ThemenFrage & Antwort

Ist der Name «Simon der Aussätzige» ein Übersetzungsfehler?

Frage: Wie kann man es erklären, dass Simon der Aussätzige in Mt 26,6 im Haus war, wo Aussätzige doch vor die Stadt müssen? Stimmt die Erklärung, dass das Matthäusevangelium oder sogar das ganze Neue Testament einen hebräischen bzw. aramäischen Vorläufer hatte und dass es sich bei „der Aussätzige” um einen Übersetzungsfehler handelt?

Antwort:

Am sinnvollsten ist es, davon auszugehen, dass Simon den Beinamen „der Aussätzige“ behalten hat, nachdem er vom Aussatz geheilt worden war. Simons gab es offenbar viele und so ist die Sitte der Beinamen in Israel ganz normal. Die Bezeichnung „Simon der Aussätzige” war Simon, dem Geheilten, dann einfach geblieben. Das erinnerte an die ungewöhnliche Heilung vom Aussatz und unterschied ihn von den vielen anderen Personen namens Simon: Simon Iskariot (Joh 6,71), Simon Petrus, Simon der Kanaanäer (Mt 10,4), Simon, dem Halbbruder Jesu (Mt 13,55), Simon, dem Pharisäer (Lk 7,37), Simon von Kyrene (Mt 27,32) und Simon, dem Zeloten (Lk 6,15). Der letzte war sicher auch kein Zelot mehr, nachdem er ein Jünger von Jesus geworden war.

Zu der anfragten Stelle liegt mir aber auch eine amerikanische Bibelübersetzung vor, die behauptet, ihren englischen Text konsequent aus dem Hebräischen und Aramäischen übersetzt zu haben. Hier ist zu lesen, dass es sich bei der Wiedergabe „der Aussätzige” um eine falsche Übersetzung des aramäischen Originals handele, weil Aussätziger (GAR’BA) mit der Bedeutung „Marktverkäufer” (GARBARA) verwechselt worden sei. Was für das Alte Testament normal ist, weil alte Abschriften in Hebräisch und Aramäisch gefunden wurden, verwundert, wenn das Gleiche für das Neue Testament behauptet wird, dessen älteste gefundene Abschriften hauptsächlich in griechischer Sprache vorliegen, aber nicht in Aramäisch. Nun gehen die Vertreter dieser Ansicht soweit, dass sie behaupten, dass mit „größter Wahrscheinlichkeit” das gesamte NT ursprünglich in palästinisch-aramäischer Sprache geschrieben worden sei. Es werden verschiedene Argumente dafür genannt, die aber alle fragwürdig sind.

So heißt es, dass man aufgrund der Ablehnung des Hellenismus in Israel kein Griechisch gesprochen habe und dass die Evangelisten es kaum beherrschten. Richtig ist, dass Jesus und seine Jünger Aramäisch sprachen, also auch die originalen Jesusworte auf Aramäisch gesagt waren.

Einzelne Reste davon, jeweils mit griechischer Übersetzung, finden sich im Neuen Testament vor allem bei Markus: Abba (Mk 14,36; Röm 8,15, Gal 4,6), „Talita kum” (Mk 5,41), „Eloi, Eloi, lema sabachtani” (Mk 15,34; ähnlich halb hebräisch und halb aramäisch Mt 27,46), Hefata (Mk 7,34), Gabbatha (Joh 19,13), Golgota (Joh 19,17), Rabbuni (Joh 20,16).

Dass die ersten palästinischen Christen kein Griechisch konnten, ist falsch.

Dass aber die ersten palästinischen Christen kein Griechisch konnten, ist falsch. Nicht umsonst hat Pilatus den Verurteilungsgrund zur Kreuzigung in Aramäisch, Lateinisch und Griechisch angeschrieben (Joh 19,20). Offenbar gab es in der ganzen damaligen Welt Juden, die von Zeit zu Zeit auch nach Israel kamen. Ihre Muttersprache war offenbar die jeweilige Landessprache (Apg 2,11), aber sie kannten auch die damalige Weltsprache Griechisch, ohne die man kaum reisen konnte. Von daher ist die Unterscheidung zweier Gruppen in der ersten Gemeinde zu verstehen: hebräische und griechische (Apg 6,1). Da zu dieser Zeit noch alle Christen Juden waren und mit Griechen kaum Einwohner Griechenlands gemeint sind, bezieht sich die Bezeichnung auf ihre Sprache: eine Gruppe stammte aus Israel und sprach Aramäisch, die andere aus dem Ausland und sprach neben der Muttersprache Griechisch. Als Paulus bei seiner Verteidigung vor dem Volk in Jerusalem Aramäisch sprach (Apg 21,40; 22,2), da waren die Menschen davon sehr beeindruckt und hörten ihm genau zu. Sicher geschah das deswegen, weil es etwas Besonderes war, wenn sie offiziell in ihrer Muttersprache angesprochen wurden, während das sonst eher in Griechisch geschah. Und Petrus hatte von Jesus seinen neuen Namen in der aramäischen Form Kephas erhalten, aber trotzdem ist er schon im NT Petrus, was Fels auf Griechisch heißt.

