ThemenSchöpfungsglaube

Charles Darwin: Schöpfung ohne Schöpfer? Teil 2

Wie das Leben am Anfang ohne das Vorhandensein der „Darwin’schen“ Mechanismen entstand, darüber hat man nur Vermutungen. Aber auch die Fossilienfunde liefern kein eindeutiges Bild einer Artenentstehung vom Einzeller zum höheren Wirbeltier.

Im ersten Teil unserer Serie über die Evolutionstheorie 150 Jahre nach der Veröffentlichung von Darwins Buch „Über den Ursprung der Arten“ ging es vor allem um die Frage nach den Mechanismen, die eine Evolution „von der Amöbe bis Goethe“ ermöglichen sollen. Im Folgenden gehen wir zunächst noch einen Schritt „tiefer“ an die Basis: Wie entstand überhaupt das Leben? Die Darwinschen Mechanismen können erst zum Zuge kommen, wenn Leben schon da ist. Was weiß man heute über diesen ersten großen Schritt? Anschließend wenden wir uns einem ganz anderen Themenfeld zu, der Fossilüberlieferung, also dem Zeugnis versteinerter Überreste vergangener Lebewesen.

Das große Geheimnis des Anfangs

Den Ursprung des Lebens klammerte Darwin aus seinen Überlegungen zur Geschichte des Lebens weitgehend aus. Damals war kaum daran zu denken, irgend etwas naturwissenschaftlich Nachprüfbares zur Lebensentstehung sagen zu können. Immerhin riskierte Darwin in einem Brief vom 1. Februar 1871 an J. Hooker einige spekulative Gedanken zu dieser Frage:

„Man hat oft gesagt, dass alle Bedingungen für die erste Entstehung eines Organismus jetzt vorhanden sind, welche nur jemals haben vorhanden sein können. Aber wenn (und o! was für ein ‚Wenn‘!) wir in irgendeinem kleinen warmen Tümpel, bei Gegenwart aller Arten von Ammoniak, phosphorsauren Salzen, Licht, Wärme, Elektrizität usw. wahrnehmen könnten, dass sich eine Proteinverbindung chemisch bildete, bereit, noch kompliziertere Verwandlungen einzugehen, so würde heutigen Tages eine solche Substanz augenblicklich verschlungen oder absorbiert werden, was vor der Bildung lebender Geschöpfe nicht der Fall gewesen sein dürfte.“

Hier deutet Darwin erste eventuell mögliche Schritte zum Leben an, die später experimentell untersucht werden konnten, wie wir gleich sehen werden.

Wenige Jahre nach der Veröffentlichung von Darwins Ursprung der Arten hatte allerdings Louis Pasteur einen Preis für den experimentellen Nachweis bekommen, dass es keine generatio spontanea gibt – also keine spontane Entstehung von Leben aus nichtlebenden Stoffen. Es wurde der Satz formuliert: Omne vivum ex vivo – Alles Leben kommt aus dem Leben. Es gibt kaum einen Sachverhalt, der sich bis zum heutigen Tag so eindrucksvoll bewährt hat wie dieser.

Dennoch schien sich Mitte des 20. Jahrhunderts das Blatt zu wenden und Darwins Spekulation zu bewahrheiten. Ein amerikanischer Chemiestudent, Stanley Miller, führte im Jahr 1953 ein spektakuläres Experiment durch, in dem er die mutmaßlichen Bedingungen auf der frühen Erde simulieren wollte, als es noch kein Leben gab. Wir nennen solche Versuche „Ursuppenexperimente“. Dabei gelang es ihm, aus einigen einfachen anorganischen Stoffen unter Zufuhr von Energie Aminosäuren zu synthetisieren, und zwar auch solche, die in den Zellen der Lebewesen als Bausteine der Proteine (Eiweißverbindungen) vorkommen. Dieses Ergebnis und die einfache Art und Weise, wie es erzielt wurde, schienen ein Hinweis dafür zu sein, dass es einen naturgesetzlichen Weg der Entstehung des Lebens geben könnte. Der erste Schritt zu den Bausteinen der Proteine war ja schon gemacht. Es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, bis man weitere Schritte einer natürlichen Entstehung nachvollziehen konnte.

