Es ist sicher nicht die letzte Runde in dieser Debatte gewesen. Manche Zuschauer fragen sich noch, wie die Punkteverteilung ausgehen wird, andere wenden sich bereits ermüdet ab. Betroffen sind nicht nur diejenigen evangelikalen Christen, die seit langem ihrer evangelischen Landeskirche treu sind, sondern auch Christen in Freikirchen, entweder weil früher oder später die Entwicklungen auch dort ankommen werden oder weil das öffentliche Bild von Kirche schon jetzt ihr Zeugnis betrifft. Wie aber sollen wir angemessen antworten, so dass unser Reden „freundlich und mit Salz gewürzt“ ist?
Wer die Entwicklungen der vergangenen 30 Jahre betrachtet, kann kaum zu einem anderen Urteil kommen, als dass die aktuellen sexualethischen Entscheidungen eine Konsequenz davon sind, dass die wegweisende Kraft des Wortes Gottes eingetauscht wurde gegen die sich wandelnden Ideen kluger Menschen. So ist die Allversöhnung zum Standard geworden, wenn es um die ewige Errettung geht. Die Auferstehung von Jesus steht in Zweifel, wenn es um die historischen Grundlagen des Glaubens geht. Und der Kreuzestod des Retters soll nicht mehr als Sühnopfer für unsere Sünden verstanden werden, sondern lieber als opfernde Selbsthingabe für die Idee der unbegrenzten Gottesliebe. In den praktischen Lebensvollzügen werden dann immer mehr Kirchenordnungen verabschiedet, die meist nach eindeutigen Beschlüssen von Synoden schwarz auf weiß dokumentieren, dass sie weder Bibel noch Bekenntnisse zur Grundlage hatten.
Die letzte Runde in der Homosexualitätsdebatte in der Kirche begann im November 2010 mit der Verabschiedung eines einheitlichen Pfarrerdienstgesetzes für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), das die einzelnen Landeskirchen nach und nach in eigene Gesetzeswerke umsetzen sollen. Der Knackpunkt des Vorhabens war: es sollte über eine weit gefasste Begründung zum Gesetzestext homosexuellen Paaren, die nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz eine rechtliche Verbindung eingegangen sind, offiziell ermöglicht werden, als Paar im Pfarrhaus der Gemeinde zu leben, wenn einer der beiden seinen Dienst als Pfarrer oder Pfarrerin tut. Schon im Vorfeld der EKD-Entscheidung hatten acht ehemalige Bischöfe die Synodalen in einem Brief aufgefordert, dem Gesetz so nicht zuzustimmen. Als das ungehört verhallte, veröffentlichten sie ihre Mahnung im Januar 2011 in Christ und Welt. Es folgte ein kurzer Aufschrei der Empörung, dann ging alles weiter wie geplant. Mehr als die Hälfte der evangelischen Gliedkirchen haben inzwischen auch entsprechende Gesetze erlassen und sind somit dem Anliegen der EKD gefolgt. Dazwischen haben immer mehr Kirchen auch die kirchliche Segnung homosexueller Paare eingeführt und öffentlich durchgeführt.
Konservative Christen haben bei nahezu jeder Entscheidung Protestnoten abgegeben, die – zwar nicht ungehört – aber doch verhallten. Das stärkste Echo hatte vielleicht noch die Entscheidung des Evangelisationsteams um Lutz Scheufler, in einer Erklärung Mitte 2012 den sächsischen Bischof nicht mehr als geistliche Leitung der Kirche anzuerkennen, weil er das neue Dienstgesetz mit der Möglichkeit eines Wohnrechts homosexuell lebender Pfarrer und Pfarrerinnen in Kraft gesetzt hatte. Lutz Scheufler wurde daraufhin erst suspendiert und Anfang 2013 entlassen. Er arbeitet seither nicht mehr als angestellter Evangelist der sächsischen Kirche, sondern auf Spendenbasis. Ein Austritt aus der Kirche stehe aber für ihn nicht an, weil eigentlich diejenigen austreten müssten, die Bibel und Bekenntnisse verlassen haben.
Wer dachte, dass nun Zeit für eine Atempause war, der wurde von der Veröffentlichung einer neuen „Orientierungshilfe” der EKD – diesmal zu Ehe und Familie –, die im Juni 2013 in gedruckter Form vorlag, eines Besseren belehrt. Dem 160 Seiten umfassenden Papier, das den Titel trägt Zwischen Autonomie und Angewiesenheit: Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken, gingen drei Jahre EKD-interne Vorbereitung voran. Jetzt zeigt es auf, welche Konsequenzen das in der Gesellschaft veränderte Bild von Ehe und Familie für die Kirche haben soll. Dass dabei auch die Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften treibende Kraft war, wird an vielen Stellen deutlich und verwundert nicht.
Die gesamte kontroverse Debatte nachzuzeichnen, die auch innerhalb der EKD bis heute in Gange ist, dafür ist es wohl noch zu früh. Aber man kann doch Beobachtungen am Verlauf der Diskussion machen, die von einer gewissen Verwirrung zeugen, die es immer schwieriger macht, sich auf das klare Zeugnis der Heiligen Schrift zu berufen. Ich will im Folgenden einige Beobachtungen nennen und hoffe, dadurch mitzuhelfen, dass wir als Christen, denen Gottes Wort oberste Richtschnur bleiben soll, ein klares Zeugnis des Evangeliums geben können und dass das Salz, mit dem unsere Rede gewürzt sein soll, nicht fade wird (Kol 4,6; Lk 14,34).
1. Die Umdeutung der Begriffe
Wer die „Zusammenfassenden Thesen“ auf den ersten Seiten der EKD-Orientierungshilfe liest, der kann sich nicht sicher sein, was mit den Wörtern „Ehe“ und „Familie“ gemeint ist. Was Familie ist, scheint von den „Familienbildern“ bestimmt zu sein, die die Gesellschaft zu unterschiedlichen Zeiten hatte und änderte. „Ehe“ ist „eine Gemeinschaft“, die von ihren Aufgaben her bestimmt sein soll (S. 13). Das Ergebnis der Analyse eines Verfassungsgerichtsurteil steht da wie die Exegese eines Bibelverses:
„Ehe und biologische Abstammung sind damit nicht mehr konstituierende Merkmale von ‚Familie‘ im Sinne des Grundgesetzes“ (S. 47).
Und später wird es ganz deutlich gesagt:
„Heute erscheinen die Institutionen Ehe und Familie nicht mehr als unveränderliche Ordnung, vielmehr sind sie eine Gestalt unseres Zusammenlebens, die Verbindlichkeit und Verlässlichkeit ermöglicht“ (S. 68).
Das folgt dem, was in der gesellschaftlichen Debatte bereits vollzogen ist. Mit dem Satz des Grünen-Politikers Volker Beck „Familie ist, wo Kinder sind!“ ist eine Definition in die Welt gesetzt und vielfach aufgenommen worden, die jedes Kind als falsch erkennen kann, aber trotzdem eine große Kraft entwickelt hat. Ein Kinderheim, eine sozialpädagogisch betreute Wohngruppe, ein Kindergarten oder eine Krippe sind keine Familie. Aber auch die so genannte Patchwork-Familie, die als der kommende Normalfall und von manchem als Ideal dargestellt wird, verdient den Namen „Familie“ höchstens eingeschränkt. Mit der Behauptung, dass der „Begriff von Familie, der die verschiedenen Lebensformen umfasste, […] sich überhaupt erst im 18. Jahrhundert herausgebildet“ habe (S. 32), wird in der Orientierungshilfe gleich die Schöpfungsordnung Familie in Frage gestellt (S. 58). Man möchte sich während des Lesens der folgenden ausführlichen geschichtlichen Deutung kneifen, um nicht zu vergessen, dass Familie in ihrem Grundbestand immer eine Konstellation von Vater-Mutter-Kind war und ist. Es lebt kein Mensch auf dieser Erde, der nicht Vater und Mutter hat. Selbst wenn er durch Samenspende im Reagenzglas gezeugt wurde, hat er Vater und Mutter. Man mag davon sprechen, dass das nur die „biologischen“ Eltern seien, aber das ändert nichts an der Tatsache. Und dass Gerichte inzwischen auch durch Samenspenden gezeugten Kindern ein Recht eingeräumt haben, zu erfahren, wer ihre Väter sind, zeugt davon.
