ Israels und auf der anderen Seite das Land, das seine Sippe aufgrund der israelischen Annexions- und Siedlungspolitik verloren hat. Wie alle Palästinenser leidet er unter den entwürdigenden Kontrollen durch die israelischen Soldaten und dem Gefühl des Eingesperrtseins, weil er und seine Familie nicht in das nur wenige Kilometer entfernte Jerusalem fahren dürfen. Doch diese bedrückende Atmosphäre spielt keine Rolle, als er auf meine Fragen nach den Selbstmordmassenmördern antwortet: „Du musst ihre Motivation verstehen. Du musst den Islam, wie er wirklich ist, kennen lernen.“

Das arabische Wort „Schahid“ bedeutet übersetzt „Märtyrer“ und entspricht tatsächlich der ganzen Bedeutungsbreite unseres deutschen Wortes „Zeuge“, das vom griechischen „martys“ abgeleitet ist. Ursprünglich ist im Neuen Testament der „martys“ Augen- oder Ohrenzeuge eines Geschehens, worüber er dann anderen berichtet.1 Im Zusammenhang eines Gerichtsverfahrens hat die Aussage eines Zeugen einen rechtlich bindenden Charakter.2

So bezeugen die Jünger Jesu, was sie gesehen und gehört haben, nämlich das Leben Jesu (Apostelgeschichte 10,39), sein Leiden,3 seine Kreuzigung, seinen Tod (Johannes 19,35), seine Auferstehung4 und Himmelfahrt (Apostelgeschichte 5,32). Die damit verbundene „Predigt der Buße im Namen Jesu zur Vergebung der Sünden“ (Lukas 24,47-48), und „dass er von Gott bestimmt ist zum Richter der Lebenden und der Toten“ (Apostelgeschichte 10,42), wird im Neuen Testament als „martyrion tou Christou“, „Zeugnis von Christus“ bezeichnet.5 „Genauso“, meint mein Gegenüber, der nicht nur Islamexperte sondern auch Bibellehrer ist, „habe ich in der vergangenen Woche meine Auslegung der Johannes-Offenbarung mit der Erklärung der ‚Schihadat Jesua al-Masih’, des ‚Zeugnisses von Jesus Christus’, begonnen.“

Wer sein Leben im Kampf für die Sache Allahs verliert, ist ein „Schahid”, ein „Märtyrer“.

Blutzeugen. Schon früh war das Zeugnis von Jesus Christus für die Zeugen mit Leiden verbunden6 und das Neue Testament berichtet von den Blutzeugen Stephanus (Apostelgeschichte 22,20) und Antipas (Offenbarung 2,13), die ihre Glaubenstreue mit dem Leben bezahlten. Das deutsche Wort „Märtyrer“ bezeichnet heute denjenigen, der um seines Glaubens willen leidet oder gar ermordet wird.

Wenn ein Muslim sich zum Christentum wendet, spricht er damit oft sein eigenes Todesurteil.

Im Islam wird allerdings nur derjenige als „Schahid“ bezeichnet, der sein Leben lässt, also tatsächlich gewaltsam zu Tode kommt – und so auch für andere zum „Vorbild“ wird, was im Arabischen ebenfalls „Schahid“ bedeutet. Wer nur kämpft, dabei aber nicht ums Leben kommt, wird im Arabischen „Mudschahid“ genannt. Und die schwarzbärtigen Scheichs, die nicht an Gewalt glauben, sondern beispielsweise in palästinensischen Dörfern von Haus zu Haus ziehen, den Koran predigen und dazu aufrufen, sich freiwillig zum Islam zu bekehren, beziehungsweise zu einem religiösen Leben zurückzukehren, heißen „Ridschal al-Dawe“, „Männer der Einladung“. „Diese Leute sind ganz anders als die ‚Mudschahedin’“, erklärt der Koran- und Bibelkenner und deutet damit an, dass nicht alle Muslime, die sich für die Ausbreitung ihres Glaubens einsetzen, gewaltbereit sind. Unter seinem eigentlichen Namen will er nicht bekannt werden, weshalb wir ihn hier der Einfachheit halber „Khalil“ nennen.

Die frühe islamische Tradition berichtet von Amar Ibn Jasser, dem Sklaven eines reichen Mannes aus dem Stamme der Kureisch in Mekka, der zu einem Nachfolger Mohammeds geworden war. Sein Herr bemühte sich, ihn von dem neuen Glauben abzubringen. Da er sich trotz grausamster Folter nicht dazu zwingen ließ, zum Götzendienst zurückzukehren, wurde Amar Ibn Jasser gemeinsam mit seiner Mutter zu einem der ersten Blutzeugen für den neuen Ein-Gott-Glauben, den Mohammed predigte.

