ThemenTheologische Beiträge

Kann die „Vor-Entrückungslehre“ biblisch plausibel dargestellt werden? Bemerkungen zu einem theologisch umstrittenen Detail der Endzeitlehre

Wann innerhalb der Geschehnisse der letzten Zeit vor dem Gericht Gottes, wird der Herr Jesus wiederkommen? Wird er seine „Kirche“ vor den Trübsal-Endgerichten zu sich zu holen oder wird die Gemeinde durch die vorhergesagten Trübsale und Endgerichte hindurchgehen müssen? Oder wird die Gemeinde nur einen Teil der Trübsale erleiden, dann aber vom Herrn weggenommen werden, bevor die wirklich verheerenden Endzeitgerichte Gottes geschehen werden?

Die Fragen nach den biblisch-endzeitlichen apokalyptischen Katastrophen und Weltgerichten, die Gott über die Erde zulassen und selbst ausüben wird (Mt 24+25; 2Petr 3,1-11; Offb 8-21 etc.), sowie nach der christlichen Heils- und Ewigkeitshoffnung (Röm 8; 1Kor 15; 1Thes 4+5 etc.) hat immer schon die Gemüter der Gemeinde bewegt. Unter anderem wurde immer wieder von wenigstens einer „großen Trübsalszeit“ am Ende der Tage in der Auslegung alt- und neutestamentlicher Texte gesprochen – wenn auch auf unterschiedliche Weise begründet. Und solche endzeitlichen Trübsalgerichte der Bibel wurden und werden immer auch in Beziehung zur erwarteten Wiederkunft von Jesus interpretiert.

Die Fragen, die uns in diesem Beitrag interessieren, drehen sich um die sogenannte „Vor-Entrückungslehre“, einer Lehre, die mit der Wiederkunft von Jesus, den Endzeitgerichten und der Entrückung der Gemeinde verknüpft ist. Dabei geht es darum, den Sachverhalt zu klären, ob der Herr Jesus wiederkommen wird, um seine „Kirche“ vor den Trübsal-Endgerichten zu sich zu holen. Oder wird die Gemeinde durch alle (oder die meisten) vorhergesagten Trübsale und Endgerichte hindurchgehen müssen? Oder wird die Gemeinde nur einen Teil der Trübsale erleiden, dann aber vom Herrn weggenommen werden, bevor die wirklich verheerenden Endzeitgerichte Gottes geschehen werden?

Hier soll nicht die gesamte diesbezügliche Diskussion geführt, sondern lediglich die biblische Plausibilität der Vor-Entrückungslehre erörtert und skizziert werden. Dabei wird vorausgesetzt, dass die Bibel definitiv von zukünftig zu erwarteten Endzeitereignissen unterschiedlicher Art spricht, die auch tatsächlich – linear-chronologisch nacheinander – stattfinden werden. Eine nicht-futurische, sondern eher existentialistische oder spiritualisierende Endzeitlehre wird damit abgelehnt und zurückgewiesen.1

Mittlerweile ist Tim LaHayes Buch mit dem Titel „Die Entrückung. Wer muss durch die Trübsal?“ auch auf Deutsch erhältlich. Thematisch gehört es in die Reihe der weltweit zum Bestseller avancierten Endzeit-Saga „Left Behind“,2 ebenfalls verfasst von Tim LaHaye in Co-Autorschaft mit Jerry B. Jenkins. Die Romanreihe erzählt, wie alle „Christen“ überall auf der Welt in einem Augenblick dem Herrn entgegen in die Luft entrückt werden. Christen verschwinden plötzlich und lassen Autos ohne Fahrer, Flugzeuge ohne Piloten zurück. Zurück bleiben außerdem ahnungslose, verblüffte Menschen, die nur zum Teil begreifen, dass diese teilweise katastrophalen Ereignisse biblisch vorhergesagte Ereignisse „der letzten Tage“ sind.