Nicht lange her, da wurde ich Zeuge eines Gesprächs, in dem ein 16jähriger, dessen leiblicher Vater die Mutter früh verließ und sich nie um ihn kümmerte, seiner Mutter vehement deutlich machte, dass er nicht bereit sei, den neuen Lebensgefährten, den die Mutter heiraten wollte, als Vater anzusehen. „Ich musste ohne Vater aufwachsen, der soll nicht meinen, dass er jetzt mein Vater sein kann“. Jeder, der mit Kindern aus kaputten Familien zu tun hat, weiß, dass diese Kinder – obwohl sie nie „heile“ Familie erlebt haben – genau wissen, wie Familie sein soll und was ein richtiger Vater und eine Mutter ist. Offenbar hat Gott das beinahe unauslöschlich in uns hineingelegt. Pflegefamilien bleiben, was sie sind: Familien, die ein oder mehrere Kinder in Pflege nehmen, weil deren eigene Familie nicht mehr existiert oder funktioniert. Nun wird aber behauptet, dieses Verständnis von Familie sei ein Konstrukt, das man in einer sich wandelnden Gesellschaft durch ein anderes ersetzen kann. Weil es so viele kaputte „biologische“ Familien gibt, gelten alle „verlässlichen Gemeinschaften“, in denen Kinder ein Zuhause gefunden haben, als die wirkliche Familie. Das kann dann eine Lebensgemeinschaft von Mann und Frau oder Männern und Frauen oder nur Männern oder was sonst sein. Man fragt sich, wie ein Mensch vergessen kann, dass er Vater und Mutter hat, Großväter und Großmütter, Urgroßväter und Urgroßmütter. Gott sah das aber wohl voraus, als er selbst auf die Steintafel schrieb: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebest in dem Lande, das dir der HERR, dein Gott, geben wird“ (2Mo 20,12; vgl. 5Mo 5,16; Spr 23,20-25; Mt 15,4; Eph 6,1-4).
Ein Wesenszug von Familie ist, dass man in sie hineingeboren wird und sie sich nicht ausgesucht hat. Zu ihr gehört man, selbst wenn Lebensumstände oder Schuld es nicht mehr möglich machen, zusammen zu leben1. Die Umdeutung des Begriffs hat ein klares Ziel: der von allem unabhängige Mensch bestimmt selbst, was „seine“ Familie ist. Die Orientierungshilfe sagt das auch ganz offen:
„Mit der Entdeckung der Rechtfertigung und Gleichheit aller Kinder Gottes (Gal 3,26-28) gewannen Christinnen und Christen die Freiheit, die Schicksalhaftigkeit familiärer und sozialer Bindungen aufzulösen, den eigenen Lebensentwurf zu gestalten, der eigenen Berufung zu folgen und sich aus eigener Entscheidung in neue Bindungen zu stellen“ (S. 61).
Das aber ist nicht nur eine glatte Lüge, sondern selbst im Angesicht von vielen kaputten Familien kein „Evangelium“, sondern ein Fluch der Überforderung. Das Evangelium hat eine andere Botschaft: die geschaffene Ordnung Familie, die bis zum Ende zu dieser Schöpfung gehört, deutet auf Gottes Familie, in der Er unser Vater, sein Sohn Jesus Christus unser Bruder und alle Glaubenden miteinander Geschwister sind. Dies ist aber auch keine selbst gewählte oder gemachte Familie, sondern es gilt Joh 1,12-13:
„All denen jedoch, die ihn aufnahmen und an seinen Namen glaubten, gab er das Recht, Gottes Kinder zu werden. Sie wurden es weder aufgrund ihrer Abstammung noch durch menschliches Wollen, noch durch den Entschluss eines Mannes; sie sind aus Gott geboren worden“.
Das Gleiche gilt für das Wort „Ehe“. Man redet davon, einer „Homo-Ehe“ die gleichen Rechte zu geben wie jeder anderen Ehe. Aber das Wort „Homo-Ehe“ hat die gleiche Qualität wie das Wort „Scheinehe“. Der Begriff „Ehe“ ist zwar enthalten, aber ihrem Wesen nach kann eine solche Beziehung keine Ehe sein. Eine Ehe ist und bleibt die öffentlich-rechtliche, lebenslange Verbindung von Mann und Frau, die die körperlich sexuelle Vereinigung beinhaltet und ein Verwandtschaftsverhältnis begründet. Es mag viele andere Formen von Lebensgemeinschaften mit und ohne sexuelle Gemeinschaft geben, aber der Name „Ehe“ ist eindeutig reserviert2. Zwar respektiert die EKD-Orientierungshilfe das – anders als beim Wort „Familie“ – über weite Strecken in ihrem Sprachgebrauch, aber sie sagt es nicht, weil sie offenbar ein anderes Ziel verfolgt:
„Durch das biblische Zeugnis hindurch klingt als ‚Grundton‘ vor allem der Ruf nach einem verlässlichen, liebevollen und verantwortlichen Miteinander, nach einer Treue, die der Treue Gottes entspricht. Liest man die Bibel von dieser Grundüberzeugung her, dann sind gleichgeschlechtliche Partnerschaften, in denen sich Menschen zu einem verbindlichen und verantwortlichen Miteinander verpflichten, auch in theologischer Sicht als gleichwertig anzuerkennen. Nutzen homosexuelle Menschen heute die rechtliche Möglichkeit der eingetragenen Partnerschaft, dann erklären sie, wie heterosexuelle Menschen, bei der Eheschließung öffentlich ihren Willen, sich dauerhaft aneinander zu binden und füreinander Verantwortung zu tragen.“ (S. 66)3
Dass diese massive Umdeutung der Begriffe auch bei den Gegnern des EKD-Papiers Folgen zeigt, wird daran deutlich, dass von ihnen verschiedentlich das Weiterbestehen eines „Leitbildcharakters“ der Ehe angemahnt wird. Wenn aber die Ehe nur ein „Leitbild“ ist, dann ist damit ausgesprochen, dass man sich an einem Bild von Ehe nur mehr orientieren will. Das hat ungefähr die gleiche Qualität, als wenn ein Fisch sagte: „Ein Leben im Wasser hat für mich Leitbildfunktion.“ Man nimmt, was einem an der Ehe gefällt und will sich für andere Formen des Zusammenlebens daran orientieren. Damit greift der Mensch einerseits zu tief und würdigt die Ehe nicht als Fügung Gottes („Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.“). Andererseits greift er zu hoch, denn z.B. das Scheidungsverbot gilt nur für die Ehe und nicht für andere Verbindungen. So scheint letztlich die Ehe in der freien Verfügbarkeit des Menschen zu stehen. Bei genauem Hinschauen würde sich zeigen, dass kirchliche Papiere diese Redeweise vom Leitbild geprägt haben, um damit letztlich die Verbindlichkeit der biblischen Aussagen zur Ehe aufzulösen.4
Auch die Redeweise von der Ehe als „lebensdienlicher Lebensform“, wie man sie inzwischen auch von konservativen Verteidigern der biblischen Ehe hört, ist nicht neutral. Denn Ehe wird auch hier nicht von ihrem Wesen als Fügung Gottes bestimmt, sondern von einem Nützlichkeitsprinzip, das letztlich aus dem Darwinismus stammt. Dabei gilt, dass die „Lebensform Ehe“ deswegen gut sei, weil sie im Hinblick auf den Schutz und die Weitergabe des Lebens Vorteile biete. Damit wird aber die biblische Botschaft abgewertet, dass Gott Ehe jenseits von Nützlichkeit gesetzt hat, damit in ihr sexuelle Gemeinschaft zwischen Mann und Frau gelebt werden soll, sie den Anfang für ein neue Familie bietet und ein Bild seiner eigenen Zuwendung zum Menschen in Christus darstellen soll.
