ThemenBibelverständnis, Wort- und Themenstudien

Zum Selbstverständnis der Schrift: Was sagt die Bibel über sich selbst?

Was die Bibel über sich selbst sagt, ist der entscheidende Maßstab für eine bibeltreue Schrifthaltung. Jesus Christus selbst gibt den angemessenen Umgang mit der Heiligen Schrift vor. Im Blick auf die Inspirationslehre muss man von Ganzinspiration und Wort-Inspiration sprechen.

Im Zusammenhang der Fragen um Autorität, Inspiration und Offenbarungscharakter der Heiligen Schrift stößt man öfter auf die These, zwischen Offenbarung und Schrift sei ein prinzipieller Unterschied zu beachten. Offenbarung habe sich je und je ereignet, aber der Höhepunkt aller Offenbarung Gottes, ja die wesentliche und eigentliche Offenbarung sei Jesus selbst. Die Schrift hingegen wäre nur die menschlich zeugnishafte Beschreibung der Offenbarung. In keiner Weise unterschieden sich ihre Dokumente von anderen historischen Literaturdenkmälern. Daher müsse die Bibel auch unter Anwendung der gleichen Kriterien erforscht und beurteilt werden wie jedes andere Buch. Dem Satz, dass Jesus Christus die Höhe aller Gottesoffenbarungen sei, stimmen Christen freudig zu. So sagt Erich Sauer: „Die ganze Offenbarung ist ein Kreis, und Jesus Christus ist der Mittelpunkt des Kreises. Er ist die Sonne und von ihm aus wird der ganze Kreis licht.“ Dem weiteren Teil des Gedankens aber, dass die Schrift behandelt werden müsse wie jedes andere Buch – die Kritik gewinnt aus diesem Ansatz ihre Kriterien! – vermag sich nicht jeder anzuschließen. Vielmehr möchten wir es auch hier mit der so oft empfohlenen Frage halten: „Was würde Jesus dazu sagen?“ Und da ein Vernehmen des Selbstzeugnisses der Schrift ohnehin nur dadurch ermöglicht wird, indem wir auf die Aussagen der Männer der Bibel über andere biblische Autoren bzw. über ganze Bibelteile (NT und AT) achten, soll auch hier bei Jesus Christus eingesetzt werden. Die erste Frage ist also die nach der Schrifthaltung Jesu. Diese soll auch für unsere Schrifthaltung maßgeblich und bindend sein.

1. Die Haltung Jesu gegenüber dem AT

1.1. Jesus verstand das AT als inspiriertes, autoritatives und völlig zuverlässiges Gotteswort.

Mk 7, 10-12: „Mose hat gesagt: „Ehre deinen Vater und deine Mutter!“ und „Wer Vater oder Mutter flucht, soll des Todes sterben.“ … ihr aber macht das Wort Gottes ungültig …“ Damit stehen wir bereits vor einer ersten Beobachtung: Für Jesus gilt offenbar die Gleichung Mosewort = Gotteswort! Ein ähnlicher Sachverhalt wird in Mk 12,36 wahrgenommen. Jesus zitiert hier Ps 110,1 mit den Worten: „David selbst hat im Heiligen Geist gesagt …“ Jesus nennt und versteht hier also ein Psalmwort als ein vom Heiligen Geist durch David gegebenes Wort. Dies ist ein äußerst schätzenswertes Zeugnis für die Inspiration der Psalmen. Es entspricht übrigens dem Selbstverständnis Davids (2Sam 23,1-3: „Dies sind die letzten Worte Davids: Ausspruch Davids, des Sohnes Isais, Ausspruch des Mannes, der hoch gestellt ist, des Gesalbten des Gottes Jakobs und des Lieblings in den Gesängen Israels: Der Geist des HERRN hat durch mich geredet, und sein Wort war auf meiner Zunge. Es hat gesprochen der Gott Israels, der Fels Israels hat zu mir geredet …“).

Ein ähnlicher findet sich in jener erregten Auseinandersetzung mit den Juden in Jo 10,34: „Steht nicht in eurem Gesetz geschrieben: „Ich habe gesagt: Ihr seid Götter?““ (vgl. Ps 82,6). „Ihr seid Götter!“ – wie anstößig für monotheistisch geschärfte Ohren! Diese Stelle mag den schriftgelehrten Scharfsinn eher zu einer Konjektur herausgefordert haben. Jesus gestattet sie nicht. V 35: „Wenn er jene Götter nannte, zu welchen das Wort Gottes geschah – und die Schrift kann nicht aufgelöst werden …“

Abermals die gleiche Schrifthaltung Jesu wird uns durch Mt 5,17-18 bezeugt: „Wähnt nicht, dass ich gekommen sei, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen. Denn wahrlich, ich sage euch: Bis der Himmel und die Erde vergehen, soll auch nicht ein Jota oder ein Strichlein von dem Gesetz vergehen, bis alles geschehen ist …“ Was immer auch dieses Wort sonst noch sagen mag, so viel sagt es allemal: Für Jesus ist das AT eine göttliche Autorität – und zwar bis ins Detail des einzelnen Wortes hinein.

1.2. Jesus versteht die messianischen Weissagungen des AT im Gegensatz zum Kritizismus als echte, geistgewirkte Prophetie in Bezug auf seine Person.