Bei „Left Behind“ handelt sich um eine Romanreihe, in der schriftstellerische Freiheit, Fiktion und Einzelaspekte biblischer Wahrheit miteinander verwoben und vermischt sind. Es ist ein (mitunter fragwürdiger) Versuch, aus einer bestimmten theologischen Perspektive heraus die Endzeitaussagen der Bibel zu interpretieren. Wahrheit und Dichtung liegen dabei dicht nebeneinander, so dass der biblische Befund in den Hintergrund treten kann oder ignoriert wird.

In dem erwähnten Buch „Die Entrückung“, einem erbaulich-christlichen Sachbuch, untersucht LaHaye nun verschiedene Bibelstellen, die von der Wiederkunft von Christus handeln. Er bemüht sich weitgehend sachlich, die biblischen Gründe für eine Vor-Entrückung der Gemeinde zu erläutern, die von ihm in den „Left Behind“-Romanen als biblisch-theologische Grundlage vorausgesetzt werden. Er versucht auch, die Argumente, die gegen eine Vor-Entrückungslehre vorgebracht werden, zu entkräften.

Was ist nun von dieser, die Romanidee begründenden „Vor-Entrückungs-Lehre“ zu halten? Sollen Christen prinzipiell eine Vor-Entrückung der Gemeinde vor den „großen Trübsalen“ der Menschheitsgeschichte erwarten oder eher nicht? Die sogenannten Endzeitreden von Jesus sprechen ähnlich wie die alttestamentliche Apokalyptik von „kommenden Trübsalen“ bis hin zu globalen Katastrophen (vgl. z.B. Lk 21,25-28). Das Buch der Offenbarung schildert ausführlich, oft in apokalyptischen mit Bildsprache (Siegel, Zornesschalen usw.) angereicherten Szenarien und oft mit direkter oder indirekter Bezugnahme auf alttestamentliche Prophetien „apokalyptische Visionen“. Wie soll man sich als Christ solchen Aussagen gegenüber verhalten? Welche Lehre kann oder sollte ein Christ in diesem Bereich als wahr und normativ annehmen?

1. Wie kommen wir prinzipiell zu einer christlichen Lehraussage?

Der christliche Glaube umfasst ja eine Fülle von spannenden, herausfordernden und vor allem den Glauben beschreibende (Lehr-)Aussagen, die die Gemeinde als „wahr“, „zuverlässig“ und „gewiss“ glaubt und bekennt und dann auch im Gottesdienst, im Liedgut, in der Anbetung proklamiert und lehrt. Dazu gehören Antworten auf zentrale Fragen des Christseins, wie: Wer ist der Gott der Christus-Gläubigen? Wer und was ist der Mensch in Gottes Urteil? Wie wird der Mensch mit Gott versöhnt? Wie können wir uns vorstellen, was die „Kirche“ nach Gottes Plan sein soll und was nicht? – Antworten darauf und auf tausende weitere Fragen sind gesucht und wollen aus dem offenbarten Wort Gottes, der kanonischen Bibel, abgeleitet, systematisiert und ausformuliert werden. Auf diese Weise formuliert die christliche Gemeinde biblisch gegründete Glaubenslehren (vgl. „Lehre der Apostel“ Apg 2,42; 2Tim 2,2; 2Tim 3,16 usw.).

