ThemenPredigten und Bibelarbeiten

Die Anbetung des lebendigen Gottes

Die Anbetung Gottes sollte für den Lebensstil eines Christen grundlegend sein. Doch was bedeutet das genau? Wie lebt man anbetend?

Wer über die Anbetung des lebendigen Gottes spricht, begibt sich auf schwieriges Gelände. Und dies – gleich in mehrfacher Hinsicht: Schwierig ist das Gelände zum Einen deshalb, weil manche das Thema „Anbetung“ sofort und unwillkürlich in den Bereich charismatischer Frömmigkeit einordnen und argwöhnen, sie sollten nun möglicherweise für charismatisch geprägte Denk- und Lebensformen vereinnahmt werden. Es bestehen Vorbehalte.

Schwierig ist das Gelände zum Anderen aber auch deshalb, weil gerade in bibeltreuen und stark auf das Wort bezogenen Gemeinden die Anbetung Gottes zuweilen eine wenig beachtete und manchmal auch wenig geschätzte Nischenexistenz führt. Die Predigt, also die Auslegung des Wortes ist das beherrschende Element des Gottesdienstes schlechthin. Und – alles andere, was sonst noch in der gottesdienstlichen Versammlung stattfindet, wird mehr oder weniger als entbehrliches Drumherum oder gar als schlichte Auf- bzw. Abwärmphase des Gottesdienstes verstanden. Es herrscht Desinteresse.

Schwierig ist das Gelände zum Dritten aber auch deshalb, weil viele Christen angesichts der Bücherflut zum Thema „Anbetung“ leicht den Eindruck gewinnen, Anbetung sei schwierig und kompliziert. Man könne sehr leicht, sehr viel dabei falsch machen und brauche darum die Anleitung wissender und erfahrener „Spezialisten“, die einem wenigstens ein paar Schneisen durch das undurchdringliche Dickicht biblischer Anbetung bahnten. Es herrscht Mutlosigkeit.

Wer heute über die Anbetung des lebendigen Gottes spricht, muss damit rechnen, vielleicht einigen Vorbehalten, möglicherweise auch Desinteresse, wahrscheinlich aber Mutlosigkeit zu begegnen. Und – wenn wir uns heute miteinander in diese Thematik vertiefen, dann rechne ich sicherheitshalber erst mal mit allen dreien.

Mein Hauptanliegen ist dabei, eine biblisch begründete Sicht der Anbetung Gottes zu entwickeln und zu präsentieren. Hier und da werden dabei auf dem Weg ein paar Abgrenzungen nötig sein, die Missverständnissen vorbeugen und die Sicht klären helfen sollen. Solche Abgrenzungen sind unumgänglich. Sie sind aber nicht mein Hauptanliegen. Zentral möchte ich erschließen, was die Bibel positiv zum Thema „Anbetung“ zu sagen hat. Ich möchte zeigen, dass die Anbetung Gottes nicht kompliziert, nicht schwierig, sondern von genialer Einfachheit ist. Ich möchte erreichen, dass Sie – falls das noch nicht der Fall sein sollte – in diesem Bereich einfach Sicherheit gewinnen und ganz neu Motivation und Freude bekommen, in der Anbetung des lebendigen Gottes zu leben.

1. Annäherungen an die Anbetung Gottes.

1.1 Das Staunen der Anbetung.

Wahre Anbetung hat immer mit Staunen zu tun. Das kann auch gar nicht anders sein, denn Anbetung bedeutet ja, dass überaus begrenzte menschliche Wesen sich anschicken, die unendliche Größe des lebendigen Gottes in den Blick zu nehmen und – sie in Worte zu fassen. Da kann es ohne Staunen eigentlich nicht abgehen!

Und doch: Schaut man sich um in Gemeinschaften und Gemeinden, fällt auf, dass das Staunen der Anbetung ein eher selten gesehener Gast ist. Die Sterilität und Leblosigkeit mancher Anbetung Gottes hat mit fehlendem Staunen zu tun.

Wer nicht mehr staunen kann, bleibt an der Oberfläche

Aber: Über was – bitteschön – sollten wir eigentlich staunen, würde vielleicht mancher zurückfragen: Wir wissen doch alles über Gott, oder? Wir lesen unsere Studienbibeln. Wir machen Notizen bei der Sonntagspredigt. Wir hören Predigtkassetten. Wir besuchen Seminare, wo Experten erklären, worum es geht bei Gott und dem Leben mit Ihm. Wir lesen intelligente geistliche Bücher. Wir können die bedeutendsten Ereignisse der Heilsgeschichte benennen und die Charaktereigenschaften Gottes aufzählen. Worüber sollten wir denn noch staunen?