Auch dieser Satz soll durch zwei oder drei Schriftzeugnisse begründet werden: Jo 5,39.46: „Ihr erforschet die Schriften … und sie sind es, die von mir zeugen.“ „Denn wenn ihr Mose glaubtet, so würdet ihr mir glauben, denn er hat von mir geschrieben. Wenn ihr aber seinen Schriften nicht glaubet, wie werdet ihr meinen Worten glauben?“

Die Emmausjünger schilt er mit den Worten (Lk 24,25): „O ihr Unverständigen und trägen Herzens, zu glauben an alles, was die Propheten geredet haben!“ Bei seinen Aposteln werden wir später die gleiche Grundhaltung zur Schrift wiederfinden.

1.3. Jesus steht für den Offenbarungscharakter aller drei Teile des alttestamentlichen Kanons ein.

Lk 11, 51: „… auf dass das Blut aller Propheten, welches von Grundlegung der Welt an vergossen worden ist, von diesem Geschlecht gefordert werde. Von dem Blute Abels bis zu dem Blute Zacharias, welcher umkam, zwischen dem Altar und dem Tempel …“

Mit der Erwähnung der beiden Sachverhalte um Abel und Zacharias spielt Jesus sowohl an das erste wie an das letzte Buch des hebräischen Kanons an (Genesis und 2. Chronik). Dies zeigt, dass zu seiner Zeit ein abgeschlossener dreiteiliger Kanon vorlag, der von unserem Herrn als göttlich normative Größe anerkannt und gebraucht wurde. Gelegentlich nennt er auch die drei Teile des Kanons, z.B. in Lk 24,27.44: Gesetz, Propheten und Schriften. Selbstverständlich ist nicht nur die Anerkennung, sondern auch der Gebrauch aller drei Teile des Kanons vielfach zu belegen (z.B.: Mt 4,4/Dt 8,3; Mk 7,6/Jes 29,13; Mk 4,6/Ps 91,11).

1.4 Jesus tritt für die völlige Geschichtlichkeit alttestamentlicher Personen und Ereignisse ein, deren Historizität vom Kritizismus geleugnet wird.

Unbefangen spricht er von Adam und Eva1, von Abraham, David, Isaak, Joseph, Jesaja, Elia, Elisa, Jakob, Jona, Lot, Lots Frau, Mose, Naaman, der Königin von Saba, Salomo, der Witwe von Zarpat, Noah und der Sintflut, Sodom und Gomorrha; er spricht von der Schöpfung, vom brennenden Dornbusch, von der ehernen Schlange, vom Essen der Schaubrote, von Jona im Fisch, von der Umkehr der Niniveiten. Diese Fülle der Belege zeigt, dass Jesus in einem völligen Vertrauen zur historischen Wahrhaftigkeit des Alten Testaments stand.

Mit Notwendigkeit erhebt sich daher die Frage: Wie kann man eigentlich beides miteinander zusammenbekommen, Jesus einerseits seinen Herrn nennen – und zwar in chalcedonensischer Bekenntnistreue: wahrer Gott und wahrer Mensch! – und gleichzeitig die Geschichtlichkeit so vieler alttestamentlicher Texte in Zweifel zu ziehen bzw. gänzlich zu leugnen?

1.5. Jesus vertritt die traditionelle Autorschaft alttestamentlicher Schriften, die vom Kritizismus ebenfalls geleugnet wird.

Dass für Jesus der Pentateuch von Mose herstammt, wird auch von kritischen Forschern bedenkenlos zugegeben (z.B. P. Feine: Theologie des NT, Berlin 1950, S. 20ff). Die im Munde Jesu öfter begegnende Formulierung: „Mose hat geschrieben…“, bzw. „Mose hat gesagt …“ zeigt dies ganz deutlich. (Mk 7,10; 10,5; Mt 8,4; 19,8; Jo 7,19: „Hat nicht Moses euch das Gesetz gegeben?“ Zur Frage nach der Authentizität prophetischer Bücher vgl. Jo 12,39 für Jesaja; Jo 12,38 zum sogenannten „Deuterojesaja“; Lk 4,17 zum sogenannten „Tritojesaja“; Lk 20,42 für davidische Verfasserschaft von Ps 110; Mk 13,14 für die Authentizität des Danielbuches.)

Bei Jesus ist auch nicht der leiseste Ansatz einer bibelkritischen Haltung gegenüber dem AT zu finden. Zwar hat man dies wiederholt aus der Bergpredigt zu erweisen gesucht. Jedoch vergeblich: Gerade in Mt 5,17 macht Jesus mit Nachdruck darauf aufmerksam, dass er nicht gekommen sei um aufzulösen, sondern um zu erfüllen. Die Verse 18-20 entfalten, was Jesus mit „nicht auflösen“ meinte. Sein vollmächtiges „Ich aber sage euch …“ wendet sich keineswegs gegen das AT, sondern gegen die zeitgenössische Auslegung des Alten Testaments.

Die Stelle Mt 5,17 wird einmal im Babylonischen Talmud (Schab 116a) zitiert. Dabei steht sie, wie der Zusammenhang außer Zweifel setzt, im Sinne von „ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern hinzuzutun“. Was er hinzutut, machen die Vv 21ff deutlich: „Zu den Alten ist gesagt, ich aber sage euch!“

Hier tun sich heilsgeschichtliche Zusammenhänge auf, denn die strengen alttestamentlichen Kanonisierungsformeln (z.B. Dt 4,2; 13,1; Spr 30,5; vgl. Off 22,18.19) verbieten gerade eben jegliches „Hinzufügen“, es sei denn, man hätte von Gott einen Auftrag dazu (vgl. Jos 24,26; 1Sam 10,25). Jesus ist der „Prophet gleich Mose“; er bringt die endzeitliche Neu-Offenbarung wie sie von gewissen Teilen des Judentums im Anschluss an Dt 18,18ff mit Recht erwartet wurde. Er ist deshalb selbst die Offenbarung Gottes, aber er bringt auch neue Offenbarungen Gottes, die „hinzugetan“ werden. So gestattet uns gerade diese Stelle einen Blick zu tun in die Zusammenhänge von Offenbarungsgeschichte, Offenbarungsfortschritt und dem damit untrennbar verbundenen Wachstum des Kanons (vgl. dazu Strack/Billerbeck Bd. 1, S. 241ff und J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie, S. 88ff).