Sind aber vielleicht trotzdem die Bücher des NT ursprünglich aramäisch gewesen und die uns heutige griechische Form eine Übersetzung? Eusebius schreibt um 325 nChr in seiner Kirchengeschichte, dass einige Kirchenväter (z.B Papias) der Meinung waren, dass das Matthäusevangelium einen aramäischen Vorläufer hatte. Er selbst sieht das wohl auch so (Eccl. Hist. 3, 24; 3,39; 5,10; 6,25). Für sich genommen spricht das schon gegen die Behauptung das ganze NT sei aramäisch gewesen. Denn wenn nur von Matthäus eine aramäische Urform vermutet wurde, dann bezeugt das, dass man bei allen anderen Schriften eben von griechischen Originalen ausging. Aber selbst das Matthäusevangelium wirkt sprachlich nicht wie eine griechische Übersetzung aus dem Aramäischen, sondern hat typische Anzeichen, die man einer Zweisprachlichkeit zuordnen könnte.

Selbst das Matthäusevangelium wirkt sprachlich nicht wie eine griechische Übersetzung aus dem Aramäischen, sondern hat typische Anzeichen, die man einer Zweisprachlichkeit zuordnen könnte.

Und einiges an der Sprache wirkt sehr wie von der griechischen Übersetzung des Alten Testamentes, der Septuaginta, beeinflusst, ähnlich wie in manchen Kreisen unter Einfluss der Lutherbibel „Lutherdeutsch” gesprochen wurde. Überhaupt: Wenn im NT aus dem Alten Testament zitiert wird, dann stammen die Zitate meistens nicht aus der hebräischen Bibel und auch nicht aus den aramäischen Kommentaren, die verbreitet waren, sondern aus der griechischen Septuaginta. Tendenziell neigt zwar Matthäus etwas öfter zum hebräischen Wortlaut, aber insgesamt scheint die Bibelübersetzung der ersten Christen Griechisch gewesen zu sein, ebenso wie das in vielen Synagogen außerhalb Jerusalems normal war.

Es ließen sich noch mehr Argumente nennen, aber es ist wichtiger zu fragen, warum wir den Vertretern eines aramäischen Urtestamentes nicht einfach folgen sollten. Es gibt keine alten aramäischen Handschriften und das bedeutet, dass man einigermaßen willkürlich einen vermuteten Urtext aus dem Griechischen zurückübersetzt oder sich auf ältere Rückübersetzungen beruft. Manche behaupten die syrische Peschitta-Übersetzung gehe auf das Aramäische zurück, aber auch sie stehen vor der Tatsache, dass die ältesten Peschitta-Handschriften sehr freie Übersetzungen, wenn nicht gar nur Paraphrasen des Bibeltextes sind. Obwohl die Vertreter es durchweg gut meinen und mit ihren aramäischen Vermutungen schwierige Stellen aufklären wollen, begeben sie sich auf eine ganz willkürliche Schiene.

Und wie im obigen Beispiel lassen sich die fraglichen Stellen oft viel einfacher aus dem vorhandenen Text verstehen. Es gibt aber auch noch eine Gruppe, zu denen etwa der jüdische Theologe Pinchas Lapide gehörte, der in seinen zahlreichen Büchern mit der Methode des aramäischen Ursprungs bibelkritisch Wunder wegerklären wollte (Jesus wandelte nicht auf dem Meer.). Sie meinen wir er, dass „im Zuge der Übersetzung seiner Lehre so manche Gedankengänge umgedeutet wurden, Schlüsselbegriffe einen neuen Sinn erhielten und die Denkstrukturen der Griechen dem jesuanischen Glaubensgut nicht ganz gerecht zu werden vermochten” (Ist die Bibel richtig übersetzt, 80). Dann fühlt manch einer sich berufen, manchmal ziemlich frei, die ursprüngliche Meinung Jesu wiederherzustellen und bürstet dabei teilweise den Bibeltext nach Belieben gegen den Strich.

Positiv kann man sagen, dass die Kenntnis der aramäischen Muttersprache der ersten Christen und der Schreiber des Neuen Testaments in Einzelfällen zu einem besseren Verständnis neutestamentlicher Aussagen führen kann. Das lässt sich auch von einigen Anmerkungen von P. Lapide sagen. Das aber darf nicht auf Kosten dessen gehen, was dasteht, sonst kann man die Bibel ganz willkürlich auslegen.