Das Verhältnis zwischen Jesus Christus und Gott ist in der Kirchengeschichte ein häufiges Diskussionsthema gewesen. Manche sahen in Jesus einen besonderen Gesandten Gottes, andere Gott selbst. In welchem Verhältnis Jesus zu Gott steht, hat weit reichende Konsequenzen für den Glauben eines Christen.
Der Apostel Johannes gehörte zum engsten Kreis der Jünger von Jesus. Er verfasste seinen Bericht über das Leben des Herrn Jesus mit der bestimmten Absicht, Glauben an Jesus als den Sohn Gottes zu wecken, damit die Gläubigen dadurch Leben haben (20,31). Deswegen soll in dieser Arbeit aufgezeigt werden, wie Johannes die Person von Jesus darstellt, insbesondere in seinem Verhältnis zu Gott.
1 Jesus Christus ist von Gott dem Vater klar abgrenzbar
Zunächst zeigt sich eine Fülle von Textstellen im Johannesevangelium, die eine klare Unterscheidung zwischen Jesus und Gott dem Vater vornehmen. Jesus selbst spricht z.B. von Gott als seinem Vater und damit als eine offensichtlich separate Person (2,16; 3,16-17; 5,17; 5,19-45; 8,19; 8,38). Erst diese personale Unterscheidung lässt Stellen verständlich werden, in denen das relationale Verhältnis zwischen Jesus und dem Vater zum Ausdruck kommt. So spricht Jesus davon, dass er nicht allein sei, wenn Menschen ihn verlassen, weil er immer noch Gemeinschaft mit dem Vater hat (8,29; 16,31). Diese Gemeinschaft ist an einigen Stellen durch Gegenseitigkeit geprägt. Jesus kennt den Vater (17,25), und der Vater kennt ihn (10,15). Er liebt den Vater (14,31) und bleibt in seiner Liebe (15,10). Der Vater wiederum liebt ihn (10,17; 15,9; 17,26) und hat ihn bereits vor der Schöpfung geliebt (17, 24). Jesus ehrt den Vater (13,31-32), und der Vater ehrt ihn (8,49, 54; 13,31-32; 14,13; 17,1; 17,4; 17,24). Er betet zu (redet mit) dem Vater (11,41-42; 12, 27-28; 17, 1ff), und auch der Vater spricht bestätigend zu seinem Sohn (12,28-29). Johannes zeichnet also ein Bild von echter Gemeinschaft zwischen Jesus und dem Vater, inklusive Liebe, Kommunikation und gegenseitiger Wertschätzung.
Johannes unterscheidet Jesus von Gott, dem Vater, beschreibt ihn aber gleichzeitig als wesenseins mit ihm.
Das Evangelium zeigt, dass Jesus Gott war und dass er sich dessen bewusst war.
In dieser Beziehung nimmt der Vater teilweise eine übergeordnete Stellung ein. Jesus lebt beispielsweise durch den Vater (6,57), und der Vater gibt Jesus einen Namen (17,12). Die Unterscheidung zwischen Jesus und dem Vater findet seinen vielleicht prägnantesten Ausdruck in der Aussage von Jesus, dass der Vater größer sei als er (14,28).
Die Autorität des Vaters zeichnet sich weiter darin aus, dass es der Vater ist, der Jesus Menschen (z.B. die Jünger) gibt (10,29; 17,9; 17,24; 18,9), selbst wenn die Jünger in Jesus sind (14,20).
Auch das Handeln und Wirken von Jesus zeigt seine Abhängigkeit vom Vater. Er bekommt seinen Auftrag von Gott (5,36), und seine Autorität zum Handeln wird ihm von Gott geliehen (5,22.27; 13,3; 17,2; 10,18). Er bekommt Befehle vom Vater (10,18) und zeigt sich willig gehorsam gegenüber dem Vater (15,10). Es ist sein Ziel, den Willen des Vaters zu tun (6,38; 8,29; 14,31). Dass sein Handeln vom Vater bestimmt wird, zeigt sich darin, dass sein Reden und Lehren von Gott kommt (7,16; 8,28; 12,50; 17,8) und er nicht aus eigener Initiative spricht (8, 55). Er hat alles vom Vater gehört (15,15) und gibt den Jüngern das Wort des Vaters (17,14).
Quelle des Handelns von Jesus in dieser Welt ist die Person des Vaters. Seine ganze Arbeit geschieht zur Ehre des Vaters.
Die Wunder, die er tut, werden im Namen des Vaters getan (10,25) und kommen vom Vater (10, 32). Zusammenfassend stellt Jesus fest, dass sein Handeln in der Welt als Quelle die Person des Vaters hat und seine ganze Arbeit zur Ehre des Vaters geschieht (7,18).
Diese Unterscheidung und Unterordnung von Jesus gegenüber dem Vater wird an seiner Sendung besonders deutlich. Schon Johannes der Täufer betont die Sendung von Jesus durch Gott den Vater in Kapitel 3,34ff. Auch Nikodemus und die religiösen Führer in Jerusalem erkennen, dass Jesus von Gott kommt (3,2). Jesus selbst spricht davon, dass er von oben kam (8,23), d.h. dem Himmel (6,42; 6,51) und damit von Gott (7,28; 7,33; 13,3; 16,27; 17,8). Er wurde von Gott abgesondert (10,36) und von Gott dem Vater in die Welt gesandt (3,16-17; 5,23; 5,30; 5,37; 5,38; 6,29; 6,38; 6,57; 7,16; 7,18; 7,28.29; 7,33; 8,16.18.26; 8,29; 8,42; 9,4; 10,36; 12,44.45; 12,49; 13,20; 14,24; 16,12; 17,3; 17,8; 17,18; 17,21; 17,25; 20,21). Das Wort apostello bedeutet „to set apart, by implication to send out (properly on a mission)“1) (Strong’s Dictionary, e-sword). Die Sendung von Jesus bedeutet für ihn aber keine endgültige Trennung vom Vater. Er betont wiederholt sein Ziel, zu dem Vater zurückzukehren (13,1; 13,3; 14,2-3; 14,12; 14,28; 16,9; 16,28; 17,11; 17,13; 20,17). Die Sendung zeigt Jesus also als eigenständige Person in deutlicher Abgrenzung zu Gott dem Vater, die auf der Erde lebt und auf die Wiedervereinigung mit dem Vater wartet.