In keinem Fall aber lässt sich aus dem „Ich aber sage euch …“ eine kritische Haltung Jesu gegenüber dem AT ablesen.

2. Das Selbstzeugnis des Alten Testaments

Wenn entgegen der üblichen Gepflogenheit jetzt erst das Selbstzeugnis des AT nachgeschaltet wird, so kann dies natürlich nicht den Sinn haben, die Hauptautorität Jesu (und der Apostel!) noch mit Zusatzautorität zu stützen. Es soll nur eben gezeigt werden, dass die neutestamentliche Überzeugung von der Ganzinspiration des AT – wie sie sich nicht nur in 2Tim 3,16; 2Petr 1,21 und 3,16 deutlich ausspricht, sondern vielmehr überall in den Evv. und Briefen als das Selbstverständliche vorausgesetzt ist – in diesem selbst seinen sachlichen Anlass hat.

Vollständigkeit ist bei den nun folgenden Zeugnissen nicht angestrebt. Nur die wichtigsten Stellen sollen erwähnt werden.

2.1. Zum Selbstverständnis des mosaischen Gesetzes

Dt 29,29: „Das Verborgene ist des Herrn unseres Gottes; aber das Geoffenbarte ist unser und unserer Kinder ewiglich, damit wir alle Worte dieses Gesetzes tun.“ Ex 17,14: „Und JHWH sprach zu Mose: Schreibe dies in das Buch …“ Dt 31,24: „Und es geschah, als Mose geendigt hatte, die Worte dieser Thora in ein Buch zu schreiben bis zu ihrem Schlusse, da gebot Mose den Leviten: Nehmt dieses Buch und legt es zur Seite der Bundeslade JHWH`s, eures Gottes, dass es daselbst zum Zeugen gegen dich sei.“

Diesen drei Stellen möchten wir folgende Gedanken entnehmen:

1. Es gibt Geheimnisse, die nicht Gegenstand göttlicher Mitteilungen sind, und es gibt Geoffenbartes, das uns in schriftlicher Form vorliegt. Man wird dieses „Geoffenbarte“ Offenbarung nennen – und auf Grund solcher Stellen – von einem Offenbarungscharakter der Schrift sprechen dürfen. Die Offenbarung ist nicht gegeben, ein metaphysisches Puzzlespiel zu ermöglichen. Vielmehr zielt sie auf Gehorsam und einen praktischen Lebensvollzug im Sinn Gottes („… damit wir alle Worte des Gesetzes tun.“)

2. Das Selbstzeugnis des AT stützt die traditionelle Autorschaft Moses als Verfasser des Pentateuch. Mose empfängt wiederholt göttliche Schreibbefehle. Nach Ex 17,14 soll er in „das Buch“ schreiben. Demnach muss ein bestimmtes Buch für Aufzeichnungen der Taten JHWH`s in Israel vorhanden gewesen sein. Die weiteren ausdrücklichen Erwähnungen von Moses Schreibtätigkeit in Ex 24,3.4 und Nm 33,2 zeigen, dass Moses Aufzeichnungen sehr verschiedenartige Stoffe (Gattungen!) betrafen, sowohl gesetzlich priesterliche als auch prosaisch geschichtliche. Ferner zeigen Stellen wie Dt 31,24, dass – nach dem Selbstzeugnis des Pentateuch – Mose nicht nur der Schreiber vereinzelter Mitteilungen da und dort ist. Vielmehr wird er als Verfasser ganzer Bücher verstanden, denn er soll die Worte des Gesetzes aufschreiben „bis zu ihrem Schlusse“.

Wenn man diese Belege vertrauensvoll aufnimmt, bündelt und noch das Buch Josua hinzunimmt, das bereits das „Gesetzbuch Moses“ erwähnt (Jos 1,8; vgl. 8,31), dann neigt sich das Gewicht der Gründe entschieden zu der Ansicht: Mose ist der Verfasser – mindestens des übergroßen Teils des Pentateuchs. Auch mit dem kulturhistorischen Kolorit der Mosezeit ist dieser Befund in Harmonie: Nach dem Pharao gehört der Schreiber zu den am häufigsten dargestellten Personen altägyptischer Kulturdenkmäler.

Dass ein Mann wie Mose, der aus dem Hintergrund einer hoch stehenden Schreibkultur kam und gewürdigt war, mit Gott von „Mund zu Mund“ zu sprechen, so ungefähr nichts vom Pentateuch geschrieben haben soll, ist wohl ein kritisches, aber kein historisches Urteil! Auch die Kritik würde sich diesen Folgerungen nicht widersetzen, stünde sie nicht schon den einzelnen Selbstzeugnissen der Schrift kritisch gegenüber. Es ist ein hoffnungsloses Unternehmen, bei gleichzeitiger vertrauensvoller Aufnahme des biblischen Selbstzeugnisses zu Schlussfolgerungen im Sinne heute gängiger Kritik gelangen zu wollen. Ein Forscher wie W. F. Albright sagte einmal, er gehöre zu denen, die mit kritischen Methoden zu konservativen Ergebnissen gelangten. Welche Kräfte mögen wohl in den Tiefen eines Denkens wirken, das mit konservativen Methoden zu kritischen Ergebnissen gelangen möchte?