Es hat sich mehr und mehr herausgestellt, dass der Ansatz von Stanley Miller eine Sackgasse darstellt

Doch die anfängliche Euphorie ist längst verflogen. Millers Simulationsexperimente, die in verschiedensten Variationen durchgeführt wurden, erbrachten nämlich nicht nur ermutigende Befunde. So ist über die Labors der Chemiker hinaus kaum bekannt, dass die Aminosäuren, die bei den Versuchen entstanden sind, erst nach einer chemischen Aufarbeitung des Syntheseprodukts nachweisbar waren. Die dabei eingesetzten Methoden sind unter natürlichen Bedingungen nicht beliebig verfügbar. Bei den Miller-Versuchen entstehen außerdem immer zugleich auch zahlreiche Substanzen, die mit dem Leben ausgesprochen unverträglich sind. Zudem konnten nicht alle natürlich vorkommenden Aminosäuren erzeugt werden, dafür aber entstanden andere, die in den Lebewesen gar nicht vorkommen. Besonders schwerwiegend ist der Befund, dass viele in den Versuchen entstandene Substanzen aufgrund ihrer chemischen Eigenschaften eine Verknüpfung der Aminosäuren zu kettenförmigen Molekülen verhindern. Dazu trägt auch sehr effektiv das Wasser bei, das unter Ursuppenbedingungen immer anwesend ist. Proteine aber sind kettenförmig aus zahlreichen Aminosäuren aufgebaut; genau dieser Aufbau wird bei den Millerschen Versuchsbedingungen verhindert. Es hat sich mehr und mehr herausgestellt, dass der Ansatz von Stanley Miller eine Sackgasse darstellt.

Miller selbst hat im Laufe der Zeit pessimistische Töne angeschlagen. J. Horgan schreibt über ihn: „Fast genau vierzig Jahre nach seinem Experiment sagte mir Miller, dass sich die Lösung des Rätsels vom Ursprung des Lebens als schwieriger erwiesen habe, als er oder irgend ein anderer es sich vorgestellt habe. Er erinnerte sich an eine Vorhersage, die er kurz nach seinem Experiment gemacht hatte, wonach die Wissenschaftler binnen 25 Jahren mit Sicherheit wüssten, wie das Leben entstanden sei.“1 Die Lösung des Rätsels ist jedoch heute noch genau so wenig erkennbar wie 1953. Alternative Erklärungsversuche zum Ursuppen-Konzept vermeiden einige der dort auftretenden Probleme, ohne dass sie allerdings eine chemisch plausible Lösung darstellen.

Die bereits genannten Probleme einer natürlichen Lebensentstehung sind dabei nur wie die Spitze eines Eisbergs. Ähnlich unklar ist, wie das Erbmolekül, die ebenfalls kettenförmig aufgebaute DNS, entstanden ist. Selbst die ungesteuerte Synthese ihrer Einzelbausteine (der Nukleotide) ist experimentell unter natürlichen Bedingungen (d.h. ohne chemische Spezialkenntnisse und erforderliche Labortechnologie) nicht nachgewiesen. Unbekannt ist auch der Weg zu den Lipiden (Fett-Verbindungen). Diese werden zum Beispiel für den Bau einer Zellhülle benötigt. Eine solche Hülle ist als Abgrenzung gegen die Umgebung für die Lebewesen natürlich unverzichtbar. Aber die Abgrenzung darf nicht total sein; es muss ein Stoffaustausch mit der Umgebung möglich sein, und zwar ein selektiver. Das heißt: Bestimmte Stoffe müssen aus den Zellen ausgeschleust werden, während andere ausgewählte Stoffe ins Zellinnere aufgenommen werden.

Aber selbst wenn die Moleküle des Lebens wie die Eiweißmoleküle, DNS und Lipide (Fett-Verbindungen) von alleine entstehen könnten, wäre noch lange kein Leben erreicht. Sie bildeten nur die materielle Voraussetzung, etwa so wie Bausteine, Holz, Glas und anderes die materiellen Voraussetzungen für ein Haus sind. Die Bestandteile der lebenden Zellen müssen miteinander wechselwirken, und viele molekulare Maschinen in den Zellen sind zudem aus mehreren Komponenten aufgebaut, die aufeinander abgestimmt sein müssen. Und so könnte man die Liste von Voraussetzungen für das Leben um viele weitere Erfordernisse fortsetzen.

