ThemenSchöpfungsglaube

Charles Darwin: Schöpfung ohne Schöpfer?

Die Evolutionslehre von der Abstammung der Arten ist untrennbar mit dem Namen Charles Darwin verbunden. Heute scheinen seinen Ideen die Entstehung des Lebens und seiner Vielfalt zu erklären. Darüber hinaus hat seine Theorie religiöse Züge erlangt.

Die Evolutionslehre von der Abstammung der Arten ist untrennbar mit dem Namen Charles Darwin verbunden. Darwins Hauptwerk „Über den Ursprung der Arten“ („On the origin of species“) erschien im Jahr 1859 in einer Auflage von 1.250 Exemplaren und erlebte fünf Folgeauflagen. Damals war Charles Darwin 50 Jahre alt. Das Jahr 2009 bietet somit Anlass für ein Doppeljubiläum. Am 12. Februar 2009 jährt sich zum 200. Mal der Geburtstag von Darwin und am 24. November 2009 zum 150. Mal die Veröffentlichung des „Ursprungs der Arten“. Viele Veranstaltungen und eine Flut von Publikationen begleiteten dieses Ereignis.

Darwin dürfte im Bereich der Biologie der einflussreichste Wissenschaftler der letzten zwei Jahrhunderte sein. Es gelang ihm, die gesamte Biologie unter die Leitidee der natürlichen Abstammung (Evolution) zu stellen. Darwin besaß eine ausgeprägte Gabe zur detaillierten Beobachtung und trug mit großem Fleiß ein immenses Datenmaterial zusammen. Neben seinem Hauptwerk veröffentlichte er etwa 30 Bücher zu wissenschaftlichen Themen, von Rankenfüßern über die Tätigkeit von Regenwürmern, von der Blütenbiologie der Orchideen bis zur Abstammung des Menschen. Seine wissenschaftlichen Leistungen verdienen Anerkennung.

Darwin formulierte erstmals einen Mechanismus, der im Verbund mit anderen (z.B. Vererbung erworbener Merkmale im Sinne Lamarcks) eine natürliche, nicht-schöpferische Entstehung der Arten plausibel erscheinen ließ und den er durch viele Befunde belegen konnte. Jedenfalls sahen es viele Wissenschaftler damals so, und dieser Aspekt hat bis heute große Bedeutung.

Der zentrale „Darwinsche Mechanismus“ (die Selektionstheorie, die unabhängig auch von Alfred Russel Wallace entwickelt wurde) beruht auf drei Beobachtungstatsachen:

  • Es gibt eine Variabilität der Lebewesen (nicht alle Individuen einer Art sind genau gleich gestaltet).
  • Es gibt eine Überproduktion von Nachkommen.
  • Die Anzahl der Individuen einer Fortpflanzungsgemeinschaft bleibt dennoch längerfristig oft annähernd gleich.

Daraus folgt, dass es eine Auslese geben muss, da nicht alle Nachkommen bis zur Geschlechtsreife überleben. Es ist naheliegend, dass diejenigen am ehesten überleben, die am besten mit den jeweiligen Umweltbedingungen zurechtkommen: Das ist das berühmte survival of the fittest, das Überleben der Bestangepassten. Aus der Konkurrenz um die Ressourcen (z. B. Nahrung, Lebensraum, Paarungspartner) ergibt sich eine Art Triebfeder, sich immer wieder neu anpassen zu müssen, um weiterhin konkurrenzfähig zu sein. Darwin stellte sich vor, dass dadurch auch eine Tendenz zur Entstehung neuer Organe unterstützt würde. Natürliche Variation, ein langsamer Artenwandel (Gradualismus) und die natürliche Auslese (Selektion) sind Kernstücke seiner Theorie, die als „Darwinismus“ in die Wissenschaftsgeschichte einging.