3. Gott befiehlt Mose: „Schreibe dies zum Gedächtnis in das Buch …“. Mose wiederum befiehlt den Leviten: „Nehmt das Buch und legt es zur Seite der Bundeslade, dass es daselbst zum Zeugen gegen dich sei.“ Hier stehen wir offenbar vor frühen Anfängen des Kanons. Gott hatte die Schriftform befohlen, weil er nicht wollte, dass seine Offenbarungen alsbald wieder der Vergessenheit erlägen. Im Blick auf unsere Themenstellung dürfen wir schlussfolgern: Der Kanon ist gottgewollt. Er wurzelt in der Offenbarungsgeschichte und trägt selbst Offenbarungscharakter. Die kanonischen Schriften besitzen gegenüber anderen zeitgenössischen Schreib-Erzeugnissen Sonderqualitäten: Nur sie dürfen nach Gottes Willen zur Seite der Bundeslade liegen.

In späterer Zeit können wir das weitere Wachstum des Kanons beobachten: Josua schrieb in das „Buch des Gesetzes“ (Jos 24,26). Samuel schreibt in das Buch und legt es „vor dem Herrn nieder“ (1Sam 10,25). In noch späterer Zeit erhalten die Propheten Schreibbefehle, damit ihre Botschaft nicht in Vergessenheit gerät (Jes 30,8; Jer 30,2).

Ferner finden sich Zeugnisse, die die frühe Verbreitung kanonischer Bücher durch Abschriften belegen. Dt 17,18: Der jeweilige König soll sich eine Abschrift des Gesetzes machen. Josaphat lässt im Lande umherschicken, um das Volk in der Thora zu unterweisen (2Chr 17,7-9; vgl. 14,3).

Bei den Propheten finden sich so viele Bezugnahmen auf die Thora, sodass mit Notwendigkeit die weite Verbreitung und genaue Kenntnis des Gesetzes gefolgert werden muss. Franz Delitzsch bemerkt dazu in seinem Jesaja-Kommentar (3. Aufl., S. 1): „Mit Bezug auf die Pentateuchkritik bemerken wir absichtlich hier, an augenfälligem Orte, dass die anerkannt jesajanischen Reden Parallelen zu allen Bestandteilen des Pentateuch aufweisen.“ Die zeitlich späteren Propheten nehmen oft auf die Weissagungen der früheren Bezug. So kennt Joel den Obadja; Hosea kennt Amos; Jesaja im Südreich kennt die Schriften des Joel und Amos im Nordreich; Nahum, Habakuk und Zephanja kennen Jesaja usw. Jeremia verrät Belesenheit in nahezu allen vorexilischen Schriften. Daniel hat während des babylonischen Exils eine Sammlung Prophetenschriften bei sich (Dan 9,2), der u.a. das Jeremiabuch angehörte. Diese vielseitigen Zeugnisse sprechen eindeutig für die kanonische Dignität (=Ansehen) biblischer Bücher in frühester Zeit, ja, oft seit der Zeit ihrer erstmaligen Niederschrift.

2.2. Belege zum Selbstverständnis der Propheten

Neh 9,30: „Aber du verzogest mit ihnen viele Jahre, und zeugtest wider sie durch deinen Geist, durch deine Propheten.“ In strengem Sinne ist diese Stelle freilich noch kein Zeugnis für das Selbstverständnis der Propheten. Doch wird recht deutlich zum Ausdruck gebracht, was in der ganzen Bibel als Grundüberzeugung gilt: Propheten reden nicht zuerst aus ihrer eigenen Geistigkeit, sondern „durch den Geist Gottes“. Sie sind Geist- und eben damit Offenbarungsträger.

Mi 3,8: „Ich bin mit Kraft gefüllt durch den Geist des Herrn, und mit Recht und Stärke, um Jakob seine Übertretung kundzutun, und Israel seine Sünde …“ Jer 30,2: „So spricht der Herr, der Gott Israels und sagt: Schreibe dir alle Worte, die ich zu dir geredet habe, in ein Buch.“

Hier wird ein interessanter Einblick in das Wesen der biblischen Inspiration gewährt. Jeremia soll nicht einen Aufsatz über Gedanken schreiben, die ihm gerade am Herzen liegen. Er soll vielmehr das Wort niederschreiben, das Jahwe zu ihm geredet hat.

Inspiration ist hier eindeutig als Wort-Inspiration verstanden.

Ebenso haben es später die Apostel gesehen: 2Pt 1,20: „Denn die Weissagung wurde niemals durch den Willen des Menschen hervorgebracht, sondern heilige Männer Gottes redeten, getrieben vom Heiligen Geist.“

Frage: Wie viele solcher Stellen müssen vorhanden sein, damit das, was sie doch recht deutlich aussagen, Anerkennung findet?

2.3 Belege zum Selbstverständnis der Schriften

Hauptstück des dritten Kanonteils sind die 150 Psalmen. Für unsere Fragestellung ist 2Sam 23,1-3 sehr wichtig: „Es spricht David … der Liebliche in den Gesängen Israels: Der Geist JHWH`s hat durch mich geredet, und sein Wort war auf meiner Zunge: Es hat gesprochen der Gott Jakobs, der Fels Israels zu mir geredet.“ Wieder begegnet der gleiche Gedanke: SEIN Wort war auf Davids Zunge. Inspiration ist Wort-Inspiration!!