Aber selbst wenn die Moleküle des Lebens von alleine entstehen könnten, wäre noch lange kein Leben erreicht

Noch ein ganz anderes Problem ist die Entstehung des genetischen Codes. Damit ist die Zuordnungsvorschrift gemeint, nach welcher die Abfolge der DNS-Bausteine in die Abfolge der Aminosäuren der Proteine erfolgt. Denn ein Code ist mehr als nur Chemie. Besonders verblüffend ist, dass sich der genetische Code und die Mechanismen seiner Anwendung in den Zellen in verschiedener Hinsicht als optimal erwiesen haben, z. B. in Bezug auf Fehleranfälligkeit oder Wiederholung von Informationen (Redundanz). Außerdem gibt es keinerlei Hinweise auf die Existenz von Vorstufen. Alle Organismen nutzen nahezu dasselbe sehr ausgefeilte Codesystem. Nach allem was man über den genetischen Code weiß, kann man sagen: Man hätte es nicht besser machen können. Genau das ist zu erwarten, wenn man von Planung ausgeht. Bei einer schöpfungsorientierten Sicht der erstmaligen Entstehung von Lebewesen war zu erwarten, dass die fortschreitende Klärung ihrer chemischen Funktionen das Vorhandensein ausgeklügelt erscheinender Programme und Protokolle in der DNS nachweisen werde. Man kann inzwischen sagen, dass diese Erwartung weitgehend erfüllt wurde.

Von alledem konnte Darwin natürlich noch nichts wissen. Auf dem Gebiet der Chemie der Lebensentstehung hat sich gezeigt, dass zunehmende naturwissenschaftliche Kenntnisse die Schwierigkeiten einer natürlichen Erklärung vergrößern. Darwin selbst war in Origin of species in dieser Frage vorbildlich vorsichtig: Am Schluss seines Werkes schrieb er, dass der Keim des Lebens „wenigen, vielleicht auch nur einer einzigen Urform eingehaucht worden sei“.2 In der zweiten Auflage machte er eine bemerkenswerte Ergänzung: Er schreibt nun, „dass der Schöpfer den Keim alles Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder nur einer einzigen Form eingehaucht hat“ (Hervorhebung nicht im Original).3 Ob das ein Entgegenkommen an schöpfungsgläubige Menschen war, sei dahingestellt. Jedenfalls ist diese Deutung auch nach heutigem Wissen über die Chemie der Lebensentstehung naheliegend und bisher ohne eine wissenschaftlich belastbare Alternative.

Ein abscheuliches Geheimnis

Zur Geschichte des Lebens können wir keine Experimente machen

In den bisherigen Ausführungen (auch des ersten Teils unserer Serie) ging es um die Frage nach den Mechanismen der Evolution und der Entstehung des ersten Lebens. Also: Wie funktioniert der Artenwandel? Wie funktioniert eine natürliche Lebensentstehung? Das Ergebnis: Variationsfähigkeit, Anpassungsfähigkeit und Flexibilität sind Grundeigenschaften der Lebewesen. Das heißt, bereits vorhandene Erbfaktoren, Biomoleküle, Organe und Verhaltensweisen können sich bis zu einem gewissen Grad auf veränderte Umweltbedingungen einstellen. Aber damit kann die ursprüngliche Entstehung der Organe und des Lebens nicht erklärt werden. Im Folgenden geht es nun nicht mehr um das Wie, sondern um das Ob. Wenn wir die Frage nach den Mechanismen einmal offen lassen, stellt sich unabhängig davon die Frage: Gibt es Belege dafür, dass eine allgemeine Evolution aller Lebewesen stattfand? Wie sah Darwin das vor 150 Jahren, und welche Auskunft geben die Indizien heute?

Mit dem Begriff „Indiz“ ist schon angedeutet, dass die Argumentation anders erfolgen muss als in der Mechanismenfrage. Zur Geschichte des Lebens können wir keine Experimente machen. (Mit Simulationsexperimenten können nur Möglichkeiten unter vorgegebenen Bedingungen ausgelotet werden, aber die tatsächlichen Abläufe sind nicht rekonstruierbar.) Hier geht es vielmehr um Deutungen von Spuren aus der Vergangenheit, also um Indizien (= „Anzeiger“), die Hinweise auf das vergangene Geschehen geben können.

