ThemenGemeinde und Mission, Theologische Beiträge

Der Dienst der Versöhnung in der Geschichte

Welche Rolle können und dürfen Bilder, Musik und Theater in der Verkündigung des Evangeliums spielen?

Versöhnen müsste sprachlich und theologisch korrekt eigentlich versühnen heißen, da es von dem Verb sühnen abgeleitet ist.1 Dem deutschen Wort sühnen liegt die germanische Wurzel *swe swo (= still machen, schlichten) zugrunde. Noch in Luthers Bibelübersetzung findet sich die theologisch eindeutigere Formulierung versühnen. Sühne bezog sich einst auf einen objektiven, sachlichen Ausgleich, wohingegen versöhnen heute nur im personenhaften Bereich, z.B. der Versöhnung zweier Menschen, gebraucht wird. In manchen Kirchenliedern findet sich bis heute noch die alte Form des Wortes mit dem theologischen Inhalt der Zurechtbringung des Menschen mit Gott. „Dein Sohn hat mich versühnt“ heißt es in „Ach Gott und Herr“, „Und ein ewiges Versühnen kommt in Jesu uns zugut“ dichtete Philipp Friedrich Hiller in „Jesus Christus herrscht als König“.

Auch das bekannte Weihnachtslied „O du fröhliche“ greift den Gedanken der Versühnung des Menschen auf, wenn es heißt: „Christ ist erschienen uns zu versühnen“. Versühnung ist die Tat Gottes, der den von ihm getrennten und unter seinem Zorn stehenden Menschen juristisch und persönlich entlastet, um ihm die Gemeinschaft mit seinem Schöpfer zu ermöglichen. „Wir fragen: ‚Wer ist der zu Versöhnende in dieser Versöhnung?‘ und antworten: Gott! Wir fragen nunmehr: Wer ist der Versöhner, der die Versöhnung stiftet und vollbringt? und antworten wiederum: Gott …“2 Der Mensch ist Gott gegenüber schuldig geworden und weiß das auch. Doch wer muss aufgrund dieser Verschuldungen versöhnt werden? „Wer ist es, dem der Sünder jenes „Lösegeld“ schuldet, wer der, dem es des Menschen Sohn entrichtet, der gekommen ist, seine Seele als ein lytrion (Lösegeld, Sühnungsmittel) zu geben (Mk 10,45) und der nach 1Tim 2,6 sich selbst für uns alle, an unserer Stelle (antilytron) als „das Lösegeld“ gegeben hat.“3

Gehen Origenes und andere frühe Kirchenväter noch davon aus, dass der Teufel als Ankläger der Menschen zufriedengestellt werden muss, schreibt Anselm von Canterbury erstmals deutlich, dass es Gott ist, dem das Lösegeld gebührt. Anselm formuliert in der Erkenntnis „des unendlichen Schuldgewichtes der Sünde als Sünde an Gott die Antwort … dass Gott selbst es ist, dem der schuldig gewordene Mensch jene „Genugtuung“ schuldet, die doch nur Gott allein leisten kann! Das eigentliche Geheimnis, auf das die anselmische Erkenntnis von der Genugtuung, die „größer sein muss als alles, was nicht Gott ist“4 bezogen ist, ist in der genauen Entsprechung dazu, dass der geringste Ungehorsam – an Gott begangen – schwerer wiegt als Himmel und Erde …“5 Jesus hat so Gottes für den Menschen unbezahlbare Schuldforderungen an uns restlos bezahlt; er hat die über den Menschen verhängte Strafe restlos abgebüßt. „Die Vollmacht Jesu, von der die Christologie handelt, geht dahin, den sündigen Menschen die Gemeinschaft mit Gott aufzutun … durch seinen Opfertod werden die Menschen frei von der Verfallenheit an Gottes Gericht, und die neue Ordnung Gottes kommt, bei der er die Sünde vergibt (Mk 10,45; 14,24).“6 „Jesus stellt den Frieden her zwischen Gott und der Menschheit, die Gemeinschaft der Liebe. Mit dem zentralen neutestamentlichen Worte: Er wirkt Versöhnung.“7

Dienst der Versöhnung

Der geringste Ungehorsam – an Gott begangen – wiegt schwerer als Himmel und Erde

Da die Frage der Versöhnung die Hauptfrage des Handelns Gottes mit den Menschen ist, von dem uns die Bibel berichtet, müssten wir die ganze Theologie besprechen, um Gottes „Dienst der Versöhnung“ zu verstehen. Wollen wir den „Dienst der Versöhnung“ in der Geschichte betrachten, könnten wir uns die Veränderungen der Theologie in Bezug auf die Lehre der Versöhnung vor Augen führen, müssten aber eigentlich jedes Geschehen in der Geschichte der Gemeinde Gottes betrachten, da Gott nicht nur in theologischen Überlegungen, sondern auch in persönlichen Begegnungen oder weltgeschichtlichen Ereignissen handelnd eingreift, um die Botschaft von der Versöhnung zu verbreiten. All das ist in einem kurzen Aufsatz wie diesem natürlich nicht annähernd möglich. Deshalb wollen wir den Aspekt der Verkündigung des Versöhnungshandelns Gottes herausgreifen. Auch wenn Gott der Versöhnende und der Versöhner ist, bezieht er uns Menschen in die Verbreitung der Botschaft von der Versöhnung ein. Gott benutzt Christen bzw. die Gemeinde, um andere Menschen mit seinem Versöhnungshandeln zu konfrontieren, ihnen Frieden mit Gott zu bringen (2Kor15, 18-21). Wir wollen uns im Folgenden damit beschäftigen, welche Wege in der Geschichte der christlichen Gemeinde beschritten wurden, um die Versöhnung Gott bekannt zu machen.

Persönliche Evangelisation – der Normalfall

Durch all die theologischen, kulturellen und politischen Veränderungen der vergangenen Jahrhunderte hindurch, wurde der christliche Glaube vor allem in persönlichen Beziehungen und privaten Gesprächen bezeugt und weitergegeben. Während Zeiten der Verfolgung gab es häufig kaum andere Möglichkeiten, seinen Glauben zu bekennen, vor dem Einsatz moderner Massenmedien stand dem Menschen kaum mehr als der Einsatz der eigenen Stimme zur Verfügung. Außerdem kann allein im persönlichen Kontakt der Glaube kontinuierlich über längere Zeit hinweg glaubwürdig bezeugt, individuelle Antworten auf Einwände gegeben und die seelsorgerlichen Probleme des betreffenden Menschen besprochen werden. Obwohl bis heute wahrscheinlich die größte Zahl aller Christen durch persönliche Gespräche mit der Botschaft der Versöhnung erreicht worden sind, ist die Veränderung von Form und Inhalt dieser Beziehungen nur schwer nachzuzeichnen, weil die meisten dieser Gespräche weder schriftlich noch elektronisch aufgezeichnet wurden.

Die Predigt – Verkündigung der Versöhnung

Die Predigt ist die auch in der Bibel benannte Grundlage der Verkündigung der Versöhnung (Röm10,17; Gal 3,2). Da Christen zu allen Zeiten Predigten aufschrieben, liegt auch reichhaltiges Material vor, das uns einen Einblick in die Veränderungen der christlichen Predigt gibt.

Lehrmäßige Predigten erklären die Grundlagen des Glaubens oder umstrittene christliche Auffassungen wie die Taufpraxis

In der Alten Kirche sind die uns überlieferten Predigten meist der Schriftauslegung oder der moralischen Ermahnung der Gemeinde gewidmet, aber auch der Aufruf zu Buße und Bekehrung findet sich. Ausleger wie Chrysostomus beginnen ihre Predigt mit der Auslegung eines Bibeltextes und gehen daraufhin zur Ermahnung und Anwendung über. Immer wieder werden in den Predigten auch konkrete aktuelle Themen aufgenommen. So wird über Weihnachten oder Ostern gesprochen, gegen Ketzer argumentiert, die Stellung des Christen zu Wucher, Eid und Spielen diskutiert, Augustinus spricht über die Eroberung Roms durch die Westgoten, Basilius von Caesarea über eine momentane Hungersnot und Johannes Chrysostomus bezieht sich auf ein lokales Erdbeben. Lehrmäßige Predigten erklären die Grundlagen des Glaubens oder umstrittene christliche Auffassungen wie die Taufpraxis. Gepredigt wurde hauptsächlich sonn- und feiertags aber auch samstags. Predigtgottesdienste fanden sowohl morgens als auch abends statt. Die häufig mehr als eine Stunde dauernde Predigt wurde von den Besuchern sitzend, manchmal auch stehend verfolgt. Der Prediger sitzt meist erhöht, um von allen gesehen zu werden und hält die Schrift für oft längere Zitate in der Hand. In vielen mehrsprachigen Gemeinden wird die Predigt entsprechend übersetzt.8

Im Frühmittelalter werden verstärkt Missions- und Bekehrungspredigten gehalten, um die heidnisch germanische Bevölkerung für den christlichen Glauben zu gewinnen. Leider sind nur indirekte Zeugnisse dieser Predigten erhalten. In ihnen wird der christliche Glaube in seiner konkreten Brauchbarkeit für die Lebensbewältigung beschrieben. Neue Lebensbräuche, Gebete und Riten sollen eingeübt werden. In den gottesdienstlichen Predigten werden Auslegungen liturgischer oder bekenntnismäßiger Bibeltexte vorgetragen oder lediglich vorgelesen. Meist beschäftigen sich die Predigten mit moralischer Unterweisung anhand der Gebote und einer Einführung in die Grundlagen des christlichen Glaubens. Die Volkspredigt richtete sich in der jeweiligen Volkssprache an die Bevölkerung. Besonders viele Predigten sind aus den Klöstern des Mittelalters erhalten. Häufig wurden allegorisch ausgelegte Bibeltexte als Briefe oder theologische Traktate über das Kloster hinaus verbreitet.

