ThemenMission und Evangelisation

Evangelisation – quo vadis?

Langsame Gewöhnung und Anpassung ist eine der größten Gefahren für uns. Es geschehen um uns herum schrittweise Veränderungen und wir nehmen sie gar nicht so richtig wahr, weil alles schleichend vor sich geht. Aus diesem Grund ist es immer interessant, Missionare, die längere Zeit im Ausland waren, nach ihren Eindrücken über die geistliche Situation bei uns zu befragen.

So berichtete ein Missionar vor über 10 Jahren, welche Veränderung ihm im Bezug auf die Evangelisation in Deutschland aufgefallen ist.

»Früher« sagte er »sprach man im Zusammenhang mit der Bekehrung noch von einer Hinkehr zu Christus und einer damit verbundenen Abkehr vom bisherigen Leben. Heute wird dagegen nur noch von einer Hinkehr zu Jesus Christus gesprochen.«

Solche im Prinzip grundlegende Veränderungen finden oft statt, ohne von uns so richtig bemerkt zu werden. Dies hängt auch mit unseren frommen »Hör- und Denkgewohnheiten« zusammen. Lädt ein Evangelist beispielsweise zu einer »Hinkehr zu Jesus Christus ein«, klingt dies für unsere »frommen Ohren« so bekannt, dass wir es automatisch mit einer Abkehr vom bisherigen Leben kombinieren. Aber in Wirklichkeit wurde dies den Zuhörern weder erklärt noch gesagt. Damit hat die Botschaft aber einen grundlegenden Teil der biblischen Bekehrungslehre eingebüßt.

In diesem Zusammenhang erleben wir in den letzten Jahren innerhalb des Evangelikalismus einen schleichenden Zerfall der biblischen Botschaft von Bekehrung und Wiedergeburt, Gericht und Gnade. Dieser schleichende Zerfall betrifft längst nicht mehr »nur« die Lehre von der Bekehrung und damit verbundenen Buße. Zusehends wird auch der Ernst von Sünde und dem damit zusammenhängenden Gericht verharmlost.

Als erschütterndes Beispiel dafür möchte ich einige Aussagen von Christina Brudereck anführen. Sie ist neben Torsten Hebel als Evangelistin von »Jesus-House« bekannt. Christina Brudereck erfreut sich einer zunehmenden Beliebtheit im evangelikalen Bereich, was sich auch in Einladungen zu verschiedenen Veranstaltungen niederschlägt.

»Jesus-House« können wir momentan wohl als das »Flaggschiff« der evangelikalen Jugendevangelisation bezeichnen. Im letzten Jahr war Brudereck zu einer Veranstaltung des Gemeindejungendwerkes der Baptisten (Bund evangelisch freikirchlicher Gemeinden) in Berlin eingeladen. Die Veranstaltung fand unter dem Motto: »Kirche 21« statt. Bei diesem Kongress wurde die Frage erörtert, wie die »Kirche von morgen« die Jugendlichen noch erreichen kann. Pastorin Anja Neu-Illg (Hamburg) fasste den Inhalt dieser Veranstaltung in einem Artikel zusammen. Über Bruderecks Referate schreibt sie dazu Folgendes:1

Manche Aussagen von Christina Brudereck waren bekannt. Wir wissen, dass Menschen, die heute die Fragen der Kirche stellen, sich nicht unbedingt für die Antworten der Kirche interessieren. Wichtig ist, dass ihr Suchen von Christen begleitet wird. Aber nicht so, als hätten wir alle Antworten schon in der Tasche. Vielmehr wollen wir uns gemeinsam auf den Weg machen, um eine lebendige Spiritualität zu finden und in der Liebe tätig und damit glaubwürdig zu werden. Andere Thesen von ihr waren anstößig, jedenfalls für manche Ohren. Sie erklärte, dass beim Jüngsten Gericht diese Fragen ungestellt bleiben werden: Hast du deine stille Zeit regelmäßig gehalten? Hast du die moralischen Regeln deiner Gemeinde befolgt? Hattest du Sex vor der Ehe? Vielmehr wird Jesus die Glaubenden fragen: Wo warst du, als ich in Not war? (Mt 25, 31ff).

