ThemenPredigten und Bibelarbeiten

Der Geist, das Wort und die Gemeinde: Maßnehmen an Apg 2,1-41

Wo mit dem Bericht von Pfingsten willkürlich umgegangen wird, kommt es zu schlimmen Verirrungen. Der Bibeltext gibt aber bis heute klare Wegweisung.

„Als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer und setzte sich auf jeden von ihnen. Und sie wurden alle erfüllt mit dem Heiligen Geist. Und fingen an zu predigen in anderen Sprachen wie der Geist ihnen gab auszusprechen. Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurden bestürzt, denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. Sie entsetzten sich aber, wunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die reden, aus Galiläa? Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache: Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kapadozien, Pontus und der Provinz Asia, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Lybien und Einwanderer aus Rom, Juden und Proselyten, Kreter und Araber? Wir hören sie in unseren Sprachen von den großen Taten Gottes reden. Sie entsetzen sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem anderen: Was soll das wohl werden? Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll süßen Weins. Da trat Petrus auf mit den Elfen, erhob die Stimme und redete zu ihnen.“

(Dann kommt die Predigt. Und in Vers 37 geht der Bericht so weiter:) „Als sie aber dies hörten, ging es ihnen durchs Herz und sie sprachen zu Petrus und den anderen Aposteln: Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun? Petrus sprach zu ihnen: Tut Buße. Und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, so werdet ihr empfangen die Gabe des Heiligen Geistes, denn euch und eueren Kindern gilt diese Verheißung und allen, die fern sind, so viele der Herr, unser Gott, herzurufen wird. Auch mit vielen anderen Worten bezeugte er das und ermahnte sie und sprach: Lasst euch retten aus diesem verkehrten Geschlecht. Die nun sein Wort annahmen, ließen sich taufen und an diesem Tag wurden hinzugefügt etwa 3000 Menschen.“ (Apg 2,1-14 u. 37-41).

Es ist typisch für uns Menschen – im Unterschied zu allen anderen Lebewesen – dass wir wissen, dass unsere Gegenwart von der Vergangenheit her getragen ist. Uns interessiert, wo das Bestehende herkommt. Deswegen bitten Enkel auch ihre Großmütter und Großväter: „Opa, Oma, erzähl doch mal von früher!“ Warum? Weil jeder von uns weiß, unsere Wirklichkeit hat nicht mit uns begonnen. Es gehört zu unserer Identität, dass wir eine Geschichte haben. Und diese Geschichte muss erzählt werden. Auch die Geschichte der Gemeinde muss erzählt werden. Denn Gemeinde Jesu hat nicht dort begonnen, wo heute zufällig unser Gemeindezentrum steht, sondern viel früher, an Pfingsten. Damals war der Geburtstag der Gemeinde. Ich möchte erzählen, wie alles begann, damit wir daran für die Gemeindewirklichkeit heute Maß nehmen können.

Die Verheißung von Pfingsten

Es begann im Jahr 33 n.Chr., 50 Tage nach dem Passahfest und damit 50 Tage nach dem Tag, an dem Jesus am Kreuz für die Sünden der Welt gestorben war. Als der Pfingsttag gekommen war, waren die Anhänger Jesu in Jerusalem alle beieinander. Plötzlich hörten alle ein starkes Brausen vom Himmel; und dann nahmen die Ereignisse ihren Lauf. Jesus hatte zehn Tage vorher die Jünger daran erinnert, dass Großes bevorstünde, dass nämlich der Geist Gottes kommen werde (Apg 1,4-8). Darauf sollten sie warten. Dann würden Angsthasen zu mutigen Zeugen Jesu werden.

Wenn wir Apg 1 als Hintergrund unseres Pfingsttextes lesen, merken wir, dass Lukas uns erzählen will, dass die erste Jüngerschar gar nicht begriff, was Jesus ihnen da für eine große Verheißung gibt. Sie sollen – nicht auf eine, sondern – auf die Verheißung des Vaters warten, nämlich auf den Heiligen Geist, sagt Jesus. Aber die Jünger sind schon beim nächsten Thema: „Sag mal, uns würde brennend interessieren, wie das am Ende mit dem Reich Gottes und Israel ausgeht.“ Und Jesus sagt: Freunde, der Vater wird zu seiner Zeit auch dafür sorgen, dass die Sache mit Israel weitergeht. Aber ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen und ihr werdet meine Zeugen sein. In Jerusalem, dann in der nächsten Umgebung und schließlich bis ans Ende der Erde wird so Gemeinde gebaut werden.