Seit dem 13. Jahrhundert gewinnt die scholastische Schulpredigt immer größeres Gewicht:

„Die Predigt ist eine offizielle und öffentliche Belehrung über Lebensweise und Glaube; hergeleitet aus Verstandesgründen und der Quelle der Autoritäten, dient sie zur Unterweisung der Menschen“9

Im Gegensatz zur unterhaltenden und motivierenden Volkspredigt soll die systematisch und rhetorisch aufgearbeitete Schulpredigt einen biblischen Sachverhalt möglichst eingehend darstellen. In den scholastisch geprägten Volkspredigten der Bettelmönche schließt sich an den Bibeltext meist eine mit zahlreichen Beispielen illustrierte moralische Ermahnung und Belehrung an. Manchmal wird der Ausgangspunkt der Predigt auch in einem Beispiel, einem historischen Ereignis oder der Natur gesucht. Die Predigten der Waldenser und der vorreformatorischen Anhänger Wyclifs und Huss lehnen sich formal an diese Formen der Volkspredigten an.

„Die Predigt soll den Menschen zum Glauben anhalten, locken reizen.“

Bei Luther steht die Predigt im Zentrum der kirchlichen Praxis. Das Wort Gottes ist für ihn zugleich Inhalt und Medium der Theologie. Predigt ist nur möglich, weil Gott zum Menschen redet. Die Predigt soll den Menschen zum Glauben anhalten, locken reizen10 In den mehr als 2000 von Luther erhaltenden Predigten spricht er eine einfache verständliche Sprache. Er benutzt weder eine allegorische Schriftauslegung noch die ausgefeilte Gliederungssystematik der Scholastiker. In seinen Postillenpredigten will er ungeübten Predigern oder Laien Vorbilder liefern:

„Sonst kompts doch endlich dahyn, das ein iglicher predigen wird was er wil, und an stat des Evangelii und seyner auslegung widderumb von blaw endten gepredigt wird.“11

Neben den Auslegungen der Perikopen des Kirchenjahres hält Luther auch Predigtreihen, in denen er ganze biblische Bücher für die Gemeinde auslegt. Dabei zieht er in seinen Predigten viele biblische Paralleltexte heran, stellt immer einen Bezug zum Glauben an Jesus Christus her und versucht den Hörern die Welt der Bibel unmittelbar zu vergegenwärtigen. Zeitgenossen Luthers orientierten sich häufig an seiner Predigtweise, manchmal wurden seine Predigten lediglich vorgelesen. Entsprechend der großen Bedeutung der Predigt in der Reformation wurde oft und lang gesprochen. Zwei bis dreimal wurde an normalen Sonntagen gepredigt, mindestens dreimal in der Woche, in der Fastenzeit wurde täglich ein Predigtgottesdienst gehalten. Allerdings bedienten sich die meisten Pfarrer dieser Zeit verbreiteten Predigtsammlungen als Grundlagen ihrer eigenen Ansprachen.

Im 16. und 17. Jahrhundert wurden von einem Pfarrer jährlich ca. 200 Predigten erwartet mit einer Länge zwischen ein und zwei Stunden

Zwingli predigt in seiner Zeit in Zürich fast täglich, wobei er sich gegen die festgelegte Perikopenordnung wendet und statt dessen fortlaufend die Bibel auslegt. Unerschrocken wendet er sich darin gegen die Sittenverderbnis und spricht sogar einzelne Zürcher Bürger namentlich an. Auf der Grundlage der Bibel nimmt er zu aktuellen religiösen und politischen Themen Stellung, so zur Heiligenverehrung, zur Fegfeuerlehre, zum Kriegsdienst oder zum Fasten. Er vermeidet übermäßige Rhetorik und versucht seiner Gemeinde in einfacher Gedankenführung Christus einzuprägen und sie zum selbstständigen Umgang mit der Bibel zu erziehen.12

Calvin predigte mehrmals in der Woche für jeweils mehr als eine Stunde. Dabei legte er die Bibel kontinuierlich in einer festen Abfolge aus.

„Calvins Predigten verfolgten das Ziel, das Wort der Schrift im Lebenszusammenhang der Hörer als doctrina geltend zu machen, woraus sich ein gewisser Hang zur Gesetzlichkeit erklären mochte.“13

Die Pfarrer der lutherischen Orthodoxie mussten sich nach der Perikopenordnung richten, die ihnen für jede Predigt einen speziellen Bibeltext vorschrieb. Durch verschiedene Auslegungsmethoden und umfangreiche Materialsammlungen mit Anekdoten, Gleichnissen und Beispielen versuchten die Pfarrer ihre Predigtmöglichkeiten zu erweitern und zu variieren. Die hohe Zahl der zu haltenden Predigten erschwerte die Vorbereitungen der Pfarrer darüber hinaus. – Im 16. und 17. Jahrhundert wurden von einem Pfarrer jährlich ca. 200 Predigten erwartet mit einer Länge zwischen ein und zwei Stunden. Die reformatorische Schriftgemäßheit verwandelte sich bei nicht wenigen Pfarrern zur Schriftgelehrsamkeit, die eher die eigene Belesenheit demonstrierte als die sachgemäße und praxisnahe Auslegung des Wortes Gottes. Im Allgemeinen jedoch blieb die Predigt nicht in den kontroversen theologischen Streitigkeiten der Zeit stecken, sondern vermittelte eine, an Bibel und Katechismus orientierte, erfahrungsbezogene Grundlage im christlichen Glauben. Die Predigten der reformierten Theologen ähnelten denen ihrer lutherischen Kollegen. Bei den Reformierten in den Niederlanden wird bis zu vier Stunden gepredigt.

In England entsteht in der puritanisch und presbyterianischen Theologie eine bibel- und praxisorientierte Predigtweise.

Bengel las in seinen klaren und einfachen Predigten ganze Kapitel der Bibel vor, um die Bibelkenntnis zu fördern

Johannes Arndt will durch seine Predigten ein warmes Herzenschristentum, eine individuelle Frömmigkeit des einzelnen Christen fördern. Er bemüht sich, die zentralen Lehrinhalte lutherischer Theologie auf die innere Erfahrung des einzelnen Gemeindegliedes hin zu konkretisieren. Christian Scriver predigt auf lebendige und anschauliche Weise Buße und individuelle Erbauung. Er illustriert seine Predigten mit Beispielen aus der Natur und der Mechanik. Im Gegensatz zum Bildungsgehabe der aufklärerischen Predigten wollte der Pietismus biblischer, einfacher und praktischer sein. Als Predigtziel formulierte man die individuelle Verinnerlichung des Wortes Gottes und die Entscheidung zur Bekehrung. Die Forderungen zur Heiligung des täglichen Lebens sollten dem Christen vermittelt werden. In seiner Pia Desideria fordert Ph. J. Spener den Hörer durch die Predigt einfältig zu erbauen und durch eine ausführliche Exegese, Lehre, Vermahnung und Trost moralisch-ethisch von Nutzen zu sein. Die zwischen ein und zwei Stunden andauernden Predigten August Herman Franckes konzentrieren sich auf die Themen Buße und Bekehrung, die mit vielen Bildern und Bibeltexten vermittelt wurden. Johann Albrecht Bengel plädierte für klare und einfache Predigten, während derer er ganze Kapitel der Bibel vorlas, um die Bibelkenntnis zu fördern. In zunehmenden Maße wurden zu dieser Zeit theologische Wahrheiten von Philosophie und Wissenschaft relativiert. In der Theologie reagierte man auf diese Säkularisierung mit dem Versuch der Versöhnung von Christentum und Kultur. Einerseits sollte die Predigt auf rationale Weise den Glauben einsichtig vermitteln, andererseits die Moralität als Inbegriff von Religion stärken. Psychologische und pädagogische Erkenntnisse sollten helfen, die Predigt auf den praktischen Lebensvollzug auszurichten. Immer mehr verkam die Kanzel allerdings auch zum Katheder der Aufklärung. Für die Mitte des 18. Jahrhunderts verbreitete Neologie galt nur noch das als predigtrelevant, „was Verstand und Gefühl der Hörer zu berühren und ihre Religion und Sittlichkeit (‚Glückseligkeit‘) zu befördern vermag.“14 Biblische Texte galten nur noch als historisch überholte Einkleidungen allgemeiner Wahrheiten. Generell machte sich eine Tendenz zu Moralismus und Athropozentrismus bemerkbar15 Pfarrer wie W.A. Teller und J.G. Marezoll schließlich predigten ohne biblische Textgrundlage über moralische, politische und geschichtliche Themen. Gelegentlich blieb dabei nur noch ein platter Utilitarismus übrig, der sich mit den Vorzügen der Stallfütterung oder dem Nutzen des Spazierengehens beschäftigten. George Whitefield und John Wesley (der über 40 000 Predigten gehalten haben soll) wollten die Grundgedanken des Evangeliums in einer bildkräftigen und das Gemüt ansprechenden Weise vermitteln. Sie widmeten sich den christlichen Grundwahrheiten, insbesondere der Gegenüberstellung von Himmel und Hölle und der Heiligung des Christen.