„Doch dass der ‚Schahid’ ein ‚Märtyrer’ im christlichen Sinne ist, gilt nur für die Frühphase des Islam, als Mohammed noch machtlos war, in Mekka wohnte, verfolgt wurde und nur wenige Anhänger hatte“, ist Khalil wichtig. Das änderte sich alles mit Mohammeds Flucht von Mekka nach Medina im Jahre 622 nach Christus, der „Hidschra“. Mit ihr beginnt die islamische Zeitrechnung und Mohammeds Aufstieg zur politischen Macht.

„Heute wird niemand mehr nur deshalb mit dem Tode bedroht, weil er sich als Nachfolger des Propheten Mohammed bekennt – während Christen vor allem in der islamischen Welt nicht selten mit dem Tode bedroht werden. Wenn ein Muslim sich zum Christentum wendet, spricht er damit oft sein eigenes Todesurteil.“

Khalil weiß, wovon er redet. Er hat seine ganze Existenz der Aufgabe gewidmet, Muslime für den Glauben an Jesus zu gewinnen. Der Koran betont zwar: „Es sei kein Zwang in Sachen des Glaubens“ (Sure 2,256). Das gilt aber nicht für Muslime, die dem Islam den Rücken kehren, um von ihrem Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit Gebrauch zu machen. Und schon gar nicht für Missionare, denn jemandem vom Islam abzuwerben ist das größte nur denkbare Verbrechen: „Verführung ist schlimmer als Totschlag“ steht im Koran.7

Islamische Gelehrte betonen, dass die „Schuhada“, das „Martyrium“, nicht ohne das Konzept des „Dschihad“ zu verstehen ist. Das arabische Wort „Dschihad“ wird gemeinhin mit „Heiliger Krieg“ übersetzt. Dabei geht es um den Kampf für die Wahrheit aus muslimischer Sicht, der jedes Opfer an Zeit und Geld für die Sache Allahs, jede Anstrengung, aber auch den bewaffneten Kampf einschließt. Mohammed hatte anfangs seine Mitmenschen friedlich zur Bekehrung aufgerufen, sich dann aber, als er mächtig genug war, nicht gescheut, „die Ungläubigen“ mit dem Schwert zu bekehren.

Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln sollen sich Muslime dafür einsetzen, dass eines Tages der Islam die einzig herrschende Macht auf Erden ist. „Und so soll kämpfen in Allahs Weg, wer das irdische Leben verkauft für das Jenseits. Und wer da kämpft in Allahs Weg, falle er oder siege er, wahrlich, dem geben Wir gewaltigen Lohn“ (Sure 4,74). Der Islam ist somit immer der Gewinner, ganz unabhängig davon, ob der Muslim oder sein Feind ums Leben kommt. Wenn der Muslim getötet wird, kommt er als „Schahid“ ins Paradies. Kommt sein Gegner ums Leben, ist damit ein Feind Allahs aus dem Weg geräumt. Aus muslimischer Sicht ist es somit unmöglich, den Islam zu besiegen.

„Qatilu“ ist in der deutschen Übersetzung von Max Henning8 mit „kämpfen“ wiedergegeben. Khalil betont aber, dass es eigentlich „töten“ bedeutet. Diese Aussagen bildhaft als „geistlichen Kampf“ auszulegen, ist laut dem Araber Khalil unmöglich: „Es geht um einen tatsächlichen und physischen Krieg.“ Und töten soll der Muslim um Allahs willen, auch wenn es ihm zuwider ist:

„Vorgeschrieben ist euch der Kampf, doch ist er euch ein Abscheu. Aber vielleicht verabscheut ihr ein Ding, das gut für euch ist, und vielleicht liebt ihr ein Ding, das schlecht für euch ist; und Allah weiß, ihr aber wisset nicht“ (Sure 2,216).