Ulrich Eibach weist in seiner hilfreichen Analyse der Orientierungshilfe5 zurecht darauf hin, dass auch das vielfache Ersetzen des Begriffs „Treue“ durch den Begriff „Verlässlichkeit“ keineswegs wertneutral ist:
Entsprechend bleiben zentrale Begriffe der OH, vor allem der der Verlässlichkeit, unklar, auch in Hinsicht auf den aus theologischer Sicht zentralen Begriff der unverbrüchlichen Treue und lebenslangen Dauer in guten und schweren Zeiten. Es bleibt ungeklärt, wie sich der Begriff Verlässlichkeit zu dem vielleicht bewusst nicht entfalteten Begriff einer ganzheitlichen Treue verhält, der für Gottes Bund mit den Menschen und den Ehebund von Frau und Mann zugleich konstitutiv ist. Man gewinnt den Eindruck, dass Verlässlichkeit innerhalb der rein menschlich gedachten Vertragstheorien von vornherein nur so lange gilt, wie der Vertrag und seine Bedingungen gelten. Das besagt, dass die Lebenslänglichkeit von Ehe und familiären Beziehungen schon begrifflich ausgeblendet wird, weil sie nicht mehr von einer Mehrheit der Menschen gelebt werden.
Wer ein klares christliches Zeugnis geben will, der muss seine Begriffe von der Bibel her füllen lassen und unter Umständen auch immer wieder deutlich machen, dass er mit den gleichen Wörtern von etwas anderem redet. Das kann sehr mühsam sein, aber es ist notwendig und ein Teil eines Kampfes, den Paulus den Korinthern so beschreibt (2Kor 10,3-5):
„Denn obwohl wir im Fleisch leben, kämpfen wir doch nicht auf fleischliche Weise. Denn die Waffen unsres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern mächtig im Dienste Gottes, Festungen zu zerstören. Wir zerstören damit Gedanken und alles Hohe, das sich erhebt gegen die Erkenntnis Gottes, und nehmen gefangen alles Denken in den Gehorsam gegen Christus“.
2. Der willkürliche Umgang mit der Bibel
Wenn die Bibel erst zum Steinbruch geworden ist, aus der sich der Mensch ohne Respekt vor Gott bedient, um seine eigenen Meinungen zu untermauern, dann zeigt sich, dass damit alles möglich wird. Beispiele für einen willkürlichen Umgang mit der Bibel lassen sich in der Debatte um Ehe, Familie und Homosexualität viele finden. Ich will nur einige auffällige benennen.
2.1 Was in der Bibel erwähnt wird, erscheint nach willkürlicher Auswahl auch legitim
Diese Art der Argumentation findet sich mehrfach in der bereits erwähnten EKD-Orientierungshilfe. Weil „die Bibel im Alten und Neuen Testament das familiale Zusammenleben in einer großen Vielfalt beschreibt“ (S. 56), darum scheint die Bibel auch alles zu legitimieren. Abraham hat Frau und Nebenfrau, Jakob gleich zwei Frauen und Verhältnisse mit deren Dienerinnen. Es gab Frauenhaushalte (Maria und Martha, Ruth und Noomi) und Männergesellschaften. Aber was ist mit dieser Vielfalt zu tun:
„Angesichts der Vielfalt biblischer Bilder und der historischen Bedingtheit des familiären Zusammenlebens, bleibt entscheidend, wie Kirche und Theologie die Bibel auslegen und welche Orientierung sie damit geben“ (S.54 + 58).
Hier stellen sich die Theologen einen Freibrief aus, selbst zu entscheiden, was sie als Orientierung, was sie als verbindlich ansehen wollen und was nicht. Praktisch zieht die Orientierungshilfe die Konsequenz, dass sie die Vielfalt in der Bibel als Erlaubnis der gegenwärtig gelebten Vielfalt ansieht. Darüber hinaus scheint es sogar eine Ermutigung zu sein, die Vielfalt des Lebens noch zu vergrößern.
Die Bibel schildert im Zusammenhang der Familie auch Mord und Totschlag, Betrug und Diebstahl, Vergewaltigung und Verführung. Dass die Bibel nicht auf diese Weise ein Maßstab sein will, sondern uns herausfordert, nach Gottes Willen die Taten der Menschen zu beurteilen, ist offenbar.
2.2 Die Autorität der Bibel soll darin liegen, was eine christliche Gemeinschaft mit ihr macht
Die feministische Theologieprofessorin Claudia Janssen hat in der Zeitschrift Zeitzeichen (Heft 10 (2013): 47-48) den willkürlichen Umgang mit der Bibel, wie er in der Orientierungshilfe prägend ist, verteidigt und als Ausdruck der neueren Entwicklungen in den Bibelwissenschaften beschrieben. Sie sehe einen großen Fortschritt darin, dass anders als in früheren Denkschriften zur Homosexualität nicht mehr von normativen Aussagen der Bibel ausgegangen werde, sondern dass man ethische Kriterien formuliere, wie
„Gerechtigkeit, Gewaltfreiheit, Verlässlichkeit, Verantwortung und Fürsorge. Damit stellt sie sich in die biblische Tradition der Nächstenliebe und der Parteinahme für die gesellschaftlich Schwächeren, die Kinder und Hilfebedürftigen.“
Janssen beschreibt treffend die grundlegende Veränderung. Die Bibel kann ihrer Ansicht nach nichts Normatives zu den heutigen Herausforderungen sagen, weil sie ganz den damaligen Herausforderungen der Antike verhaftet sei. Nur die Art, wie damals gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung argumentiert wurde, kann als hilfreich gelten.
„Aus bibelwissenschaftlicher Sicht ist es eine besondere Stärke der EKD-Orientierungshilfe, dass sie einen offenen Dialog über Gegenwart und Zukunft der Familie anregen will, der auf einer differenzierten Analyse gelebter Beziehungen im Kontext gesellschaftlicher Machtstrukturen basiert und bei der Frage nach biblischen Leitlinien auf normative Vorgaben verzichtet. Die Bibel kommt an entscheidender Stelle ins Spiel, wenn wir aus ihr lernen und durch die Widerstandskraft und den Trost der Schriften Hoffnung gewinnen“.
Es hat sich etwas Entscheidendes in der Argumentation mit der Bibel verändert. War es bisher oft so, dass noch einigermaßen zutreffend der biblische Befund erhoben wurde, wenn man im Anschluss auch so lange argumentierte, bis das gewünschte Ergebnis da war, so nimmt man sich jetzt von vornherein die Freiheit, die Bibel das sagen zu lassen, was man will. War früher klar, dass die Bibel eindeutig gegen homosexuelle Lebenspraxis steht, so hat man jetzt den „Blickwinkel“ so verändert, dass ihre Aussagen rein geschichtliche Reaktionen auf Zustände der Antike darstellen sollen und nicht „zeitlos gültig“ sein können.