Evolution hat in unserer Gesellschaft teilweise religiöse oder ideologische Züge angenommen

Die Evolutionsvorstellung hat ohne Zweifel wissenschaftliche Forschung angeregt und zu neuen Erkenntnissen geführt. Aber es ist nicht zu übersehen, dass Evolution für viele weit mehr ist als ein wissenschaftlicher Leitgedanke. Sie hat in unserer Gesellschaft teilweise religiöse oder ideologische Züge angenommen. Das haben auch Autoren beobachtet, die Evolution selber gar nicht in Frage stellen.1 Der religiöse Charakter von „Evolution“ wird an verschiedenen Symptomen deutlich, z. B. daran, dass Evolution als Erklärung für alle Facetten des menschlichen Daseins herangezogen wird. „Erkenne Dich selbst – mit Darwin“ titelte die Zeitschrift Focus am 1. Dezember 2008.

„Evolution“ wird als Etikett allen möglichen Phänomenen angeheftet. So soll sogar der Fortschritt in Technik und Medizin ohne die Akzeptanz der „Tatsache“ Evolution gefährdet sein. Die Zustimmung zu einer Evolutionsanschauung wird geradezu zur Überlebensnotwendigkeit für die moderne Gesellschaft hochstilisiert. Ein Beweis für einen solchen Zusammenhang wurde nie erbracht, aber mit derartigen Assoziationen werden Stimmungen erzeugt, Ängste geweckt und Abwehrhaltungen gegen Kritiker provoziert. Die Abschottung gegen grundlegende Kritik an der „Tatsache“ Evolution ist ebenfalls ein Zeichen für eine religiöse Seite der Evolutionsanschauung. All das zeigt, was bei diesem Thema auf dem Spiel steht: Es geht auch um unsere Weltanschauung, um das rechte Verständnis des Menschen und seines Verhaltens und den daraus resultierenden Konsequenzen für sein Handeln.

In diesem Artikel und einigen weiteren Folgen sollen beispielhaft in knapper Form einige Aspekte der Evolutionsforschung erörtert werden, mit denen sich bereits Darwin beschäftigt hat und die bis heute Gegenstand der Wissenschaft sind. Darwin selbst hat mögliche Kritikpunkte an der Abstammungslehre formuliert und verschiedentlich angegeben, welche Befunde seine Theorie schwächen oder gar zu Fall bringen würden. Es ist durchaus reizvoll, die von Darwin selbst genannten Problempunkte seiner Theorie aus heutiger Sicht zu betrachten. Es soll aber auch der Frage nachgegangen werden, inwieweit der Optimismus Darwins in Bezug auf andere Fragen heute noch gerechtfertigt ist.2

Design ohne Schöpfer

Charles Darwin, so sagt man, habe gezeigt, dass man keinen Schöpfer benötige, um die Entstehung der Lebewesen und ihrer Vielfalt zu erklären. Der Evolutionsbiologe Francisco Ayala spricht für viele, wenn er schreibt:

„Es war Darwins größte Errungenschaft zu zeigen, dass die zielgerichtete Organisation der Lebewesen als Ergebnis eines natürlichen Prozesses – natürliche Selektion – erklärt werden kann, ohne irgendeine Notwendigkeit, auf einen Schöpfer oder einen anderen äußeren Agenten zurückgreifen zu müssen.“3

Seit Darwin gilt vielen als ausgemacht: Die Theorie von der natürlichen Auslese habe einen zielorientiert handelnden Schöpfer überflüssig gemacht. Darwin selbst drückte es in seiner Autobiographie so aus:

„Wir können nicht länger argumentieren, dass z.B. das schöne Scharnier einer zweiklappigen Muschel von einem intelligenten Wesen geschaffen worden sein müsse wie das Scharnier an einer Tür vom Menschen. In der Veränderlichkeit der Lebewesen und im Wirken der natürlichen Selektion scheint nicht mehr Design zu stecken als in der Richtung, in welcher der Wind bläst. Alles in der Natur ist das Ergebnis unveränderlicher Naturgesetze.“4

Das berühmte Design-Argument, von einem offenkundigen Anschein von Planung auf einen Planer zu schließen, schien mit Darwins Abstammungslehre und seiner Selektionstheorie erledigt zu sein.