Darüber hinaus leben wir im Zeitalter hochentwickelter Technik, die noch das Geheimnisvollste sichtbar werden lässt. Via Fernsehkamera haben wir Raketen starten und Weltraum-Shuttles abheben und landen sehen. Wir haben gesehen, wie Menschen den Mond betraten und den Weltraum eroberten. Wir wissen, wie es aussieht, wenn Ei- und Samenzelle verschmelzen und selbst der gigantische Ausbruch eines Vulkans ist für uns nichts Unbekanntes mehr. – Worüber sollten wir noch staunen?

Vielleicht vermuten manche, dass Staunen mit fehlender Bildung zu tun hat. Aber Vorsicht: Die ganz großen Denker, die ganz großen Wissenschaftler waren allesamt staunende Menschen. Einer von ihnen, Albert Einstein, schrieb in seinem Buch „Die Welt, wie ich sie sehe“ folgenden Satz: „Wer nicht mehr staunen kann, wer nicht mehr die tiefste Verwunderung empfinden kann, der ist so gut wie tot. Der ist eine ausgeblasene Kerze.“

Nein, Staunen ist durchaus nicht die Sache der Unwissenden. Je mehr ich weiß – über eine Pflanze, über ein Lebewesen oder auch über die Gesetze der Mathematik, umso größer, tiefer und ehrfürchtiger wird mein Staunen. Das Staunen nimmt mit der Masse des Wissens zu, nicht ab.

Und darum gilt: Wer nicht mehr staunen kann, bleibt an der Oberfläche. Der weiß vielleicht eine Menge Fakten und hat sie in eine Menge Schubladen eingestapelt. Aber er hat den Blick verloren für das, was er nicht weiß. Er hat den Blick für die Realität hinter seinen Fakten und jenseits seiner Schubladen verloren. Er hat den Blick für das Ganze, das Große, die Weite, die Tiefe verloren. Und darum staunt er nicht mehr. Sein Wissen macht ihn nicht demütig (wie Einstein), sondern hochmütig.

Und genauso ist es nun in der Anbetung des lebendigen Gottes auch: Vergessen wir es bitte nie, wenn wir mit der großartigen, perfekten und irrtumslosen biblischen Offenbarung umgehen: Wenn wir sie studieren, dann versuchen wir als kleine, begrenzte, zeitliche Wesen, den ewigen, grenzenlosen und uns maßlos überlegenen lebendigen Gott zu verstehen.

Und darum gilt: Je besser wir die Bibel verstehen, je tiefer wir in ihre Geheimnisse eindringen und je souveräner wir mit dem Wort Gottes umgehen können, umso größer muss auch unser Staunen werden. Denn: Je besser wir verstehen, was Gott uns von sich offenbart hat, umso umfassender werden wir auch wahrnehmen, was wir nicht verstehen und nicht erklären können. Je genauer und tiefer wir die biblische Offenbarung erfassen, umso öfter werden wir auch auf Geheimnisse Gottes stoßen, die wir vielleicht noch benennen, aber nicht mehr entschlüsseln können. Unversehens werden wir ins Staunen geführt: In ein tiefes, ehrfürchtiges, anbetendes Staunen. Das Staunen der Anbetung.

Wissen Sie, dass es eine prominente Stelle in der Bibel gibt, wo dieses Staunen sich vehement Bahn bricht? Diese Stelle findet sich ausgerechnet in dem anspruchsvollsten Lehrbrief des gesamten Neuen Testaments, nämlich dem Römerbrief. Geschrieben von dem brillantesten Theologen der frühen Christenheit, dem Apostel Paulus. Sie krönt eine geschliffene, volle drei Kapitel umfassende Abhandlung über die Souveränität Gottes. Und sie lautet (Röm 11,33):

O, welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und wie unerforschlich seine Wege?

Spüren Sie das Staunen der Anbetung in diesen Zeilen?