Wichtige Indizien liefern Fossilien, das sind konservierte Reste früherer Lebewesen und ihrer Spuren, also z.B. Versteinerungen von Knochen, Innenausgüsse von Gehäusen oder Fußabdrücke. Damit befasst sich die Paläontologie. Fossilien werden in Sedimentgesteinen gefunden, das sind durch Ablagerung entstandene, geschichtete Gesteine. Nach dem in aller Regel geltenden Lagerungsgesetz sind die höheren Schichten (und die eventuell in ihnen eingeschlossenen Fossilien) jünger als die weiter unten liegenden Schichten (wobei über das absolute Alter auf diesem Wege nichts gesagt werden kann).

Mitte des 19. Jahrhunderts war durch viele geologische Feldstudien nachgewiesen worden, dass die Fossilien in der geologischen Schichtenfolge in regelhafter Weise überliefert sind. Die in tiefer liegenden Schichtfolgen dokumentierten Fossilien waren von den heutigen Lebewesen mehr oder weniger deutlich verschieden. Insgesamt gesehen nähern sich die fossilen Formen den heute lebenden Arten umso mehr an, je jünger sie sind. Aus den unteren Schichten waren damals und sind bislang fast nur wasserlebende Tiere bekannt, erst nach und nach treten verschiedene Gruppen von Landlebewesen fossil in Erscheinung. Dieser Befund passt recht gut zur Vorstellung einer Evolution der Lebewesen, wenn man davon ausgeht, dass die geologische Säule durchgängig im Sinne eines eingefrorenen Zeitstrahls abzulesen ist. Unter dieser Voraussetzung lässt sich das Übereinander durch eine Abstammung voneinander erklären. Es gibt zwar Ansätze zu einer alternativen Deutung, aber ist es bislang nicht gelungen, eine schlüssige Gesamterklärung im Rahmen einer biblisch-urgeschichtlichen Geologie zu formulieren.

Eine Erklärung für die Gesamtheit aller Befunde fehlt auch im Rahmen der Evolutionslehre

Doch eine Erklärung für die Gesamtheit aller Befunde fehlt auch im Rahmen der Evolutionslehre. Denn die groben Abfolgen der Lebewesen sind nur eine Seite des Fossilbefunds. Die andere war Darwin ebenfalls vertraut. Einem Abschnitt im 9. Kapitel (1. Auflage) von Origin of Species gab Darwin die Überschrift „Über das plötzliche Erscheinen ganzer Gruppen verwandter Arten“. Dieses plötzliche Erscheinen war damals und ist bis heute ein regelhafter Befund. Darwin stellt fest:

„Wenn zahlreiche Arten derselben Gattungen oder Familien tatsächlich auf einmal ins Leben gestartet sind, wäre dies für die Theorie der Abstammung mit langsamen Veränderungen durch natürliche Selektion verhängnisvoll.“4

Trägt man die fossilen Formen nach Familien geordnet in eine Tabelle der geologischen Schichten ein, so stellt sich die Formenvielfalt in aller Regel nicht in Form eines Baums wachsender Vielfalt und Verschiedenartigkeit dar. Eher ähneln die Abstammungslinien dem Nebeneinander von Zweigen eines Strauches, die zudem an der Basis nicht verbunden sind. Es sieht eher so aus, wie Darwin es befürchtet hatte: Immer wieder starten – gemessen an der Fossilüberlieferung – zahlreiche Gattungen oder Familien „auf einmal ins Leben“ (s. obiges Zitat). Darwin war sich darüber im Klaren, dass dieser Befund eine ernsthafte Schwierigkeit für seine Theorie bedeutete. So nannte er das plötzliche, vielfach gleichzeitige fossile Erscheinen zahlreicher Arten bedecktsamiger Blütenpflanzen ein „abscheuliches Geheimnis“. An diesem Befund hat sich im Grundsatz bis heute nichts geändert.