In der Biologie halten sich hartnäckig Formulierungen, die ungewollt auf das Wirken eines Schöpfers hinweisen

Doch noch abgesehen von aller fachlichen Einzelkritik an Darwins Theorie und ihren modernen Nachfolgetheorien gibt es ein bemerkenswertes Indiz dafür, dass auf die Annahme eines zielgerichteten Wirkens in der Biologie auch nach Darwin nicht verzichtet werden kann. Dieses Indiz ist die verwendete Sprache. Formulierungen, die ungewollt auf das Wirken eines Schöpfers hinweisen, halten sich in den Beschreibungen der Biologen hartnäckig und sind auch keineswegs seltener geworden. So ist von „Neuprogrammierungen“ und „Flickschusterei“ in der Evolution die Rede, die Natur „erfindet“, „beabsichtigt“, „verfolgt Strategien“ und es ist von Agenten die Rede. Das sind teleologische, das heißt zielgerichtete (finale) Begriffe. Solche Formulierungen dürfte es nach Darwin in der biologischen Ursprungsfrage gar nicht mehr geben, wenn eine Bezugnahme auf einen zielorientiert handelnden Schöpfer wirklich nicht mehr nötig wäre. Wenn es eine „natürliche Schöpfungsgeschichte“ gäbe, wenn sich die Entstehung der Arten gesetzmäßig durch reine Naturprozesse ereignet hätte, müsste dies ohne zielgerichtete Begriffe ausgedrückt werden können. Aber das scheint nicht zu „funktionieren“. Fragt man Biologen, warum sie diese schöpferische Begrifflichkeit verwenden, behaupten sie, dass es sich nur um Metaphern handle, also um bildhafte Formulierungen, die eine abkürzende Redeweise ermöglichten. Der Natur- und Technikphilosoph Hans-Dieter Mutschler kommentiert diese Ausdrucksweise so:

Wenn jemand den konkreten Beweis für seine Behauptung ständig schuldig bleibt, sollte man ihm dann nicht misstrauen?

„Die Teleologie sei eine abkürzende Redeweise für etwas, das sie [die Biologen] auch rein kausalmechanisch ausdrücken könnten, wenn sie nur wollten. Leider wollen sie nie.“5

Man darf hinzufügen: Vermutlich können sie es auch nicht. Mutschler kritisiert in diesem Zusammenhang:

„Wenn jemand beständig mit finalen Begriffen hantiert und ebenso oft versichert, dass er sie eigentlich nicht brauche, aber den konkreten Beweis für seine Behauptung ständig schuldig bleibt, dann wäre es doch rational, ihm zu misstrauen und die Beweislast zu seinen Ungunsten zu verteilen. Dies ist bis heute nicht geschehen.“

Die vom Selektionsmechanismus bestimmte Abstammungstheorie Darwins hat die Wirklichkeit des Schöpfers nicht überflüssig gemacht. Das zeigt sich auch, wenn wir nachfolgend etwas mehr ins Detail gehen.

Natürliche Auslese: zwischen Allmacht und Ohnmacht

Die Auslese der Bestangepassten, das berühmte survival of the fittest (s.o.) hat in den meisten Evolutionstheorien auch heute eine zentrale Stellung behalten. Evolution ist nicht einfach ein „Zufallsprozess“, so wird argumentiert; vielmehr unterliege der Zufall einer Art „Steuerung“ durch die Auslese. Zufällig ist zwar das Auftreten von Mutationen, das sind Änderungen im Erbgut. Und die Mutationen treten nach allem, was man weiß, nicht zielgerichtet auf. Aber der Zufall, der sich im Auftreten ungerichteter Mutationen kundtut, werde gleichsam gebändigt und gelenkt durch die natürliche Auslese. Das funktioniert so: Die allermeisten Lebewesen, bei denen Mutationen auftreten, sind gegenüber anderen benachteiligt (weil die Mutationen meistens schädlich sind) und werden „aussortiert“. Dagegen werden die wenigen Lebewesen mit vorteilhaften Mutationen gefördert, und zwar dadurch, dass sie mehr Nachkommen haben als andere Artgenossen. Auf diese Weise könnten sich die für das Überleben günstigen Mutationen in den jeweiligen Fortpflanzungsgemeinschaften durchsetzen und ausbreiten. Wenn dieses Zusammenspiel von ungerichteter Mutation und umweltbedingter Selektion nur lange genug geschieht, könnten schließlich durch Aufsummierung vieler kleiner Schritte größere Änderungen eintreten. Im Laufe der Zeit würden neue Stoffwechselwege, neue Organe und letztlich alle Baupläne der Lebewesen entstehen.