Spüren Sie das Staunen der Anbetung in diesen Zeilen? Es ist dasselbe Staunen, das auch ein David empfand, als er in einer Nacht seinen Blick nicht von der Größe und Schönheit des Himmels abwenden konnte (Psalm 8,4-7.10):

Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, schrieb er, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt. Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter seine Füße getan; … Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen!

Wahre Anbetung Gottes hat immer mit Staunen zu tun. Wahre Anbetung Gottes fängt über dem Wort Gottes an zu staunen. Und je genauer, tiefer und umfassender sie es erfasst, um so tiefer, völliger und umfassender wird auch ihr Staunen.

Was wir heute brauchen, wenn wir neu beginnen wollen mit der Anbetung Gottes, ist exakt diese Haltung des Staunens über die Größe Gottes.

1.2 Die Schönheit der Anbetung.

„Schönheit“ ist im Allgemeinen eine ziemlich relative Angelegenheit: Was der eine als schön empfindet, stuft der andere vielleicht als „gewöhnlich“ oder gar als „hässlich“ ein. Ein Top-Model wie Claudia Schiffer oder Naomi Campbell etwa würde in China oder der Mongolei vielleicht gar nicht als „top“ empfunden werden: Ihre Nasen sind zu lang, würden die Leute vielleicht sagen, ihre Augen zu rund …

Also, „Schönheit“ kann eine relative Angelegenheit sein. Andererseits aber gibt es durchaus auch Dinge, deren Schönheit außer Frage steht und nicht erhöht oder verbessert werden kann: Ein Regenbogen zum Beispiel oder ein prachtvoller Sonnenuntergang. Kein Mensch würde doch auf die Idee kommen, hier Verbesserungen vornehmen zu wollen. Dasselbe gilt für eine Blume, oder auch für ein neugeborenes Baby: Kein Mensch käme auf den Gedanken, die Blüte einer Blume mit Blattgold zu überziehen, nur um sie ein bisschen zu „verbessern“. Kein Mensch verfiele auf die abstruse Idee, ein neugeborenes Baby mit Make-Up zu verschöner.

Es gibt Dinge, die sind einfach schön, wie sie sind: Nicht umsonst hat Jesus auf die Lilien im Feld hingewiesen, deren Schönheit und Strahlkraft selbst Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht annähernd erreicht habe (Mt 6,29).

Aber alle irdische Schönheit hat eines gemeinsam: Sie vergeht. Das schönste Top-Model altert irgendwann. Der schönste Regenbogen verblasst, der prächtigste Sonnenuntergang versinkt. Die farbigste Blume und das niedlichste Baby, sie alle haben ihre Zeit, altern und vergehen, gehören irgendwann der Vergangenheit an und fallen dem Vergessen anheim. Charme ist trügerisch und Schönheit vergeht, stellt das Buch der Sprüche fest (Spr 31,30). Und der Prophet Jesaja (Jes 40,6-7) fügt hinzu:

Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Schönheit ist wie die Blume auf dem Felde. Das Gras wird dürr, die Blume fällt ab; denn der Hauch des Herrn hat sie angeweht.

Also: Alle irdische Schönheit hat diese Eigenschaft, dass sie unerbittlich vergeht. Und genau an dieser Stelle wird deutlich, was das Besondere an der Anbetung des lebendigen Gottes ist. Denn in ihm tritt uns Perfektion und Schönheit in ihrer vollendetsten Vollendung entgegen, eine Schönheit, die nicht vergeht, eine Vollkommenheit, die nicht verfällt, sondern ewig ist.

Haben Sie je überlegt, dass die vollkommene, durch nichts beeinträchtigte Heiligkeit Gottes von einer unfasslichen, mit nichts zu vergleichenden Schönheit ist? Haben Sie sich je vor Augen geführt, dass die Gnade, die Gerechtigkeit, die Güte, die Kraft und Liebe Gottes in ihrer Perfektion von einer Schönheit sind, für die es keine (zumindest keine irdischen) Worte gibt, die sie endgültig einfangen oder beschreiben könnten? Haben Sie je darüber nachgedacht, was es für begrenzte, irdische Wesen wie uns Menschen bedeuten muss, solche Schönheit zu erkennen und in sich aufzunehmen?