Und schon wieder wechseln die Jünger das Thema: Jetzt kommt Petrus auf die Idee, man könne ja einen Ersatz für den Apostaten Judas Ischariot wählen. Und so geschieht es. Am Ende ist einer gewählt, den die Apostelgeschichte mit keiner Silbe mehr erwähnt. Die Jünger sind an allem Möglichen interessiert, nur nicht an dem, was Gott jetzt durch das Kommen des Geistes beginnen will. So wird schon deutlich: Apg 1+2 gibt uns kein Programm für Geistesaquisition. Es nennt keinen 5-Punkte-Plan für Geistesempfang, fordert kein Ringen im Gebet Tag und Nacht, keinen Zustand innerer Vollkommenheit, um so den Geist zu bekommen.

Heute quälen sich manche, bis sie Muskelkater in der Seele haben, und propagieren Methoden, die sicherstellen sollen, dass am Ende der Geist kommt

Heute quälen sich manche, bis sie Muskelkater in der Seele haben, und propagieren Methoden, die sicherstellen sollen, dass am Ende der Geist kommt. Aber die Apostelgeschichte macht deutlich: Der Geist kommt eher trotz der Jünger, als wegen der Jünger! Er kommt, weil der Vater es verheißen hat – und diese Verheißung erfüllt sich, wann und wo der Vater will.

Am Pfingsttag schlägt Gottes Stunde – und seither empfängt jeder den Geist, der sich auf die Verkündigung des Evangeliums hin im Glauben zu Gott wendet und mit dem alten Leben bricht (Apg 2,38).

Als der Pfingsttag, der 50. Tag (das bedeutet „Pfingsten“) kam, waren die Jünger noch immer zusammen. Für sie als Juden stand ein besonderes Fest an. In 3.Mose 23 wird festgelegt, dass 50 Tage nach dem Passafest eine heilige Versammlung ausgerufen werden solle. Das Wochenfest oder Fest der Erstlingsfrucht sollte gehalten werden. Am Morgen des Pfingsttages hätte sich wohl keiner der Jünger träumen lassen, was für ein bemerkenswertes Fest der Erstlingsfrüchte da anbricht. Noch an diesem Tag würde eine Ernte Gottes beginnen. Menschen würden zu Tausenden in seine Gemeinde geführt. Und seit diesem Tag im Jahr 33 hört Gemeindewachstum nicht mehr auf.

Die Phänomene von Pfingsten

Als sie an diesem 50. Tag alle beisammen waren, geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind, erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen, es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer, setzten sich auf jeden von ihnen, sie wurden alle erfüllt mit dem Geist Gottes und fingen an zu predigen in anderen Sprachen, wie der Geist es ihnen gab auszusprechen. Wenn wir die Pfingstgeschichte jetzt erzählen, dann sehen wir hier zunächst einmal die Phänomene von Pfingsten.

Das erste Phänomen war ein Geräusch als wäre ein Sturm. Es war zwar kein Sturm, es gab keine natürliche Ursache, dass der Wind mal eben durch Jerusalem pfiff. Es klang aber wie ein Sturm. Warum tut Gott so etwas? Warum diese Audition? Dieses Hören, als käme ein ganz großer Wind um die Ecke? Vom Hebräischen her bedeutet das Wort Geist das gleiche wie das Wort Wind: ruach. Ruach ist der Wind oder der Geist. Im Griechischen ist es interessanterweise genauso: Pneuma, das heißt entweder Lufthauch, Wind oder Geist. Wenn also Gott, der Vater, verheißen hat, dass er seinen Geist senden will, ist es eine passende Ouvertüre zum Pfingsttag, dass es plötzlich – übernatürlich, ohne dass Blätter sich bewegen und der Staub durch die Gassen stiebt! – so klingt, als würde es stürmen, als käme ein großer Wind. Jetzt wussten die Jünger: es ist so weit!