Schleiermacher ging es im 19. Jahrhundert im wesentlichen um das Ablegen einer mündlichen Rechenschaft über die eigene religiöse Erfahrung (im Gefühl der Abhänigkeit) in der Predigt. Besonders den gebildeten Zuhörern wollte er durch psychologisch und philosophisch geprägte Gedankengänge helfen den christlichen Glauben zu vergewissern.

Den Predigthörer biblische Texte in spannenden Erzählungen und grandiosen Naturbeschreibungen nachleben lassen

Erweckung: Für C. Harms sollte die Heiligkeit und Gottheit Gottes, so wie sein gnädiges Handeln an den Menschen im Mittelpunkt der Predigt stehen, was ihn allerdings nicht daran hinderte, auch über aktuelle soziale Fragen wie Korruption und Vergewaltigung in seinen Predigten zu sprechen. F.A.G. Tholuck sah in der Predigt einen indirekten Dialog mit den Gottesdienstbesuchern. Seine oft tiefe Erschütterung zurücklassenden Predigten waren ganz auf die unter der Gottlosigkeit leidenden Menschen ausgerichtet:

„Der Prediger (lege) die Heilige Schrift aus ohne alle anderen Voraussetzungen als die eines Herzens, welches für rein Menschliches empfänglich ist.“16

Für den auch von der Erweckungsbewegung geprägten L.Harms stehen die in einer Predigt zu vermittelnden Grundwahrheiten fest:

„O ich möchte nicht eine einzige Predigt tun, von der nicht Jesus Christus der Gekreuzigte der Eckstein wäre, es möchte ja ein betrübter Sünder in meiner Kirche sein, der Jesum, den Sünderheiland, suchte und den ich dann um seine Seligkeit betröge.“17

W. Krummacher wollte biblische Texte in spannenden Erzählungen und grandiosen Naturbeschreibungen den Predigthörer nachleben lassen. In den Predigten von W. Löhns wurde das kirchliche Sakrament besonders hervorgehoben:

„Das Sakrament bildet, das Sakrament erhält, das Sakrament fördert und vollendet die Gemeinde, wenn es erfasst, dargelegt, gereicht und gebraucht wird…“

Die sich gegen den Rationalismus wendenden neuorthodoxen Predigten beschäftigten sich insbesondere mit Gnade, Rechtfertigung, Sünde, Heiligung, Bekenntnis und Sakrament. Der Vermittlungstheologe C.I. Nitzsch betonte in seinen Predigten die ethische Verantwortung des Christen. In der Predigt würde das durch die Schrift vermittelte Wort Gottes mit einer lebendigen Beziehung auf die gegenwärtigen Zustände vermittelt. In der selben Zeit benutzt L. Hofacker in seinen Predigten eine anschauliche Bildersprache, um eine persönliche Sündenerkenntnis zu fördern und in dem gegenwärtigen „Satansreich“ die Herrschaft Gottes zu proklamieren.

Bultmann will sich in seiner Predigt argumentativ auf Dichtung, geistliche Lyrik und Wirk-lichkeitserfahrung beziehen

1890 begann die Diskussion um die „moderne Predigt“, die sich durch Verständlichkeit, Menschennähe, Kommunikation und psychologische Differenzierung auszeichnen sollte. Für M. Peters zeigt sich dieser neue Predigtstil in einem höheren Grad an Subjektivität, die auch den einzelnen Hörer individualisiert, in einer Zuwendung zum Wirklichen und Praktischen und einer Aufnahme moderner Weltanschauungen.18 B. Dörries griff in seinen Predigten vor seiner Arbeitergemeinde Themen wie Arbeitslosigkeit auf, um zu zeigen, dass Gott die Welt liebt und die Menschen nicht auf ein Jenseits vertrösten, sondern ihnen helfen will, im alltäglichen Leben zu bestehen. Bei den religiösen Sozialisten L.Ragaz und H.Kutter traten die Probleme des diesseitigen Lebens noch stärker in den Mittelpunkt der Verkündigung. A.Schlatter versuchte demgegenüber bibelorientiert und doch auf den damaligen Hörer und seine Situation ausgerichtet zu predigen. Nach K. Barth muss der Prediger erst das Leben in der Bibel und das Leben in der Welt verstehen, um dem Hörer das Wort Gottes weiterzugeben.

„Predigen heißt ablesen, was geschrieben steht, ein Ablesen freilich, das zur Anrede wird an den Menschen von heute, aber so, dass auch dieser Mensch von heute durch die Predigt seiner Kirche zum Schüler der Heiligen Schrift wird.“19

Bultmann will sich in seiner Predigt argumentativ auf Dichtung, geistliche Lyrik und Wirklichkeitserfahrung beziehen, um aufzuzeigen, wie sich Gott als die die menschliche Existenz bestimmende Wirklichkeit erweist.

Nach dem 2. Weltkrieg wandten sich die Pfarrer vornehmlich seelsorgerlichen Themen und der Vermittlung kirchlicher Lebenswelt zu. H.Lilje forderte „zurück zu Christus“. Seine den Glauben vergewissernde und missionarisch ausgerichteten Predigten hoben in besonderer Weise die Rechtfertigungslehre hervor. K. Heim bemühte sich durch seine apologetischen Predigten, dem in einer von den Naturwissenschaften geprägten Welt lebenden Menschen die Realität und Gegenwart Gottes vor Augen zu stellen. H. Thielicke wollte durch seine oft von ethischen Themen geprägten Predigten dem Hörer den Glauben vergewissern, dass Gott von der Last der Vergangenheit und der Angst vor der Zukunft befreie.

Seit 1965 wenden sich die Prediger immer stärker der Situation des Mensch zu, auf den der entsprechende Bibeltext bezogen wird. Grunderfahrungen des Lebens sollen dialogisch entfaltet und in Form eines persönlichen Zeugnisses zum Gespräch gestellt werden. Die Glaubensgewissheit kann nicht ein für allemal erlangt werden, sondern muss in den veränderten Situationen der Lebensgeschichte immer wieder neu erfahren werden, wobei die Texte der Bibel ein Ausgangspunkt sein können.20 Neben narrativen (erzählenden) Predigten begannen vor allem Predigten aufgrund subjektiver Betroffenheit über Krieg, Fremdenhass oder Frauenbenachteiligung das Gemeindeleben zu dominieren. In den letzten Jahrhunderten hat eine deutliche Akzentverschiebung von Gott zum Menschen stattgefunden Neben der wechselnden Form (z.B. Länge, allegorische Auslegung, Textauslegung) und den unterschiedlichen Inhalten der Predigten (z.B. moralische Ermahnungen, dogmatische Lehre, aktuelle Bezüge) fällt insbesondere auf, dass in den letzten Jahrhunderten eine deutliche Akzentverschiebung von Gott zum Menschen stattgefunden hat. Es ist bedenklich, dass seit der Aufklärung und dem Pietismus die Bedürfnisse des Menschen, sein Gefühl, sein Intellekt und seine Probleme mehr und mehr in den Mittelpunkt der Verkündigung gerückt sind. In der Frage nach der richtigen Form der Predigt stellte schon C.Harms fest:

„Nun, der heilige Geist wird über die Prediger kommen, wird den alten Glauben in eine neue Vortragsform bringen und wird neue Wege zu den Herzen der Hörer zeigen, bahnen.“21

Bilder, Schauspiel und Musik

Fragen zu Legitimität von Bildern, Schauspiel und moderner Musik in der christlichen Verkündigung stellt sich die Gemeinde nicht erst in unserer Generation. Die Bedenken am Einsatz von Bildern hängen nicht an der Frage, ob diese mit der Hand gemalt, mit Holzschnitt erstellt oder auf dem Computerbildschirm zusammengesetzt werden. Die Vorbehalte gegenüber dem Schauspiel in der Verkündigung betreffen gleichermaßen das vor dem Zuschauer gespielte Theater als auch die über Fernsehen und Computer reproduzierbaren Szenen.

Heute wie vor 1000 Jahren stellten sich Christen dieselben Fragen: Sind Bilder, moderne Musik, Schauspiel und Symbole erlaubt oder generell verboten? Verfälschen diese Mittel die Botschaft von der Versöhnung? Widerspricht die ein oder andere Methode dem Inhalt der christlichen Botschaft? Ist es möglicherweise geboten jedes zur Verfügung stehende Mittel zu benutzen, um die Botschaft der Versöhnung so effektiv wie möglich zu verbreiten? Eine generelle Ablehnung, wie auch eine pauschale Zustimmung zu jeder Form der Verkündigung kann aus der Bibel allein nicht abgeleitet werden. Keine der lehrmäßigen Stellen der Bibel verbieten oder erlauben prinzipiell einzelne Formen der Verkündigung – auch das alttestamentliche Bilderverbot bezieht sich lediglich auf Abbildungen Gottes mit dem Zweck kultischer Verehrung.22

Formen der Verkündigung

Immer wieder finden wir in der Bibel Bedenken zu einzelnen Formen religiöser Verehrung und Verkündigung, aber auch den Einsatz von Bildern23 Musik24 und Gegenstandslektionen25 Schon immer gab es Christen, denen jedes Mittel recht schien und diejenigen, die vor jeder neuen Entwicklung warnten. Immer wieder lesen wir davon, dass Musik und Bilder Menschen halfen zum Glauben zu finden und die Beziehung zu Gott zu vertiefen. Andererseits gab es auch immer wieder Zeiten, in denen die benutzten Methoden der Verkündigung den Inhalt der Botschaft von der Versöhnung überdeckten oder verfälschten. Wenn auch ein historischer Gebrauch keine Auskunft über die Legitimität der verwandten Mittel geben kann, so hilft uns der Blick in die Geschichte doch unsere gegenwärtige Situation besser zu verstehen und die Erfahrungen und Überlegungen unserer Glaubensväter für heute fruchtbar zu machen.