Die bisher beschriebenen Stellen und Terminologie zeigen eine eindeutige Unterscheidung zwischen Jesus Christus und Gott dem Vater im Johannesevangelium. Die Personen sind nicht nur von einander abgrenzbar und zur Gemeinschaft miteinander fähig, sondern der Vater nimmt eine vorrangige Stellung gegenüber Jesus ein. Somit lassen sich einige Parallelen beobachten zwischen dem Verhältnis von Jesus zu Gott dem Vater und anderen Gesandten Gottes. Die Propheten beispielsweise handelten im Auftrag Gottes, wurden von Gott befähigt und ausgerüstet für ihre Mission und waren bereit, sich Gott unterzuordnen.
2 Implizierte Wesensgleichheit von Jesus und Gott dem Vater
Nicht immer ist das Verhältnis zwischen Jesus und Gott dem Vater im Johannesevangelium so einfach zu beschreiben wie in den oben genannten Bibelstellen. In einigen Fällen scheint die Unterscheidung der Personen in ihrer Identität zu verschwimmen. Jesus sagt z.B. nicht nur, dass der Vater in ihm lebt, sondern genauso, dass er im Vater lebt (14,10-11). Ähnlich schwer zu unterscheiden sind der Vater und Jesus, wenn Jesus feststellt, dass einerseits alles, was Jesus gehört, dem Vater gehört (17,10), aber genauso alles, was dem Vater gehört, Jesus gehört (16,15).
In Bezug auf Autorität finden wir ähnlich scheinbar unvereinbare Aussagen. Jesus verspricht seinen Jüngern, dass er den Vater bitten wird, den Heiligen Geist zu geben (14,16), was die Autorität des Vaters hervorhebt. Gleichzeitig betont er seine eigene Autorität, den Geist selbst zu senden (15,26; 16,7). Jesus argumentiert, dass der Vater die Freiheit hat, den Sabbat zu brechen, weil er in seiner Autorität über dem Sabbat steht. Genau diese Autorität beansprucht Jesus wiederum als Legitimation für sein eigenes Handeln (5,17).
Die Einheit zwischen Jesus und dem Vater kommt zum Ausdruck in der Tatsache, dass wer Jesus liebt, den Vater liebt (15,23), und wer Jesus kennt, den Vater kennt (16,3). Die Einheit geht sogar so weit, dass, als Philippus Jesus bittet, ihm den Vater zu zeigen, Jesus fragen konnte, „du hast mich nicht erkannt, Philippus?“ (14,9) Wer Jesus gesehen hat, hat den Vater gesehen. Wer Jesus glaubt, glaubt dem Vater, und wer ihn gesehen hat, hat den Vater gesehen (12,45).
Diese Identifikation mit Gott zeigt sich auch darin, dass Jesus Bezeichnungen für sich in Anspruch nimmt, die im Alten Testament Gott selbst galten. In Psalm 27,1 steht, dass Jahwe Licht und Heil ist. So behauptet Jesus z.B. das Licht der Welt zu sein (8,12; 9,5). Jesus Christus selbst ist das wahre Licht (1,9), und nicht etwa wie die Jünger durch den Glauben ein Sohn des Lichts (12,36). Dabei liegt in den ersten Versen des ersten Kapitels die Betonung auf der ewigen Gottheit des Wortes, nicht auf seiner Sendung und Unterscheidung vom Vater (siehe unten). Das heißt, dass Johannes das Wort als Licht bezeichnet vor der Geburt von Jesus. Genauso bezeichnet sich Jesus selbst als die Wahrheit (14,6), ein Begriff der im Alten Testament für Jahwe verwendet wird (Ps 31,5; 43,3). In Kapitel 1,17 wird das Wort sogar als „voller Wahrheit“ beschrieben. Die Vollkommenheit der Wahrheit wird aber in den Psalmen Gott zugeschrieben (Ps 57,10).
Jesus will den den Vater bitten, den Heiligen Geist zu senden. Gleichzeitig betont er seine eigene Autorität, den Geist selbst zu senden.
Im Alten Testament gehören Leben (Ps 36,9; 66,9; ) und Tod als Gericht (Gen 2,17; Ps 78,50) in den Hoheitsbereich Gottes. Menschen haben auch eine gewisse Macht, auf das Leben oder den Tod anderer Einfluss zu nehmen, aber nur als Werkzeuge Gottes (Jer 22,25; 44,30). Wer unberechtigten Einfluss auf das Leben eines anderen nimmt, muss sich vor Gott selbst rechtfertigen (Gen 4,9). Totenerweckungen durch Menschen werden in der Bibel berichtet, aber nur da, wo Menschen eindeutig zeigen, dass die Macht dazu nicht aus ihnen selbst kommt (2Kön 4:33; Apg 14,15; 20,10). Jesus bezeichnet sich jedoch selbst als das Leben (14,6) und die Auferstehung (11,25) und stellt diese Macht über Leben und Tod bei der Auferweckung des Lazarus eindrücklich unter Beweis (11,43-44). Dabei ist es bemerkenswert, dass der Tote aufgrund der Autorität von Jesus zum Leben kommt. Jesus betet nicht im Namen des Vaters, dass Lazarus ins Leben wiederkehren soll, sondern befiehlt eigenständig. Diese eigene Autorität wird auch angedeutet, wenn Jesus davon spricht, dass er den Tempel (sein Leib) nach drei Tagen auferwecken wird (2,19). Er hat die Autorität und die Macht, sein Leben selbst hinzulegen und sein Leben selbst aufzunehmen (10,18).