Wenn ja, dann haben Sie das Wesen der Anbetung Gottes zumindest gestreift. Denn Anbetung bedeutet, dass begrenzte kleine Menschen mit begrenzten, kleinen, irdischen Begriffen und begrenzten, kleinen, irdischen Worten die unfassliche, ewige, durch nichts zu übertreffende, vollkommene Schönheit Gottes in Worte fassen, Worte, die natürlich niemals ausreichen, Worte, die niemals in der Lage sind, die ganze Schönheit Gottes angemessen zu erfassen und zum Ausdruck zu bringen.

Wie bewegend spricht der 104. Psalm über die Schönheit Gottes :

Lobe den Herrn, meine Seele! Herr, mein Gott, du bist sehr herrlich; du bist schön und prächtig geschmückt. Licht ist dein Kleid, das du anhast.

Anbetung bedeutet, dass Menschen dem lebendigen Gott sagen, wie schön er ist. Und weil keine menschlichen Worte es zustandebringen werden, dies jemals ausreichend und umfassend zu tun, darum kommt die Anbetung Gottes auch in der Ewigkeit nie an ein Ende, wo dann alles gesagt und alles ausgesprochen wäre. Im Gegenteil: Die Anbetung Gottes kann kein Ende haben: Denn die Worte kleiner Menschen werden auch in der Ewigkeit nicht in der Lage sein, die Schönheit des ewigen, unfassbar großen Gottes je angemessen zu erfassen oder zu würdigen. Psalm 22,3 sagt: „Du, Herr bist heilig, der du thronst über den Lobgesängen Israels.“ Und so ist es wirklich: Der lebendige Gott als Person steht immer über den Lobgesängen und der Anbetung von uns Menschen. Nie können wir seine Größe und Schönheit vollends erfassen.

Und auch dieser Vorgang selbst, das Benennen der Schönheit Gottes vor seinem Angesicht, hat eine große Schönheit in sich.

Der Schriftsteller C. S. Lewis hat einmal geschrieben:

Es ist durchaus nicht ungewöhnlich, dass zwei Liebende sich gegenseitig immer wieder sagen, wie schön sie den jeweils anderen finden. Ihr Entzücken aneinander ist solange unvollständig, bis es ausgesprochen und in Worte gefasst worden ist. Es ist auch frustrierend, einen genialen neuen Schriftsteller zu entdecken und niemandem sagen zu können, wie gut seine Bücher sind, oder während einer Autofahrt plötzlich ein liebliches, wunderschönes Tal zu entdecken und dann schweigen zu müssen, weil es die anderen im Auto nicht die Bohne interessiert.

Verstehen Sie: Wenn wir Schönheit, die wir sehen, in Worte fassen, dann ist das wiederum ein Vorgang von großer Schönheit. Und genauso ist es auch in der Anbetung des lebendigen Gottes. Und genau darum geht es, wenn es in Psalm 147,1 heißt:

Lobet den Herrn! Denn es ist gut, unserm Gott zu lobsingen: Es ist lieblich! Es gebührt ihm Lobgesang.

Anbetung bedeutet, dass Menschen dem lebendigen Gott sagen, wie schön er ist

Und damit ist klar: Die Anbetung Gottes ist keine Pflichtübung, ist kein Trainingsprogramm. Sie ist ein Vorrecht. Sie ist etwas Großes. Sie ist etwas sehr, sehr Schönes. Etwas, mit dem man nie an ein Ende kommt. Es ist das große, schöne Vorrecht der Kinder Gottes.

2. Grundlinien der Anbetung

Wie haben eigentlich die Glaubenden der Bibel ihre Gottesdienste gefeiert und Gott angebetet?

Wer sich auf die Suche macht, wird gründlich enttäuscht. Sie finden zwar im 2. Buch Mose 25-31 ausführliche Bestimmungen darüber, wie die Stiftshütte zu fertigen sei, welche Kleidung die Priester zu tragen und wie Leuchter, Schaubrottisch und Altäre auszusehen hätten. Aber: Sie finden kein Wort darüber, wie das Volk Israel damals seine Gottesdienste gefeiert hat.