Bilder

In der durch die technischen Möglichkeiten der modernen Medien bestimmten Welt sind stehende und bewegte Bilder allgegenwärtig. Auch in der christlichen Verkündigung werden immer häufiger Bilder in illustrierten Büchern, Dias, Flanellbildern, Filmen und Computeranimationen eingesetzt. In der Kirchengeschichte entsprechen diese Abbildungen den illustrierten Bibelausgaben, den Reliefs und bunten Fenstern der Kirchen, auf denen biblische und kirchengeschichtliche Personen abgebildet wurden, den Ikonen der Ostkirche und den Heiligenbildern. Bei dem weiter unten besprochenen Schauspiel handelt es sich letztlich auch nur um bewegte Bilder. Selbst die Buchstaben sind lediglich vereinfachte Bilder, wie wir an der Geschichte der Schrift, insbesondere den Bildzeichen ägyptischer oder aztekischer Schrift erkennen können.26

In den ersten Jahrhunderten scheint es eine einhellige Ablehnung von religiösen Abbildungen gegeben zu haben

Die Frage nach der Legitimität von Bildern in der christlichen Verkündigung durchzieht die gesamte Kirchengeschichte. In der Umwelt der Alten Kirche war die Abbildung religiöser Inhalte die Regel. Die vom Judentum übernommene Ablehnung von Bildern verhinderte zunächst die Entstehung einer christlichen Bildkunst. Die christlichen Apologeten argumentierten, dass Götterbilder etwas Geschaffenes seien und deshalb nie den Schöpfer darzustellen vermögen.27 In den ersten Jahrhunderten scheint es eine einhellige Ablehnung von religiösen Abbildungen gegeben zu haben.

Als Rechtfertigung für die bildlichen Darstellungen wird wiederholt auf die Sichtbarmachung Gottes in seiner Menschwerdung hingewiesen

Um das Jahr 220 herum tauchen in den Katakomben Roms erste christliche Bilder auf. Dargestellt werden Jona, Noa, Isaak als Beispiele göttlicher Hilfe, sowie Speisungs, Heilungs- und Erweckungswunder, die die Macht Jesu vor Augen führen sollen. Viele Heidenchristen übertragen ihr Interesse an Abbildungen auf den Glauben. Den Hinweis auf die Inkarnation zur Rechtfertigung von Abbildungen Jesu Christi hält Euseb noch nicht für legitim, da der erhöhte, nicht der erniedrigte Jesus verehrt wird, der nicht mit toten Farben und Linien wiedergegeben werden kann. Epihanius von Salamis (4.Jahrh.) weist darauf hin, dass Gott sein Bild bereits in das Herz eines jeden Menschen eingeprägt habe. Andere, wie Basilius von Cäsarea oder Gregor von Nazianz erwähnen in ihren Predigten Abbildungen vorbildlicher Christen und biblischer Szenen positiv. Gregor von Nyssa weist darauf hin, dass ihn die Abbildung der Opferung Isaaks immer wieder tief ergriffen habe.28 Im Westen wendet sich die Synode von Elvira noch scharf gegen christliche Wandmalereien. Andere sehen den Zweck christlicher Bilder unter anderem darin, dass Ungebildete durch sie in christlichen Inhalten unterwiesen werden können.29 Außerdem könnten sie die Christen zum Gebet anregen. Am Ende des 4. Jahrhunderts sind die meisten Kirchen mit biblischen Bildern und Symbolen ausgeschmückt. Insbesondere Gregor I. betont den pädagogischen Zweck der Bilder. In der byzantinischen Kirche entstehen im 6. Jahrhundert die Ikonen. In der Abbildung soll die verehrte heilige Person gegenwärtig sein und so die Ehrerbietung oder die Bitten selbst entgegennehmen. Den Ikonen selbst wird Wundertätigkeit zugeschrieben. Als Rechtfertigung für die bildlichen Darstellungen wird wiederholt auf die Sichtbarmachung Gottes in der Inkarnation, auf Abbildungen im Alten Testament und deren pädagogische Wirkung auf die ungebildete Bevölkerung hingewiesen. 726 wendet sich Kaiser Leon III. gegen die Bilderverehrung und lässt sie 730 verbieten. Einige Mönche sterben in der sich anschließenden Verfolgung für die Verehrung der heiligen Bilder. Im zweiten Konzil von Nicäa (787) werden Bilder wieder erlaubt und anderslautende frühere Entscheidungen widerrufen. Bilderkritiker berufen sich vor allem auf das alttestamentliche Bilderverbot und die Unmöglichkeit, den lebendigen Gott darzustellen. Da auch in Maria, den Aposteln und Heiligen die Herrlichkeit Gottes gegenwärtig sei, könnten auch sie nicht materiell dargestellt werden. Bilderverehrer berufen sich neben Verzierungen der Bundeslade auf Denkmäler des Alten Testaments, der Bejahung der Materie durch die Menschwerdung Gottes und der Fassbarkeit der göttlichen Herrlichkeit in den menschlichen Worten der Bibel. Nach der Überwindung der Bilderstreitigkeiten werden Kirchen, Gebrauchs- und Schmuckgegenstände und vor allem Bücher mit christlichen Illustrationen versehen. Nur Karl der Große wendet sich 791 in seinem Libri Carolini gegen den Gebrauch der religiösen Bilder im Frankenreich. Aber als Schmuck und als Erinnerung an biblische Geschehnisse werden Bilder auch hier akzeptiert. Im Hochmittelalter werden vermehrt Bilderbibeln für die einfache Bevölkerung zusammengestellt.30

Luther empfiehlt, das Geld lieber für Arme als für Bilder auszugeben

Für Luther sind die religiösen Bilder weder heilsnotwendig noch verboten.31 Prinzipiell gelten die mosaischen Vorschriften für den Christen nicht mehr. Darüber hinaus wendet sich das 1. Gebot in erster Linie gegen die inneren Gottesbilder, in denen die äußeren ihren Ursprung haben.32 Er empfiehlt, das Geld lieber für Arme als für Bilder auszugeben,33 sieht aber auch keine Schwierigkeiten darin, Bilder zur Verkündigung zu verwenden.34 Im Gegensatz zum Bilderstürmer Karlstadt geht Luther davon aus, dass mit der Beseitigung des inneren Götzenbildes auch die Gefahr der kirchlichen Bilder gebannt ist (Von der Abthuung der Bilder). Nicht die Existenz der Bilder ist verwerflich, sondern was mit ihnen gemacht werde. Die eherne Schlange in der Wüste und die Engel auf der Bundeslade führt Luther als Beispiele an, wie auf den Befehl Gottes hin religiöse Bilder gemacht wurden.35 Wenn die Bilder historisch zuverlässig sind, sind sie ein wertvolles Hilfsmittel der Verkündigung. Luther selbst illustriert fast alle seiner Publikationen, entwirft bebilderte Flugblätter für die Anliegen der Reformation und gegen das Papsttum, er plant sogar eine reine Bilderbibel herauszugeben.36

Nicht die Existenz der Bilder ist verwerflich, sondern was mit ihnen gemacht wird

Karlstadt und Münzer hingegen fordern die Vernichtung aller religiösen Bilder, deren Aufstellung eine größere Sünde sei als Ehebruch und Diebstahl. In der Mission wurden schon früh Bilder zur Illustration der Predigt eingesetzt. So wurden insbesondere die Klöster und Kirchen in heidnischen Gegenden mit religiösen Bildern ausgeschmückt, die Christen und Heiden als Illustration der Verkündigung dienen sollten.37 Ernst Johansen berichtet von dem Bildereinsatz in der Heidenmission des 19. Jahrhunderts:

„Auf unseren Wanderungen durchs Land nahmen wir … große biblische Bilder mit … Wenn wir ein zusammengerolltes Bild … in der Hand hatten, wurde bald die Frage laut: Was hast du da? … Dann spannte man das Bild in den Rahmen, hing es … auf und schnell sammelte sich ein Kreis von Neugierigen vor dem Bilde … wir … erzählten anschaulich die auf dem Bild dargestellte Geschichte und hatten dann die erwünschte Gelegenheit, vom Bilde ausgehend, den nun aufmerksam gewordenen Hörern zu sagen, was wir ihnen sagen wollten …“38