Jesus hat die Autorität und die Macht, sein Leben selbst hinzulegen und sein Leben selbst aufzunehmen.
Genauso wie der Vater Leben in sich selbst hat, hat der Vater dem Sohn Leben in sich selbst gegeben (5,26). Jesus ist berechtigt, ewiges Leben zu geben (6,27; 10,27; 17,2) und wird selbst Menschen am letzten Tag auferwecken (6,40). Jesus sagt, dass das ewige Leben darin besteht, den Vater und Ihn zu kennen (17,3), und macht sich selbst damit Gott gleich zum Inhalt des ewigen Lebens.
Eine Unterscheidung zwischen dem Wesen von Jesus und dem Wesen Gottes wird auch schwierig, wo Glauben an seine Person gefordert wird. Glauben ist ein zentrales Thema der gesamten Bibel. Misstrauen und Unglauben gegenüber dem Schöpfergott waren die Ursache für den Sündenfall (Gen 3,3-6) und führten zum Bruch in der Beziehung zwischen Gott und Menschen. Dementsprechend bewirkt vertrauensvoller Glaube an Gott und dem Versöhnungswerk von Jesus eine Umkehr der Verhältnisse, um die ursprünglich beabsichtigte Gemeinschaft zwischen Menschen und Gott wiederherzustellen (Eph 2,8; Heb 11,6). Glaube hat schon für das jüdische Volk Vertrauen bedeutet, das sich auf Gott z.B. für Rettung verlässt (Jes 7,9). Gott hat sich durch einen Bund als vertrauenswürdigen Partner festgelegt (Gen 15,6ff. 5Mo 6,6-11). Falsche Götter können nicht retten, deswegen ist das Vertrauen auf sie nicht gerechtfertigt (Jes 45,20-25). Wahrer Glaube richtet sich also an Gott selbst, während falscher, wertloser Glaube sich an Götzen wendet. Nun berichtet das Johannesevangelium, dass Jesus zu seinen Jüngern als an Gott gläubige Juden spricht, die auf Gottes Eingreifen für sein Volk in der Person des Messias warten.
In Kapitel 14,1 bestätigt Jesus ihren Glauben an Gott und weitet das Objekt des Vertrauens gleichzeitig auf sich selbst aus. Dieses Ziel scheint erstmals, wenn auch noch partiell, erreicht zu sein, als die Jünger merken, dass Jesus alles weiß und deshalb glauben (16,30-31). Das, was Gott im Alten Bund an Vertrauen seiner Person gegenüber von dem Volk Israel einforderte, wird von Jesus nun von den Jüngern eingefordert, ohne ihn zu relativieren oder weiter zu qualifizieren.
In den angeführten Versen zeigt sich, dass das Johannesevangelium nicht nur eine klare Abgrenzung der Personen von Jesus Christus und Gott dem Vater vornimmt. Es gibt auch Stellen, wo Eigenschaften und Handlungen auf beide Personen gleichermaßen angewandt werden, so dass eine Unterscheidung schwierig wird. In manchem mögen Parallelen erkennbar sein zu dem Verhältnis zwischen dem Gläubigen und Gott. Beispielsweise ist Christus in dem Gläubigen (Kol 1,27) und der Gläubige in Christus (2Kor 5,17). Bei Jesus geht diese Einheit jedoch viel weiter und umfasst auch Eigenschaften, die im Alten Testament Gott allein vorbehalten waren. Diese implizieren die Wesensgleichheit von Jesus und Gott dem Vater.
3 Starke Hinweise auf die Wesensgleichheit von Jesus und Gott
Der erste starke Hinweis auf die Wesensgleichheit von Jesus und Gott dem Vater wird im ersten Vers des Johannesevangeliums genannt. „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.“ Aus dem weiteren Verlauf des ersten Kapitels wird deutlich, dass mit dem Wort (logos) Jesus Christus gemeint ist. Damit weist dieser Abschnitt, wie einige oben genannte Verse, darauf hin, dass Christus eine Existenz vor der Schöpfung hatte (1,3) und dass er zu diesem Zeitpunkt (im Anfang) bei Gott war. Diese Position bei Gott betont zunächst die Unterscheidung zwischen Jesus und dem Vater, wie oben bereits an Hand anderer Stellen ausführlich dargestellt.
Nachdem Johannes dieses Geheimnis der Existenz des Christus aus der Zeit vor der Schöpfung beschreibt und seine Nähe zu Gott zeigt, macht er dann die überraschende Feststellung, „und das Wort war Gott“. Der griechische Text kann auch wörtlich übersetzt werden, „und Gott war das Wort“. Das Wort ist aber das Subjekt, da es den bestimmten Artikel hat. Vor Gott kommt kein bestimmter Artikel. Damit wird angedeutet, dass das Wort Gott war, aber nicht das ganze Wesen Gottes ausmachte (Tasker, 1960, S. 45), also nicht „der Gott“ war. Das Fehlen des bestimmten Artikels erlaubt prinzipiell die Übersetzung „ein Gott“, ist aber aus dem Kontext nicht zu begründen (Mounce, 1993, S.28). Somit fängt das Johannesevangelium bereits im ersten Vers mit einer Beschreibung des Wortes an, die eine ungeheure logische Spannung erzeugt: das Wort ist bei Gott (unterscheidbar) und das Wort ist gleichzeitig Gott.