Die Weisheitsliteratur ist vorwiegend mit dem Namen Salomos verbunden. Nach Meinung des AT geht seine Weisheit auf Gott zurück (vgl. 1Kön 4,29f; V 29: „Und Gott gab Salomo Weisheit und sehr große Einsicht …“ V 32: „Und er redete 3000 Sprüche und seiner Lieder waren 1005 …“).

Man sage nicht, in alttestamentlicher Zeit sei Weisheit überhaupt mit dem Odium des Göttlichen verbunden, man wusste sehr wohl zu unterscheiden. Ahitophels Rat wurde geschätzt wie das Wort Gottes! (vgl. 2Sam 15,23)

Übrigens: Diese 3000 Sprüche und 1005 Lieder waren selbstverständlich niedergeschrieben, gezählt und katalogisiert. Hier stehen wir vor überaus schätzenswerten Zeugnissen zur Kanonbildung in sehr früher Zeit.

3. Schriftzeugnisse zur Inspiration, Autorität und Kanonizität des NT

Hier stehen wir zunächst vor einer methodischen Schwierigkeit: Es gibt kein „allerneuestes“ Testament, das uns verbindliche Auskunft über das Neue Testament brächte. Gleichwohl finden wir innerhalb des NT beachtliche Zeugnisse, auf die wir hören sollten.

3.1 Die Schriften des NT werden wie die des AT als Heilige Schrift angesehen.

2Pt 3,15.16: „…welche die Unwissenden und Unbefestigten verdrehen, wie auch die übrigen Schriften zu ihrem eigenen Verderben.“ Diese Stelle spricht von Paulusbriefen und von den „übrigen Schriften“. Damit aber sind die Paulusbriefe, die auch schon als Sammlung vorliegen, auf die gleiche Ebene gekommen, wie das AT. Die Sammlung der Paulusbriefe ist bereits „Schrift“.

Sie werden verdreht zu ihrem Verderben“, d.h. die Konsequenz der strengen Kanonregeln wird auch für die Paulusbriefe angewandt: Wer etwas dazutut, oder weglässt, wird das Gericht Gottes über sich bringen.

Wenn in einer Zeit, in der das jüdische Schriftprinzip das Kanonbewusstsein längst sehr deutlich ausgebildet hatte, neue Schriften neben die „Schrift“, jüngst Geschriebenens neben das, was längst „geschrieben stand“, hinzugesetzt werden konnte, dann ist dies entweder eine grobe Versündigung gegen den vorhandenen Kanon, oder aber – eine neue Offenbarungszeit ist da, und der Kanon wächst weiter.

Diese qualitative Gleichsetzung neutestamentlicher Schriften mit dem AT begegnet mehrfach, z.B. in:

2Pt 3,2: „… damit ihr gedenket, der von den heiligen Propheten zuvor gesprochenen Worte und des Gebotes des Herrn und Heilandes durch eure Apostel.“ Beachte: Apostel und Apostelworte gleichrangig neben Propheten und Prophetenworten!

1Tim 5,18: „Denn die Schrift sagt: „Du sollst dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden“ und: „Der Arbeiter ist seines Lohnes wert.“ Abermals! NT völlig „gleichwertig“ neben AT; Mose-Wort neben einem Jesus-Wort; Dt 25,4 neben Mt 10,10 bzw. Lk 10,7. Beides eingeleitet mit der Zitationsformel: „Denn die Schrift sagt!“

3.2. Jesus schreibt seinen eigenen Worten göttliche Autorität zu.

Jesus ist das „Wort Gottes“ (Jo 1), aber er bringt auch Worte Gottes; er ist die Offenbarung, aber er bringt auch Offenbarung.

Mt 7,24: „Jeder nun, der diese meine Worte hört und sie tut, den werde ich einem klugen Mann vergleichen, der sein Haus auf den Felsen baute.“ Ob unser Leben untergeht, wie ein Haus auf Sand oder für die Ewigkeit göttlich gegründet ist, ist abhängig von unserer Haltung zu den Worten Jesu.

Für unsere Fragestellung: Den Worten Jesu eignet eine Qualität, die weit über alles Menschliche hinausgeht. Das gilt sowohl in Bezug auf die Wirkung, wie auch in Bezug auf die Dauer: Mk 13,31: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.“ Alles Menschliche ist vergänglich. Jesus aber nimmt seine Worte aus dem allgemein menschlichen Bereich heraus, wenn er ihre Unvergänglichkeit betont. Ewigkeit ist Göttlichkeit! (vgl. Jo 5,24; 6,63)

Jesus stellt auch klar, dass er Offenbarungsträger ist: Jo 8,26: „Vieles habe ich über euch zu reden und zu richten, aber der mich gesandt hat, ist wahrhaftig; und ich, was ich von ihm gehört habe, das rede ich zu der Welt.“

Gerade vom Hintergrund des zeitgenössischen Judentums her muss man feststellen, dass Jesus für seine Worte eine schier unerhörte Autorität beansprucht: Seine Worte kommen vom Vater. Von ihnen hängt ewiges Leben ab. Im Gegensatz zu Himmel und Erde sind sie unvergänglich. Das zeigt sich übrigens schon in formaler Hinsicht. Denn der Prophet beruft sich für seine Worte auf seine göttliche Sendung: So spricht der Herr! Der Rabbi beruft sich auf seine Rabbinerväter. Rabbi Jehuda hat gesagt; Rabbi El`azar hat gesagt; Rabbi A hat im Namen des Rabbi B gesagt usw. Jesus unterscheidet sich in markanter Weise von beiden, in dem er spricht: Ich aber sage euch!