In den Sonntagsschulen der USA, die bewusst auf eine persönliche Bekehrung hinarbeiteten, wurden auch Bilder eingesetzt.39 1912 beginnt die deutsche Plakatmission durch die auffällige Kombination von Bild und Text Passanten auf Grundlagen des christlichen Glaubens aufmerksam zu machen. Die in den dreißiger Jahren gegründete Kinder- Evangelisationsbewegung versucht von Anfang an mit Bildern und Liedern Kindern das Evangelium von Jesus Christus nahe zu bringen.40

Schauspiel

Unter den frühen Christen war das Theater aufgrund der oberflächlichen Vergnügungen und der dargestellten Sünde verpönt

Unter den frühen Christen war das Theater aufgrund der oberflächlichen Vergnügungen und der dargestellten Sünde verpönt.41 Allerdings wird von den Christen dieser Zeit auch das öffentliche Martyrium als Schauspiel bezeichnet, welches Gott ehrt und Heiden die Größe Gottes vor Augen führt, also den Charakter der Verkündigung hat. Gegen Theater und Schauspiel als Form der Verkündigung wird in der frühen Kirche keine Stellung bezogen. Die frühen Christen wehrten sich aber gegen die griechische Form der Prozession, die vor allem der Selbstdarstellung von Athleten, Heerführern oder Politikern dienten. Trotzdem übernahmen sie schon bald die Form der Prozession als einem verkündigenden Schauspiel.42 Die Reformatoren kritisierten die Prozessionen als Werkgerechtigkeit und Götzendienst. Mysterienspiele43 die einem größeren Publikum das Leben eines Heiligen oder biblische Szenen darboten, waren seit dem 14. Jahrhundert weit verbreitet. Diese mittelalterlichen Schauspiele wurden als Gottesdienst verstanden. Sie wurden mit Gebet und Gesang eingeleitet und abgeschlossen. „Die Passionsspiele hatten nicht nur die Passion, sondern die gesamte Heilsgeschichte zum Gegenstand.“44 Manche der zwei bis sieben Tage dauernden Spiele begannen bei der Erschaffung der Welt und endeten beim künftigen Weltgericht. Neben der Darstellung des Handelns Gottes wurde auch immer wieder die Bedrohung des Menschen durch die Angriffe des Teufels dramatisch thematisiert.45 In England sind Bibeldramen belegt, die zu Frohnleichnam oder Pfingsten die gesamte Heilsgeschichte vorspielten, was durchaus Vergleiche zu aktuellen Fernsehproduktionen mit vergleichbaren Zielen zulässt. Im 16. Jahrhundert finden wir ein langsames Abflauen der Passionsspiele, weil sich Auswüchse und Missinterpretationen häuften. Auch in der evangelischen Kirche wurde das Schauspiel zur Vermittlung geistlicher und historischer Inhalte herangezogen.46 In der Reformationszeit setzten sich evangelische Theaterstücke kritisch mit den Lehren der katholischen Kirche auseinander. So wurde gegen Totenmesse 1522 in Bern oder später gegen Ablass, Papsttum und Werkgerechtigkeit gespielt. In der nachreformatorischen Zeit setzten sich evangelische Kampfspiele in Kirchen und Schulen kritisch polemisch mit katholischer Lehre auseinander und bemühten sich, die evangelische Lehre zu vermitteln. Im 17. Jahrhundert verschob sich der Schwerpunkt schauspielerischer Darstellungen weg von religiösen Inhalten hin zu antiken Stoffen, höfischer Repräsentation und schlüpfriger Unterhaltung. So verwundert es kaum, dass im Pietismus der Theaterbesuch abgelehnt wurde. Spener sprach von der seelenverderbenden Wirkung der Schauspiele.

Ein Widerspruch zur Botschaft der Versöhnung besteht kaum, wenn der Verkündiger als realer Mensch und nicht nur als Stimme auftritt

Die Kritik des Pietismus korrigierte die Ausschweifung und derbe Vergnügungssucht des Theaters im 18. Jahrhundert. Trotz seiner Kritik des zeitgenössischen Theaters benutzten einzelne Pietisten aber die Form des Schauspiels, um geistliche Inhalte zu vermitteln. Beispielhaft sei auf Zinzendorf hingewiesen, der den Gottesdienstraum entsprechend des Kirchenjahres dekorierte, Brüder lebende Bilder darboten, Verkündigungsspiele aufgeführt wurden und Anspiele auf die nachfolgende Predigt vorbereiteten.47 In der Erweckungsbewegung tritt der Prediger teilweise als dramatischer Schauspieler auf, um die Gemeinde intensiver anzusprechen und seinen Gedanken Nachdruck zu verleihen. „George Whitefield (1714-1770) gilt als Erfinder einer neuen Rolle des Predigers. Er sprach die Zuhörerschaft in freier Rede unmittelbar an und las keinen vorher schriftlich niedergelegten Text vor. Der Schauspieler … trat an die Stelle des Gelehrten.“48 Typisch für die Erweckungsveranstaltungen war ihr emotionaler Charakter. Viele Erweckungsprediger entwickelten auch eine eigene Choreographie:

„Finney stieg nicht immer auf die Kanzel, sondern blieb im Kirchenschiff, legte Wert auf Blickkontakt, wandte sich direkt an einzelne und berührte sie sogar. Die Entscheidung oder erneuerte Entscheidung für Christus sollte sofort und in der Öffentlichkeit geschehen … Finney ließ die bekehrten Sünder aufs Podium kommen und dort eine öffentliche Beichte ablegen …“49

Hier handelt es sich keinesfalls um ein verwerfliches oder unmoralisches Vorgehen. Der Prediger setzt lediglich bewusst Körperhaltung, Bewegung und Stimme ein, um den Inhalt seiner Verkündigung zu unterstreichen. Ein Widerspruch zur Botschaft der Versöhnung besteht kaum, wenn der Verkündiger als realer Mensch und nicht nur als Stimme auftritt.

Schon in der frühsten Zeit des Films wurden biblische Inhalte, insbesondere das Leben Jesu verfilmt

Billy Sunday , ehemaliger Baseballspieler in der amerikanischen Nationalmannschaft, wurde nach seiner Bekehrung Evangelist. 1913 zählte man ihn zu den zwei größten Männern der USA. Er war bekannt durch sein gewollt dramatisches, stark sensationelles Auftreten und eine ungewöhnlich herbe Sprache. Hunderttausende fanden durch ihn zum Glauben.50 Ähnliche Inszenierungen evangelistischer Veranstaltungen lassen sich bis in die Gegenwart hinein nachweisen. Ähnlich dem „Schauspiel“ der Märtyrer wurden öffentliche Darstellungen auch in der weiteren Kirchengeschichte zu missionarischen Zwecken eingesetzt. Dazu gehörte häufig die publikumswirksame Zerstörung heidnischer Heiligtümer, wie das Fällen geweihter Bäume. Die vorgeführte Zerstörung des heidnischen Tempels sollte die Macht des biblischen Gottes bildlich vor Augen führen und so den Inhalt der Predigt beglaubigen.51 Auch in der evangelischen Mission des 19. Jahrhunderts wurden „dramatische Aufführungen“ eingesetzt, um biblische Inhalte bildlich vor Augen zu führen und wie Ernst Johansen betont „das Auge ebenso wie das Ohr für den Dienst der Verkündigung zu interessieren und zu fesseln.“52 So ist es bis heute in der evangelischen Mission weit verbreitet neben Bildern dramatische Darstellungen biblischer Ereignisse zu benutzen. An die Stelle eines Schauspiels ist heute allerdings weitgehend Film und Fernsehen getreten (z.B. der „Jesus-Film“).53 Schon in der frühsten Zeit des Films wurden biblische Inhalte, insbesondere das Leben Jesu verfilmt. Die Vorstellungen von Millionen von Menschen wurden durch Filme wie „Die zehn Gebote“, „Quo vadis“ oder „König der Könige“ beeinflusst. Häufig wurden diese Filme auch bewusst zur evangelistischen Verkündigung eingesetzt. Missionarische Spielfilme wurden seit 1950 auch von Billy Graham erfolgreich zur Evangelisation eingesetzt. Den Anfang machten Filme wie „Mister Texas“ und „Ölstadt USA“. Beide zeigen in der Form eines Spielfilms die Bekehrung von Menschen, die sich weg von materiellem Reichtum und Konsum hin zu Jesus Christus wenden.54 Später werden diese und andere Filme auch in Europa erfolgreich für missionarische Zwecke eingesetzt.55 Im 20. Jahrhundert benutzten insbesondere die Jugendbewegung und neue geistliche Aufbrüche Theater, Sketche, Anspiele und Rollenspiele auf Straßen, in Evangelisationen und Gottesdiensten zur Verkündigung. Dabei greifen sie auch auf christliche Theaterstücke namhafter Dichter zurück. In der Kinderarbeit wird Schauspiel und szenische Umsetzung biblischer Inhalte weitgehend eingesetzt.56 Bei den Großevangelisationen „Pro Christ“ und „Jesus House“ werden Anspiele, persönliche Glaubenszeugnisse, Bilder und moderne christliche Musik benutzt um Menschen anzusprechen, die dem Glauben fern stehen. Die Veranstaltungen werden per Satellit bis in die Gemeinden übertragen. Auch beim „Pavillon der Hoffnung“ wird der Glauben den Besuchern der „Expo 2000“ neben Broschüren und persönlichen Gesprächen vor allem durch einen Film präsentiert.57 Auf den Internetseiten vieler freikirchlicher Werke wird dem Medium entsprechend mit Bildern, Graphiken, Musik und Filmausschnitten gearbeitet, um die eigene Arbeit zu präsentieren, aber auch, um evangelistische Verkündigung zu betreiben. Der Mensch wird in seinem Verhalten nicht nur durch seinen Verstand, sondern auch durch seine Emotionen, seine spontanen Gefühle bestimmt. So könnte der völlige Verzicht bildlicher Darstellung geistlicher Inhalte auf Kosten eines abstrakten Intellektualismus zu einer Vernachlässigung des seelischen und emotionalen Zugangs zum Menschen führen.