Oder dann, im 3. Buch Mose 1-7: Da werden zwar die wichtigsten Opfer detailliert beschrieben, nicht jedoch die Gottesdienste, in denen sie dargebracht wurden. 3. Mose 23 präsentiert die großen Feste des Volkes Gottes, beschreibt jedoch nicht, wie sie im Einzelnen gefeiert wurden. Und im 2. Chronikbuch (2Chr 6-7) wird zwar Salomos Gebet anlässlich der Tempelweihe überliefert und die hohe Zahl der Opfer benannt, über die Inhalte und Struktur des Gottesdienstes aber erfahren wir fast nichts. In 2.Chr 7, 9 heißt es lapidar: „Am achten Tag aber hielten sie eine Versammlung; denn die Einweihung des Altars hielten sie sieben Tage und das Fest auch sieben Tage.“ Man hätte gern mehr gewusst. Aber: Man erfährt nicht mehr!

Die Bibel präsentiert uns auch keinen genauen Gottesdienstablauf

Und dann: Psalm 100 fordert die Leute dazu auf, vor dem Angesicht Gottes (im Tempel) zusammenzukommen, um gemeinsam zu loben und zu danken. Aber er beschreibt keinen Gottesdienst, nennt keine Lieder.

Psalm 98,44-46 hat die Musik im Gottesdienst zum Thema. Er nennt immerhin einige Instrumente, die damals in der Anbetung Gottes eine Rolle gespielt haben müssen: Harfe, Saiteninstrumente, Trompeten, Posaunen. Psalm 150 fügt noch Pauken, Flöten und Zimbeln hinzu. Aber wir bekommen keine Angaben darüber was, wann, wo und wie gespielt und gesungen wurde.

Und dann, wenn man ins Neue Testament hinüberwechselt, wird es eher noch dürrer und unergiebiger: Apg 2,41-42 nennt die Taufe, die biblische Lehre, Gemeinschaft, Abendmahl und Gebete als Elemente des Gottesdienstes, präsentiert aber auch keinen genauen Gottesdienstablauf.

In 1Kor 14,40 mahnt Paulus, es solle im Gottesdienst alles ehrbar und ordentlich zugehen, schweigt aber zu der uns bewegenden Frage, wie sich denn eigentlich ein Gottesdienst bei den ersten Christen gestaltete. Paulus äußert sich ausführlich zu der Frage, ob Frauen im Gottesdienst eine Kopfbedeckung tragen sollten (1Kor 11,1-10). Er zitiert auch die Abendmahlsworte Jesu (1Kor 11,23-26). Ansonsten aber vermittelt er uns keine Vorstellung, wie denn die Christen ihre gemeinsame Anbetung Gottes durchgeführt haben. Es gibt im gesamten Neuen Testament keine Ablaufskizze eines normalen christlichen Gottesdienstes.

Und die schlichte Frage angesichts dieses deutlichen biblischen Befundes lautet nun: Warum nicht? Antwort: Offensichtlich lag es nicht in Gottes Absicht, uns an dieser Stelle genaue Regeln und Ordnungen zu geben. Im Gegenteil: Er wollte uns an dieser Stelle Freiheit und eine Menge Gestaltungsspielraum geben. Und diese Freiheit und diesen Gestaltungsspielraum sollten wir einfach dankbar annehmen und nutzen.

Also: Wie wir die Anbetung des lebendigen Gottes in unseren Gottesdiensten konkret gestalten, ist uns in mancherlei Hinsicht freigestellt. Die Bibel liefert an dieser Stelle keine detaillierten festen Richtlinien, wohl aber bestimmte Grundlinien, an denen wir uns verbindlich orientieren können.

2.1 Die Anbetung als Bestimmung des Menschen.

Was ist die Bestimmung des Menschen? Was würden Sie auf diese Frage antworten?

Nun, vielleicht würden Sie sagen, dass es die Bestimmung des Menschen ist, gerettet und neu geboren zu werden, ein Kind Gottes zu sein. Vielleicht würden Sie auch sagen, dass es die Bestimmung des Menschen sei, Gott zu dienen, Ihm gehorsam zu sein und in der Heiligung zu leben. Vielleicht wäre es so, dass Sie sagen: Ziel und Bestimmung des menschlichen Lebens ist es, innerlich Veränderung und Erneuerung im Heiligen Geist zu erfahren und so Jesus ähnlicher zu werden. Vielleicht wären Sie aber auch der Meinung, unsere Bestimmung als Menschen bestünde darin, in der Gemeinde als geistliche Einheit zu leben und Licht in einer dunklen Welt zu sein.

Nun, all diese Antworten wären nicht falsch. Aber – sie gingen doch am Entscheidenden vorbei. Denn: Biblisch gesehen liegt die Bestimmung des Menschen in der Anbetung, im Lobpreis Gottes.