Das musste entweder staunendes Fragen erwecken – „Wer ist denn dieser?“ – oder aber als Lästerung empfunden werden. Dank der Gnade Gottes dürfen wir diese Dinge besser verstehen: Jesus ist beides, wahrer Gott und wahrer Mensch. Das gilt auch in Bezug auf seine Worte: sie sind in das Gefäß menschlicher Sprache geschlossenes Menschenwort und dennoch auch wahres Gotteswort.

3.3. Der Heilige Geist qualifiziert die Apostel zu treuen Trägern der Jesus-Überlieferung

Jo 17,8: „… denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben und sie haben sie angenommen.“ Solche Texte sprechen von der Weitergabe einer Überlieferung. Die neuere Forschung bemüht sich, die Aufmerksamkeit stärker auf das jüdische Schul- und Traditionswesen zu richten und dieses für die Auslegung des NT fruchtbar zu machen (z.B. B. Gerhardsson; R. Riesner). Das gewaltige Werk des Talmud zeugt für die erstaunliche Leistungsfähigkeit der jüdischen Gedächtniskultur. Zweifellos spielte das Auswendiglernen auch für die Jünger Jesu eine wichtige Rolle. Dennoch will Jesus seine Worte nicht einfach nur einem guten Gedächtnis anvertrauen. In Jo 14,26 wird ihnen der „traditionsbewahrende“ Beistand des Heiligen Geistes verheißen: „Der Sachwalter aber, der Heilige Geist, welchen der Vater senden wird in meinem Namen, jener wird euch alles lehren und an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“ Aber nicht nur das Lehren und Erinnern wird der Heilige Geist ihnen geben. Er schenkt ihnen zusätzlich auch noch neue Offenbarungen, wie Jesus in Jo 16,13 versichert: „Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, gekommen ist, wird er euch in die ganze Wahrheit leiten; denn er wird nicht aus sich selbst reden, sondern was irgend er hören wird, wird er reden, und das Kommende wird er euch verkündigen.“ Auf Grund solcher Texte dürfen wir die Apostel als inspirierte, geistunterstützende Tradenten der historischen Jesusworte und zugleich als Träger neuer Offenbarungen, die der Erhöhte nach seiner Himmelfahrt noch gab (Mt 28,18ff; 2Pt 3,2), verstehen.

Nach Jo 20,31 scheint es, als nähme der Evangelist, der uns diese Jesusworte überliefert, den Beistand des Geistes auch für sein Buch recht deutlich in Anspruch, denn „in dem `Geschrieben-stehen` klingt ein Terminus technikus (= Fachausdruck) auf, den er selbst im Zusammenhang seiner AT-Zitate wiederholt gebraucht (2,17; 6,31.45; 10,34; 12,14; 15,25)“ (Bultmann, Ev. Johannes, S. 444). Mit Recht sieht Hans Windisch (Johannes und die Synoptiker, 1926, S. 149) die „Parakletensprüche“ als Beweis dafür, dass „der Wille und die Überzeugung, ein normatives, fast kann man sagen, kanonisches, Buch zu schreiben, … seinem Evangelium unverkennbar aufgeprägt ist.“ (Strathmann, NTD Joh., 1954, S. 5)

3.4. Die Apostel wollen auch als Offenbarungsträger und Empfänger des göttlichen Wortes verstanden werden.

Gal 1,11-12: „Ich tue euch aber kund, Brüder, dass das Evangelium, welches von mir verkündigt worden, nicht nach Menschenart ist (Üs. nach Menge). Denn ich habe es weder von einem Menschen empfangen, noch durch Unterricht erlernt, sondern durch eine Offenbarung Jesu Christi.“ Diese Stelle gestattet einen wichtigen Einblick in das Geheimnis der Inspiration: Paulus empfing sein Evangelium direkt durch Offenbarung. Ob wir uns vom Offenbarungsgeschehen selbst zutreffende Vorstellungen machen können, bleibt fraglich. Es ist aber ganz sicher, dass die Offenbarung sich bis ins einzelne Wort hinein erstreckt; sie vermittelt, was sonst allenfalls durch „Unterricht“ erlernt wird. Ohne Zweifel eine Erfüllung von Jo 14,26.

Eph 3,3.5: „Mir ist durch Offenbarung das Geheimnis kundgetan worden, … welches in anderen Geschlechtern den Söhnen der Menschen nicht kundgetan worden, wie es jetzt geoffenbart worden ist seinen heiligen Aposteln und Propheten im Geiste“ (vgl. Rö 16,25!).

1Thes 4,2f: „Denn ihr wisset, welche Gebote wir euch gegeben haben durch den Herrn Jesus, Denn dies ist Gottes Wille …“ Christliche Ethik muss durch Hinweise und Gebote geregelt werden. Dahinter stehen aber nicht irgendwelche Lieblingsgedanken der Apostel, vielmehr sind sie „durch den Herrn Jesus“ erlassen. D.h. aber, diese Weisungen sind inspiriert und kommen von Gott her.