Musik

Die Musik Bachs sei ein Zeichen der Verweltlichung der evangelischen Kirche

Konservatives Christentum hat „immer versucht, den traditionellen kultischen Bezugspunkt der Musik neu geltend zu machen, und aus dem Interesse allen kultischen Denkens heraus, das Sakrale vor der Profanisierung zu bewahren.“58 So protestierte Papst Johannes XXII (1324) gegen die Einführung der Mehrstimmigkeit in der religiösen Musik.59 In der frühen Kirche war der Gebrauch von Instrumenten im Gottesdienst gänzlich verboten. Die im 3. Jahrhundert v. Chr. in Ägypten entwickelte und dann insbesondere für das kaiserliche Zeremoniell eingesetzte Orgel gilt heute als das Instrument der Kirchenmusik überhaupt. In der Kirchengeschichte entfachte Einführung und Gebrauch dieses „weltlichen“ Instruments jedoch manche Kontroversen. Gegen den Widerstand zahlreicher Theologen werden die ersten Orgeln im 9. Jahrhundert in Kirchen installiert. Doch erst im 14.Jahrhundert ist sie allgemein verbreitet. Der Musikstil der Bachschen Kantate und der Oratorien wurde von der Reformorthodoxie und dem Pietismus abgelehnt, weil sie auch in Oper und Kammermusik zu finden sei. Die Musik Bachs sei demzufolge ein Zeichen der Verweltlichung der evangelischen Kirche.60

Die Praxis der Musik in den christlichen Gemeinden weist jedoch in eine andere Richtung. Musik im Gottesdienst sollte neben dem Lob Gottes schon immer die Aufgabe der Verkündigung erfüllen.61 Beim sogenannten Mailänder Vorfall gibt Ambrosius seiner Gemeinde nicht nur einen intellektuellen Trost, sondern hält sie dazu an, „dass nach dem Brauch des Ostens Psalmen und Hymnen gesungen würden, damit das Volk nicht am Überdruss des Kummers vergehe.62 „Das mit den Karolingern in Deutschland sich ausbreitende Christentum führte den gregorianischen Choral ein und für das Volk den einfachen Kyrie eleison- Ruf.“63 Wenig später wurde die Kirchenmusik mit neuen Strophengesängen erweitert. Zu diesem Zweck wurden überkommene Volksgesänge durch einen neuen Text und das angehängte Kyrie eleis zu christlichen Liedern.64

Teilweise wurden weltliche Vorlagen mit leichten Textveränderungen als geistliche Lieder genutzt.

Im Mittelalter sah man die geistliche Musik in Verbindung mit einer höheren himmlischen Welt, von der sie etwas widerspiegelt. Der Austausch geistlicher und weltlicher Melodien war an der Tagesordnung. Weltliche Melodien wurden mit christlichen Texten versehen und geistliche Lieder in der höfischen Unterhaltung umfunktioniert.

„Kirchliche Instanzen wandten sich zwar entschieden gegen das ihrer Ansicht nach Vulgäre und Unmoralische in mancher Art weltlicher Musik, aber sie reflektierten kaum über kirchliche Musik.“65

In der Liedmystik des Mittelalters wurden Formen des Minne- und Meistersangs übernommen. Teilweise wurden weltliche Vorlagen mit leichten Textveränderungen als geistliche Lieder genutzt. Bis in die Reformation hinein waren diese Dichtungen beliebte christliche Musik. Nach Luther sollte das Kirchenlied vor allem „das heilige Evangelium treiben und in Schwung bringen.“

„Luther ging von dem vorhandenen Liedbestand aus, um ihn im Sinne des Evangeliums zu bessern und zu erweitern. Auf diese Weise entstanden neue Strophen zu ‚Gelobet seist du, Jesu Christ‘ … Hymnenübertragungen … Lieder, die sich an einen vorhandenen weltlichen Typus anschließen, wie ‚Nun freut euch lieben Christen g´mein‘ an den Typus des erzählenden Liebesliedes, … ‚Ein feste Burg‘ an den des politischen Marktliedes, ‚Vom Himmel hoch‘ an den des geselligen Kränzelliedes. Andere Lieddichtungen … halten sich dafür aber an Bibeltexte wie die Psalmlieder …“66

Für Luther hat die Musik ihren eigentlichen Ort nicht im irdischen, sondern im ewigen Leben.67 Demnach ist die irdische Musik ein Wirken Gottes für diese Welt68 und zugleich Gefäß der biblischen Offenbarung.69 So kann Musik eine Vorahnung auf die vollkommene Himmelswelt geben. Musik kann nach Luther für die Verkündigung eingesetzt werden. Sie kann über alles sprachliche Verstehen hinaus Affekte, Trauer, Freude usw. hervorbringen.70 Für Luther wird die in die irdische Sinnenwelt hineinklingende Musik zur Predigt von Jesus Christus als der Offenbarung Gottes in der Geschichte eines historischen Lebens, welches als das fleischgewordene Wort zu verkünden ist.71 Für Luther besteht ein schöpfungsmäßiger Zusammenhang zwischen Musik und Freude. Musik drückt die Freude aus und kann sie gleichzeitig hervorrufen. Kirchenmusik ist für Luther Lobpreis und Verkündigung in einem. Im Gottesdienst stehen sich das Wort (Predigt des Pfarrers) und die Antwort (Gebet und Lobgesang der Gemeinde) ergänzend gegenüber.72

Kirchenmusik ist für Luther Lobpreis und Verkündigung in einem

Evangelische Kirchenmusik ist zunächst als „Lesungsmusik in der Form der Evangelien- und Spruchmotette, dann aber mehr und mehr in der Form der musikalischen Auslegekunst als geistliches Konzert und Kantate von Schütz bis Bach neben und in Verbindung mit dem Kirchenlied zum wichtigsten Bestandteil der gottesdienstlichen Musik geworden.“73 Nach dem evangelischen Liederdichter M. Prätorius ist die Musik der integrierende Bestandteil gottesdienstlicher Verkündigung. Unter anderem beruft er sich dabei auf Justin Märtyr (-167):

Für Calvin ist die Musik immer an das Wort gebunden

„Es ist und bleibet Gottes Wort / auch das da im Gemüth gedachte / mit der Stimme gesungen / auch auff Instrumenten geschlagen und gespielet wird.“74 Die Wittenberger Theologische Fakultät rechtfertigt schon in einem Gutachten von 1597 ausdrücklich den Einsatz der Instrumentalmusik für den evangelischen Gottesdienst, auch wenn dazu nicht begleitend gesungen wird. Musik kann demnach auch ohne gesprochene Worte zum Lob Gottes und zur Verkündigung des Evangeliums dienen.75 Für Calvin kann die Musik zwar auch als Gottes Tun in der sichtbaren Welt bezeichnet werden, die den Himmel auf der Erde widerspiegeln kann, sie ist jedoch immer an das Wort gebunden. Musik hat kein theologisches Eigengewicht. Abgelöst von der in Worten zu predigenden Offenbarung ist die Musik gefährdet, Ausdruck der gefallenen Welt zu werden.76 Demnach hat Musik bei Calvin keine gottesdienstliche Funktion, es sei denn sie lässt sich an das biblische Wort binden, beispielsweise im Psalmengesang. Allerdings geht er dann davon aus, dass das Gotteslob durch die Musik gesteigert wird.

Ein tändelnder Dreierrhythmus zahlreicher Lieder bringt den Pietisten den Vorwurf der Weltlichkeit

Das reformatorische Lied hatte Gott und seine Heilstaten zum Thema und wandte sich direkt an ihn. Der Liedsänger des 17. Jahrhunderts beginnt „sich selbst zum Gegenstand andächtiger Betrachtungen zu machen, seine Einsamkeit und Sündhaftigkeit zu beklagen und seine Begegnung mit dem Seelenbräutigam Jesus zu preisen.“77 Beispiele dieser pietistischen Lieder sind: „O Traurigkeit, o Herzeleid“, „Werd munter mein Gemüte“, „Jesu, meines Lebens Leben“ oder „Auf, auf mein Herz mit Freuden“. So macht sich die Tendenz der Aufklärung zur Individualisierung und Zentrierung auf den Menschen mit seinen Gefühlen und Gedanken auch im Lied bemerkbar. An die Stelle des gemeinsamen Kirchengesangs tritt jetzt vermehrt der Sologesang des Einzelnen. In der zweiten und dritten Generation des Pietismus wird einerseits die orthodoxe Glaubensgewissheit mit einbezogen und andererseits eine gefühlsmäßige Jesushingabe betont.