Alle Generationen der Christen haben sich bemüht, diese Endzeitaussagen der Bibel zu erfassen, zu systematisieren und für die Anwendung im praktizierten Glauben auszuwertenEs gibt in der Bibel eine Menge von Aussagen, die beschreiben, wie die Zukunft der Menschheit, das Ende der Welt und die Hoffnung der Christus-Anhänger sein wird, was bis zum von Gott gesetzten „Ende der Welt“ zwischenzeitlich im linear-chronologischen Ablauf noch zu geschehen hat. Deshalb haben alle Generationen der Christen sich bemüht, diese Endzeitaussagen der Bibel zu erfassen, zu systematisieren und für die Anwendung im praktizierten Glauben auszuwerten. Dabei gehen die Christen nicht anders vor als bei ähnlichen Fragestellungen des christlichen Glaubens auch. Denn wie können wir beispielsweise Aussagen über die Dreieinigkeit Gottes treffen, einer fundamentalen Glaubenswahrheit von Christen, die dem kanon-biblischen Zeugnis voll entspricht und wahr ist, aber die dennoch nicht von einer einzigen Bibelstelle her direkt ermittelt werden kann? Eine einzelne Bibelstelle als Lehrgrundlage für die Dreieinigkeit oder das Wort „Trinität“ selbst finden wir ja in der Bibel gar nicht. Wie kommen wir nun zur Dreieinigkeitslehre als der letzten, verbindlichen Offenbarung Gottes an die Menschheit, hinter deren Wahrheitsgehalt Christen nicht mehr zurückkehren dürfen, wenn sie wahrhaftig und rechtgläubig von „ihrem Gott“ sprechen wollen?

Der Weg der Lehrbildung von der Schrift her geschieht ganz grob gesagt folgendermaßen: Bibelleser entdecken beim Bibelstudium sogenannte „trinitarische Formeln“ (Mt 28,19; 2Kor 13,13; Eph 4,4-6; 1Petr 1,2 usw.), Aussagen also, die den Vater, den Sohn und den heiligen Geist in einem Atemzug eng zusammengehörig bezeugen. Zudem staunen „wir“ über die Beobachtung beim Bibellesen, dass ureigenste Eigenschaften Gottes, die nur Gott selbst haben kann (= Allmacht, Allwissenheit, Allgegenwart etc.), direkt auf den Vater, aber auch auf den Sohn (!) und auch auf den Heiligen Geist (!) bezogen werden, und alle diese drei „Personen“ dabei doch nicht (!) identisch sind, aber offensichtlich auch nicht voneinander getrennt werden dürfen. Wir sehen in der Bibel auch, dass der Sohn und der Geist wie eigenständige „Personen“ göttliche Aktionen durchführen und göttlich-normative Entscheidungen fällen, so dass sie nicht „Kraftwirkungen“ des Vaters sind (Modalismus), sondern als eigenständige Persönlichkeiten neben dem Vater erscheinen. Nach mancherlei durchbeteten Überlegungen stellen wir sodann fest, dass der eine, unteilbare Gott der Bibel, neben dem es keinen weiteren Gott gibt (1. Gebot), offensichtlich zugleich (!) ein in sich „tri-polares Wesen“ sein muss, sofern wir die Offenbarung Gottes in der Heiligen Schrift als normativ anerkennen.

Ein davon unterschiedenes Gottesverständnis wäre aus christlich-biblischer Sicht letztlich die Beschreibung eines GötzenWir formulieren also die Glaubenswahrheit der „Dreieinigkeit“ als offenbartes Geheimnis Gottes, das im Gottesdienst, in Liedern, in der Lehrunter- weisung und bei der Anbetung staunend gepriesen wird: der sich selbst offenbarte Gott ist ein einziger Gott, in drei Personen, Vater, Sohn und Geist, wesensgleich, untrennbar, nicht vermischbar, zu keiner Zeit als „drei Götter“ misszuverstehen (= nicht tri-theistisch). Dieser dreieinige Gott ist der in der Bibel offenbarte Gott der Christen. Dieses offenbarte Gottesverständnis ist normativ. Ein davon unterschiedenes Gottesverständnis wäre aus christlich-biblischer Sicht daher letztlich die Beschreibung eines Götzen, zumindest aber unzureichend oder unvollständig.3 Als gläubige Christen können und dürfen wir also nicht mehr von Gott sprechen, ohne zugleich von Christus als „wahrem Gott“ und „wahrem Menschen“ zu sprechen (vgl. Joh 1,1-14; Phil 2,5-11 usw.) und vom Heiligen Geist in gleicher Weise als von „Gott“.