Zu den klassischen Stellen neutestamentlicher Inspiration gehört 1Kor 2,9-13: „Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben. Uns aber hat Gott es geoffenbart durch seinen Geist, denn der Geist erforscht alles, auch die Tiefen Gottes. Denn wer von den Menschen weiß, was in ihm ist, als nur der Geist des Menschen? Also weiß auch niemand, was in Gott ist, als nur der Geist Gottes. Wir aber haben nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der aus Gott ist, auf dass wir die Dinge kennen, die uns von Gott geschenkt sind; welche wir auch verkündigen, nicht in Worten, gelehrt durch menschliche Weisheit, sondern in Worten, gelehrt durch den Geist, mitteilend geistliche Dinge durch geistliche Mittel.“

Was besagt diese Stelle im Blick auf unsere Thematik? Die Apostel wissen Dinge (V12), die nie im Herzen eines Menschen aufgestiegen sind. Woher? Gott hat sie ihnen geoffenbart durch seinen Geist. Wie haben wir uns diese Offenbarung vorzustellen? Gab der Geist Gottes die Anstöße zu den Grundeinsichten, die Themen und Ideen und überließ dann die Sache ihrer eigenen Intelligenz? Dinge, Realia wurden ihnen gezeigt (V12)! Von daher dürfte man an Real-Inspiration denken. Aber! Mit den Dingen zugleich werden ihnen auch die Worte gegeben, die diese Dinge angemessen zur Sprache bringen (V13). Abermals beobachten wir die Erfüllung von Jo 14, 26: Der Geist lehrt, offenbart, erinnert und leitet – und zwar bis ins einzelne Wort hinein. Und dies ist auch nötig, denn die Worte geben den Sinn. Andere Worte, anderer Sinn! Es ist ein erheblicher Unterschied zwischen „Du sollst nicht ehebrechen!“ und: „Eigentlich sollte man nicht ehebrechen!“

1The 2,13: „Und danken wir auch Gott unablässig, dass ihr, als ihr von uns das Wort der Kunde Gottes empfinget, es nicht als Menschenwort aufnahmet, sondern, wie es auch wahrhaftig ist, als Gotteswort, das auch in euch, den Glaubenden wirkt.“ (1Pt 1,12): „… welchen es geoffenbart wurde, dass sie nicht für sich selbst, sondern für euch die Dinge bedienten, die euch jetzt verkündigt worden sind, durch die, welche euch das Evangelium gepredigt haben, durch den vom Himmel gesandten Heiligen Geist, in welche Dinge Engel hineinzuschauen begehren.“ Solche Stellen machen deutlich: Die Lehre von der Inspiration ist keineswegs ein verzweifelter Versuch nachträglicher theologischer Aufwertung des Kanons. Vielmehr hat sie in der Bibel selbst ihren sachlichen Anlass. Allein vom Blick auf die große Anzahl der Stellen darf man sagen: Die Lehre von der Inspiration der Schrift steht nicht weniger gut begründet da, als irgendeine andere Lehre (Beispiel: Trinität); eher umgekehrt. Es ist viel zu wenig, zu sagen, die Apostel seien nur menschliche Zeugen von der in Christus geschehenen Offenbarung. Nein, sie selbst sind Zeugen und Offenbarungsträger. Sie sind sich dessen bewusst, dass sie unter Leitung des Geistes sprechen und schreiben (Rö 16,25.26).

Es ist daher völlig verständlich, wenn das neutestamentliche Wort „die Wahrheit“ genannt wird (Jak 1,18; Jo 17,17; 2Ti 1,13; 2,15; Off 21,5; 22,6). Und da Wesen und Wirkung des Wortes untrennbar miteinander verbunden sind, ist es abermals völlig einsichtig, wenn das NT bezeugt, dass von unserer Haltung zum neutestamentlichen Wort Segen oder Fluch abhängen (2Ti 3,16; Eph 5,26; Jak 1,21; Off 1,3; Gal 1,8.9; 2Pt 3,16; Off 22,18.19).

Mir ist tief aus dem Herzen gesprochen, wenn Hermann Ridderbos sagt: „Schon auf Grund dieser Tatsache ist ersichtlich, welch unauflöslicher Zusammenhang im NT zwischen dem zentralen Heilsgeschehen und seiner Verkündigung und Überlieferung besteht. Die Mitteilung des Heils ist vom Heilsgeschehen nicht zu trennen.“ (Heilsgeschichte und Heilige Schrift, S. 26)

4. Erwägungen und Beobachtungen zum Inspirationsgeschehen

Erich Sauer definiert: „Biblische Inspiration ist die Tätigkeit des Heiligen Geistes, durch die er den aktiven menschlichen Geist des biblischen Schreibers geheimnisvoll erfüllt, lenkt und überwaltet, so dass eine untrügliche, geistdurchwirkte Niederschrift entsteht, eine heilige Urkunde, ein Buch Gottes, mit dem sich der Geist Gottes auch weiterhin organisch verbindet.“ (Gott, Menschheit, Ewigkeit; S. 109)

4.1. An vielen Stellen der Schrift wird deutlich: Der Gottesgeist wirkt als Sprachgeist. Er erweckt nicht nur den Rededrang. Denn dann wäre das Ergebnis lediglich ein Redeschwall. Er gibt vielmehr die Gedanken und mit den Gedanken die Worte.