Man sucht dann einen positiven „Grundton“ in der Bibel, der in dem „Ruf nach einem verlässlichen, liebevollen und verantwortlichen Miteinander“ gefunden scheint und sieht damit jede verlässliche, liebevolle und verantwortliche Beziehung als gleichwertig (Orientierungshilfe, S. 66). Es ist den Befürwortern dieses Vorgehens offenbar völlig klar, dass der Bibel damit jede normierende Autorität genommen werden soll.
Das Erstaunliche an dieser Praxis bleibt allerdings, wie viel Wert trotzdem darauf gelegt wird, die Bibel auf seiner Seite zu haben. Man könnte doch einfach sagen: „Wir richten uns in Sachen Ehe und Familie nach den derzeitigen gesellschaftlichen Maßstäben und wollen diese christlich begleiten.“ Warum mit der Bibel begründen, was man mit ihr nicht begründen kann? Ich habe keine andere Erklärung dafür, als dass Menschen die Autorität Gottes, die in der Bibel zum Ausdruck kommt, für ihre Ansichten in Anspruch nehmen wollen.
2.3 Richtige biblische Wahrheiten am falschen Ort
Leider findet sich auch auf der anderen Seite ein problematischer Umgang mit der Bibel. Das Motiv ist oft die Barmherzigkeit mit den schwachen und versagenden Mitchristen. Ich wähle als Beispiel den lesenswerten Artikel des amerikanischen Lutheraners David S. Yeago mit dem Titel „Schonungslos überführt: Kirchentreue und Sexualmoral: eine lutherische Lektion in Nachfolge“. Er war zuerst 2009 in Amerika erschienen und Anfang 2011 in der Zeitschrift Salzkorn nachgedruckt worden, die eine Nummer (1/2011) der Frage widmete, ob es angesichts der Entscheidungen der evangelischen Kirche in Sachen homosexuelle Lebenspartnerschaften im Pfarrhaus notwendig sei, aus der Kirche auszutreten.
David Yeago argumentiert gegen einen Kirchenaustritt. Interessant ist, wie er das tut, denn er beruft sich dazu vor allem auf den Galaterbrief und die Galaterbriefauslegung von Martin Luther. Dabei fällt auf, dass Yeago in seinem Artikel die Unterscheidung zwischen einer persönlichen ethischen Verfehlung und falscher Lehre über ethische Verfehlungen teilweise verwischt. Darum wird auch nicht deutlich, dass die Reaktion auf das eine sich sehr von der Reaktion auf das andere unterscheiden sollte. Es ist nach der Bibel ein großer Unterschied, ob ein Mitchrist sündigt oder ob er diese Sünde rechtfertigt oder sogar eine rechtfertigende Irrlehre verbreitet.
Yeago zitiert ausführlich, was Luther zur Auslegung von Galater 6,1-3 schreibt und mahnt damit, wir sollten die homosexuell lebenden Mitchristen nicht verurteilen. Wir sollten vielmehr barmherzig mit den Schwachen sein, verzeihen, mittragen und helfen. Mit ständiger Berufung auf Luthers Galaterbriefauslegung6 schreibt er:
„Zu tragen sei sowohl die Last derer, die im Glauben irren, als auch derer, die sich sündig verhalten: ‚Also findet die Liebe überall etwas zu tragen und zu tun. Lieben aber heißt, von Herzen dem Andern Gutes wünschen, oder suchen, was des andern ist. Wo käme die Liebe zum Zuge, wenn niemand dem Irrtum oder der Sünde verfiele? Wem wollest du Liebe schenken? Wem wollest du dann Gutes wünschen? Es ist in der Tat eine Flucht vor der Liebe, wenn Menschen die Ungebildeten, Unnützen, Jähzornigen, Unbrauchbaren, Schwerzubehandelnden, Launischen verschmähen als Lebensgemeinschaft. Sie sind unwillig, als Braut Lilie unter Dornen (Hohes Lied 2,2) … als Jerusalem unter die Heiden gesetzt zu sein, oder mit Christus unter Feinden zu herrschen (Psalm 110,2).‘
Luther fasst zusammen: ‚Wer daher die Gemeinschaft mit solchen Menschen flieht, erreicht nichts anderes, als dass er der Allerverworfenste wird, wenn er’s auch selbst nicht glaubt. Denn um der Liebe willen flieht er vor dem echten Dienst der Liebe, um des Heils willen flieht er vor dem wahrhaft nächsten Weg zum Heil. Mit der Kirche stand es ja dann immer am besten, wenn sie unter den Verworfensten wohnte; wenn sie nämlich deren Lasten trug, strahlte ihre Liebe wunderbar hell.‘ Und überhaupt: Warum hat Mose die verstockten Israeliten nicht aufgegeben? Warum haben die Propheten den götzendienerischen Monarchen nicht den Rücken gekehrt?“
Der ganze Artikel von David Yeago ist tatsächlich geeignet, schonungslos zu überführen, wo Christen ihre schwachen Geschwister verurteilen, ihnen nicht beistehen und sie in ihrer Schwachheit nicht tragen wollen. Und das gilt sicher besonders auch im Zusammenhang mit sexuellen Sünden, mit dem Scheitern in der Ehe oder nach dem Zerbruch einer Familie. Wenn es um ethische Verfehlungen und Irrtümer geht, ist es angemessen, Galater 6,1-3 zu zitieren und man kann von Luthers eindrücklicher Auslegung auch heute noch viel lernen.
Was aber ist, wenn es um die rechte Lehre des Evangeliums geht? Luther schreibt in der gleichen Galaterbriefauslegung zu Galater 1,7:
„Diese Stelle zeigt, dass die lügenhaften Apostel ohne Zweifel Paulus einen unvollkommenen Apostel genannt haben, der zugleich ein schwacher Prediger voller Irrtümer sei. Paulus nennt seinerseits sie die Leute, die die Gemeinde verwirren und das Evangelium zerstören. So haben sie sich gegenseitig verdammt, die Lügenapostel den Apostel und Paulus die Lügenapostel. Der gleiche Streit und die gleiche gegenseitige Verdammung besteht immer in der Kirche, besonders dann, wenn die Lehre des Evangeliums blüht, eben darum, weil die unfrommen Lehrer die frommen verfolgen, verdammen und unterdrücken und wiederum die frommen die unfrommen verdammen. Die Papisten und Sektierer hassen und verdammen uns heute aufs äußerste, wir wiederum hassen und verdammen ihre unfromme und lasterhafte Lehre in klarer Weise. Währenddessen hängt und zappelt das arme Volk, ungewiss, wo es sich hin wenden und wem es mit Sicherheit folgen soll; denn es ist nicht jedem gegeben, über so große Dinge christlich ein Urteil zu fällen. Aber der Ausgang wird anzeigen, welche von den zwei Seiten recht lehrt und die andere mit Recht verdammt. Wir verfolgen bestimmt niemand, unterdrücken oder töten niemand und unsere Lehre verwirrt die Gewissen nicht, sondern befreit sie aus unendlichen Irrtümern und Stricken des Teufels. … Wie es also damals nicht des Apostels Schuld war, dass die Gemeinden verwirrt wurden, sondern der Lügenapostel Schuld, so ist es auch heute nicht unsere, sondern der Täufer, Sakramentierer und der anderen Fanatiker Schuld, dass so viele und so große Wirren in unserer Kirche entstanden sind. … Wer aber hätte jemals geglaubt, dass der Papst, die Kardinäle, die Bischöfe, die Mönche und die ganze Satanssynagoge, hauptsächlich jene, die heilige Orden gestiftet haben, die Gewissen verwirren würden?”
