„Über verschiedene Wege habe ich einige Schriften und Bibelteile der sogenannten Dabhar-Übersetzung von F. H. Baader erhalten. In den Büchern wird nach meinem Verständnis eine etwas eigenartige Auslegungsart gebraucht, die auch zu z.T. unverständlichen Schlüssen kommt. Wie ist die Dabhar-Übersetzung aus fachlicher Sicht zu beurteilen?”
Mit diesen oder ähnlichen Sätzen (leicht abgewandelt aus dem Brief eines besorgten Gemeindeleiters an mich) bin ich in den vergangenen Jahren immer wieder um eine Beurteilung dieser ungewöhnlichen Bibelübersetzung1 gebeten worden. Dieses Anliegen möchte ich nun im folgenden in aller Kürze und in allgemeinverständlicher Form aufgreifen.
Die Zielsetzung der Baaderschen Übersetzung ist sicher zu begrüßen: Der Wortlaut der Heiligen Schrift als des unfehlbaren Gotteswortes soll möglichst genau erfasst und vermittelt werden. Bewundernswert ist auch der enorme zeitliche und finanzielle Aufwand, der offensichtlich in die Erreichung dieses Zieles investiert worden ist und noch investiert wird. Dennoch ist dieses Werk aus sprach- bzw. übersetzungswissenschaftlicher Sicht eindeutig als negativ zu beurteilen. Baaders Programm muss als Irrweg, seine Übersetzung als nahezu wertlos, ja in einer gewissen Weise auch als theologisch gefährlich bezeichnet werden. Diese Beurteilung drängt sich u.a. aufgrund folgender Überlegungen auf:
1. Worauf es beim Übersetzen eines Textes grundsätzlich ankommt2
Eine Übersetzung irgendeines Textes von einer Sprache in eine andere darf dann als wirklich gelungen bezeichnet werden, wenn sie genau die Inhalte (nicht mehr und nicht weniger) vermittelt, die der Verfasser des Originals kommunizieren wollte (Erfordernis der Originaltreue), und zwar in einer Weise, die für den Sprecher der Zielsprache (sprachlich) mindestens so gut verständlich ist, wie es das Original für den Sprecher der Ausgangssprache war (Erfordernis der Verständlichkeit und Natürlichkeit).
Nun lassen sich zwar im Prinzip in jeder Sprache alle denkbaren Inhalte ausdrücken, so dass bei jeder Übersetzung Originaltreue im Prinzip (!) realisierbar ist. Mehr oder weniger große Unterschiede zwischen den einzelnen Sprachen gibt es hingegen im Bereich der Ausdrucksmittel, der Formen, die beim Vermitteln der Inhalte eingesetzt werden (Laute; Anzahl, Art, Form und Stellung der verwendeten Wörter; der Bau der einzelnen Sätze und die Art, wie diese zu Abschnitten und ganzen Texten verknüpft werden). Soll die Übersetzung bei aller Originaltreue auch verständlich sein, so geht es ohne mehr oder weniger drastische Veränderungen der formalen Struktur des Textes nicht ab. Selbstverständlich wird ein verantwortungsbewusster Übersetzer die Form des Originals nicht willkürlich verändern. Beherrschende Prinzipien sind stets die Erfordernisse der Originaltreue und der Verständlichkeit. Je nach Zielgruppe kann dabei die Umstrukturierung auch unterschiedlich stark ausfallen. Z.B. wird sich eine Übersetzung (etwa des [altmesopotamischen] Gilgamesch-Epos, der [altgriechischen] homerischen Epen oder der Werke eines Dante, Shakespeare oder Molière), die den Bedürfnissen eines Literaturwissenschaftlers gerecht werden möchte, zweifellos stärker an die Form des Originals anlehnen als eine, die für Nichtspezialisten bestimmt ist.
2. Wie beim Übersetzen der Bibel zu verfahren ist3
Diese allgemeinen Übersetzungsgrundsätze gelten prinzipiell gleichermaßen auch für den Umgang mit der Bibel. Wer Bibeltexte übersetzen will, muß die formale Struktur des biblischen Grundtextes – im Interesse von Originaltreue und Verständlichkeit – genauso verändern, wie dies ein Übersetzer außerbiblischer Texte tut. Dies hängt u.a. damit zusammen, dass die Grundsprachen der Bibel, Hebräisch, Aramäisch und Griechisch, im Prinzip ganz normale menschliche Sprachen sind (sie wurden auch für profane Zwecke verwendet).