Zum einen finden wir in den Aussagen Bruderecks typische Denkmuster der Emerging-Church-Bewegung. Alles ist relative Ansichtssache. Hauptsache, wir erfahren eine lebendige Spiritualität. Was sie unter Spiritualität versteht, wird auf ihrer Internetseite (www.christinabrudereck.de The official website of Christina Brudereck) deutlich. Dort empfiehlt Brudereck das Atemgebet. Unter dem Titel Gebet des Meisters wird man mit dem Ton der Klangschale zur Stille gerufen. Danach heißt es beim Einatmen: Gott, Du, beim Ausatmen: ich bin hier. Oder: Beim Einatmen: Heiliger Geist, beim Ausatmen: rühr mich an.

Solche mystischen Atemübungen, durch die man Gott näher kommen möchte, erinnern leider viel mehr an die New-Age-Bewegung als an das, was uns die Bibel über das Wesen des Heiligen Geistes lehrt.

Aber wenn wir suchende Menschen nicht als solche begleiten, welche die Antworten schon in der Tasche haben, wie Brudereck sagt, sollten wir sie zumindest in der Bibel suchen und finden. Was für ein Evangelium wollen wir an Menschen weitergeben, ohne selbst zu wissen, wo wir dran sind? Wie verhält sich Bruderecks Ansatz zu dem bekannten Wort unseres Herrn aus Joh 14, 6: »Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als nur durch mich.« ?

Es stellt sich weiter die Frage, wie Brudereck mit der zentralen Botschaft von Sünde und Vergebung, Gericht und Gnade umgeht. Die Relativierung und Auflösung biblischer Grundlinien und Gebote im Bezug auf die Sexualität trifft das Evangelium im Kern. Anstelle der Verlorenheit des Menschen, dem ernsten Gericht Gottes und der Botschaft der Gnade rückt ein erfahrungsorientiertes und soziales Evangelium. Damit haben wir nicht nur ein weiteres Denkmuster der Emerging-Church-Bewegung vor uns. Die letzten biblischen Grundwahrheiten werden hier durch die Flut des Zeitgeistes hinweggespült. Was am Ende übrigbleibt ist nicht nur ein »Evangelium light«, sondern ein anderes Evangelium. Der Jesus, für den soziales Engagement wichtiger ist als die Frage nach Sünde und Vergebung, ist ein anderer Christus. Und schließlich kann die Spiritualität, die auf diesem Boden erwächst und erschreckende Ähnlichkeiten mit dem New-Age-Denken aufweist, nur von einem anderen Geist sein (2Kor 11, 4).

Wie können wir die junge Generation mit dem klaren Evangelium erreichen?

Nun ist es aber nicht nur damit getan, dass wir diese verheerenden Entwicklungen erkennen und davor warnen. Vielmehr stellt sich die Frage an uns, wie wir die junge Generation mit dem klaren Evangelium erreichen können. Sehen wir in jungen Menschen, die ständig von der seichten Flut eines »Wischi-Waschi-Christentums« umspült werden, nur eine Bedrohung? Oder ist es uns ein Anliegen, dass auch sie unser Herr zu seiner Ehre verändern kann?

Wo sind die Vorbilder in unseren Gemeinden, die auf die jungen Leute zugehen und ihnen mit Wort und Leben eine klare Orientierung geben? Die sie mit Liebe, Geduld und einem langen Atem zu einem konsequenten Leben in der Nachfolge von Jesus anleiten? So klar wir vor dem katastrophalen Einfluss von Bruderecks Theologie auf die Evangelisation und damit verbundenen junge Generation im Evangelikalismus auch warnen müssen, soll dies zugleich aber auch mit dem Wunsch und Gebet verbunden sein, dass unser Herr ihr durch sein Wort begegnen kann und sie selbst von ihrem Irrweg zurückholt.


  1. Die Gemeinde 27/2007, S.12