Luther war, wenn es um ethische Verfehlungen von Geschwistern ging, sehr barmherzig und geduldig. Dass so viele Priester die Bibel nicht kannten, besser Wildschweine jagen konnten und sich von ihren Haushälterinnen verwöhnen ließen, hat Luther nicht auf die Idee gebracht, eine evangelische Kirche zu gründen. Nicht einmal die schmerzhafte Erfahrung, die er auf seiner Romreise machte, dass es mit den Bischöfen und Kardinälen nicht besser, sondern noch schlimmer war. Und auch die Verirrungen eines Philipp von Hessen, der zum evangelischen Glauben gekommen war, waren ihm Anlass für seelsorgerlichen Rat und nicht zur öffentlichen Verurteilung eines Bruders. All das trieb ihn immer wieder zur Frage, wie Gott angesichts solcher Tatsachen gnädig sein kann und von dort aus weiter zum Evangelium von Jesus Christus. Dann rief er zur Umkehr und zum Glauben an das Evangelium. Und er erwartete, dass der Glaube an Jesus Christus Folgen für das Leben und auch für die Sexualmoral haben würde. Allerdings nicht so, dass man keine Kämpfe mehr hätte, sondern dass man sie mit den richtigen Mitteln kämpft (zu Galater 5,23):
„Bei diesem Werk hilft ein guter und starker Glaube spürbarer als in jedem anderen…. Denn wie der Glaube aus göttlicher Gnade ohne Unterlass lebt und alle Werke bewirkt, so lässt er auch nicht ab, zu mahnen in allen Dingen, die Gott angenehm oder aber zuwider sind… Doch dürfen wir nicht verzagen, wenn wir die Anfechtung nicht schnell loswerden…. Denn nicht das ist die eigentlich wertvolle Keuschheit, die stille Ruhe hat, sondern die mit der Unkeuschheit im Felde liegt und kämpft und ständig all das Gift austreibt, das Fleisch und böser Geist hinein werfen.”
Man kann aus Luthers Schriften problemlos seitenlang zitieren und dabei viel barmherzige Geduld mit dem irrenden Sünder finden, aber man kann auch problemlos in den gleichen Schriften harte Verurteilungen lesen, die keinen anderen Schluss zulassen, als dass Umkehr oder Trennung notwendig ist. Das aber hilft nicht weiter, bis nicht geklärt ist, ob wir von der Sünde verwirrter Geschwister reden oder von der organisierten Abkehr von wesentlichen Glaubensartikeln. Die Abkehr vom Glauben hat doch den Verlust des ewigen Heils zur Folge. Und wer falsch lehrt, verführt andere. Das muss in aller Klarheit gesagt werden. Und zugleich sollen Christen jeden Bruder und jede Schwester, die irgendwo Gottes Weg verlassen haben, mit Liebe und Geduld zurechthelfen.
Was hätte Luther aber zum Umgang mit der Bibel gesagt, wie er in den Verlautbarungen der evangelischen Kirchen zu Ehe, Familie und Homosexualität zum Ausdruck kommt? Vielleicht dieses zu Galater 1,9:
„Aber eine kräftige Warnung wird uns zuteil, soferne uns klar wird, dass es Lüge, ja ein Fluch ist, zu glauben, der Papst sei Schiedsrichter über die Schrift oder die Kirche habe Vollmacht über die Schrift.… Da aber die Kirche ihrem Urteil gemäß Evangelien annehmen und gutheißen konnte, welche und soviel sie wollte, ergo ist die Kirche über die Evangelien. Das reimt sich wie die Faust aufs Auge. Ich approbiere die Schrift, darum stehe ich über ihr. Johannes der Täufer anerkennt und bekennt Christus, zeigt auf ihn mit dem Finger, ergo ist er über Christus. Die Kirche billigt die christliche Lehre und den Glauben, ergo steht sie darüber. Zur Widerlegung dieser ihrer gottlosen und lästerlichen Lehre hast du hier den klarsten Text und einen himmlischen Blitz; denn Paulus rafft ganz einfach sich selbst, den Engel vom Himmel, die Doktoren auf der Erde und was es an Lehrern gibt, zusammen und unterwirft es alles der Schrift. Diese Königin muss herrschen, sie müssen alle gehorchen und sich ihr unterwerfen, nicht ihre Meister, ihre Richter oder Herren, sondern einfach Zeugen, Schüler und Bekenner müssen alle sein, ob es sich um den Papst handelt, oder um Luther oder um Augustin, um Paulus oder einen Engel von dem Himmel. Keine andere Lehre darf in der Kirche gehört und weitergegeben werden, als allein das reine Wort Gottes, oder die Lehrer und Hörer müssen mit ihrer Lehre verflucht sein.”
David Yeago möchte die konservativen Christen nicht nur in der Rolle der opponierenden Dissidenten sehen. Dem kann man nur zustimmen. Darum will ich gerne unterstreichen, wenn er sagt:
„Wir könnten doch diejenigen sein, die tief in der Schrift verwurzelt Lebensbrot in Fülle hervorbringen, die sich vorbehaltlos von Gotteswort durchleuchten und erneuern lassen, deren Gebetsleben intensiv ist und deren Fürbitte auch andere entzündet. Wir könnten zur Avantgarde im Dienst unter den Armen, Hoffnungslosen und Verachteten werden; wir könnten uns freiwillig auf die schwierigen Posten bewerben”.
Es stimmt, dass dann die Irrenden unter unseren Brüdern und Schwestern hoffentlich bemerken, dass wir sie mit Gottes Liebe lieben wollen, ohne ihre Irrwege gutzuheißen. Aber Ermahnung ist damit nicht überflüssig. 1Thess 5,14 zeigt deutlich, dass man nicht mit allen gleich umgehen kann:
„Wir ermahnen euch aber, liebe Brüder: Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann”.
Nicht die Unordentlichen sind zu trösten, sondern die Kleinmütigen. Nicht die Starken soll man tragen, sondern die Schwachen. Geduld aber haben wir auf jeden Fall nötig und das mit jedermann. Allerdings ist auch hier von christlicher Geduld die Rede, die eine hoffnungsvolle und zielgerichtete Geduld ist. Es ist nicht einfach das stumme Ertragen zahlreicher Irrwege gemeint.
2.4 Mit der Bibel immer ausgewogen?
Wenn man sich an der Debatte um Ehe, Familie und Sexualität beteiligt, kann man immer wieder Argumente zu hören bekommen, die fordern, dass man diese Themen nicht zu seinen Hauptthemen machen solle und mindestens ebenso intensiv über „Wahrheit und Liebe“ oder über „Besitz und Geld“ reden müsse. Das geht dann ungefähr so: „Ja, es stimmt, dass die Entscheidung der evangelischen Kirchen, homosexuell lebende Pfarrerpaare als Vorbild hinzustellen, falsch ist, aber ist es denn besser, wenn geizige oder habgierige Pfarrer die Pfarrhäuser bewohnen?“ Oder es heißt: „Die Evangelikalen scheinen nur noch eins der 10 Gebote zu kennen. Immer geht es ihnen um sexualethische Sünden. Aber es gibt auch das Gebot: Du sollst kein falsches Zeugnis reden gegen deinen Nächsten“. Oder: „Ich habe nicht mitbekommen, dass sich die Evangelikalen ebenso beim Thema ‚Geld‘ oder ‚Schutz von Flüchtlingen‘ engagieren, über das mindestens ebenso viel in der Bibel steht wie über die Homosexualität“. „Stoßen wir so in unseren frommen Gemeinden nicht Menschen ab, die auf dem Gebiet der Sexualität gesündigt haben, während Menschen, die scheinheilig, hochmütig oder sogar machtgierig sind, sich bei uns ganz wohl fühlen können? Gilt da nicht, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge und danach geh und zieh den Splitter aus dem Auge deines Bruders?“
Ein innerer Reflex sagt mir dann schnell: „Ja, das stimmt. Habe ich mich nicht wirklich viel zu sehr auf die sexuellen Sünden konzentriert und zeigt das nicht vielleicht sogar etwas von meinen eigenen falschen Prioritäten?“ Der Blick in die Bibel zeigt auch, dass die genannten Einwände in einer Hinsicht richtig sind. Die Bibel klagt nicht nur sexuelle Sünden an. Wir werden, wenn es um den Umgang mit Geld und Gut geht, mindestens ebenso ausführlich zurechtgewiesen und ermahnt. Jesus hat die Scheinheiligkeit in ganz besonderer Weise entlarvt. Seine Lehre über Ehebruch ist dagegen nicht sehr breit. Was aber soll daraus folgen? Muss man sich, wenn man bibeltreu sein will, in jeder Argumentation ausgewogen verhalten? Muss man dem Ehebrecher, den man ermahnt, versichern, dass man den Geizigen genauso als Sünder sieht?