Diese logische Spannung scheint dem Autor keine besondere Mühe zu machen. Es ist interessant, dass die Verwendung von logos einige Parallelen zu der rabbinischen Verwendung des aramäischen Wortes memra aufzeigt.
Der erste Satz des Johannes-Evangeliums erzeugt eine ungeheure logische Spannung.
In Targumin (aramäische Übersetzungen des Alten Testaments) wird der Begriff memra für „Wort“ übersetzt. In über der Hälfte der Fälle wird memra nicht von Gott differenziert, sondern als Erscheinungsform Gottes verwendet (Edersheim 1993, S. 32). Die Übersetzer scheinen den Begriff besonders gerne für Gott verwendet zu haben, wo sie einen starken Anthropomorphismus Gottes vermeiden wollten (Gen 6,6; Ex 33,22; Lev 26,30). Beispielsweise wird memra übersetzt an Stellen für Gottes aktive Handeln (2Sam 6,7) oder für Gottes Stimme (Gen 3,8). Gleichzeitig wurde das Wort auch für Gott selbst verwendet. Abraham glaubt dem memra in Gen 15,6 (www.jewishencyclopedia.com). Von hohem Interesse ist die Übersetzung von 5Mo 33,27 in dem Targum Onkelos. Der Text: „underneath are the everlasting arms“2 wurde übersetzt, „and by His Memra was the world made“3 (Edersheim, 1993, S. 932). Die Ähnlichkeit mit Johannes 1,10 ist bemerkenswert, wenn auch die Ursache für die Diskrepanzen zwischen Targum und Septuaginta unklar sind. Der Vergleich von Johannes 1 mit gängigen aramäischen Übersetzungen der Zeit zeigt also, dass die scheinbar widersprüchlichen Aussagen über Gottes Wesen und dem logos gut in das theologische Denken der Zeit hinein passten und wahrscheinlich von Johannes beabsichtigt wurden. Manche sehen sogar die Anwendung von allen sechs Eigenschaften des memra im ersten Kapitel des Johannesevangeliums bei der Beschreibung des logos (www.bibleword.org).
Bei der Analyse des Verhältnisses zwischen Jesus und Gott kommt dem Begriff „eingeboren“ monogenes eine zentrale Bedeutung zu. In der Einleitung zum Evangelium wird das Wort als eingeboren bezeichnet (1,14; 18). Jesus bezeichnet sich selbst in Kapitel 3,16 und 18 im Gespräch mit Nikodemus als der monogenes Sohn Gottes.
Der einzig-gezeugte Sohn ist dem Wesen nach Gott, genauso wie der Vater.
Insgesamt wird der Begriff neunmal im Neuen Testament verwendet. Neben den vier oben genannten Stellen verwendet Johannes den Begriff in der gleichen Weise für Jesus in 1Jo 4,9. Die anderen vier Nennungen beziehen sich auf Kinder. Ein einziger Sohn (Lk 7,12; Lk 9,38), eine einzige Tochter (Lk 8,42) oder ein besonderer Sohn (Isaak) (Hb 11,17). Auch im Alten Testament bezeichnet jachijd das einzige (und deswegen wertvolle) Kind (Strong’s, e-sword dictionary) (Gen 22,2; Ri 11,34; Am 8,10). Allerdings werden diese Stellen in der Septuaginta nicht mit monogenes übersetzt. In der Septuaginta (LXX) wird in Richter 11,34 monogenes wie im Neuen Testament für ein besonderes (weil einziges) Kind verwendet.
In Psalm 22,20 und 35,17 wird monogenes als „einzigartig“ verwendet. Dabei wird der besondere Wert des beschriebenen Wesens betont, da es z.B. der einzige Nachkomme ist (Lk 7,12; Lk 8,42; Lk 9,38) oder, wie Isaak, das besondere Kind der Verheißung war (Hb 11,17) im Gegensatz zu Ismael. Ismael war ja ebenfalls Abrahams Sohn, war aber eben nicht monogenes. Neuere linguistische Erkenntnisse scheinen diese Betonung der Einzigartigkeit zu bestätigen. Es gibt Hinweise dafür, dass das Wort nicht, wie früher angenommen, von mono und gennao (Verb, zeugen) stammt, sondern von mono und genos (Art). Wäre das Verb „zeugen“ Bestandteil der Konstruktion gewesen, wäre monogennetos das Ergebnis des zusammengesetzten Wortes gewesen (Grudem, 1994, S. 1233). Eine ausführliche Darstellung der Bedeutung von monogenes unter Berücksichtigung neuerer linguistischer Erkenntnissen ist auf „The Apologists Bible Commentary“ unter Johannes 1,18 zu lesen (www.forananswer.org). Die bessere Übersetzung des Begriffes, an Stelle von „einzig-gezeugt“ scheint unter diesem Aspekt „eingeboren“ oder, wie in der Fußnote zur Revidierten Elberfelder Übersetzung, „einzig in seiner Art, oder einziggeborenen, oder einzig“ zu sein. Dies wäre dann ein Hinweis dafür, dass das Wort (Jesus) als der Besondere seiner Art, nämlich der göttlichen Art des Vaters, dargestellt wird.