Das nächste, was passiert, ist eine Vision, die Gott schenkt. Der Ausdruck „Es erschienen ihnen“ deutet auf eine Vision hin. Und zwar erschienen ihnen „Zungen, zerteilt wie von Feuer“ und „setzten sich auf jeden“. Das erste Phänomen (`Wind´/Ruach), kann man ja noch begreifen; aber warum nun diese Flammen? Warum diese Vision, die gewissermaßen jeden wie eine Kerze aussehen lässt mit einer Flamme auf dem Kopf? So etwas war in der Bibel nirgends verheißen. Und doch: Der Geist Gottes wird im Alten Testament manchmal auch im Symbol des Öls dargestellt. Bei Sacharja, etwa, wird die Verheißung „Es soll nicht geschehen durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist“, eingeleitet durch die Vision von einer brennenden Ölflamme (Sach 4). Schon in der Stiftshütte und im Tempel war es so, dass in Gottes Gegenwart ein siebenarmiger Leuchter brannte. Der war aus einem Zentner massivem Gold getrieben, hatte sieben Arme, und es durfte ihm nie an Öl fehlen. In 2. Mose 27 kann man lesen:

„Gebiete den Israeliten, dass sie zu dir bringen das allerreinste Öl, aus zerstoßenen Oliven für den Leuchter, dass man ihm ständig die Lampen aufsetzen kann. In der Stiftshütte, außen, vor dem Vorhang, der vor der Lade mit dem Gesetz hängt, da sollen Aaron und seine Söhne den Leuchter zurichten, dass er brenne vom Abend bis zum Morgen vor dem Herrn. Das soll eine ewige Ordnung sein für die Nachkommen bei den Israeliten.“

Also, das allerfeinste, allerreinste Öl sollte auf dem siebenarmigen Leuchter vor dem Herrn brennen. Wir haben in unseren Gemeindesälen meist keinen siebenarmigen Leuchter; vielleicht haben wir zwei bescheidene Kerzen. Aber das macht nichts seit Pfingsten. Da brennt zwar kein siebenarmiger Leuchter, aber die Jünger ‚brennen‘ für Gott – und am Abend des ersten Pfingsttags, da ‚brennen‘ bereits 3000 Leute für Jesus. Da braucht man nicht mehr die Stiftshütte und den Tempel. Man muss nicht klagen, weil der siebenarmige Leuchter nach Babylon weggeführt wurde und kein Mensch weiß, wo er ist. Seit Pfingsten brennen Tausende; zu unseren Lebzeiten Millionen weltweit. Und was sie brennen lässt, ist nicht irgendein allerfeinstes Öl, sondern sie sind ‚angezündet‘ durch den Geist Gottes und tragen sein Licht in eine dunkle Welt.

Manche haben gemeint, die „Feuerzungen“ seien ein Hinweis darauf, dass die Jünger „mit Geist und mit Feuer getauft“ worden seien. Aber das ist ein alter Irrtum. Sicher, Johannes der Täufer hat einmal gesagt hat: „Ich taufe mit Wasser… der nach mir kommt, der wird mit Geist und mit Feuer taufen“ (Mt 3,11). Aber es ist ein arges Missverständnis, wenn sich manche auf Grund dieses Verses wünschen, mit Geist und mit Feuer getauft zu werden.

Mit dem Geist getauft werden ist das große Geschenk seit Pfingsten. Aber mit Feuer getauft werden, wäre die böse Alternative.

Wir sollten uns lieber nicht die Taufe mit Feuer wünschen! Die Taufe mit dem Heiligen Geist hat Gott uns mit der Wiedergeburt geschenkt. Seitdem sind wir durch den einen Geist in den einen Leib hineingetauft worden (1Kor 12,13) und sind Glieder am Leib Christi. Mit dem Geist getauft werden und damit Glied am Leib Christi werden, ist das große Geschenk seit Pfingsten. Aber mit Feuer getauft werden, wäre die böse Alternative. In Mt 3 wird die Feuertaufe ja ausdrücklich erklärt: „Und er (der Messias) wird auf seiner Tenne Getreide worfeln und er wird seine Tenne fegen und den Weizen wird er sammeln in seine Scheune, aber die Spreu wird er verbrennen mit ewigem Feuer“ (Mt 3,12). Das ist die Feuertaufe. Mt 3 macht deutlich: Wenn es um den Geist geht, geht es um Leben oder Tod. Entweder Geistestaufe, wo der Geist Gottes kommt wie ein Regen auf dürres, totes Land – und dann entsteht neues Leben, dann grünt es da, wo vorher alles tot war (vgl. Jes 32,15; 44,3; Hes 39,29; Tit 3,5f). Oder es bleibt die Feuertaufe, das Gericht, in dem die Spreu mit ewigem Feuer verbrannt wird. Von daher dürfte ausgeschlossen sein, dass mit den Feuerzungen auf eine Feuertaufe hingewiesen wird. Es wird vielmehr angeknüpft an das Symbol aus Sacharja, an das Symbol aus der Stiftshütte, an das allerreinste Öl, das ein Symbol für den Geist Gottes ist, der bewirkt, dass zu Gottes Ehren eine Flamme für Gott brennt. Und jetzt brennen eben nicht mehr nur Geräte für Gott, sondern Menschen, die den Geist empfangen.