Der Gehorsam Gott gegenüber, die Veränderung und Erneuerung unseres Lebens sind alle nur Teil der einen, großen Bestimmung des Menschen: Gott anzubeten

Die Rettung aus Sünde und Verlorenheit, so wichtig und dramatisch sie ist, sie ist kein Selbstzweck. Der Gehorsam Gott gegenüber und das Leben in der Heiligung, so nötig und unersetzlich sie sind, sie sind doch kein Selbstzweck. Und auch die Veränderung und Erneuerung unseres Lebens durch den Heiligen Geist, schön und erfreulich wie sie sind, sie sind kein Selbstzweck. Selbst das Leben in der Gemeinde und als Zeuge Jesu Christi ist kein Selbstzweck. Sie sind alle nur Teil der einen, großen Bestimmung des Menschen: Gott anzubeten und in Seinem Lobpreis zu leben.

Es gibt einen sehr bewegenden, großartigen Abschnitt in der Bibel, der hierzu Entscheidendes zu sagen hat. Und das ist das erste Kapitel des Epheserbriefes (Eph 1, 3):

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen im Himmel durch Christus.

Mit einer unmissverständlichen Auforderung zum Lobpreis Gottes beginnt dieser Abschnitt. Und dann geht es sofort ziemlich in die Tiefe. Der Apostel Paulus greift weit zurück in die Vergangenheit. Er spricht davon, dass Gott noch vor Grundlegung der Welt Menschen erwählt und vorherbestimmt hat, um sie zu seinen Kindern zu machen. Er spricht davon, dass Gottes Liebe sich so äußert, dass er einzelne Menschen zum ewigen Leben, zur Rettung, zur Gotteskindschaft erwählt.

Denn in ihm (in Christus) hat er uns erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war, dass wir heilig und untadelig vor ihm sein sollten. In seiner Liebe hat er uns dazu vorherbestimmt, seine Kinder zu sein durch Jesus Christus nach dem Wohlgefallen seines Willens (Eph 1,4-5).

Das Ziel des Handelns Gottes ist immer das Lob Gottes, ist die Anbetung Gottes

Und dann kommt das Entscheidende: Dann kommt Paulus darauf zu sprechen, warum und mit welchem Ziel Gott diese Erwählung vor Grundlegung der Welt durchgeführt hat. Und da heißt es nun (Eph 1, 6): Zum Lob seiner herrlichen Gnade, mit der er uns begnadet hat in dem Geliebten. Merken Sie was: Das Ziel der Erwählung Gottes ist – das Lob, die Anbetung Gottes.

Und dann geht das weiter … Dann beschreibt Paulus in den Versen 7-12 weiter all das, was Gott für uns Menschen getan hat: Er spricht von der Erlösung durch Jesus, von der Vergebung der Sünden, dem Reichtum der Gnade Gottes. Er spricht davon, dass es Gottes Wille war, allen Menschen in Jesus Heil und Rettung anzubieten. Er spricht davon, dass Gott alles in Christus zusammenfassen möchte, was im Himmel und auf Erden ist: Da kommt die Gemeinde Jesu in den Blick. Und schließlich führt er uns auch noch vor Augen, dass Christen Erben Gottes sind: Dass ihnen also schon heute alles mitgehört, was Gott gehört. Und dann kommt er wiederum darauf zu sprechen, warum und mit welchem Ziel der lebendige Gott all dies getan hat, und er schreibt: … damit wir etwas seien zum Lob seiner Herrlichkeit. Wiederum wird deutlich: Das Ziel der großen Taten Gottes ist das Lob Gottes, ist die Anbetung Gottes.

Und noch immer ist nicht Schluss. Noch immer ist die Liste der großen Taten Gottes nicht abgearbeitet: Paulus spricht vom Heiligen Geist, davon, dass Gott alle, die zum Glauben an Jesus gekommen sind, mit dem Heiligen Geist versiegelt hat, der wie eine Anzahlung (Paulus nennt es „Unterpfand“) des ewigen Lebens ist (Eph 1,14). Und dann kommt er noch einmal darauf zu sprechen, warum und mit welchem Ziel der lebendige Gott all dies im Leben der Christen getan hat, und er schreibt: „… damit wir sein Eigentum würden zum Lob seiner Herrlichkeit“ (Eph 1,14). Und noch einmal wird deutlich: Das Ziel des Handelns Gottes ist immer das Lob Gottes, ist die Anbetung Gottes.