Daher gilt auch im Blick auf Jesus selbst die Frage: Wer ist Jesus? Die Antwort findet sich wiederum nicht nur an einer einzigen Bibelstelle zusammengefasst, sondern an vielen Stellen der gesamten Bibel. Und wir stellen nach gründlichem Forschen fest, so einfach ist die Antwort nicht, wenn auch die Antwort des Apostels Thomas „mein Herr und mein Gott“ (Joh 20,28) wesentliche Wahrheiten über Jesus gut und knapp zusammenfasst.

Wer ist also Jesus Christus? Was offenbart die Heilige Schrift über ihn? Er ist nach der Schrift ewig, prä-existent, Schöpfer des Universums; er war im Alten Testament und in der Geschichte Israels unerkannt anwesend, er ist wahrer, vollkommener Mensch (doch ohne Sünde) und zugleich wahrer, vollkommener Gott; er ist der Messias, der Erlöser, der Gekreuzigte, der Auferstandene und Erhöhte, der Gottessohn, der Menschensohn, das Wort Gottes (Logos), das Ebenbild Gottes, in dem die Fülle Gottes wohnt, der Herr (vgl. Joel 3,5 u. Röm 10,13: Jahwe 4 Kyrios 4Jesus), der wiederkommende Richter, der „Ich-bin“ usw.

Solche und viele andere Entdeckungen beim Bibelstudium bringen uns dazu, zusammenfassende Glaubensaussagen über die Person von Jesus und sein Werk treffen zu können, die theologisch als „Christologie“ (= die Lehre von Christus) bezeichnet werden. Aber das, was wir über Jesus wissen, was Gott in seiner Güte in der Heiligen Schrift über seinen Sohn offenbart hat, was wir über Jesus glauben, aussagen und bekennen sollen, das haben wir nicht aus einer einzigen Bibelstelle ableiten können, sondern nur in der Zusammenschau vieler Detailbeobachtungen beim gründlichen Studieren des offenbarten Gotteswortes. Dann wurde nach innerbiblisch benennbaren Kriterien eine Antwort über Jesus als Person und sein Werk „geschlussfolgert“ und ausformuliert.

Je mehr wir also – im Blick auf „den ganzen Ratschluss Gottes“ – die Zusammenhänge der Bibel begreifen, desto mehr kommen wir ins Staunen und in die Anbetung über diesen wunderbaren Gott und seine Offenbarungen. Diese Einsicht führt dann schließlich zum Ziel der Lehre, die gemeinhin als „Verherrlichung oder Anbetung Gottes“ („Doxologie“) bezeichnet wird.

Haben wir dieses Vorgehen bei der Ermittlung von „Glaubenswahrheiten“, von biblisch gegründeter Lehre, einigermaßen begriffen, können wir uns auch der Endzeitlehre nähern. Wie bei den oben genannten Lehren gehen Christen auch mit den Endzeitaussagen der Bibel um, mehr oder weniger reflektiert, mehr oder weniger bestimmt durch äußere Umstände oder das jeweilige Verständnis, wie die Bibel ausgelegt werden soll (Einfluss der hermeneutischen „Vorentscheidungen“).

Allerdings sind die Ergebnisse, die hinsichtlich der Endzeitaussagen formuliert werden, nicht selten umstritten und oft weniger eindeutig als bei den meisten anderen Glaubensaussagen. Und da wären wir nun bei der Lehre von den letzten Dingen, beziehungsweise der dazugehörigen und höchst umstrittenen Frage nach der Möglichkeit der Vor-Entrückung der Gemeinde von Jesus Christus vor den kommenden Trübsalgerichten, die Gott schicken wird.