Dieses „Strickmuster“ zur Erklärung der Evolution ist bis heute Standard in der Evolutionsbiologie, aber es ist nicht unangefochten. Kritische Stimmen aus neuerer Zeit lassen aufhorchen:

„Wie kann eine Evolutionstheorie ernst genommen werden, die vorgibt, die Entstehung der Lebewesen … zu erklären, … wenn alles, was sie uns erzählt, darin besteht, dass verschiedene Zerstörungsraten die Zusammensetzung des Erbguts der Populationen [Fortpflanzungsgemeinschaften] verändern? Wie sind die neuen Varianten, die die natürliche Selektion in den Populationen verbreitet, erstmals erschaffen worden? Obwohl der Begriff ,Schöpfungswissenschaft‘ anrüchige Assoziationen beinhaltet, weil er häufig von einigen religiösen Fundamentalisten verwendet wird, brauchen wir wirklich eine Art ,Schöpfungswissenschaft‘ (in einem anderen Sinne dieses Begriffs) als einen Hauptbestandteil der Evolutionstheorie“ (Wallace Arthur).6

Das hört sich nicht danach an, als seien die Mechanismen der Entstehung der Baupläne längst aufgeklärt. Arthur denkt zwar nicht daran, die Leitvorstellung Evolution zu verlassen, aber offenbar sieht er ein grundlegendes Defizit der auf Selektion basierenden Theorie:

Selektion eliminiert oder erhält, was existiert, erzeugt aber nichts Neues

„Wie sind die neuen Varianten, die die natürliche Selektion in den Populationen verbreitet, erstmals erschaffen worden?“

Erstaunlicherweise verwendet er das Wort „Schöpfung“, um sich jedoch gleich von seinem traditionellen Inhalt zu distanzieren.

Ähnliche Kritik kommt von einigen Forschern, die eine erhebliche Erweiterung der Standardtheorie einfordern. Sie machen darauf aufmerksam, dass durch Selektion nur das Überleben der Bestangepassten (survival of the fittest), nicht aber deren erstmalige Entstehung (arrival) erklärt werde. Diese Kritik ist nicht neu, aber sie wurde in den letzten Jahren neu belebt. So schreibt der Entwicklungsbiologe Gerd B. Müller über die Standardtheorie der Evolution (Neodarwinismus entspricht hier der Synthetischen Evolutionstheorie):

Das Eigentliche, das eine Evolutionstheorie erklären muss, ist immer noch offen

„Obwohl sie sich auf phänotypischer [die äußere Erscheinung betreffenden] Ebene mit der Veränderung existierender Teile befasst, zielt die Theorie weder auf die Erklärung des Ursprungs der Teile, noch auf die Erklärung ihrer morphologischen Organisation noch der Innovation ab. In der Welt des Neodarwinismus war der motivierende Faktor für morphologische [gestaltliche] Veränderung natürliche Selektion, die für die Veränderung und den Verlust von Teilen verantwortlich gemacht werden kann. Selektion besitzt aber keine innovative Fähigkeit: sie eliminiert oder erhält, was existiert. Die generativen und Ordnungsaspekte der morphologischen Evolution fehlen daher der Evolutionstheorie.“7

Das heißt in Kürze: Weil natürliche Auslese nur Nichtangepasstes aussiebt, aber keine neuen Organe zur Anpassung an veränderte Lebensbedingungen hervorbringt, fehlt dem Neodarwinismus der entscheidende natürliche Mechanismus.