Oder, wenn Sie ein paar Seiten weiter blättern in Ihrer Bibel, wenn Sie den Philipperbrief aufschlagen: Da finden Sie etwas ganz Ähnliches. Da wird in Phil 2,6-9 der Weg des Sohnes Gottes beschrieben.

Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist.

Und dann, gleich anschließend, in Phil 2,10-11 führt der Apostel Paulus uns vor Augen, was das eigentliche Ziel dieses Weges war, den Jesus gehen musste. Paulus schreibt:

… damit in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes des Vaters.

Merken Sie: Hier werden Menschen beschrieben, die vor Gott auf die Knie gegangen sind und ihn anbeten als den Herrn aller Herren, zur Ehre Gottes des Vaters. Hier wird wiederum Anbetung beschrieben.

Und damit ist klar: Das Ende aller Wege Gottes mit uns, die letztgültige Bestimmung von uns Menschen ist die Anbetung des lebendigen Gottes. Dies allein und gar nichts sonst.

Im Kleinen Westminster Katechismus heißt es dazu: „Des Menschen Hauptziel ist es, Gott zu verherrlichen und sich für immer an ihm zu erfreuen.“ Das ist sehr gut und sehr präzise formuliert. Das fasst sehr exakt zusammen, was die Bibel über die Rolle der Anbetung in unserem Leben zu sagen hat: „Des Menschen Hauptziel ist es, Gott zu verherrlichen und sich für immer an ihm zu erfreuen.“

Und jetzt können wir aus alldem einen Schluss ziehen, der lautet: Die Anbetung Gottes ist keine Spezialübung für Superfromme. Sie ist auch nicht eine Super-Sonder-Veranstaltung, die man wahrnehmen kann oder nicht. Sie ist erst recht nicht eine Art von „Beschäftigungstherapie“ für unterbeschäftigte Christen, nein, sie ist die Bestimmung unseres Lebens. Unser Leben als Kinder Gottes zielt exakt auf dieses Eine: Dass wir Gott anbeten und Ihm die Ehre geben.

Die Psalmen bringen diese Tatsache an vielen Stellen immer wieder zum Ausdruck. Zum Beispiel Psalm 27,4:

Eines erbitte ich von dem Herrn, nach diesem will ich trachten: Dass ich bleiben darf im Haus des Herrn mein ganzes Leben lang, um die Lieblichkeit des Herrn zu schauen und ihn zu suchen in seinem Tempel.

Oder Psalm 29,1-2:

Gebt dem Herrn, ihr Himmlischen, gebt dem Herrn Ehre und Lob! Gebt dem Herrn die Ehre seines Namens. Betet den Herrn an in heiligem Schmuck.

Oder Psalm 84,2-3.5.11:

Wie lieblich sind deine Wohnungen, o Herr der Heerscharen. Meine Seele verlangte und sehnte sich nach den Vorhöfen des Herrn; nun jubeln mein Herz und mein Leib dem lebendigen Gott zu! … Wohl denen, die in deinem Haus wohnen; sie preisen dich allezeit. … Denn ein Tag in deinen Vorhöfen ist besser als sonst tausend; ich will lieber an der Schwelle im Haus meines Gottes stehen, als wohnen in den Zelten der Gottlosen.

Unser Leben findet sein Ziel und seine Bestimmung in der Anbetung Gottes. Und jetzt können wir daraus noch einmal einen Schluss ziehen und eine Folgerung ableiten, und das ist diese: Wenn wir den lebendigen Gott anbeten, allein zu Hause oder gemeinsam in der Gemeinde, dann sind wir als ganze Person auf Ihn ausgerichtet. Wir haben niemand anderen im Blick als Ihn. Wir wollen nichts und niemand anderen als Ihn. Er ist der Eine, um den unser Denken, Fühlen und Wollen kreist. Er ist der Eine, dem unsere ganze Hingabe, Liebe und Aufmerksamkeit zukommt.