2. Chronologische Etappen der Endzeit

Gehen wir so wie bei der Ermittlung von anderen Glaubensaussagen vor und „sammeln“ und systematisieren kanon-biblische Hinweise und Aussagen über die Endzeit, auf der Suche nach offenbarter Wahrheit, dann stellen wir Folgendes fest:

2.1 Eine Fülle an Endzeitvorhersagen

Wie bei den oben genannten Lehren gehen Christen auch mit den Endzeitaussagen der Bibel umDie Bibel dokumentiert viele unterschiedliche und sich inhaltlich unterscheidende Zukunfts- und Endzeitaussagen, sowohl im Alten wie auch im Neuen Testament. Die sprachlichen oder theologischen Gattungen (Poesie, Psalm, Prophetie, Apokalypse, Verheißung, Gerichtswort usw.), in denen diese „Endzeitaussagen“ eingebettet sind, variieren. Einige dieser alttestamentlichen Aussagen haben sich bereits im Kommen von Jesus und seinem Wirken erfüllt. Dennoch bleiben ganz offensichtlich eine Menge Vorhersagen aus dem Alten Testament übrig, die sich menschheits- und heilsgeschichtlich noch nicht ereignet haben (können). Zumindest bleiben Fragen offen, was diese „Endzeitvorhersagen“ für Israel, die Völker, die globale Welt usw. konkret bedeuten sollen, ob, wann und wie sie in Erfüllung gehen werden bzw. ob und wie sie möglicherweise vielleicht doch schon in Erfüllung gegangen sein könnten. Ausführlich müssten wir jetzt z.B. die Prophetenbücher Jesaja, Hesekiel, Daniel, Hosea, Sacharja unter die Lupe nehmen und herausarbeiten, welche Zukunftsaussagen dort gemacht werden, welche davon wiederum bereits erfüllt bzw. teilerfüllt sind, was noch auszusagen übrig bleibt und wen sie als „Empfänger“ ansprechen und wen gegebenenfalls nicht.

Plausible Antworten sind aufgrund der Klarheit der Schrift möglich und formulierbarDas Neue Testament ist ebenfalls angefüllt mit nicht wenigen Zukunftsvorhersagen, die auch im Jahre 2008 noch nicht in Erfüllung gegangen sein können. Da finden wir beispielsweise die Endzeitaussagen von Jesus (z.B. in Mt 24+25; Lk 21), die zumindest in erster Instanz zunächst einmal an die hörenden Juden bzw. die Jünger damaliger Zeit gerichtet waren. Eine Gemeinde, in der Gläubige aus den Heiden anwesend gewesen sein könnten, gab es zu dieser Zeit noch nicht, als Jesus die Worte sprach. Als Bibelleser muss man sich fragen: Von welcher Zeit sprechen diese Vorhersagen? Wer sind die Adressaten, wer die Akteure dieser Endzeitworte? Wann und wie „wörtlich“ werden sie in Erfüllung gehen? Welche zeitlichen Dimensionen beschreiben sie? Oder welche Art von Ereignissen fassen sie möglicherweise zusammen? Solche Fragen müssen geklärt werden. Plausible Antworten sind aufgrund der Klarheit der Schrift möglich und formulierbar.

Gehen wir noch einen Schritt weiter: Wir finden eine Menge Endzeitaussagen in der Briefliteratur des Neuen Testaments: 1Kor 15 (Auferstehung des Leibes), 1Thes 4-5 (Entrückung der Gemeinde dem Herrn in der Luft entgegen und die unvorhersagbare, überraschende Wiederkunft von Jesus), 2Petr 3 (Weltuntergang im Feuer), dazu die Fülle der oft in apokalyptischer Sprache formulierten Endzeitaussagen der Offenbarung, beispielsweise Aussagen zu einem sogenannten 1000 Jahre währenden Königreich (Millennium), aber ebenso globalen Gerichtsszenarien oder vom Gericht vor dem weißen Thron Gottes sowie von der neuen Welt Gottes und von der „Ewigkeit“.

Wir müssten nun eigentlich alle diese Stellen des AT und des NT gründlich untersuchen und dann zu ermitteln versuchen, was sie aussagen, wer adressiert ist und wer nicht, wer die Betroffenen sind und wer nicht, welche Passagen wörtlich verstanden sein müssen und welche eher figurativ/nicht-wörtlich. Zu erörtern wären ebenfalls solche „Prophetien“, die noch ausstehende Endzeitaussagen beinhalten. Das wäre eine Menge Arbeit, die sich aber lohnen würde, um den ganzen Ratschluss Gottes kennen zu lernen und predigen zu können. Allerdings wird es im Bereich der Endzeitlehre der Bibel immer auch eine gewisse Grauzone geben, da (noch) nicht wirklich alles 100%ig klar interpretierbar ist bzw. die unterschiedlichen Auslegungsregeln (= Hermeneutik) teilweise eine einmütige „Lösung“ verhindern.