Alles Denken vollzieht sich in der Form eines inneren Sprechens. Ein Gedanke ist erst dann zu Ende gedacht, wenn er auch sprachlich ganz Gestalt gewonnen hat. In schöner Deutlichkeit finden wir dies in Nm 11,25; „Und es geschah, sobald der Geist auf sie kam, weissagten sie.“ Ebenso in Lk 3,67: „Und Zacharias … wurde mit Heiligem Geist erfüllt und weissagte und sprach …“ Oder auch Apg 2,4: „Sie wurden alle mit Heiligem Geist erfüllt und fingen an, in anderen Sprachen zu reden, wie der Geist ihnen gab, auszusprechen.“

4.2. Dabei erfordert die Inspiration keinen besonders auffälligen Bewusstseinszustand wie Trance oder Ekstase. Johannes jedenfalls wollte das bei vollem Bewusstsein ausgesprochene Wort des Kaiphas in Jo 11,50 als Weissagung verstanden wissen. Es kommen hier also inspirative Vorgänge in Sicht, die den aktiven Geisteszustand des Menschen in keiner Weise beeinträchtigen. Ein inspirierender Beistand des Heiligen Geistes ist nach Mk 13,11 auch den Gläubigen in der Verfolgung verheißen: Sie müssen nicht in Sorge sein, was sie vor den Richtern reden sollen. Es wird ihnen in jenem Augenblick gegeben werden. Nicht sie sind die eigentlich Redenden, sondern der Heilige Geist.

Das soll gewiss nicht heißen, sie würden vor Gericht in Ekstase fallen. Die Richter werden von diesen Inspirationen nicht viel bemerken.

Auch Ex 4,10ff darf man hier vergleichen: „Wer hat dem Menschen den Mund gemacht? … Nicht ich, JHWH? Und nun gehe hin, und ich will mit deinem Munde sein …“

Gott selbst empfiehlt die Schlussfolgerung: Mose, denke nicht zu gering von meinen Möglichkeiten! Diese Beobachtungen nötigen m.E., manches vorschnelle Argument gegen die Schriftinspiration erneut zu bedenken. Aus der offenbar historischen Arbeitsweise des Lukas (Lk 1,1-3) folgt ebenso wenig ein Argument gegen die Inspiration, wie aus den unterschiedlichsten Stoffen und Gattungen des AT, welches nach Meinung des Apostels (2Ti 3,16) als Ganzes inspiriert ist.

4.3. Dennoch ist die Inspiration – auch bei ständigen Geistträgern – nicht identisch mit ihrer sonstigen persönlichen Geistestätigkeit. Es „denkt“ nicht nur in ihnen, sie können auch selbst noch denken; es wird nicht einfach über sie verfügt, sie können auch selbst noch Beschlüsse fassen und Wünsche haben.

So bittet der Geistträger Paulus, der Dorn im Fleisch möchte ihm genommen werden. Gottes Geist aber sagt ihm: „Lass dir an meiner Gnade genügen.“ Nach Apg 16,6.7 wünscht er, in Asien zu predigen. Aber der Heilige Geist erlaubt es nicht.

Der Geistträger Johannes wollte in Off 10,4 niederschreiben, was die sieben Donner redeten. Aber der Herr, der ihm beim Schreiben offenbar über die Schulter sieht, spricht: „… schreibe dieses nicht.“ Es ist nicht das Anliegen der Heiligen Schrift, uns Aufschluss über das Wie der Inspiration zu geben. Nach Heb 1 hat Gott „vielfach und auf vielerlei Weise“ (polytropos) geredet. Doch wird uns die Inspiration und eben damit der Offenbarungscharakter des Schriftganzen klar und deutlich bezeugt.

5. Was folgt daraus?

Wir leben heute in einer Zeit der kritischen Verunsicherung und der Maßstablosigkeit. War früher das Wort Gottes weitgehend die Norm für alles Nachdenken über „irdische und himmlische Dinge“ (Jo 3,12), so haben wir es heute vielerorts mit Auflösungs- und Liberalisierungstendenzen zu tun. Zuweilen wird in der Seelsorge besonders schmerzlich wahrgenommen, dass bibelkritische Denkweise auch vor den Türen der Freikirchen und pietistischen Gemeinschaften nicht Halt macht.

Die Ursachen dieser Entwicklung liegen zum Teil in der Attraktivität einer theologischen Methode, die nur auf das „was Christum treibe“ abheben möchte. In der Folge davon wird zwischen Rand und Kern, zwischen ewig gültiger Wahrheit und zeitbedingten Irrtümern, zwischen Göttlichem und Menschlichem unterschieden. Ein Ansatz, der in jedem Fall zu einer Reduktion des uns von Gott anvertrauten Heils und Erkenntnisgutes führt.

Für das Christentum der Gegenwart, insbesondere für ihre Theologie, gibt es darum kaum etwas Wichtigeres als die Rückgewinnung des `sola scriptura` als eines Schriftprinzips, das mit dem des Herrn Jesus Christus selbst im Einklang steht. Doch mit der Wahrnehmung des Offenbarungs- und Gotteswortcharakters des Schriftganzen ist allenfalls ein erster Schritt getan.

Bei konsequenter Anlehnung an das apostolische Vorbild gilt es nicht nur, „alles zu glauben, was geschrieben steht in dem Gesetz und in den Propheten“ (Apg 24,14), sondern auch in Forschung, Unterweisung und Verkündigung Ernst zu machen mit dem „ganzen Ratschluss Gottes“ (Apg 20,27). Ohne entschlossene Hinwendung zur ganzen Schrift, als eines heilsgeschichtlichen Entwurfs, beginnend mit der Urgeschichte von Gen 1-11 über die Mitte der Christusoffenbarung bis hin zu ihrem eschatologischem Hoffnungsblick, lässt sich diese Aufgabe nicht verwirklichen.

Sofern diese Sätze einer von uns schon längst als richtig anerkannten und vollzogenen Haltung entsprechen, wollen sie lediglich als Ermutigung, daran festzuhalten und fortzufahren, verstanden werden.

Im anderen Falle wünschten sie sich die schriftgebundene theologische Neubesinnung.


  1. zwar indirekt, aber doch eindeutig in Mt 19 // Mk 10