Sollte monogenes doch vom Verb „zeugen“ abgeleitet sein, spricht der Begriff nicht von einer Erschaffung. Wie oben beschrieben wird der Begriff für Kinder gebraucht, also Menschen, die von Menschen abstammen und somit das gleiche Wesen besitzen. Sie sind vollkommen Mensch und nicht nur „menschlich“. Wenn man also Zeugung nach menschlichem Vorbild auf Jesus und Gott anwenden würde, wäre der einzig-gezeugte Sohn dem Wesen nach Gott, genau wie der Vater. Dass Zeugung in der biblischen Verwendung nur innerhalb einer Gattung stattfindet, zeigt folgende Darstellung: Wenn ein Mensch Sohn (hyios) Gottes wird, dann bedarf es einer neuen Schöpfung (2Kor 5,17), einer Adoption (Gal 4,5) oder einer Neugeburt (Joh 3,7; 1Joh 3,9). Engelwesen werden „Söhne Gottes“ genannt (Hiob 1,6), allerdings wird niemals von einer Zeugung gesprochen (Gill, e-sword commentary, Henry, e-sword commentary). Dies ist auch logisch, da sie zu den Geschöpfen Gottes gehören und nicht wesensgleich mit ihm sind (Neh 9,6; Ps 148,2-5). Es ist das Zeugnis der Bibel, im Gegensatz zum Pantheismus, dass der wahre Gott am Anfang Himmel und Erde schuf und dadurch von seiner Schöpfung zu unterscheiden ist. Wenn Jesus von Gott gezeugt wäre, dann folgt daraus, dass sein göttliches Wesen gleich dem Wesen Gottes selbst sein müsste, wie im Nizäanischen Glaubensbekenntnis formuliert: „wahrer Gott von wahrem Gott, gezeugt, nicht geschaffen.“ Der Begriff der Zeugung vermittelt im normalen Sprachgebrauch den Eindruck einer zeitlich vorgeschalteten Ursache. Der Vater wäre vor dem Sohn, da er ihn gezeugt hat. Dieser Eindruck beruht aber auf Vorstellungen menschlicher Zeugung.
Diese beinhalten jedoch notwendigerweise auch einen weiblichen Partner bei der Zeugung, ebenso wie eine gebärende Mutter. Diese Kategorien des Denkens werden von der Bibel in Bezug auf Gott jedoch nie aufgegriffen und zeigen, dass Analogien ihre Grenzen haben. Es ist also zum Teil schwierig zu entscheiden, welche Inhalte der Autor mit dem Begriff monogenes vermitteln wollte. Sicher scheint in jedem Fall die Aussage, dass Jesus einmalig und dem Vater deswegen sehr wertvoll war.
Jesus lehrt in Kapitel 5,23, dass „alle den Sohn ehren sollen, wie sie den Vater ehren“. Im Alten Testament wacht Jahwe über seine Ehre, und möchte seine Ehre mit keinem teilen (Jes 48,2). Dies wird im ersten Gebot für Israel festgehalten und bildet die Grundlage für den streng monotheistischen Glauben der Juden (Ex 20,2). Gott bezeichnet sich selbst als Jahwe und verbietet es, andere Götter (elohijm) neben ihn zu ehren. Dies wird mit seiner Eifersucht begründet (Ex 20,5), die eine ungeteilte Bindung (kole) des Herzens, der Seele und der Kraft (also den ganzen Menschen) verlangt (5Mo 6,5). Er wird dafür sorgen, dass jedes Knie sich beugen wird und jede Zunge ihm als Herrn die gebührende Ehre zum Ausdruck bringt (Jes 45,23). Auch im neuen Testament zeigt Gott seine Eifersucht beispielsweise an Herodes, der sich wie ein Gott feiern ließ: „Alsbald aber schlug ihn ein Engel des Herrn, darum dass er nicht Gott die Ehre gab“ (Apg 12, 23).
Seine Antwort unterstreicht erneut seinen Anspruch, Gott gleich zu sein.
Vor diesem Hintergrund ist die Aussage von Jesus in Kapitel 5,23 sehr bemerkenswert. Der Kontext von Johannes 5 zeigt, dass Jesus sich vor den Juden dafür rechtfertigt, dass er den Sabbat bricht und Gott seinen Vater nennt und sich damit Gott gleich setzt (5,18). Diese Behauptung hat gegen ihn erneut den Hass der Juden entzündet, die ihn dafür töten wollen (5,18). Seine Antwort auf ihre Empörung korrigiert nicht ein falsches Verständnis seiner Aussagen, sondern unterstreicht erneut seinen Anspruch, Gott gleich zu sein.
Er habe nicht nur die Autorität über den Sabbat, wie Gott selbst, sondern auch noch einen Anspruch auf Verehrung, wie es dem Vater zusteht. Die Juden, die Jesus diese Ehre nicht geben wollen, werden im Johannesevangelium als die Widersacher von Jesus dargestellt und damit auch als Widersacher Gottes des Vaters (5,23). Wer Gott nicht widerstehen möchte, muss Jesus ehren, wie er den Vater ehrt.
Die vollkommenste Formulierung der Anbetung von Jesus findet durch (den „ungläubigen“) Thomas statt.