Gott hat sie zwar gewissermaßen „erwählt” und sich ihrer bedient, um sich uns Menschen zu offenbaren. Doch dadurch wurde ihr Sprachcharakter nicht verändert; sie funktionierten grundsätzlich exakt wie jede andere Sprache und erfordern daher auch denselben methodischen Umgang. So wenig wie Gottes Erwählung eines Davids, Daniels oder Petrus sie ihres normalen Menschseins beraubte, so wenig wurden diese Sprachen durch ihre „Erwählung” in eine Sonderkategorie gehoben (sie sind „heilige” Sprachen, insofern sie Gott in spezieller Weise dienten; sie blieben nichtsdestoweniger echte Sprachen!).4
3. Zu Baaders „DaBhar-Übersetzung”
Wer Baaders Übersetzung anhand des Originals oder auch anhand einer herkömmlichen Übersetzung durchgeht, wird bald merken, welchem grundsätzlichen Irrtum er verfallen ist: Er glaubt offenbar, Originaltreue sei nur durch möglichst große Formtreue gegeben. Um diese zu erreichen, setzt er eine extrem konkordante Übersetzungstechnik ein, die grundsätzlich jedes Wort des Originals durch ein einziges Wort der Zielsprache wiedergeben möchte.
Da dies wegen der oben erwähnten vielfältigen Strukturunterschiede zwischen allen Einzelsprachen der Welt sowie der äußerst verbreiteten Mehrdeutigkeit sprachlicher Ausdrucksmittel auf allen Sprachebenen (Laut, Wort, Satz, Text) naturgemäß niemals gelingen kann, versucht er dies dann aber dadurch zu erzwingen, dass er Grammatik und Wortschatz der Zielsprache, sprich in unserem Fall Deutsch, seinen Vorstellungen gemäß verändert. Ergebnis: formal ist er zwar in gewisser Weise ziemlich nahe beim Original geblieben5 – dies jedoch auf Kosten nicht nur der Verständlichkeit,6 sondern auch der Originaltreue im einzig legitimen Sinne von optimaler inhaltlicher Übereinstimmung zwischen Übersetzung und Original.
Inhaltlich Verfälschendes lässt sich bei Baaders Ansatz auf verschiedenen Ebenen der Sprache feststellen:
Wortbedeutungsebene: Das Bemühen einerseits um konkordante Wiedergabe (s.o.) und andererseits um etymologische Genauigkeit7 verführt ihn dazu, nicht nur – wie erwähnt – völlig undeutsch zu übersetzen (z.B. „salbhütten” für „salben” in Ruth 3,3), sondern das Bedeutungsgepräge mancher Grundtextwörter durch inhaltliche Verkürzung (z.B. „äonisch” [lediglich einen „Äon” dauernd] statt [wie es sprachwissenschaftlich eindeutig ist] „ewig” z.B. in 2. Petrus 1,11 und Hebräer 6,2) oder Entstellung (z.B. das erwähnte „Herabwurf des Kosmos” von Epheser 1,4, das im deutschen eine negative Nuance [die des Zerstörens] bekommt) zu verändern.
Wortformenebene: Hebräische Wortformen, die eindeutig einen Wunsch bzw. einen indirekten Befehl ausdrücken, übersetzt Baader als Gegenwart, offenbar weil sie äußerlich z.T. bestimmten Formen ähnlichen sehen, die häufig die Gegenwart bezeichnen (so steht in 1. Mose 1,3 „Es wird Licht” statt „Es werde Licht”).
Satzbauebene: Ein Beispiel für eine Entstellung (Ruth 2,10): „Weshalb ‚finde ich Gnade in deinen Augen mich zu kennen ‚… „
statt „… dass du (!) mich kennst (= dich um mich kümmerst) …”.
Diese Übersetzung verkürzt und entstellt auf Schritt und Tritt.
Dies eine kleine Auswahl von fast endlos vielen Beispielen, die zeigen, daß diese Übersetzung weder originalgetreu (sie verkürzt und entstellt auf Schritt und Tritt) noch verständlich ist (sie benutzt eine vom Übersetzer selbst erschaffene Kunstsprache).