„Vergebt nicht! Liebt die Feinde nicht! Hasst und tötet! Sonst werdet ihr keinen Sieg haben!“

„Wenn du dich selbst mit einer überragenden Tat umgürtest und nach dem Tode sehnst, wird dir das Leben gegeben werden“, lehrte einst der Ägypter Hassan al-Banna, der selbst am 12. Februar 1949 erschossen wurde und als „Schahid“ gefeiert wird. Als Gründer der Muslimbruderschaft, auf die viele der modernen radikal-islamischen Bewegungen – nicht zuletzt die Hamas und der Palästinensische Islamische Dschihad, aber auch die al-Qaida – zurückgehen, ließ er seine Nachfolger wissen, dass der geistlich reife Muslim nicht nur beten, fasten und Almosen geben solle, sondern auch seine „inneren Barrieren“ überwinden muss, um im Namen Allahs zu kämpfen und zu töten: „Vergebt nicht! Liebt die Feinde nicht! Hasst und tötet! Sonst werdet ihr keinen Sieg haben!“ Und der Koran ist eindeutig, wer diese Feinde sind:

„Wahrlich, du wirst finden, dass unter allen Menschen die Juden und die, welche Allah Götter zur Seite stellen,9 den Gläubigen am meisten feind sind“ (Sure 5,82).

Jesus hat seine Nachfolger niemals dazu aufgefordert hat, den Tod zu suchen. „Ganz im Gegenteil: Er ist an unserer Stelle gestorben“, setzt Khalil der islamischen Denkweise entgegen.

Auch kann sich ein Christ durch das Martyrium keine besonderen Verdienste erwerben. Er ist gerettet allein aus Gnaden durch den Glauben. Obwohl der Koran den Selbstmord verurteilt, ermutigt der Islam seine Anhänger, das Martyrium zu suchen, denn nur „diejenigen, die auf dem Wege Allahs getötet wurden, sind nicht tot, sondern leben im Paradies“.10 Deshalb werden in den Biografien des Propheten Mohammed auch diejenigen Märtyrer am meisten verherrlicht, die mit dem Leben bezahlten, weil sie sich mutig und selbstlos in die Schlacht stürzten. „Im Islam ist die einzige Möglichkeit zu einer Heilsgewissheit zu gelangen, im Kampf gegen die Ungläubigen getötet zu werden“, referiert Khalil.

„Wer eines natürlichen Todes stirbt, kann sich als Muslim seines Heils nicht gewiss sein. Nicht einmal Mohammed war sich darüber im Klaren, ob er ins Paradies kommen würde.“

Junge Muslime, die ganz sicher sein wollen, direkt ins Paradies zu kommen, müssen deshalb ihr Leben als „Märtyrer“ opfern.

Junge Muslime, die ganz sicher sein wollen, direkt ins Paradies zu kommen, müssen ihr Leben als „Märtyrer“ opfern.

Im Koran wird das Paradies als „Gärten von Eden“ (Sure 19,61) beschrieben, in denen die Erlösten im Schatten auf gepolsterten Ruhebetten liegen und Granatäpfel, Trauben, Datteln und Fleisch genießen. Von „ewig jungen Knaben“ werden sie aus „Strömen von Wasser, Milch, Wein und Honig“ mit Getränken bedient (Sure 47,15). Der eigentliche Grund für den „Glanz der Wonne“, der auf den Gesichtern der Gläubigen im Paradies liegt (Sure 83,24), ist aber weder der Überfluss an Essen und Trinken noch die wertvollen Gewänder und der Schmuck, den sie tragen, sondern die „großäugigen Huris“, die ihnen Allah „als Gattinnen“ beschert.11

Khalil ist stolz darauf, nicht nur den Koran, sondern auch dessen Auslegungen und die islamische Tradition durchforstet zu haben, und so eine weitreichende Zusammenstellung der islamischen Vorstellungen vom Paradies vorlegen zu können.12 „Aber die Aussagen über das Paradies sind sexuell so explizit, dass ich davor warnen muss. Diese Ausführungen sind nicht für Jugendliche geeignet“, fügt er verschämt hinzu. Die „Huris“ werden als atemberaubend schöne, ewig 33-jährige Jungfrauen beschrieben, die dem Schönheitsideal des Wüstenbewohners entsprechen: helle Haut, dunkle Augen und schwarzes Haar. Obwohl sie mit 70 Gewändern bekleidet sind, ist doch nichts verhüllt. Sie sind durchscheinend bis ins Knochenmark. Mohammed scheint verstanden zu haben, was seit Urzeiten gilt: „Sex sells“ – und hat deshalb auch seinen Nachfolgern versprochen, dass sie im Paradies mit „ewiger Erektion“ gesegnet würden.