Jesus hatte seinen Jüngern schon einmal gewissermaßen eine Notration an Heiligem Geist gegeben, um die Situation zu bewältigen

Diese Menschen werden hier, das ist das Dritte, erstmals erfüllt vom Heiligen Geist. Als sie in der Zeit zwischen Kreuz und Auferstehung voller Angst und auf sich gestellt waren, hatte Jesus ihnen schon einmal gewissermaßen eine Notration an Heiligem Geist gegeben, um die Situation zu bewältigen. Er hatte sie angeblasen und gesagt: „Nehmt Geist“ (Joh 20,22) – so, wie das immer wieder im Alten Testament der Fall war: für eine Zeit und für eine bestimmte Situation den Geist zu bekommen. Jetzt aber kommt der Geist dauerhaft, wie Jesus es verheißen hat: „Ich werde euch einen anderen Beistand geben, der bei euch bleiben wird in Ewigkeit“ (Joh 14,16). Dieser Geist erfüllt hier zum ersten Mal ihr Leben. Später lesen wir öfters in der Apostelgeschichte, dass Gott sie spontan mit seinem Geist erfüllt hat, um in einer Situation, in der etwa ihr Leben bedroht war, aufstehen zu können und für Jesus zu zeugen (Apg 4,8 u.ö.).

Es gibt in der Bibel noch eine andere Art der Geisterfüllung. Neben diesem spontanen Beschenktwerden von Gott in einer Situation völliger Überforderung, gibt es noch das Erfülltwerden der Bereiche unseres Lebens durch Gottes Geist, indem wir ihm im Gehorsam Raum geben: indem wir Gott verherrlichen, indem wir dankbare Leute werden, indem wir die Ordnungen Gottes ernst nehmen (Eph 5,18ff). Beides gibt es, wenn es um die Erfüllung mit dem Geist Gottes geht: das spontane Bestimmtwerden durch den Geist, das in schwierigen Situationen ermutigt und befähigt; und das eher kontinuierliche hingegebene Leben, durch das Gottes Geist in uns mehr und mehr Raum gewinnt. Hier am Pfingsttag wurden alle spontan erfüllt mit dem Geist.

„Glossa lalein“ bedeutete nie ein unverständliches Aneinanderreihen von Silben in einer Sprache, die es gar nicht auf dieser Erde gibt