Theologisch in einem gewissen Sinne gefährlich ist sie insofern, als sie immer wieder im Grundtext eindeutige Aussagen durch die verkürzende Behandlung mancher Wort- und Satzinhalte mehrdeutig bzw. vage macht (z.B. das „ewige” wird zu einem „äonischen” [zeitlich begrenzten] Gericht) und damit eigenwilligen (fremde Inhalte in den Text hineinlegenden) Deutungen Tür und Tor öffnet, gleichzeitig aber beansprucht, den Leser auf diese Weise am nächsten an das Original heranzuführen.
4. Empfehlenswerte Übersetzungen8
Wem daran gelegen ist, den von Gott im Original vermittelten Inhalt in einer Übersetzung tatsächlich möglichst unverfälscht wiederzufinden, der ist mit der Dabhar-Übersetzung und ähnlich konzipierten – der konkordanten Übersetzungstechnik verschriebenen – Versuchen (einschließlich der Interlinearübersetzungen9 ) schlecht beraten. Er sollte zu Übersetzungen greifen, die diesen Namen verdienen.
Zu diesen zählen neben der bewährten
- Luther-Bibel (Luther 84; wegen der altertümlichen Sprache aber nicht optimal verständlich)
- Menge (aus philologischer Sicht besonders zu empfehlen [Menge war ein führender – bibelgläubiger! – Altphilologe]; trotz des an der letzten Jahrhundertwende orientierten Sprachstils recht gut verständlich),
- Schlachter (die Verständlichkeit ist durch die z.T. veralteten Ausdrucksweise nicht wesentlichbeeinträchtigt),
- revidierte Elberfelder (wegen der Betonung der Formtreue lässt die Verständlichkeit nicht selten zu wünschen übrig),
- Neue Genfer Übersetzung (die bisher erschienenen Lieferungen decken den größeren Teil des Neuen Testaments ab – diese „kommunikative” Übersetzung10 aus bibeltreuer Hand ist nach meinem Dafürhalten die beste deutschsprachige Bibelübersetzung),
- Albrecht (NT und Psalmen vorhanden; gut verständlich; einzelne Stellen werden aber etwas eigenwillig gedeutet),
- Bruns (ganze Bibel; gut verständliche Sprache; gelegentlich theologisch fragwürdige Erklärungen im Kleindruck), Einheitsübersetzung (sehr gute Übersetzung; aber bedenklich wegen der zahlreichen bibelkritischen Anmerkungen und wegen der römisch-katholischen Vermischung von kanonischen und apokryphen Büchern im Alten Testament),
- Gute Nachricht Bibel (Ausgabe 1997; die führende „kommunikative” Übersetzung; in Sachen Verständlichkeit kaum zu übertreffen; auch im Blick auf Originaltreue bis auf eine relativ kleine Zahl von liberal geprägten Stellen gut; für das kapitel- und buchweise Lesen sehr zu empfehlen; sollte aber für ein gründliches Bibelstudium [vor allem für Details des Wortlautes] durch eine formgetreuere Übersetzung wie Schlachter oder Elberfelder ergänzt werden),
- Hoffnung für alle (besonders gut verständlich [im NT m.E. aber unnötig frei formuliert]: ohne bibelkritische Einflüsse).
Am besten verwendet man aber eine Kombination von mehreren der genannten Übersetzungen (in Fällen, in denen diese inhaltlich übereinstimmen, kann man davon ausgehen, dass der Originalsinn vorliegt; wenn sie inhaltlich auseinander gehen, ist anzunehmen, dass das Original an der fraglichen Stelle textlich, sprachlich bzw. auslegerisch nicht so eindeutig ist, wie wir uns dies eigentlich wünschten, und dass sich diese Stelle somit als Grundlage für ein Argument bzw. eine Lehre wenig gut eignet [es gibt genug eindeutige Stellen; man werte diese zuerst einmal aus]).