Auf meine Rückfrage, ob dies nicht doch sehr einseitig übertrieben sei, beteuert Khalil: „Ich habe nur Zitate der Hadithen gesammelt“ – von islamischen Gelehrten autorisierte Sammlungen von Taten und Aussprüchen aus dem Leben Mohammeds. „Keiner von ihnen wird das abstreiten. Es ist alles Schwarz auf Weiß festgehalten.“ „Übrigens“, konstatiert er, „gibt es im Englischen mehr als 70 Koranübersetzungen. Vier davon habe ich hier liegen“, weist er auf seinen Schreibtisch. „Aber ich kenne keine einzige Übersetzung des Koran, die dem Urtext wirklich treu ist.“ Khalil träumt davon, eine wirklich urtextgetreue Übersetzung des heiligen Buches des Islam herausbringen zu können und macht westlichen Islamwissenschaftlern den Vorwurf, dass sie liberal und tolerant sein wollten: „Deshalb scheuen sie sich das Böse und Perverse im Islam offen zu legen.“

Aber gibt es dann in der islamischen Tradition keine Entsprechung für die christliche Vorstellung einer ewigen und ungebrochenen Gemeinschaft mit dem Schöpfer?13 – Khalil bestätigt, dass unter christlichem Einfluss diskutiert wird, ob Muslime Allah im Paradies sehen werden.

„Aber darüber herrscht bislang keine Einigkeit. Den ursprünglichen Quellen zufolge ist jeder so sehr mit seinen ‚Huris’ beschäftigt, dass er keine Zeit für Allah hat.“

Und was haben Frauen im Paradies des Islam zu erwarten? – „Sie können eine der ‚Huris’ werden, oder eine Aufseherin der ‚Huris’“, erklärt Khalil und fügt hinzu: „Im Koran steht nichts davon, dass man im Paradies den Herrn preisen oder ungebrochene Gemeinschaft mit ihm haben wird. Geh und lies, was Muslime über das Paradies schreiben. Sie leugnen das auch nicht“, mit Verweis auf die Scheichs, bei denen er studiert hat.

„Vielmehr erzählen sie von einer riesigen Perle, in der viele Betten stehen. Und in jedem Bett wartet eine ‚Haura’ auf dich, die nach jedem Orgasmus wieder zur Jungfrau wird.“

Den Einwand, diese Beschreibungen und die ihnen zugrunde liegenden Aussagen Mohammeds könnten doch auch bildhaft gemeint sein, wischt Khalil vom Tisch: „Einfache Muslime verstehen das wörtlich.“ Die Ansicht mancher Theologen, der Prophet Mohammed habe dadurch seine Nachfolger nur zum Streben nach dem Jenseits anreizen wollen, ist für ihn nicht haltbar – und wohl auch wenig relevant für diejenigen, die sich aufgrund dieser Wahnsinnsutopien in die Luft sprengen.


  1. Johannes 1,32.34; 3,11.32; 19,35; Apostelgeschichte 1,22; 22,15; 26,15; Offenbarung 1,2. 

  2. Matthäus 18,16; 23,31; 26,65; Markus 14,55.56.59.63; Lukas 22,71; Johannes 18,23; Apostelgeschichte 7,58. 

  3. Lukas 24,46-48; Apostelgeschichte 26,22f; 1. Petr 5,1. 

  4. Lukas 24,46-48; Apostelgeschichte 1,22; 2,32; 3,15; 4,33; 26,22f. 

  5. 1. Korinther 1,6; vgl. auch 1. Korinther 2,1; 1. Timotheus 2,6; 2. Timotheus 1,8; Offenbarung 1,2.9. 

  6. Matthäus 10,18; Markus 13,9; Lukas 21,13. 

  7. Sure 2,217; cf. auch 4,89; 16,106-108; 48,17. 

  8. Der Koran. Aus dem Arabischen übersetzt von Max Henning. Einleitung und Anmerkungen von Annemarie Schimmel (Stuttgart: Philipp Reclam jun., 1960, durchgesehene und verbesserte Ausgabe 1991). 

  9. Damit sind die Christen gemeint, die für die Lehre von der Dreieinigkeit eintreten. 

  10. Sure 3,169; vgl. auch 2,154. 

  11. Sure 44,54; 52,20; 55,72; 56,22. 

  12. Auf Arabisch ist sie im Internet unter www.geocities.com/christianityandislam einsehbar. 

  13. Vgl. dazu beispielsweise Offenbarung 21 und 22.