In Kapitel 8,58 stellt sich Jesus als „Ich bin“ vor, ego eimi. Jesus geht dabei auf den Einwand der Juden ein, dass er nicht von Abraham gesehen werden konnte, da er selbst noch nicht 50 Jahre alt war. Jesus antwortet „ehe Abraham ward, bin ich“ (Präsenz). Somit deutet er nicht nur an, dass er schon vor Abraham existierte, sondern dass sein Wesen zeitlos ewig sei (Barnes, e-sword commentary). Der Begriff „Ich bin“ war den Juden als Übersetzung von Ex 3,14 in der Septuaginta vertraut (Tasker, 1960, S. 122), wo Gott sich dem Mose als hajah aschär hajah vorstellt. Da dies eine besondere Offenbarung Gottes ist, als der geschichtlich handelnde Gott Israels, der seine Autorität zur Rettung seines Volkes Israel aus Ägypten ausweist, von dem der Name Jahwe als Kontraktion möglicherweise abgeleitet wurde (Cole 1973, S. 69; Rienecker, 1992, S. 967; Henry, e-sword commentary), ist die Anspielung von Jesus besonders pikant. Hier deutet Jesus darauf hin, dass er selbst Jahwe sei (Zodhiates, 1994 S. 153; Gill, e-sword commentary; Tasker, 1960, S. 122). Dies könnte auch eine mögliche Erklärung dafür sein, dass die Soldaten in Kapitel 18,5 auf den Boden fallen, als sie ihn verhaften wollen und er sich als „ego eimi“ ausweist (Gill, e-sword commentary). Die Zeitlosigkeit impliziert durch „Ich bin“ würde zu der Beschreibung der Zeitlosigkeit des Wortes in Kapitel 1 Verse 1-3 passen.
In Kapitel 10,30 spricht Jesus, „Ich und der Vater sind eins.“ Dass hier das griechische Neutrum für „eins“ verwendet wird, kann ein Hinweis dafür sein, dass eine Wesensgleichheit gemeint ist.
Wäre eine Gleichheit der Personen gemeint, oder des Handelns und Wollens, wäre ein Maskulinum verwendet worden (NIV Study Bible, 1985, S. 1617, Gassmann, 2000, S 139). Auch aus dem Kontext scheint es um die uneingeschränkte rettende Macht Gottes zu gehen, die Gott verwendet, um sein Volk auch in Ewigkeit zu bewahren (10,29). Somit besteht die Einheit in der Macht Gottes (Barnes, e-sword commentary; Edersheim, 1993, S. 634). So wie niemand seine Schafe aus Gottes Hand reißen kann, kann sie auch niemand aus seiner Hand reißen (Henry, e-sword commentary). Offensichtlich haben die Juden den Sinn seiner Worte so verstanden, dass Jesus sich damit zu Gott erhebt (10,33), denn sie wollten ihn wegen Gotteslästerung steinigen. Dass es sich nicht nur um ein Missverständnis handelt, zeigt sich daran, dass Jesus in den nächsten Versen seine Aussage nicht revidiert, sondern weiter ausführt und die Juden ihn erneut ergreifen wollen (10,39). Jesus hat also bewusst den Eindruck bei den Juden erweckt, dass er sich selbst zu Gott macht (Barnes, e-sword commentary; Edersheimer, 1993, S. 634). Die Juden fordern für Jesus die Todesstrafe, nicht weil er sich zum Messias erhebt, sondern weil er sich Gott gleich macht (10,33).
Die vollkommenste Formulierung der Anbetung von Jesus findet durch Thomas statt, der dem auferstandenen Jesus begegnet und bekennt, „Mein Herr (kyrios) und mein Gott (theos)“ (20,28). Diese Formulierung findet sich als Gebetsruf zu Gott im Alten Testament (2Sam 7,28; 1Kö 18,39; Ps 35,23; Jer 31,18) (Gassmann, 2000, S. 141). Die Jünger hatten Jesus häufig als Herrn (kyrios) bezeichnet, aber dies ist das erste Mal, dass ihn ein Jünger Gott (theos) nennt (Henry, e-sword commentary). Jesus hat Thomas wegen dieser Ehrung nicht zurechtgewiesen, was er als Mensch (Apg 14,13-15) oder Engel (Offb 22,8-9) hätte tun müssen. Im Gegenteil, er lobt Thomas sogar für diesen Glauben, der den früheren Zweifel abgelöst hat, und nennt die glücklich, die den gleichen Glauben an ihn, nur ohne zu sehen, in Zukunft haben werden. Dass Thomas lediglich überrascht war von der Erscheinung von Jesus und zum Vater rief, wird durch den Text widerlegt, da explizit geschrieben steht, dass Thomas „zu ihm“ (Jesus) sprach. Wir finden in dem Bekenntnis des Thomas also eine Anrede des Herrn Jesus, die auf dem Hintergrund des Alten Testaments so verstanden werden muss, dass er ihn dem Wesen nach als Gott betrachtet.
4 Diskussion
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Johannes in seinem Evangelium einerseits klar zwischen Jesus und Gott dem Vater unterscheidet und andererseits diese Unterscheidung aufgibt. Einzelne Stellen betonen sogar explizit die Einheit des Wesens von Gott und Jesus.
- Das Johannesevangelium zeigt Jesus als eine klar vom Vater abgrenzbare und unterscheidbare Person. Er steht in einer personalen Beziehung zum Vater, die geprägt ist von Liebe, Wertschätzung und Kommunikation. Der Vater nimmt dabei gegenüber dem Sohn eine übergeordnete Stellung ein.
- Die Wesensgleichheit von Jesus und Gott wird impliziert. Jesus wird in einer Weise dargestellt, die im Alten Testament nur Gott galt. Er steht in seiner Autorität über dem mosaischen Gesetz, hat die Hoheit über Leben und Tod, und ihm wird Vertrauen und existenzieller Glauben geschenkt.