Der Fall „Klärung der Evolutionsmechanismen“ muss also neu aufgerollt werden. Die Suche nach Vorgängen, die nicht nur Abwandlung des Vorhandenen (Variation, Mikroevolution), sondern Neukonstruktion von Bauplänen erklären, richtet sich auf Faktoren, die jenseits der Auslese durch die Umwelt (Selektion) angesiedelt sind. Umweltselektion im Verein mit ungerichteten Mutationen erklärt demnach nur einen Teil des evolutionären Wandels, und man kann hinzufügen: beide Faktoren erklären nur den leichteren Teil. Das Eigentliche, das eine Evolutionstheorie erklären muss, ist immer noch offen.

Nun wird beispielsweise Hoffnung darauf gesetzt, dass durch eine Art „Umprogrammierung“ die Gene neu verschaltet und auf diese Weise neue Konstruktionen entwickelt werden können. Das könnte sogar recht sprunghaft geschehen. Ob für solche Vorgänge natürliche Mechanismen gefunden werden, wird sich zeigen müssen. Vorerst gibt es dafür nur Worte als Platzhalter. Bei der Beschreibung dieser hypothetischen Mechanismen machen Evolutionsbiologen erneut ausgeprägt Gebrauch von Begriffen, die an einen zielorientiert handelnden Schöpfer erinnern. Ein besonders krasses Beispiel dieser Art ist der öfter zitierte Satz:

„Evolution von Gestalten besteht zu einem großen Teil darin, sehr alten Genen neue Tricks beizubringen!“8

Es ist schon sehr erstaunlich, dass ein solches Vokabular verwendet wird, obwohl in Wirklichkeit ein ungeplanter, ziel- und geistloser Vorgang beschrieben werden soll.

Woran liegt es, dass das survival of the fittest deren arrival nicht erklärt? Weshalb kann man geringfügige Veränderungen und deren Auslese nicht einfach über lange Zeiträume hochrechnen, um auf diese Weise die Entstehung nicht nur neuer Arten, sondern neuer Baupläne zu erklären? Das hat mit einer Schwierigkeit zu tun, die bereits Darwin bewusst war.

Alles oder nichts?

Darwin wusste um die Erklärungsschwierigkeiten seiner Theorie. Er widmete ihnen ein eigenes Kapitel. Zu diesen Schwierigkeiten gehörten „Organe extremer Perfektion und Verflechtung“. Als Beispiel diskutierte er das Auge und beginnt dabei mit dem Eingeständnis, dass die Annahme, es sei durch natürliche Auslese (Selektion) entstanden, in höchstmöglichem Maße absurd sei.9 Doch er sieht eine Lösungsmöglichkeit: auch ein überaus komplexes und detailliert abgestimmtes Organ wie das Auge könne durch kleine Schritte entstanden sein. Als Beleg dafür, dass die möglich sei, verwies Darwin auf eine Serie verschiedener Augentypen: Flachauge – Becherauge – Grubenauge – Lochkameraauge – einfaches Linsenauge – komplexes Linsenauge. Auf diese Serie wird auch heute oft verwiesen.

Woher kommt das hypothetische primitivste „Urauge“?

Doch mit einem Vergleich der Augenformen hat man keineswegs ihre Entstehungs- und Veränderungsmechanismen gefunden. Bei man- chen Augentypen kann man sich immerhin theoretisch eine allmähliche Umwandlung vorstellen, etwa vom Flachauge zum Grubenauge. Aber dem weiteren Schritt zum Lochkameraauge steht ein ernsthaftes Hindernis entgegen: Das Lochkameraauge bringt nämlich nur dann einen weiteren Nutzen, wenn ein Bildsehen ermöglicht wird. Zwar erzeugt die optische Anordnung beim Lochkameraauge ein Bild auf dem Augenhintergrund, aber ohne bildverarbeitende „Software“ kann der Organismus damit nichts anfangen. Die Umwandlung zum Lochkameraauge ist ohne neuronale Bildverarbeitung vielmehr ungünstig, weil weniger Licht aufgenommen werden kann als mit dem Grubenauge. Es scheint also eher so zu sein, dass die natürliche Auslese die Entwicklung in diese Richtung verhindern würde. In jedem Fall ist die notwendige Entwicklung der Bildverarbeitungssoftware keine Kleinigkeit, keine Angelegenheit von „zahlreichen, aufeinanderfolgenden, geringfügigen Veränderungen“, von denen Darwin sprach. Das erfordert vielmehr eine Menge Programmierkunst auf einem Schlag. Also: Die gegenüber dem Grubenauge zusätzlich gewonnene Bildinformation muss auch verarbeitet werden, wenn sie einen Selektionsvorteil bieten soll. Der Umbau muss daher gleichzeitig mit dem Ausbau von Gehirnleistungen erfolgen, und das kann kaum als gradueller Anpassungsvorgang beschrieben werden, sondern hier ist eine Neukonzeption erforderlich. Damit aber sind Darwins Mechanismen überfordert – zumindest steht eine plausible Erklärung dafür bisher aus.