Leider haben sich auch falsche Motive in der Anbetung Gottes breit gemacht

Warum betone ich das so? Nun, ich betone das darum so, weil es nicht selbstverständlich ist. Es haben sich falsche Motive in der Anbetung Gottes breit gemacht: Manche Christen gehen in die Zeit der Anbetung in ihren Gemeinden mit der festen Erwartung hinein, nun eine Art von emotionalem Höhepunkt zu bekommen. Sie haben eine hochgespannte gefühlsmäßige Erwartungshaltung, was nun alles passieren soll. Und – sie sind enttäuscht, wenn die sich nicht erfüllt. Mit andern Worten: Sie erwarten, dass in der Zeit der Anbetung „echt was abgeht“ und so eine Art von „geistlichem Kick“ rüberkommt. Es hat eine Verschiebung stattgefunden: Menschliche Bedürfnisse und deren Erfüllung haben sich in den Vordergrund gedrängt. Und die lenken von dem eigentlichen Ziel der Anbetung ab.

Wenn wir den lebendigen Gott anbeten, dann sind unsere menschlichen Bedürfnisse oder Defizite nun wirklich nicht das Thema. Es geht um Gott. Es geht um den Vater Jesu Christi. Um IHN geht es, nicht um uns. Und wenn wir anfangen und die Anbetung Gottes zum Ausgleich und Auffüllen menschlicher Bedürfnisse und Defizite benutzen, dann haben wir schlicht das Ziel verfehlt. Es geht in der Anbetung nicht um uns. Es geht um ihn! Wie wir bei einer Zeit der Anbetung Gottes emotional „drauf“ sind, ist nicht Thema. Er ist das Ziel, nicht wir!

Die Anbetung Gottes wird uns immer gut tun. Aber das ist nur eine „Nebenwirkung“, nicht die Hauptsache

Um nun nicht missverstanden zu werden: Ich bin fest davon überzeugt, dass Gott uns ganz persönlich, aber auch unsere Gemeinden, segnen und stärken und aufbauen wird, wenn wir in der biblischen Anbetung leben. Etwas platter gesagt: Die Anbetung Gottes wird uns immer gut tun. Aber das ist nur eine „Nebenwirkung“, nicht die Hauptsache. Die Hauptsache in der Anbetung ist Gott in Person. Und – es ist sehr entscheidend, dass wir hier die Gewichte nicht verschieben.

2.2 Anbetung als Lebensstil.

Die Anbetung Gottes ist ein Lebensstil. Sie ist – um einen leider etwas abgedroschenen Begriff zu gebrauchen – etwas Ganzheitliches. Sie ist alles andere als eine isolierte gottesdienstliche Veranstaltung am Ende der Arbeitswoche. Sie bezieht unser ganzes Leben mit ein. Im 12. Kapitel des Römerbriefes hat der Apostel Paulus diese Tatsache auf den Punkt gebracht.

V. 1-2: Ich ermahne euch nun, ihr Brüder, angesichts der Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber darbringt als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer: das sei euer vernünftiger Gottesdienst! Und passt euch nicht diesem Weltlauf an, sondern lasst euch in eurem Wesen verändern durch die Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was der gute und wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes ist.

Oder, ganz ähnlich 1Kor 6,19-20:

Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des in euch wohnenden Heiligen Geistes ist, den ihr von Gott empfangen habt, und dass ihr euch nicht selbst gehört? Denn ihr seid teuer erkauft; darum verherrlicht Gott in eurem Leib und in eurem Geist, die Gott gehören.

Die Anbetung Gottes ist nichts Isoliertes. Man kann sie nicht einsperren in ein bis zwei Stunden Gottesdienst am Sonntagmorgen. Die Anbetung Gottes berührt unser gesamtes Leben mit all seinen verschiedenen Bezügen: Arbeit, Ehe, Familie, Freizeit, Freunde, Hobbys, Geld, Gesundheit, Beziehungen … usw. Sie umfasst Alltag und Sonntag. Genauer: Es ist möglich, die Anbetung Gottes am Sonntag durch Fehlverhalten im Alltag zu entwerten und zu entleeren. Die Anbetung mit dem Mund und der Stimme am Sonntag muss übereinstimmen mit der Anbetung durch die Tat und die Praxis im Alltag. Sonst ist sie von vornherein nichtig.

Im vierten Kapitel des Epheserbriefes macht der Apostel Paulus sehr schön an einem Beispiel deutlich. Er schreibt dort (Eph 4,1):

So ermahne ich euch nun, ich, der Gebundene im Herrn, dass ihr der Berufung würdig wandelt, zu der ihr berufen seid.

 


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