Die „DaBhar-Übersetzung” (vollständiger Titel: Die Geschriebene, bestehend aus Die Geschriebene des Alten Bundes – DaBhar-Übersetzung aus dem Masoretischen Text und Die Geschriebene des Neuen Bundes – DaBhar-Übersetzung aus dem Codex Sinaiticus, zunächst in Einzellieferungen, seit 1989/90 als Gesamtausgabe in zwei Bänden, seit 1992/93 auch drei Begleitbände mit verschiedenen Konkordanzen im Eigenverlag erhältlich) ist das Werk von F. H. Baader (75328 Schömberg). Besonderheit dieser Übersetzung ist ein bisher wohl unübertroffenes Bemühen um eine größtmögliche Formnähe zum Original. ↩
Vgl. etwa David Crystal, Die Cambridge Enzyklopädie der Sprache (Frankfurt: Campus, 1993/95), Seiten 344ff, oder Theodor Lewandowski, Linguistisches Wörterbuch, 3 Bände (Heidelberg: Quelle & Meyer, neueste Auflage), Stichwort „Übersetzung”. ↩
Eine fachlich hervorragende, allgemeinverständliche Kurzdarstellung zu den wichtigsten Punkten findet sich in Gute Nachricht Bibel (Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft, 1997), Seiten 346f des NT-Teils. ↩
Das Besondere, Unverwechselbare („Heilige”) an der Bibel ist ihr Inhalt. Diesen gilt es möglichst unversehrt und verständlich in der Sprache derjenigen auszudrücken, für die die Übersetzung bestimmt ist. Dass der Inhalt und nicht die konkrete sprachliche Form von primärer Bedeutung ist, ergibt sich auch aus der Bibel selbst: im Neuen Testament werden alttestamentliche Stellen als Gottesworte nicht etwa im hebräischen oder aramäischen Original, sondern (meist) in der gängigen griechischen Übersetzung (der „Septuaginta”) zitiert, und zwar immer wieder auch dann, wenn sie in der Form recht erheblich vom „Urtext” abweicht. ↩
Müsste man – wenn man der Form des Originals einen dermaßen hohen Stellenwert einräumt – nicht konsequenterweise noch einen Schritt weiter gehen und eine vollständige, auch die Lautung mit einbeziehende formale Übereinstimmung anstreben, das heißt auf eine Übersetzung völlig verzichten und fordern, jedermann solle Hebräisch, Aramäisch und Griechisch lernen? ↩
Was soll ein deutschsprachiger „Normalsterblicher” z.B. mit dem Satz: „nicht in Zuaugnahmen habet das Treun unseres Herrn der Herrlichkeit JESuU’S ChRISTO’S.” (Jakobus 2,1), es sei denn, er lerne eine andere, nämlich die Baadersche Sprache? Und das ist es auch, was man tatsächlich von ihm erwartet (dazu sollen Anhang und Begleitbände verhelfen). Den dafür erforderlichen Aufwand an Zeit und Energie würde man m.E. aber besser in den Erwerb echter Grundsprachkenntnisse (etwa des Griechischen) investieren. ↩
z.B. möchte er bei zusammengesetzten Grundtextwörtern die Bedeutung der Einzelteile auch im Deutschen zum Ausdruck bringen (ein Beispiel: das griechische Wort für „Grundlegung, Anfang” der Welt ist zusammengesetzt aus KATA, manchmal, aber auf keinen Fall immer, „hinab”, und BOLÄ, verwandt mit einem Verb, das häufig, aber beileibe nicht immer „werfen” bedeutet; Baader macht daraus – im Gegensatz zum eindeutig belegten Sinn – etwa in Epheser 1,4 „Herabwurf”). ↩
Die empfohlenen Übersetzungen wurden von folgenden Verlagen veröffentlicht (in alphabetischer Reihenfolge): Brockhaus Verlag Wuppertal: revidierte Elberfelder; Brunnen Verlag Gießen/Basel: Albrecht, Bruns, Hoffnung für alle; Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart: Gute Nachricht Bibel, Menge, Luther 84; Genfer Bibelgesellschaft: Neue Genfer Übersetzung, Schlachter; Katholische Bibelanstalt Stuttgart: Einheitsübersetzung. ↩
Diese lassen sich in bestimmten Bereichen sicher sinnvoll einsetzen (etwa beim Erschließen der grammatischen Struktur des „Urtextes” oder als [beliebtes, wenn auch umstrittenes] Hilfsmittel beim Erwerben bzw. Repetieren von Grundsprachkenntnissen). Doch an den Sinngehalt des Originals führen sie gerade durch ihre exzessive Formtreue nicht näher heran. ↩
Bei einer „kommunikativen” Übersetzung haben Sinntreue und Verständlichkeit grundsätzlich Priorität vor Formtreue (aus Sicht der Übersetzungswissenschaft im Normalfall eine Selbstverständlichkeit); dabei möchte man „sich an den Verstehensmöglichkeiten einer breitgestreuten Zielgruppe” orientieren (s. Gute Nachricht Bibel [Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft, 1997], Seite 345 des NT-Teils). ↩