Da dieser Befund des plötzlichen Erscheinens der Normalfall war, benötigte Darwin eine Erklärung dafür, warum die fossilen Abfolgen einzelner Großgruppen sich nicht in Form eines Baumes anordnen ließen, der zunehmende Verschiedenartigkeit zeigt. Seine Erklärung: Die fossilen Zeugnisse sind viel zu unvollständig. Daher versah er das Kapitel über die Fossilüberlieferung mit der Überschrift „Über die Unvollkommenheit des geologischen Belegs“. Und im darauf folgenden Kapitel schrieb er: „Wer diese Ansichten über die Natur der geologischen Aufzeichnungen zurückweist, wird zurecht meine ganze Theorie zurückweisen.“

Die Stammbäume sind unter Berücksichtigung des heutigen Wissens nach wie vor strauchartig

Darwin erwartete deshalb, dass sich dieses Bild mit der Zunahme an Fossilfunden ändern wird, und zwar zugunsten evolutionärer Vorstellungen. Doch diese Erwartung hat sich im Großen und Ganzen nicht erfüllt, auch wenn manche Formen gefunden wurden, die als Übergangsformen interpretierbar sind (s. u.). Die Stammbäume sind unter Berücksichtigung des heutigen Wissens nach wie vor strauchartig, sie stellen eher ein Nebeneinander von verschiedenen Gruppen dar. Dies führte dazu, dass einige Wissenschaftler im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts das plötzliche Erscheinen als paläontologisch gut begründet ansahen. Das heißt, sie deuteten diesen Befund nicht mehr mit mangelnder geologischer Überlieferung, sondern versuchten ihn biologisch zu erklären. So wurde die Theorie des sogenannten „unterbrochenen Gleichgewichts“ („punctuated equilibrium“, Punktualismus) vorgeschlagen. Demnach ist es der Normalfall, dass sich die Arten über geologische Zeiträume hinweg nur unwesentlich ändern, doch erfahren sie von Zeit zu Zeit punktuell immer wieder plötzliche starke Änderungen. 98-99 % der Geschichte der Lebewesen dokumentiert eine sogenannte Stasis, d.h. einen evolutionären Stillstand.5 Der „Umbau“ zu neuen Organisationsformen erfolge dann in kurzen Zeitabschnitten (gemessen an langen geologischen Zeiträumen) so schnell, dass in der Regel von den relativ wenigen Übergangsformen praktisch keine fossilen Reste erhalten blieben. Die entscheidenden fossilen Belege für Evolution sind nach dieser Vorstellung in der Regel nicht zu erwarten.

Besonders markant erscheint der Bruch am Beginn des Kambriums. Alle Tierstämme, deren Vertreter Hartteile besitzen, tauchen in der Fossilüberlieferung im unteren Teil des Kambriums „plötzlich“ auf. Soweit vielzelliges Leben fossil dokumentiert ist, beginnt es abrupt in großer Verschiedenartigkeit. Es sind zwar mittlerweile manche Formen auch unterhalb dieser Grenzen gefunden worden, sie eignen sich aber kaum als evolutive Vorstufen, sondern müssen aufgrund ihrer sehr abweichenden Körpergestalt oft als eigene evolutionäre Linien interpretiert werden (wenn man von Evolution ausgeht).

Dieses plötzliche fossile Auftreten ist in die Fachliteratur als „kambrische Explosion“ eingegangen. Darwin war dieser Einschnitt bereits bekannt und er beschäftigte sich mit ihm im Abschnitt „Über das plötzliche Erscheinen von Gruppen verwandter Arten in den untersten fossilführenden Schichten“. Diesen Befund empfand er als schwerwiegendes Problem, für das er keine befriedigende Antwort hatte, wie er freimütig einräumte.

Auch an dieser Situation hat sich nichts nennenswert geändert. Die kambrische Explosion erscheint so „explosiv“ wie zur Zeit Darwins. Stellvertretend sei dazu aus einer ausführlichen Monographie von James Valentine aus dem Jahr 2004 zitiert: „Organismen mit den charakteristischen Bauplänen, die wir von den heute lebenden Stämmen kennen, erscheinen abrupt im Fossilbericht, viele von ihnen in einem engen geologischen Zeitfenster von vielleicht 5 bis 10 Millionen Jahren … Keiner dieser Stämme kann über fossile Zwischenformen zu einer Ahnengruppe zurückverfolgt werden … In keinem Fall wurde ein Formenkontinuum über ein breites Feld von Bauplangestalten gefunden; die Stämme ähneln einander auch nicht stärker während ihrer frühen Fossilgeschichte.“6