Ich habe den Eindruck, dass der Ruf nach Ausgewogenheit teilweise unangebracht ist, weil er Vorwürfe transportiert, die nicht zutreffen. Wenn wir uns in der Debatte um Ehe, Familie und Homosexualität so engagieren, dann liegt das nicht daran, dass das ein Lieblingsthema der Evangelikalen wäre, sondern dass mit der Gender-Debatte in der Gesellschaft und mit den zahlreichen Orientierungshilfen und Entscheidungen in den Kirchen ein Thema gesetzt wurde, aus dem man sich kaum heraushalten kann. Dass wir nicht in gleicher Weise über Geiz und Habgier gesprochen haben, liegt daran, dass nicht zur Diskussion stand, habgierige Pfarrer als ein besonderes Vorbild für die Gesellschaft auszurufen, sondern homosexuell lebende. Es mag ja sein, dass wir bei manchen „Sünden der Frommen“ zeitweise unter einem blinden Fleck leiden. Aber der Grund liegt wohl kaum darin, dass damit Sünde gerechtfertigt werden soll. Bei Heuchelei, Machtmissbrauch, Gier, Lüge, Zorn, böser Rede sehe ich keine Bestrebungen, diese lehrmäßig zu adeln.
Und als Jesus über den Balken im Auge des Ermahners sprach (Mt 7,1-5), meinte er da, dass man nur dann den Splitter des Bruders in Angriff nehmen darf, wenn man selbst ohne Sünde ist? Dürfen wir uns also in Sachen Homosexualität erst wieder äußern, wenn es keine Heuchelei mehr in der evangelikalen Bewegung gibt? Ganz offensichtlich kann der von Jesus gemeinte Balken nicht irgendeine Sünde sein. Es ist vielmehr die Sünde des Richtens, weil sich der Mensch zum Richter setzt, obwohl Gott das Gericht zusteht, das er Jesus übergeben hat. Nicht das Ermahnen und Zurechtweisen, nicht der Ruf und die Bitte zur Umkehr werden von Jesus angesprochen, sondern die falsche Haltung dabei, die vergisst, dass Gottes Ruf zur Buße immer eine Botschaft der Gnade ist, die lautet: „Du kannst umkehren. Es gibt Vergebung.“ Darum soll man eine solche falsche Haltung auch ablegen. Aber dann gilt: „Geh hin und zieh den Splitter aus dem Auge deines Bruders!“
Ist es aber Gemeindealltag in Deutschland, dass jeder, der auf sexuellem Gebiet schuldig wurde, keinen Platz mehr in einer konservativen oder evangelikalen Gemeinde findet, aber alle anderen Sünder fröhlich ihre Sünden leben können? Ich will nicht behaupten, einen ganz umfassenden Überblick zu haben, aber für alle Gemeinden, die ich näher kennengelernt habe, gilt 1Kor 6,9-11. Um nur die sexuellen Sünden aus der Liste zu benennen: Es gibt homosexuell empfindende Männer und Frauen, die gleichgeschlechtliche Befriedigung gesucht haben. Da haben nicht wenige ihre Ehe gebrochen, manche ihre Kinder missbraucht und die Familie zerstört. Wenige sind nur durch Kinder sexuell erregt, einige waren in Bordellen usw. Ich kann nicht erkennen, dass es für Menschen mit dieser Geschichte keinen Raum in den Gemeinden gäbe.
Was nicht möglich ist, ist allerdings, dass man Sünden rechtfertigen kann und dann etwa als bekennender Homosexueller oder als notorischer Ehebrecher leben. Wer aber Hilfe und Umkehr sucht, der findet meist auch Hilfe.
Dass all das nicht an die große Glocke gehängt wird und es darum für einen Ahnungslosen so scheinen kann, als ob es bestimmte Sünden in konservativen Gemeinden nicht gäbe, hat sicher zwei Seiten, ist aber nicht nur negativ zu sehen. Dass aber unter konservativen Christen so getan werde, als gebe es bei ihnen kein Scheitern, und dass sie als Folge davon besonders unbarmherzig seien, kann ich nicht erkennen, auch wenn ich von einzelnen solchen Geschichten weiß.
Und ist es etwa umgekehrt so, dass Menschen, die das schmerzhafte Scheitern in Ehe, Familie und Sexualität erlebt haben, nun reihenweise ihre Heimat in einer scheinbar barmherzigen Kirche finden, die alles für gleichwertig und damit gleichgültig erklärt hat? Ich behaupte wieder nicht, dass ich einen repräsentativen Überblick hätte, aber sehe doch, dass die meisten Verletzten und Gescheiterten von einer solchen Kirche nichts erwarten und ihr deswegen einfach fern bleiben.
Ich halte die Forderung nach einer biblischen Ausgewogenheit im Ermahnen durchaus für angebracht, aber sie sollte nicht davon abhalten, klare Positionen in einer Diskussion um ethische Lehrfragen zu beziehen. Außerdem ist auch hier wieder die Unterscheidung von Lehre und seelsorgerlicher Begleitung notwendig. Wer einem kirchlichen Positionspapier widerspricht, führt kein Seelsorgegespräch mit den Verfassern. Wer dazu die Möglichkeit hat, soll es tun und versuchen, die Irrenden zurechtzubringen. Und weil immer die Gefahr besteht, im Kampf für die Wahrheit in der Liebe kalt zu werden, bleibt es wichtig, an dieser Stelle aufmerksam zu sein und aufeinander zu achten.
3. Mit Geschichte und Geschichten argumentieren
Nicht nur mit der Bibel wird irreführend argumentiert. Auch die Benutzung von Beispielgeschichten und die Verwendung der eigenen Geschichtsdeutung können in eine falsche Richtung leiten. Richtig angewendet kann ein Beispiel aus der Geschichte eine biblische Wahrheit hilfreich verdeutlichen. Bei den folgenden Beobachtungen ist es aber anders.
3.1 Einzelfall schlägt ethische Regeln
Der Generalsekretär des Bibellesebundes Christian Brenner hat unter dem Titel „Ehe, aber ehrlich …“ in Idea-Spektrum (43/2013: S. 23-25) in Sachen Ehe und Familie „postmodern“ argumentiert, wie er selbst am Ende seines Beitrags für das evangelikale Nachrichtenmagazin erklärt. Seinen Artikel bezeichnet er als
„Ansammlung von Literaturfragmenten vermischt mit Erfahrungen und Einsichten, die sich aus punktuellen Studien und Beobachtungen nähren und sich zugleich mit persönlichen Erfahrungen vermischen“ (25).