Lieder, die zuvor der Privatandacht dienten, werden jetzt als Kirchenlieder eingeführt. Die Texte sind schwankend zwischen sieghaftem Überschwang und tiefster Sündenzerknirschung („Liebster Jesu, wir sind hier“, „Ich bin getauft auf deinen Namen“ oder „Ich bete an die Macht der Liebe“).78 Ein tändelnder Dreierrhythmus zahlreicher Lieder bringt den Pietisten den Vorwurf der Weltlichkeit.79 Die ca. 70 000 Lieder des Pietismus werden in der Zeit der Aufklärung größtenteils ausgeschieden.

„Im 18. Jahrhundert haben die Methodisten die Wirkung emotionaler Melodien entdeckt. Seitdem haben Gemeinde- und Chorgesang einen festen Platz im evangelistischen Gottesdienst … Seit den 1870er Jahren traten Prediger wie Dwight D. Moody in Begleitung von Musikern, Sängern und Chören auf. Durch Musik verstärkt, begann die suggestive Atmosphäre den Gottesdienst so sehr zu bestimmen, dass der Inhalt der Predigt in den Hintergrund trat. Alles zielt darauf ab, eine Stimmung zu erzeugen, in der Seelen gewonnen oder gerettet werden konnten …“80

„In seinen ‚Gedanken über die Macht der Musik‘ lobt John Wesley einfache, melodische, gemütvolle Musik und zieht diese den kalten, wenig fruchtbaren Kompositionen vor, die auf akademischen Begriffen von Harmonie beruhen. Nach Wesley … soll Musik eine bestimmte Atmosphäre schaffen, das Gefühl ansprechen und so das Herz der Menschen für Gott öffnen. Eine andere Tradition, die in der Pfingstbewegung lebendig ist, gründet im deutschen Pietismus: das geistliche Singen. Vom Geist erfüllt oder sogar trunken, beginnt das Herz mit Hingabe zu singen – daher die traditionellen Singstunden der Pietisten.“81

Auch in den folgenden Jahrhunderten wurde die Musik bewusst in Gemeindealltag und Verkündigung eingesetzt. Der Erweckungsprediger Johann Heinrich Volkening (1796-1877) unterstützte seine evangelistische Verkündigung stets mit zum Teil selbstgedichteten Liedern.82 Für Dwight L. Moody (1837-1899), den bekanntesten Evangelisten des 19. Jahrhunderts, war Musik ein wichtiger Bestandteil der Verkündigung. Er maß der musikalischen Verkündigung eine solch große Bedeutung bei, dass er den Sänger Ira C. Sankey auf fast alle seine Veranstaltungen mitnahm. Sam Jones, auch bekannt als Gipsy Smith, sang selbst während seiner Evangelisationen, um die Wirkung seiner Predigten zu unterstreichen und zu vertiefen.83 „Während eines halben Jahrhunderts führte Gibsy Smith, auch durch seine Sologesänge, unzählige Menschen zu Gott.“84 Ähnlich wie Moody bezog auch R.A. Torrey (1856-1928) die Musik stark in seine Verkündigung ein. Ihn unterstützte dabei sein fester Sänger Charles Alexander und ein bis 4000 Köpfe zählender Chor.85

Diese anspruchslosen und vielverfemten Lieder gebrauchte Gott als sein Instrument, sodass sie vielen der erste Anstoß zur Buße und zur Übergabe an Christus wurden

Über die besondere Bedeutung der Lieder in der Heiligungsbewegung schreibt Paulus Scharpff:

„Diese so anspruchslosen und vielverfemten Lieder offenbarten eine unnennbare Kraft. Gott gebrauchte sie souverän als sein Instrument, sodass sie vielen der erste Anstoß zur Annäherung, zur Buße und zur Übergabe an Christus wurden.“86

Friedrich von Schlümbach (1842-1901) predigte in der allgemeinen Umgangssprache und schmetterte selbst Sololieder in den Saal „dass die Fenster klirrten“. Diese Art der Evangeliumsverkündigung sprach auch Entkirchlichte und selbst notorische Verbrecher an, die seine Versammlungen besuchten und zum Glauben an Jesus Christus fanden.87 Karl Barth wollte das Kirchenlied im 20. Jahrhundert wieder verstärkt in den Dienst der Verkündigung stellen und betonte daher statt der frommen Innerlichkeit den dogmatischen Inhalt der Lieder.88 Seit 1949 arbeiten die von Major W. Jan Thomas gegründeten Fackelträger auch in Deutschland. Neben der persönlichen Evangelisation und Bibelfernkursen führen sie evangelistische Veranstaltungen durch, die von Jazz- und schlagerartigen Gesängen begleitet werden.89

Gefahren entstehen damals wie heute, wenn die eingesetzte Form den Inhalt verdeckt, verfälscht oder vernebelt

In Pfingstgemeinden und charismatischer Bewegung wird die Musik bis heute als wichtiger Bestandteil gottesdienstlicher Ordnung zur gemeinschaftlichen religiösen Stimulierung und zur Unterstützung der Verkündigung eingesetzt.90 Die beispielhaft hier besprochenen Methoden der Verkündigung haben deutlich gemacht, dass es keine einhellige Ablehnung von Musik, Bildern oder Schauspiel in der Geschichte der christlichen Gemeinde gegeben hat. Auch wurde darauf aufmerksam gemacht, dass diese Mittel sehr wohl das gesprochene oder geschriebene Wort unterstützen und illustrieren können. Manches ist mit musikalischer und bildlicher Unterstützung stärker, drastischer und intensiver aussagbar. – Wahrscheinlich hat Jesus auch deshalb viele Bilder (Lk.12,22ff; Joh.15,1ff), Zeichen (Lk.5,17ff.; 7,18ff) und Gleichnisse (Lk.8,4ff, 10,25) in seine Verkündigung einbezogen. -So scheint es geboten, auch heute deutlicher zwischen Inhalt und Form der zu vermittelnden Botschaft der Versöhnung zu unterscheiden. Der Inhalt des Evangeliums darf keinesfalls verfälscht werden, die Form ist lediglich das besser oder schlechter eingesetzte Medium zur Vermittlung dieses Inhalts von einem Menschen zum anderen. Gefahren entstehen damals wie heute, wenn die eingesetzte Form den Inhalt verdeckt, verfälscht oder vernebelt, bzw. grundsätzlich biblischem Denken widerstrebt. Das kann durch die zu blumige oder verkopfte Sprache eines Redners genauso verursacht werden, wie durch zu laute und aggressive Musik oder ein schauspielerisch gutes, aber lediglich unterhaltendes Anspiel. Da durch das gesprochene oder geschriebene Wort die Botschaft der Versöhnung am klarsten vermittelt werden kann, muss hier der Schwerpunkt der Verkündigung liegen, der durch Bilder, Musik oder Schauspiel unterstützt werden kann. Keinesfalls darf es darum das gesprochene Wort durch Bilder, Musik oder Schauspiel ersetzen. Aber durch die ganze Kirchengeschichte hindurch wurden diese Elemente eingesetzt, um die Aussage des Wortes zu unterstützen und zu intensivieren.

 


Dieser Artikel besteht aus zwei Beiträgen, die in Bibel und Gemeinde 4/2000 und 1/2001 erschienen sind.


  1. vgl. zur sprachlichen Herkunft von „versöhnen“ Friso Melzer; Das Wort in den Wörtern, Tübingen 1965, S.328f 

  2. Heinrich Vogel; Gott in Christo. Dogmatik, Berlin 1951, S.773 

  3. Heinrich Vogel; aaO, S.770 

  4. Anselm, Cur Deus Homo, II. Buch, Kap. VI 

  5. Heinrich Vogel; aaO, S.770 

  6. Paul Althaus; Die christliche Wahrheit, Bd.2, Gütersloh 1948, S.241 

  7. Paul Althaus; aaO, S.245 

  8. vgl. Friedrich Wintzer, Art. Predigt V Alte Kirche, TRE Bd.27 (1997), S.244ff 

  9. PL 210,111C 

  10. Luther; WA 30/1,234,27 

  11. Luther; WA 19,95,12-14 

  12. vgl. Alfred Niebergall, Die Geschichte der christlichen Predigt, Leit 2, 1956, S.281 

  13. Albrecht Beutel Art. Predigt VIII, TRE Bd.27, 1997, S.299 

  14. Albrecht Beutel Art. Predigt VIII, TRE Bd.27, 1997, S.306 

  15. Z.B. A.F.W. Sack; J.F.W. Jerusalem 

  16. bei: FriedrichWintzer; Claus Harms. Predigt und Theologie, Flensburg 1965, S.60 

  17. bei Hugald Grafe; Die volkstümliche Predigt des Ludwig Harms; Göttingen 1965, S.71 

  18. vgl. Friedrich Wintzer, Die Homiletik seit Schleiermacher, Göttingen 1969, S.158f. 

  19. Barth / Thurneysen, Die große Barmherzigkeit, München 1935, Vorrede 

  20. vgl. D. Rössler, Vergewißerung, 1979, Vorwort 

  21. bei: Friedrich Wintzer; Claus Harms. Predigt und Theologie, Flensburg 1965, S.99 

  22. Vgl. A. Baumstark; Art. Bild I. jüdisch, RAC, Bd.2, Sp. 287-302. Christoph Dohmen; Das Bilderverbot: seine Entstehung und seine Entwicklung im Alten Testament, Königstein (Ts.) 1985. Carl Friedrich Keil; Biblischer Commentar über die fünf Bücher Moses, Bd.1, 3.Aufl., Leipzig 1878 

  23. 2Mo25,18f; 2Mo 26,131; Jos 4,1ff; 1Kö 7,25. 