Es gab jedoch auch Fortschritte in dem von Darwin erhofften Sinne. In den 150 Jahren seit dem Erscheinen von Der Ursprung der Arten wurden zahlreiche fossile Arten entdeckt, die durchaus als einigermaßen passende Übergangsformen gedeutet werden können (wenn auch nicht müssen!). Ein berühmtes Beispiel dafür ist Archaeopteryx, der sogenannte Urvogel. Er wurde zwei Jahre nach der Veröffentlichung von Darwins Ursprung der Arten entdeckt und weist eine Kombination reptiltypischer und vogeltypischer Merkmale auf. Einerseits besaß er Federn, die den Federn heutiger Vögel gleichen, andererseits hatte er einen bezahnten Kiefer und eine lange Schwanzwirbelsäule. Insgesamt teilt er viele Merkmale mit kleinen zweibeinigen Raubdinosauriern. In den letzten Jahren wurden vor allem in China zahlreiche Vogelfossilien mit verschiedenen Merkmalsmosaiken gefunden, wobei allerdings ihre Fundschichten jünger sind als die Plattenkalke, aus denen die Archaeopteryx- Fossilien stammen.

Es lassen sich keine widerspruchsfreien Stammbäume aufgrund der geologischen Befunde rekonstruieren

Insgesamt stellt sich die Situation nun wie folgt dar: Es gibt eine Reihe von Arten, die als evolutionäre Bindeglieder interpretierbar sind. Die Merkmalsverteilungen sind aber oft so unterschiedlich, dass sich kaum Stammbäume rekonstruieren lassen; vielmehr ähneln die Merkmalsbeziehungen eher einem Netzwerk als einem Stammbaum. In kurzer zeitlicher Folge tauchen also verschiedenste Bauplantypen von Vögeln fossil auf. Einerseits kommt diese neue Fundsituation evolutionstheoretischen Vorstellungen also entgegen, weil manche Formen als Bindeglieder in etwa passen. Andererseits lassen sich insgesamt keine widerspruchsfreien Stammbäume auf der Grundlage der geologischen Befundsituation rekonstruieren. Auch besitzen die Fundschichten nicht immer das „passende“ relative Alter, damit die darin vorkommenden Fossilformen als Ursprung von Abstammungslinien geeignet sind (s.o.). Die Situation ist beim Übergangsbereich von Wasser und Land (z. B. Fische und Vierbeiner) ähnlich.

Bindeglieder müssen aber nicht als Momentaufnahmen einer evolutiven Veränderung interpretiert werden. Es gibt auch Anhaltspunkte dafür, dass die betreffenden Formen „Übergangsökologien“ besiedelten. Zum Beispiel waren manche fossil bekannte Wasserbewohner vermutlich Räuber, die im Uferbereich auf Beute lauerten und für diese Lebensweise entsprechend ausgestattet waren. Für die Schöpfungsforschung wartet hier viel Arbeit, um nachzuweisen, dass diese „Zwischenformen“ besser ökologisch als ausschließlich evolutionär zu verstehen sind.

  • Für detaillierte Argumentation: R. Junker/S. Scherer: Evolution – ein kritisches Lehrbuch. Gießen, 7., aktualisierte u. erweiterte Aufl. 2013.
  • Für Einsteiger: R. Junker: Leben – woher? Das Spannungsfeld Schöpfung/Evolution leicht verständlich dargestellt. Dillenburg, 3. Aufl. 2005.
  • Buch zum Darwinjahr: R. Junker & H. Ullrich: Darwins Rätsel. Schöpfung ohne Schöpfer? Holzgerlingen, 2009.
  • Internet: www.genesisnet.info, www.wort-und-wissen.de

Zum 1. Teil des Artikels „Charles Darwin: Schöpfung ohne Schöpfer“

Zum 3. Teil des Artikels „Charles Darwin: Schöpfung ohne Schöpfer“

 


  1. Horgan J (1997) An den Grenzen des Wissens. Luchterhand, S. 225. 

  2. Origin of Species, 1. Aufl., Kap. 14, S. 490. 

  3. Origin of Species, 2. Aufl., Kap. 14, S. 490. 

  4. Origin of Species, 6. Aufl., Kap. 10, S. 282 

  5. Gould SJ (2002) The structure of evolutionary theory. Cambridge, MA, S. 76. 

  6. Valentine JW (2004) On the Origin of Phyla. Chicago, S. 37.