Und dann kommt das vierte Phänomen: Sie fingen in anderen Sprachen an zu predigen, wie der Geist ihnen die Aussprache eingab. Das war ein Sprachwunder. Da sind die Jesus-Jünger – Leute aus Galiläa. In Israel waren sie eher die Hinterwäldler, die Leute aus dem Galiläa der Heiden. Aber sie reden plötzlich in den unterschiedlichsten Sprachen des Mittelmeerraums. Gott schenkt es, dass sie in diesen verschiedenen Sprachen die großen Taten Gottes verkündigen. Das ist Sprachenrede. Seit Pfingsten gibt es dieses Phänomen. Und es wird uns nirgends im Neuen Testament deutlicher gezeigt, was Sprachenrede ist, als hier. Im Gegenteil: Das Neue Testament verweist uns auf Pfingsten zurück, wenn wir wissen wollen, was Sprachenrede ist. Das nächste Mal, wo Sprachenrede auftaucht, ist in Apg 10, als die ersten Heiden zum Glauben kommen. Als sie den Geist Gottes empfangen, können sie spontan in Sprachen reden; und Petrus verweist auf Apg 2 zurück und sagt: Das ist genau das, was wir an Pfingsten erlebt haben (Apg 10,47; 11,17). Das heißt, das Phänomen von Apg 10 – die ersten Heiden, die in Sprachen reden – war das gleiche wie das geistgewirkte, gottgeschenkte Verkündigen der großen Taten Gottes in einer nicht erlernten irdischen Fremdsprache an Pfingsten. Und wenn dann in Apg 19 von den ehemaligen Johannesjüngern in Ephesus die Rede ist, die, als sie den Geist empfingen, ebenfalls in Sprachen redeten, dann gebraucht Lukas dort die gleichen Wörter wie vorher in Apg 2 und 10. Das kann für seine Leser nichts anderes bedeuten, als dass es um das gleiche Phänomen geht, das zuvor schon näher erklärt wurde. Und tatsächlich wäre kein Griechischleser auf den Gedanken gekommen, dass etwas anderes gemeint sein könnte, denn im Griechischen bedeutet das hier jeweils gebrauchte Wort glossa lalein einfach das Reden in einer (fremden) Sprache. Glossa lalein gehörte zum ganz normalen Wortschatz; es bedeutete nie ein unverständliches Aneinanderreihen von Silben in einer Sprache, die es gar nicht gibt auf dieser Erde. Sondern wenn im gesamten griechischen Wortschatz von glossa lalein („in einer Sprache reden“) die Rede ist, war immer gemeint, dass da jemand in einer (irdischen) Fremdsprache spricht. Das Wunder an Pfingsten war nur, dass die Jünger in einer (irdischen) Fremdsprache redeten, die sie nie gelernt hatten und die der Geist Gottes ihnen in diesem Moment zur Verkündigung der Großtaten Gottes eingab. Entsprechend sollte man auch bei Paulus in 1Kor 12 und 14 nicht plötzlich behaupten, hier sei von etwas ganz anderem die Rede: von einer Art himmlischem Esperanto, von ekstatischem Stammeln im Geist, von Silben, die nach irdischer Syntax keinen Sinn ergeben, sondern von einer himmlischen Sprache der Engel.

Wenn Paulus in 1Kor 12 und 14 von Sprachen-Reden schreibt, führt er dafür keinen neuen Begriff ein. Er sagt auch nicht: Leute, ich meine jetzt etwas anderes als das Sprachenreden, das wir seit Pfingsten kennen. Nein, er gebraucht den gleichen Begriff und setzt ihn als bekannt voraus. Er erklärt seinen Lesern nicht etwas Neues, sondern sagt ihnen nur: Wenn ihr in Sprachen redet, soll das nach folgender Ordnung Gottes geschehen. Manch einer, der – z.B. von der Charismatischen Bewegung her – die Glossolalie des 20.Jahrhunderts kennt, die mit der Pfingstbewegung (und ihren Vorläufern) aufgekommen ist und die in der Regel ein Sprechen von Silben ist, die keine zusammenhängende irdische Sprache bilden, hat das aber ganz anders gehört. Vielleicht ist ihm das Lallen von Silben sogar zur Nachahmung vorgemacht worden. Und man hat ihm gesagt, dass nach Paulus in 1Kor 12-14 diese Silbenkombinationen eine Engelssprache seien (1Kor 13,1), eine himmlische Gebetssprache (1Kor 14,2a), ein Aussprechen geheimnisvoller Laute (1Kor 14,2b), das der Selbsterbauung diene (1Kor 14,4). Tatsächlich beschreibt aber 1Kor 13,1 überhaupt nicht, was mit Sprachenreden gemeint ist. Es macht nur deutlich: Egal, mit welcher nur denkbaren Sprache einer spricht – wenn er keine Liebe hat, nützt das alles nichts! Und in 1Kor 14 wird das geistgewirkte Reden in einer Fremdsprache nicht neu definiert, sondern nur deutlich gemacht, was dabei geschieht – und in welcher Weise es (privat und im Gottesdienst) geschehen soll. Beim Reden in einer (geistgewirkten, aber irdischen) Fremdsprache werden „Geheimnisse“ ausgesprochen. Schon in 1Kor 2,1+4 hatte Paulus deutlich gemacht, dass Christus, der Gekreuzigte, das Geheimnis Gottes ist; und in 1Kor 15,51 wird er die Verwandlung der Gläubigen bei der Wiederkunft Christi als „Geheimnis“ bezeichnen. Es geht also – ähnlich wie bei der Verkündigung der großen Taten Gottes in Apg 2 – auch bei der Sprachenrede in 1Kor 14 um die geistgewirkte Christusverkündigung. Sind Menschen da, die diese Sprache verstehen, hören sie das Evangelium. Ansonsten sollte solche Sprachenrede im Gottesdienst übersetzt und überhaupt nur wenig eingesetzt werden (1Kor 14,5+27). Im übrigen kann unübersetztes Reden Gottes in einer Fremdsprache auch ein Gerichtszeichen Gottes für ungehorsame und ungläubige Menschen sein (1Kor 14,21; vgl. Jes 28,11f). Spricht der Einzelne aber das „Geheimnis Gottes“ in einer geistgewirkten Sprache privat vor Gott aus, preist er damit Gott, indem er vor ihm die großen Taten Gottes bezeugt. Nirgends führt Paulus allerdings eine neue Bedeutung von Sprachenrede (glossa lalein) ein, die sich von der am Pfingsttag erstmals aufgetretenen Sprachenrede unterscheiden würde. Er deutet lediglich an, dass diese geistgewirkte Sprachenrede des Anfangs einmal aufhören wird (1Kor 13,8). Also, so hat es angefangen. Und es ist wesentlich, dass wir von Apg 2 her begreifen, was Sprachenrede ist.