Ableiten müsse daraus niemand etwas, der es „nicht selbst als wahr empfinden“ kann. Zugleich ist er darum besorgt, dass Christen in Sachen Ehe und Homosexualität konstruktive Beiträge für eine postmoderne Gesellschaft geben können, bei denen „beide Seiten sich aufeinander zubewegen und die sich ergebenden Schwierigkeiten lösen“. Brenner will Christen die Veränderung der Bindung in Ehen verdeutlichen. Um sie zugleich davon zu überzeugen, dass die christliche Ethik darauf keine einfachen Antworten geben kann und darf, zeigt er nicht die verbreiteten Probleme in Ehen auf, sondern erzählt eine Geschichte, die er sich nur angelesen hat. In dieser Geschichte trennt sich ein jung verheiratetes Paar früh, ohne sich scheiden zu lassen. Nachdem der Mann eine andere Beziehung angefangen hat und Vater geworden ist, kommen er und seine Partnerin zum Glauben. Als sie heiraten wollen, steht die ungeschiedene Ehe im Weg. Die erste Partnerin kommt auch zum Glauben und will die Ehe erhalten. Was nun?
Fazit: „Das Beispiel soll verdeutlichen, wie komplex Lebenssituationen heute sind. Es zeigt: Es gibt keine einfachen Lösungen. Die Herausforderungen an uns als Christen lauten vor diesem Hintergrund: Wie begegnungsfähig, auseinandersetzungsfähig, vermittlungsfähig sind wir?“
Was wir hier vorgeführt bekommen, ist in der Diskussion um Ehe und Familie eine verbreitete Art der Argumentation. Gegen allgemeine Wertmaßstäbe werden ungewöhnliche Einzelfälle ins Feld geführt. Die unbestrittene Tatsache des komplexen Lebens soll belegen, dass klare ethische Entscheidungen nicht möglich sind. Ist es wirklich so, dass ein einfaches und klares Gebot keine Berechtigung mehr hat, weil jedes Leben und jede Situation anders ist? Geschichten ungewöhnlicher Einzelfälle entfalten eine große Kraft, besonders weil Christen gern allen helfen wollen. Aber sie eignen sich weder dazu, allgemeine Lehren zu Ehe und Familie daraus abzuleiten, noch beweisen sie die Mangelhaftigkeit von Geboten.
Auch stimmt es nicht, dass Christen mit klaren Maßstäben zu Ehe, Familie und Sexualität prinzipiell nicht „begegnungsfähig, auseinandersetzungsfähig, vermittlungsfähig“ wären und dass deswegen vor allem „mehr gelebtes Doppelgebot“ (25) notwendig sei. Abgesehen davon, dass wir immer zu wenig lieben, dürfen wir darauf vertrauen, dass genau das Zueinander von Gesetz und Evangelium, das uns das Neue Testament zeigt, die richtige Botschaft auch für unsere postmodern denkenden Nächsten ist: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15)
3.2 Geschichtliche Entwicklung wird autoritative Norm
Die Verteidiger der Orientierungshilfe zu Ehe und Familie der EKD haben darauf hingewiesen, dass der Vorwurf, das Papier sei theologisch schwach, nicht treffe, weil man in erster Linie eine sozialgeschichtliche Studie vorgelegt habe und keine theologische. Genau das aber ist das Problem, denn die ausführlich dargelegte Sozialgeschichte von Ehe und Familie wird in der Orientierungshilfe zum autoritativen Ersatz für die biblische Orientierung.
„Angesichts des tiefgreifenden sozialen und kulturellen Wandels ist auch die Kirche aufgefordert, Familie neu zu denken und die neue Vielfalt von privaten Lebensformen unvoreingenommen anzuerkennen und zu unterstützen. Diese Anerkennung ist nicht lediglich als Anpassung an neue Familienwirklichkeiten zu verstehen, sondern als eine normative Orientierung“ (S. 141).
Das ist die Überzeugung der Verfasser: Weil die Bibel keine Orientierung geben kann, muss sie woanders herkommen, nämlich aus der geschichtlichen Entwicklung. Es geht der Orientierungshilfe nicht vor allem um eine Wahrnehmung der heutigen familiären Gegebenheiten und die Frage, wie die Kirche mit ihrer Botschaft darauf reagieren soll. Es ist ihr deswegen auch nicht genug damit, dass die Kirche sich auf die Veränderungen einstellt, sondern sie soll sie als „normative Orientierung“ anerkennen. Es ist die fleißige Entfaltung geschichtlicher Entwicklungen, die zum Wertmaßstab erklärt wird. Das Motto heißt also: Weil sich die gesellschaftliche Sicht von der bürgerlichen Kleinfamilie zur Vielfalt der Patchwork-Familie entwickelt hat, darum muss die Patchwork-Familie die Norm sein, an der sich Kirche und Gesellschaft orientieren. Weil sich die Meinung über homosexuelles Leben von „moralischer Verirrung“ und „sexueller Störung“ hin zu „normaler Variante der sexuellen Orientierung“ entwickelt hat, darum ist dies fortan die Norm für die Beurteilung der Sexualität.
Es ließe sich viel dazu sagen. Zuerst aber muss man festhalten, dass die Behauptung, dass sich geschichtliche Entwicklung zur Orientierung für Wertmaßstäbe und Handeln eignet, auf die Geschichtsphilosophie von Georg Friedrich Hegel (1770-1831) zurückgeht. Die darauf aufbauende theologische Behauptung, dass in der Entwicklung des Zeitgeistes auch der Geist Gottes wirke, ist sehr fragwürdig. Sie wird in der Orientierungshilfe auch nur auf die letzten Jahrzehnte angewandt, während man z.B. den „Zeitgeist der Romantik“ kritisch sieht. Aber auch die scheinbar so schlüssige Geschichte des Verständnisses von Ehe und Familie ist zu hinterfragen. Da werden nämlich nicht einfach Tatsachen dargelegt, sondern es wird unter der Hand ein Geschichtsbild gezeichnet, das an vielen Stellen fragwürdig gefärbt ist und dann mit der Formel präsentiert wird „Heute wissen wir:“ (S. 59). Tatsächlich kommt aber fast ausschließlich eine Geschichtsdeutung zu Wort, die von emanzipatorischen und feministischen Ideen geprägt ist.
Die Wirklichkeit des Lebens will sich dieser Deutung jedoch immer noch nicht beugen. So zeigen seit Jahren repräsentative Befragungen unter Jugendlichen (z.B. die Shell-Studien), wie stark die Sehnsucht nach einer Familie ist, die aus Vater-Mutter-Kindern besteht und auf einer dauerhaften Ehe gegründet ist. Und auch die Studie des Allensbach-Instituts zur „Generation Mitte“ (die 30 – 59jährigen) vom August 2013 zeigte – offenbar zur Enttäuschung der Wissenschaftler – auch ein Bild, das so gar nicht dem angeblichen Zeitgeist entsprach. Zum Beispiel wollen Frauen immer noch überwiegend in stabilen Ehen leben und für die Zeit der Verantwortung für Kinder ohne Erwerbstätigkeit sein.
Nun ist es biblisch auch nicht gerechtfertigt, so zu reagieren, dass man behauptet, früher sei alles besser gewesen. Vielmehr kann höchstens eine von der Bibel kritisch gedeutete Geschichte eine Orientierungshilfe geben, mehr aber auch nicht. Weil wir in einer sündigen Welt leben, kann niemals ein bestimmter Stand der Geschichte selber Orientierung sein. Das gilt genauso für die Zeit der so genannten bürgerlichen Kleinfamilie wie für die heutige. Ohne das Wort Gottes, das alle Zeiten überdauert hat und überdauern wird, gibt es keine Orientierung.