  24. Z.B. Psalmen; 2Mo15,1-18; Ri 5; Am 6,5; Eph 5,19. 

  25. Jer.16; 18; 19; Hos.4,1-11; Mt.21,18ff. 

  26. Vgl. Frederick Bodmer; Die Sprachen der Welt, Kiepenheuer, Köln, 1965; S.33-78 

  27. Vgl. Arnold Angenendt; Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1997, S.143-147 

  28. deit.: PG 46, 572 CD 

  29. Carm. 27, 546-595 

  30. Vgl. Arnold Angenendt; Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1997, S.180 

  31. WA 56,493, 32- 494,17 

  32. WA 1,399,12 

  33. WA1,246,1ff. 

  34. WA1,694,21ff. 

  35. WA 10/3, 21ff.; vgl. WA 18,62-125 

  36. WA 10/2, 458,27ff. 

  37. Vgl. Lutz von Padberg; Die Christianisierung Europas im Mittelalter, Reclam, Ditzingen 1998 

  38. Ernst Johansen; Führung und Erfahrung in 40jährigem Missionsdienst, Bielefeld Bethel o.J. S.93 

  39. Vgl. Paulus Scharpff; Geschichte der Evangelisation, Brunnen Verlag, Gießen 1964, S.208f. 

  40. Vgl. Paulus Scharpff; Geschichte der Evangelisation, Brunnen Verlag, Gießen 1964, S.350 

  41. Vgl. Clemens Alex., paed. III 76-77; Theophilus, Autol. III 15; Minucius Felix, Oct. 12,5-6; Lactantius, epit.58 

  42. vgl. Albert Gerhards; Prozession II, in: TRE, Bd.27, Berlin 1997, S.593-97 

  43. Davidson / Muir / Spector / Tailby; Mysterienspiele, in: TRE Bd.23, Berlin 1994, S.527-533 

  44. E. Fischer- Lichte; Kurze Geschichte des deutschen Theaters, Francke Verlag Tübingen 1993, S.20 

  45. Vgl. E. Fischer- Lichte; Kurze Geschichte des deutschen Theaters, Francke Verlag Tübingen 1993, S.23f. 

  46. vgl. R.Günther; Reformationsfestspiele, in: RGG2, Bd. 4, Tübingen 1930, Sp.1782f 

  47. gl. Erich Beyreuther; Zinzendorf, Reinbek bei Hamburg 1965, S.120 

  48. Bernhard Lang; Heiliges Spiel. Eine Geschichte des christlichen Gottesdienstes, Beck, München 1998, S. 197 

  49. Bernhard Lang; Heiliges Spiel. Eine Geschichte des christlichen Gottesdienstes, Beck, München 1998, S. 200 

  50. Vgl. Paulus Scharpff; Geschichte der Evangelisation, Brunnen Verlag, Gießen 1964, S.202 

  51. vgl. Jean-Marie Salamito; Christianisierung und Neuordnung des gesellschaftlichen Lebens, in: Die Geschichte des Christentums, Norbert Brox Hrsg., Bd.2, Freiburg 1996, S.774f 

  52. Ernst Johansen; Führung und Erfahrung in 40jährigem Missionsdienst, Bielefeld Bethel o.J. S.94 

  53. Der in zahlreiche Sprachen übersetzte Jesus- Film wurde allein bis 1985 von 350 Mio. Menschen gesehen, mehrere 100 000 kamen im Zusammenhang mit dem Film zum Glauben. Vgl. Paul Eshleman; Wunder um den Jesus- Film, Hänssler, Neuhausen Stuttgart 1990, S.9-14 

  54. Vgl. Paulus Scharpff; Geschichte der Evangelisation, Brunnen Verlag, Gießen 1964, S.348 

  55. Vgl. Jürgen Werth; Medien, Medienarbeit in: ELThG, Bd.2, Wuppertal 1993, S.1310f 

  56. vgl. E. u. R. Werner: Theater für Jesus. Pantomime und Theater in der Verkündigung, 1988 

  57. Vgl. idea Nr.22, Mai 2000, S.20f.; Nr.33, August 2000, S.1 

  58. vgl. James Mc Kinnon; Musik und Religion IV, in: TRE, Bd.23, Berlin 1994, S.458 

  59. vgl. James Mc Kinnon; Musik und Religion IV, in: TRE, Bd.23, Berlin 1994, S.458 

  60. vgl. Martin Geck; Die Vokalmusik Dietrich Buxtehudes und der frühe Pietismus, Kassel 1965, S.109ff 

  61. Bernhard Lang; Heiliges Spiel. Eine Geschichte des christlichen Gottesdienstes, Beck, München 1998, S. 21-79 

  62. Augustinus, Conf. IX 7,15 

  63. Martin Geck; Art. Kirchenlied, in: Wilibald Gurlitt Hrsg.; Riemann Musik Lexikon, 12. neubearbeitete Aufl., B. Schott´s Söhne, Mainz 1967, Bd.1, S.451 

  64. Vgl. Martin Geck; Art. Kirchenlied, in: Wilibald Gurlitt Hrsg.; Riemann Musik Lexikon, 12. neubearbeitete Aufl., B. Schott´s Söhne, Mainz 1967, Bd.1, S.451 

  65. James Mc Kinnon; Musik und Religion III, in: TRE, Bd.23, Berlin 1994, S.456 

  66. Martin Geck; Art. Kirchenlied, in: Wilibald Gurlitt Hrsg.; Riemann Musik Lexikon, 12. neubearbeitete Aufl., B. Schott´s Söhne, Mainz 1967, Bd.1, S.451 

  67. WA.TR 4, Nr.4192 

  68. WA 50, 368f. 

  69. WA 5,537 

  70. WA 50, 371 

  71. WA.TR 1, 1258, WA 35, 474 

  72. Vgl. Martin Luther; Einleitung der Predigt zur Einweihung der Schloßkirche zu Torgau, 5.10.1544 

  73. Walter Blankenburg ; Art. Kirchenmusik, in: Wilibald Gurlitt Hrsg.; Riemann Musik Lexikon, 12. neubearbeitete Aufl., B. Schott´s Söhne, Mainz 1967, Bd.1, S.454 

  74. M.Prätrorius; Widmung der Polyhymnia caduceatrix et panegyrica, 1619 

  75. Vgl. Walter Blankenburg ; Art. Kirchenmusik, in: Wilibald Gurlitt Hrsg.; Riemann Musik Lexikon, 12.neubearbeitete Aufl., B. Schott´s Söhne, Mainz 1967, Bd.1, S.454 

  76. vgl. James Mc Kinnon; Musik und Religion IV, in: TRE, Bd.23, Berlin 1994, S.463 

  77. Martin Geck; Art. Kirchenlied, in: Wilibald Gurlitt Hrsg.; Riemann Musik Lexikon, 12. neubearbeitete Aufl., B. Schott´s Söhne, Mainz 1967, Bd.1, S.452 

  78. Vgl. Martin Geck; Art. Kirchenlied, in: Wilibald Gurlitt Hrsg.; Riemann Musik Lexikon, 12. neubearbeitete Aufl., B. Schott´s Söhne, Mainz 1967, Bd.1, S.452 

  79. Vgl. Martin Geck; Art. Kirchenlied, in: Wilibald Gurlitt Hrsg.; Riemann Musik Lexikon, 12. neubearbeitete Aufl., B. Schott´s Söhne, Mainz 1967, Bd.1, S.452 

  80. Bernhard Lang; Heiliges Spiel. Eine Geschichte des christlichen Gottesdienstes, Beck, München 1998, S. 200 

  81. Bernhard Lang; Heiliges Spiel. Eine Geschichte des christlichen Gottesdienstes, Beck, München 1998, S. 441 

  82. Vgl. Paulus Scharpff; Geschichte der Evangelisation, Brunnen Verlag, Gießen 1964, S.163 

  83. Vgl. Paulus Scharpff; Geschichte der Evangelisation, Brunnen Verlag, Gießen 1964, S.203f. 

  84. Paulus Scharpff; Geschichte der Evangelisation, Brunnen Verlag, Gießen 1964, S.212 

  85. Vgl. Paulus Scharpff; Geschichte der Evangelisation, Brunnen Verlag, Gießen 1964, S.217 

  86. Paulus Scharpff; Geschichte der Evangelisation, Brunnen Verlag, Gießen 1964, S.246 

  87. Vgl. Paulus Scharpff; Geschichte der Evangelisation, Brunnen Verlag, Gießen 1964, S.252 

  88. Vgl. Martin Geck; Art. Kirchenlied, in: Wilibald Gurlitt Hrsg.; Riemann Musik Lexikon, 12. neubearbeitete Aufl., B. Schott´s Söhne, Mainz 1967, Bd.1, S.451 

  89. Vgl. Paulus Scharpff; Geschichte der Evangelisation, Brunnen Verlag, Gießen 1964, S.340 

  90. Bernhard Lang; Heiliges Spiel. Eine Geschichte des christlichen Gottesdienstes, Beck, München 1998, S. 427-441