Ähnliche Probleme stellen sich beim Übergang zum Linsenauge. Ein scharfes Bild benötigt beim Lochkameratyp eine kleine Öffnung. Für die Linse des Linsenauges wird eine größere Öffnung benötigt – wie soll die Selektion mit diesem Widerspruch fertig werden? Der erforderliche Neubau der Linse mit der Lichtbrechungsfunktion ist keine Angelegenheit besserer Anpassung (wozu Selektion verhelfen kann), sondern wieder ein Fall einer Neukonzeption (was Selektion nicht leisten kann). So stellen sich viele weitere Fragen, sobald man die Details betrachtet, z. B. wie der Apparat entstehen konnte, der eine Scharfstellung durch Verformung der Linse ermöglicht, oder wie die Hell-Dunkel-Regulation mittels der Iris installiert wurde usw.

Schließlich: Woher kommt das hypothetische primitivste „Urauge“? Ein solches Auge kann zwar sehr einfach gebaut sein, aber mindestens die Umwandlung des einfallenden Lichts in elektrische Impulse und deren Auswertung durch das Nervensystem sowie die passenden Reaktionen des Organismus müssen von vornherein aufeinander abgestimmt sein. Die Biochemie des Sehens ist nichts Primitives!

Aus diesen Betrachtungen können wir drei Folgerungen ziehen:

  • Um zu beurteilen, ob eine evolutive Entstehung durch Darwinsche oder andere natürliche Mechanismen möglich ist, muss das betreffende Organ hinsichtlich seines Aufbaus und seiner Funktion gut erforscht sein. Erst auf dieser Grundlage kann man versuchen, den vermuteten Übergang von einem Typ in den anderen zu erklären. In vielen evolutionären Szenarien geschieht die Erklärung in einer allzu oberflächlichen Art und Weise („story telling“).
  • Die Entstehung neuer Organe oder deren Umbau oder Weiterbau stellt nicht etwa eine bloße Anpassung dar. Vielmehr ist eine Neukonzeption vieler Details notwendig. Anpassung bewirkt nicht Neukonstruktion, sondern nur Verbesserung einer schon vorhandenen Funktion.
  • Selektion in Richtung auf eine neue Funktion kann erst dann greifen, wenn diese Funktion wenigstens in schwacher Form ausgeprägt ist. Beispielsweise scheint es möglich zu sein, dass eine schon vorhandene Software für Bilddatenverarbeitung durch das Wechselspiel von Mutation und Selektion verbessert wird. Aber die erstmalige Erfindung diese Software erfordert zahlreiche gleichzeitig aufeinander abgestimmte Schritte. Das ist das grundlegende, ungelöste Problem der natürlichen Auslese.