3.3 Geschichtslose Berufung auf die Geschichte
Zum Umgang mit der Geschichte will ich nur noch auf eine Beobachtung aufmerksam machen. Wenn es gerade passt, beruft man sich gern auf Autoritäten aus der Vergangenheit, allerdings oft ohne deren geschichtlichen Standort zu beachten. So wird Luthers Wort von der Ehe als „weltlich Ding“ ständig missbraucht, um damit auszusagen, dass Ehe nicht an biblischen Maßstäben gemessen werden dürfe. So geschieht es auch in der EKD-Orientierungshilfe. Jeder kann leicht feststellen, dass Martin Luther von dem Gegenteil überzeugt war. Ihm ging es in seiner geschichtlichen Situation darum, die Ehe aus dem Würgegriff der mittelalterlichen Kirche zu befreien, die mit zahlreichen Bestimmungen Ehen eher verhinderte. Zwar konnten einmal geschlossene Ehen nicht geschieden werden, aber die Kirche fand zahlreiche Möglichkeiten, sie dann zu annullieren.
Selbst der Lutheraner David S. Yeago argumentiert im bereits erwähnten Aufsatz („Schonungslos überführt“) teilweise geschichtslos. Luther habe sich mit der Erlaubnis der römischen Kirche zufrieden gegeben, das reine Wort des Evangeliums verkündigen zu dürfen. Er habe von Rom nicht verlangt, „die evangelische Lehre anzunehmen, sondern lediglich, sie zuzulassen”. Darum auch solle sich heute niemand von seiner Kirche trennen, solange er noch in ihr oder auch nur an ihrem Rande das Evangelium verkünden könne.
Die Beobachtung ist teilweise richtig, fand aber in einem völlig anderen historischen Rahmen statt. Die Kirche, von der Luther erwartet, dass sie die Verkündigung des Evangeliums zulässt, war eine Kirche, die Ketzer verbrannt hat. Luther selbst stand unter dem Bann. Er hätte ohne weitere Verhandlung umgebracht werden dürfen. Wir leben heute in einer pluralistischen Gesellschaft und haben es mit weithin angepassten Kirchen zu tun. Es sollte nicht vergessen werden, dass im Hintergrund der Diskussion um Ehe, Familie und Sexualität längst die Mehrzahl der Glaubensgrundlagen in Frage stehen, wie sie etwa im Apostolischen Glaubensbekenntnis verfasst sind.
Eine pluralistische Kirche ist trotzdem daran interessiert, dass es in ihr ein paar Konservative gibt, solange diese keinen entscheidenden Einfluss haben. Sie ist der Meinung, dass es ihr schaden würde, wenn sich eine fest umrissene Gruppe von ihr trennt. Ginge nicht ein Aufschrei durch die Gesellschaft, wenn sich die homosexuell lebenden Kirchenmitglieder zusammentäten und verkündeten, dass die evangelische Kirche nicht mehr ihre Heimat sei? Das wollen Kirchenleitungen weder im Hinblick auf die kirchliche Homosexuellenlobby noch im Hinblick auf die Konservativen.
4. Ein kurzes Fazit
Angesichts der dargestellten Beobachtungen sehe ich überhaupt keine andere Orientierungshilfe als die Bibel, die Bibel, die Bibel.
- Wir brauchen die Bibel, um von ihr unsere Sprache und Begriffe in der Debatte um Ehe, Familie und Sexualität prägen zu lassen.
- Wir brauchen die Bibel, um von ihr zu lernen, wie wir richtig mit der Schrift argumentieren können. Selbst für „konservative“ Ziele dürfen wir sie nicht missbrauchen. Der gute „Streiter Christi“ soll nicht nur kämpfen, sondern er soll es auch nach den Regeln Gottes tun (2Tim 1,1-5).
- Wir brauchen die Orientierung aus der Bibel, um mit geschichtlichen Entwicklungen umzugehen. Dabei hilft uns, zu wissen, dass es „nichts Neues unter der Sonne“ gibt. Die Bibel enthält Wegweisung auch für die Fragen und Probleme des 21. Jahrhunderts. Das allein sollte uns schon erstaunen und ermutigen.
Wenn wir von der Bibel geprägt, unsere Rede freundlich und mit Salz gewürzt sein lassen, erleben wir, dass das Evangelium, das wir bezeugen, selbst die Kraft hat. Es kann Einsicht und Umkehr, Heilung und Hilfe bewirken. Aber es wird auch zu Trennung kommen. Das ist für den Zeugen oft schmerzhaft, weil er sieht, wie jemand in seinen Irrwegen gefangen ist. Aber das ist, was Gott selbst mit seinem Wort durch uns wirken will.
Hebräer 4,12: Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens.
Es ist ungemein erhellend und zugleich ernüchternd, die einfachen Erkenntnisse über Ehe und Familie zu lesen, die G.K. Chesterton beschreibt: „Die Menschen werden nicht im Kindergarten geboren und sterben nicht beim Bestattungsunternehmer. Diese unbegreiflichen Vorgänge […] finden auf der winzigen Bühne der Familie statt.“ „Die wahre Familie ist wild und elementar wie ein Kohlkopf“. „Für die mäßig Armen ist ihr Zuhause der einzige Ort der Freiheit. […] Es ist der einzige Fleck auf der Welt, wo ein Mensch ganz plötzlich die gewohnte Ordnung ändern kann. […] Das Zuhause ist der einzige Ort, wo er den Teppich an die Decke nageln kann und den Fußboden mit Dachziegeln belegen, wenn er das möchte“. zitiert nach der Essay-Sammlung Die Wildnis des häuslichen Lebens, Berlin: Berenburg, 2006: 133-137. ↩
Noch einmal Chesterton: „Ich konnte nie in das allgemeine empörte Gemurmel meiner heranwachsenden Generation wider die Monogamie einstimmen, da mir keine erdenkliche Beschränkung des Sexus so seltsam und verblüffend erschien wie die Geschlechtlichkeit selbst. […] Sich an eine einzige Frau zu halten ist ein kleiner Preis für etwas so Großes wie den Anblick einer einzigen Frau. Sich zu beklagen, dass ich nur einmal heiraten durfte, das war mir, als führte ich Klage, weil ich nur einmal geboren war. Die Kritik hätte in keinem Verhältnis zu dem ungeheuer Erregenden gestanden, um das es ging. Sie beweist nicht ein besonderes Gefühl für Geschlechtlichkeit, sondern eine eigenartige Fühllosigkeit. Der Mann, der sich beklagt, dass er nicht durch fünf Tore gleichzeitig in Eden einziehen kann, ist töricht. Wer Polygamie fordert, dem mangelt es an der Fähigkeit, sich das Geschlechtliche wirklich zu vergegenwärtigen; als pflücke ein Mann sich fünf Birnen in bloßer Zerstreutheit. […] Man kann doch gewiss für ungewöhnliche Verzückungen mit gewöhnlicher Moral bezahlen“. zitiert nach Die Wildnis des häuslichen Lebens: S. 70 ↩
Nimmt man die Kommasetzung ernst, dann wird in diesem Satz das Eintragen einer Partnerschaft mit der Eheschließung gleichgesetzt. ↩
Das wird sehr deutlich in Was dem Leben dient: Familie – Ehe – andere Lebensformen: eine Thesenreihe der Theologischen Kammer der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Kassel: Verlag Evangelischer Medienverband, 1998. ↩
Ethische Normativität des Faktischen?: krit. Stellungnahme z. Orientierungshilfe (= OH) der EKD „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit: Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“ zitiert nach der bei Idea.de eingestellten PDF vom 9.7.2013: Eibach_Ethische_Normativitaet_des_Faktischen Seite 11. Hervorh. im Original. ↩
WA 40. Auf deutsch am besten: Martin Luther, Der Galaterbrief: Vorlesung von 1531, 2. Aufl. Göttingen: V&R, 1987. ↩