Dass die Zungenrede des 20. Jahrhunderts in der Regel etwas anderes war, als die in Apg 2 geschilderte Sprachenrede, gibt uns zu denken. Hier gilt es, die Praxis an der Bibel zu überprüfen und die Praxis – egal, wie weit verbreitet sie heute ist – an der Bibel zu korrigieren, d.h. sich von unbiblischer Zungenrede zu lösen. Denn keine Erfahrungswerte – weder Erfahrungen innerhalb der Charismatischen Bewegung, noch Erfahrungen von ekstatischem Zungenreden in verschiedenen nicht-christlichen Religionen – können die Norm sein. Norm ist allein die Heilige Schrift.

Die Entwicklung der letzten 100 Jahre hat schlimme Verirrungen gebracht, weil man nicht von klarer biblischer Lehre ausging

Wir haben jetzt schon viel gelernt über den Heiligen Geist, hoffe ich. Und das ist auch dringend nötig. Denn unter Christen gibt es heute weltweit eine erschreckende Verwirrung im Blick auf den Heiligen Geist. Die Entwicklung der letzten 100 Jahre hat hier schlimme Verirrungen gebracht, weil man sich von irgendwelchen Erfahrungen leiten ließ, statt von klarer biblischer Lehre auszugehen; weil man in der Bibel erwähnte Phänomene missverstand und zudem alle erdenklichen nicht-biblischen Phänomene ersehnte und praktizierte; weil man Geist und Geister, Geist und Gefühl verwechselte und dadurch zu einer biblisch nicht mehr legitimierten Erlebnisfrömmigkeit kam, die sich zu einer Bewegung auswuchs, die wie keine andere anfällig ist für falsche Lehren und immer neue, biblisch nicht begründbare Praktiken. Hier gilt es, neu Maß zu nehmen am Maßstab des biblischen Wortes.

Die Folgen von Pfingsten

Was Gott am Pfingsttag schenkte, hatte Folgen. Als der Geist kam, schieden sich sehr schnell die Geister. Die einen waren einfach nur verwirrt. Sie wussten mit den Phänomenen nichts anzufangen: „Sie entsetzten sich aber und wurden ratlos und sprachen, was soll das wohl werden!“ (Apg 2,12). Etwas Übernatürliches passiert – und sie sind nur verwirrt und sperren sich. Sie können mit dem Geschenk Gottes nichts anfangen. Dann waren da noch die anderen, die machten ihre Witze und hatten ihren Spott: Sie „sind voll süßen Weins!“ sagen sie (Apg 2,13).