- Johannes schreibt, dass Jesus (das Wort) Gott war. Er ist der „einzigartige“ des Vaters, oder – nimmt man das Verb „zeugen“ als Wortstamm – der einzig-gezeugte des Vaters. In jedem Fall ist seine Gottheit dem Wesen nach die des Vaters. Dementsprechend verhielt sich Jesus auch. Er forderte und nahm Anbetung von Menschen an, die von der Anbetung Gottes des Vaters nicht unterschieden werden kann. Mit dem Ausdruck „Ich bin“ scheint Jesus sich bewusst als Jahwe geoffenbart zu haben. Jesus stellte sich als wesenhaft „eins“ mit dem Vater dar. Jesus tat dies alles absichtlich und provozierte damit die Juden, die seine Behauptungen, Gott zu sein, als Gotteslästerung wahrnahmen und ihn dafür auch töten ließen.
Es ist bemerkenswert, dass Johannes scheinbar keine Mühe mit widersprüchlich wirkenden Aussagen in seinem Evangelium hatte.
Wie sind die oben genannten z.T. widersprüchlich erscheinenden Aussagen über Jesus und den Vater miteinander in Einklang zu bringen? Es ist zunächst bemerkenswert, dass Johannes scheinbar keine Mühe mit widersprüchlich wirkenden Aussagen in seinem Evangelium hatte. Mit einem unbestimmten Artikel hätte er im ersten Vers eindeutig klar stellen können, dass Jesus nur „ein Gott“ ist. Er hätte ein falsches Verständnis der Juden über die Aussagen von Jesus erklären können und zeigen können, dass er „nur“ der Messias sei und nicht Gott. Er hätte eine Erklärung dafür schreiben können, dass Jesus sich zwar als „ich bin“ ausgibt, aber damit nicht die Septuaginta zitiert, die den Namen Gottes aus Exodus beschreibt. Wie konnte Johannes diese offensichtlichen Spannungen in einem Bericht über Jesus stehen lassen, der ausdrücklich dazu geschrieben wurde, um Menschen zu einem rettenden Glauben an ihm zu führen? Spielte bei den Juden die Logik keine Rolle bei ihrer theologischen Reflexion?
Der Verstand wurde als nützliches Werkzeug angesehen, aber nicht als Maßstab, um über die Wahrheit von Gottes Offenbarung zu entscheiden.
Eine mögliche Erklärung könnte das gängige theologische Verständnis der Zeit bieten, wie oben unter den Ausführungen zu memra beschrieben. Wenn die rabbinischen Targumin schon „das Wort“ nicht nur als Sprache Gottes, sondern als eigenständige Person verstanden, dann ist es nicht verwunderlich, dass Johannes in Jesus eine Parallele dazu zieht. Eine Person, die einerseits vom Vater deutlich unterschieden wird, und dennoch zeitweise als Gott selbst aktiv wird. Damit soll aber nicht der Eindruck erweckt werden, die Juden (und damit auch Johannes) konnten widersprüchliche Wahrheiten über Gott annehmen, weil sie auf menschliche Logik verzichteten. Der Jude und ehemalige Rabbiner Paulus macht im Römerbrief durch seine ausführlichen Argumentationsketten sehr deutlich, dass der Verstand und die Logik beim Erfassen geistlicher Wahrheit voll beteiligt sind. Aber sie haben ihre Grenzen, wenn es um die Beurteilung von Gottes Wahrheit geht. So argumentiert er beispielsweise in Römer 9,19, dass Gott ungerecht sein müsse, wenn er z.B. Pharao verstockt und dazu erweckt, seine Macht (und Zorn) zu demonstrieren. Nach menschlichem Ermessen ist die Schlussfolgerung logisch. Doch ist sie nicht wahr. Paulus kann die Spannung nicht lösen, außer dass er feststellen muss: „Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst?“ (Röm 9,20). Mit anderen Worten, trotz aller Offenbarung Gottes (deus relevatus) bleibt immer ein Teil Gottes für den Menschen unverständlich und verborgen (deus absconditus). Die jüdische Tradition, in der Johannes seine Prägung bekam, hat also den Verstand als nützliches Werkzeug erkannt, um die Richtigkeit von Gedanken über Gott zu prüfen. Der Verstand wurde aber nicht als Maßstab verwendet, um über die Wahrheit von Gottes Offenbarung zu entscheiden.
In den folgenden Jahrhunderten, in der die Kirche nicht mehr unter rabbinischer Prägung stand, führten die Spannungen zwischen Aussagen der Schrift zu drei unterschiedlichen Erklärungsansätzen. Der Arianismus4 betonte die Aussagen aus der ersten Kategorie dieser Arbeit. Da die Unterscheidung zwischen Jesus und dem Vater so offensichtlich sei und der Vater eine übergeordnete Rolle einnimmt, kann Jesus dem Wesen nach nicht vollkommen Gott sein. Jesus wurde von Gott erschaffen und später durch den Vater zu einer besonderen Vormachtstellung erhöht. Er ist demnach göttlich und von Gott in besonderer Weise bevollmächtigt, bleibt aber dem Vater prinzipiell untergeordnet. Der Sabellianismus5 (Modalismus) betont die zweite und dritte Gruppe von Aussagen dieser Arbeit; die Einheit von Jesus und dem Vater. Vater, Sohn und Heiliger Geist sind, nach dieser Lehre, lediglich drei Erscheinungsformen (Modalitäten) der gleichen Person. Gott zeigte sich z.B. als Vater und Jahwe im Alten Testament und als Jesus Christus im Neuen Testament. In der Trinitätslehre wird die logische Spannung der sich scheinbar widersprechenden Aussagen nicht gelöst, sondern die Einsichten folgendermaßen formuliert: Gott existiert in drei Personen; Vater, Heiliger Geist und Sohn (Jesus). Gleichzeitig ist jeder dieser Personen dem Wesen nach vollständig Gott. Es gibt nur einen Gott (Grudem, 2000, S. 222-224).