Beispiele wie diese stellen keine Ausnahmen dar, sondern sie sind in der biologischen Realität der Normalfall. Sie machen das Problem deutlich, von dem oben die Rede war: Weshalb ist nicht alles erklärt, wenn das Überleben des Bestangepassten erklärt ist? Der Grund liegt darin, dass dessen erstmaliges Entstehen viele aufeinander abgestimmte Schritte benötigt, damit eine neuartige Funktion wie z.B. das Sehen ermöglicht wird. Mutationen liefern einzelne Schritte (in der Regel kleine Schritte). Diese müssen sich aber sofort bewähren, sonst fallen sie der Selektion zum Opfer, weil sie für den Organismus unbrauchbar sind. Denn einzelne oder wenige Schritte ermöglichen noch keine grundlegend neue Funktion. Eine Zielorientierung auf einen möglichen zukünftigen Nutzen ist nicht möglich, denn natürliche Prozesse sind zukunftsblind. Nur intelligente Konstrukteure können zukunftsorientiert und zielgerichtet vorgehen.

Ein strenger Unmöglichkeitsbeweis, dass durch Evolution etwas grundsätzlich Neues prinzipiell nicht entstehen könnte, ist allerdings naturwissenschaftlich nicht durchführbar. Doch der Fortschritt der Forschung, besonders in der Erforschung der Darwin noch unbekannten Vorgänge im Zellinneren, hat gezeigt, dass die Probleme einer natürlichen, evolutiven Entstehung eher größer wurden. So schreibt der Zellbiologe und Lehrbuchautor Bruce Alberts, dass die Zellen immer wieder unterschätzt worden seien, und dass dies zweifellos auch für die heutige Zeit zutreffe.

Ein Paradebeispiel ist der Nano-Außenbordmotor mit rotierender Geißel, den viele Bakterien-Arten zur Fortbewegung besitzen. Erstaunlicherweise hat sich herausgestellt, dass viele Teile der Lebewesen (insbesondere der Zellen) treffend als Maschinen bezeichnet werden können. „Tatsächlich kann die gesamte Zelle als Fabrik mit einem komplizierten Netzwerk ineinander greifender Fertigungsstraßen betrachtet werden, welche jeweils aus einem Satz großer Proteinmaschinen zusammengesetzt sind“ (Bruce Alberts).10 Auf dem Level molekularer Maschinen sind die Ähnlichkeiten mit menschlicher Technik faszinierend groß. Die Schlussfolgerung, dass auch die Maschinen in den lebenden Zellen zielorientiert konstruiert wurden, ist naheliegend und konkurrenzlos, solange kein natürlicher Mechanismus entdeckt wird, durch welchen diese ausgeklügelten Apparate entstehen können.

 


 

Zum 2. Teil des Artikels „Charles Darwin: Schöpfung ohne Schöpfer“

Zum 3. Teil des Artikels „Charles Darwin: Schöpfung ohne Schöpfer“


  1. Ruse M (2003) Is Evolution a Secular Religion? Science 299, 1523-1524. 

  2. Für eine detailliertere und weiterführende Argumentationen finden sich am Schluss weitere Quellenangaben. 

  3. Ayala F (2004) Design without Designer. Darwin‘s Greatest Discovery. In: Dembski WA & Ruse M (Hg) Debating Design. From Darwin to DNA. Cambridge University Press, S. 55-80; Zitat S. 58. 

  4. The Life and Letters of Charles Darwin, edited by Francis Darwin, John Murray 1887, Bd. I, S. 309. 

  5. Mutschler HD (2003) Gibt es Finalität in der Natur? In: Kummer C (Hg.) Die andere Seite der Biologie. München. 

  6. Arthur W (2004) Biased embryos and evolution. Cambridge, S. 36. 

  7. Müller GB (2003) Homology: The Evolution of Morphological Organization. In: Müller GB & Newman SA (eds) Origination of Organismal Form. Beyond the Gene in Developmental and Evolutionary Biology. Vienna Series in Theoretical Biology. Cambridge, MA, S. 51-69; Zitat S. 51. 

  8. Carroll SB (2005) Endless Forms Most Beautiful. The New Science of Evo Devo and the Making of the Animal Kingdom. London. 

  9. Darwin, Ch., On the Origin of Species, 6. Aufl., Kap. 6, S. 143. 

  10. Alberts B (1998) The Cell as a Collection of Protein Machines: Preparing the Next Generation of Molecular Biologists. Cell 92, 291-294.