Wo der Geist tatsächlich wirkt, ist wenig vom Geist, aber umso mehr von Jesus die Rede

Dieses distanzierte Verhalten auf Gottes Handeln hin gibt es bis heute. Das kann bis zur Lästerung des Geistes Gottes gehen, die nicht vergeben wird. Aber Apg 2 läuft nicht darauf hinaus, uns gegenüber zu betonen, dass Ratlosigkeit und Ablehnung die eigentliche Wirkung sind, wenn Gott seinen Geist schenkt. Die Geistesgegenwart führt vielmehr zur Bezeugung des Wortes Gottes. Wo der Geist wirkt, wird Jesus verkündigt. Das ist eigentlich die große Gnade Gottes: dass Gott es nicht bei übernatürlichen Phänomenen belässt, nicht beim Brausen, das man hört in einer Audition; nicht in Flämmchen, die man sieht in einer Vision; nicht in einer nur inneren Erfüllung, die ein Außenstehender gar nicht sieht; auch nicht nur in der übernatürlichen Bezeugung des Evangeliums von den großen Taten Gottes in anderen Sprachen. Sondern das ist das Geschenk Gottes, dass das Wort von Jesus zum Heil der Menschen klar verkündigt wird und Jesus so seine Gemeinde baut! Tatsächlich ist das die längste Predigt, die wir in der Apostelgeschichte berichtet bekommen. Und wir sehen, es ist eine Jesuspredigt, die genau das in Erfüllung gehen lässt, was schon in den Evangelien verheißen ist, dass nämlich, wo der Geist Gottes wirkt, Jesus unendlich groß und wichtig wird (Joh 16,14). Es ist typisch: Wo der Geist tatsächlich wirkt, ist wenig vom Geist, aber umso mehr von Jesus die Rede. Und so verkündigt Petrus mitten in Jerusalem Jesus, den Verheißenen, Jesus, den Gekreuzigten, Jesus, den Auferstandenen, und Jesus, den kommenden Richter. Und er spricht von der Schuld seiner Hörer vor dem Heiligen Gott (Apg 2,14-36). Als sie das hören, geht es ihnen durchs Herz. Sie fragen, was sie tun müssen. Umkehren, sagt Petrus, einfach zu Gott umkehren, weg vom alten Sündenleben, hin zu Gott. Und die Menschen kehren in Scharen um. Tausende lassen sich am gleichen Tag in den zahlreichen jüdischen Tauchbädern (Miquaoth), die es bis heute am Tempel und am Zionsberg in Jerusalem gibt, taufen und beerdigen so ihr altes Leben, auferstehen zu einem neuen Leben und werden an diesem Pfingsttag der Gemeinde Jesu hinzugefügt (Apg 2,37-41), die aus dem Wort lebt, in Gemeinschaft mit ihrem Herrn und untereinander steht sowie sich in ihrer Sendung in die Welt bewährt (Apg 2,42-47). Aber damit wären wir schon beim nächsten Bibelabschnitt, der uns die Kennzeichen neutestamentlicher Gemeinde als eine Chance für heute vor Augen führt, den wir hier aber nicht näher auslegen können.

Seit dem Pfingsttag baut Gott seine Gemeinde durch Wort und Geist mittels Menschen, die er gebraucht. Wir sollten Maß nehmen an der Pfingstgeschichte. Sie könnte nicht nur unser Geistverständnis korrigieren, sondern auch unser Gemeindeverständnis. Pfingsten als der Geburtstag der Gemeinde könnte dazu ein guter Anlass sein.

Literaturhinweise

  • G.Hasel, Die biblische Zungenrede und die heutige Glossolalie, Lüneburg 1995.
  • „Ist zwischen Pietisten und Charismatikern Einheit möglich? Ein Streitgespräch zwischen dem Gründer und Leiter der evangelikal-charismatischen Anskar-Kirche, Wolfram Kopfermann (Hamburg), und dem Rektor der Freien Theologischen Akademie (FTA) Gießen, Prof. Helge Stadelmann“, idea-Dokumentation 5/98, 72 S.
  • E.Schnabel, „Urchristliche Glossolalie“, Jahrbuch für evangelikale Theologie, 12 (1998), S.77-100.
  • H.Stadelmann, Hrg., Bausteine zur Erneuerung der Kirche: Gemeindeaufbau auf der Basis einer biblisch erneuerten Ekklesiologie, Gießen 1998.
  • U.Wendel, „Bibelarbeit zu Apg 2,42-47“, Jahrbuch für evangelikale Theologie, 12 (1998), S.101-114.
  • U.Wendel, Gemeinde in Kraft: Das Gemeindeverständnis in den Summarien der Apostelgeschichte, Neukirchen-Vluyn 1998.