Sabellianismus und Arianismus scheinen zunächst in sich schlüssige Erklärungssysteme zu sein, die auch für die menschliche Logik am wenigsten Spannung erzeugen. Allerdings muss der Sabellianismus die Gemeinschaft zwischen Vater und Sohn erklären, die z.B. im Johannesevangelium eine prominente Rolle spielt. Wenn Vater und Sohn die gleiche Person sind, dann hat Jesus Selbstgespräche geführt und die Menschen absichtlich getäuscht. Das heißt, die logische Spannung im menschlichen Verstand wird letztendlich auf Kosten eines Verständnisses des Textes geopfert. Wenn aber der Text nicht so zu verstehen ist, dass Jesus und der Vater echte Gemeinschaft hatten, ist nicht mehr ersichtlich, warum die Aussagen zur Einheit zwischen Vater und Sohn so verstanden werden sollen, wie sie wirken. Könnten diese nicht genauso auf einem Missverständnis beruhen? Der Arianismus muss alle Stellen der dritten Gruppe dieser Arbeit durch Alternativauslegungen so interpretieren, dass Jesus und der Vater nicht das gleiche Wesen haben oder gleichermaßen Gott sind. Dies führt jedoch zu einer Interpretation, die dem unmittelbaren Kontext nicht gerecht wird. Die Trinitätslehre dagegen scheint die Bedeutung der Textstellen aus dem Kontext heraus am besten zu beschreiben, erzeugt aber dafür die größten Spannungen für den menschlichen Verstand.
Die Trinitätslehre scheint die Bedeutung der Textstellen aus dem Kontext heraus am besten zu beschreiben.
Hinter den unterschiedlichen Erklärungsansätzen verbirgt sich eine erkenntnistheoretische Grundsatzfrage, nämlich wie der Mensch zuverlässig die Wahrheit über Gott erfahren kann. Ist die Wahrheit prinzipiell nur von der Offenbarung Gottes abhängig, oder ist die menschliche Vernunft geeignet über den Wahrheitsgehalt von Aussagen der Schrift zu urteilen? Wie bereits oben beschrieben, scheint die rabbinische Tradition die Grenzen der menschlichen Logik erkannt zu haben. Auch die Schrift selbst betont die Unzulänglichkeit menschlicher Vernunft bei der Beurteilung von offenbarter Wahrheit (Hiob 42,3; Mt 22,23; Röm 9,19, 11,33-36; 1Kor 1,25). Da der Mensch als Geschöpf begrenzt und sein Verstand durch die Sünde gestört ist, reicht der Verstand nicht aus, um einen unendlichen und heiligen Gott zu begreifen. Es bedarf des Wirkens des Geistes Gottes, damit ein Mensch geistliche Wahrheit als solche wirklich erkennt (1Kor 2,14). Aus diesen Gründen favorisiert der Autor selbst ein trinitarisches Verständnis der in dieser Arbeit vorgestellten Aussagen über das Verhältnis zwischen dem Wesen von Jesus und Gottes im Johannesevangelium. Dies scheint den Aussagen des Textes, unter Berücksichtigung des Kontextes und der vermeintlichen Intention des Autors, am ehesten gerecht zu werden. Die empfundene logische Spannung führt zur demütigen Erkenntnis der eigenen Begrenztheit und der überragenden Größe des transzendenten Gottes.
„Wie unermesslich reich ist Gottes Weisheit, wie abgrundtief seine Erkenntnis! Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege!
Denn wer hat jemals seine Gedanken erkannt, wer ist je der Berater des Herrn gewesen?
Wer hat ihm je etwas gegeben, das Gott ihm zurückgeben müsste?
Denn von ihm kommt alles, durch ihn steht alles und zu ihm geht alles. Ihm gebührt die Ehre für immer und ewig! Amen.“
Römer 9, 33-36 (NeÜ)
5 Bibliographie
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- Mounce, William D, Basics of biblical Greek, Grand Rapids, Zondervan, 1993.
- Rienecker, Fritz, Lexikon zur Bibel, Wuppertal, Brockhaus Verlag, 1992.
- Tasker, R.V.G., John (TNTC), Leicester, Inter-Varsity Press, 1960.
- www.bibleword.org/memra.htm, angewählt am 10.02.2007
- www.forananswer.org/John/Jn1_18.htm, angewählt am 05.02.2007
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- Strong, James, Strong’s Hebrew and Greek Dictionaries, Dictionaries of Hebrew and Greek Words taken from Strong’s Exhaustive Concordance by James Strong, S.T.D., LL.D., 1890, electronic edition, e-sword dictionary
absondern, auch aussenden (mit einem Auftrag ↩
darunter sind die ewigen Arme ↩
und durch Sein Memra wurde die Welt gemacht ↩
Eine frühkirchliche Lehre, die nach einem prominenten Vertreter, Arius, benannt ist, und vor allem in der Christologie im Gegensatz zur Trinitätslehre steht. Die Lehre betont die Unterschiedlichkeit von Vater und Sohn. Der Vater sei alleine Gott und die Welt wurde durch einen erschaffenen Mittler (den Logos) erschaffen. In Abgrenzung dazu wurde das Nicänische Glaubensbekenntnis verfasst. ↩
Sabellius war Priester im 3. Jahrhundert und lehrte die sogenannte „ökonomische Trinität“. Diese Lehre betont die Einheit Gottes. Vater, Sohn und Heiliger Geist sind als drei zeitlich auf einander folgende Erscheinungsformen (Modalitäten) des gleichen Wesens zu verstehen. ↩