Auffallend ist jedoch, dass vor dem eigentlichen „Weltuntergang“ (2Petr 3,7-11 par.) eine Menge Bibelstellen von verheerenden Trübsalen, schrecklichen Katastrophen, antichristlichen Verführungs- mächten und „großen Zeichen an Himmel und Erde“ reden, sowie vom kommenden „schrecklichen Tag des Herrn“ als einem „Tag“ des Gottesgerichts und der Heimsuchung. Auch hier stellt sich die Frage: wer sind die Handelnden, wer sind die „Betroffenen“ dieser Szenarien, sofern sie denn – was einige Theologen bezweifeln – noch tatsächlich irgendwann irdisch-faktisch stattfinden werden (wovon ich als Autor dieses Aufsatzes ausgehe)?

Um die Sache abzukürzen: es gibt innerbiblische Kriterien, wie diese unüberschaubare Fülle an Endzeitaussagen in plausible Glaubensaussagen und mögliche „endzeitliche Etappen“ wie Perlen auf einer Schnur „linear-chronologisch“ geordnet werden können. Und spätestens an diesem Punkt kollidieren erneut unterschiedliche „theologische Ansichten“ unter Bibellesern (in der Regel konfessionsübergreifend). Ich gehe davon aus, dass die Auslegung endzeitlicher Aussagen im Rahmen einer linear-futurischen Historizität voll und ganz innerbiblisch abgeleiteten Kriterien entspricht. Daher lautet meine Argumentation:

2.2 Regeln der Schrift-Auslegung im Zusammenhang mit der Endzeit

Folgende theologische „Kategorien“ lassen sich festhalten, die durch die jeweiligen zugrunde gelegten Regeln der Auslegung der Bibel „regiert“ werden (das betrifft erneut Fragen nach der jeweils zugrunde gelegten Hermeneutik) und die die biblischen Endzeitaussagen der Bibel unter gewissen Vorzeichen auslegen und dadurch zu bestimmten Auslegungen kommen:

Prä-Millennialismus: Bei dieser Auffassung wird erwartet, dass Jesus „bald“ wiederkommen wird und danach – körperlich anwesend – während einer tausend Jahre andauernden Friedensperiode auf Erden herrschen und regieren wird. Danach das Gericht, das Weltende und die neue Welt. Aufgrund der sogenannten „Parusieverzögerung“, also dem Ausbleiben der nahe erwarteten Wiederkunft von Jesus, wurde die Leidenszeit der Gemeinde als Durchgang verstanden, die in das „Friedensreich auf Erden“ einmünde.4 War diese Ansicht noch in den ersten vier Jahrhunderten der frühen Kirche die übliche eschatologische Erwartung und Sichtweise, wurde sie während des Mittelalters durch den sogenannte A-Millennialismus (in der Regel augustinischer Prägung) oder den Post-Millennialismus (oft augustinischer Prägung) abgelöst und erst mit unterschiedlichem Verständnis in nachreformatorischer Zeit wiederentdeckt. Heute wird diese Auffassung in einen historischen und in einen dispensationalistischen Prämillennialismus unterteilt.

Post-Millennialismus: Diese Auffassung vertritt mehr oder weniger dezidiert, dass das Evangelium durch die Kirchengeschichte hindurch derart „erfolgreich“ gepredigt werden wird, dass es kein wirklich zukünftiges zu erwartendes 1000-jähriges Gottesreich mehr geben wird, sondern dieses bereits mit Jesus auf Erden begonnen habe und in der gegenwärtigen kirchlichen Wirklichkeit zunehmend realisiert werde (das Reich Gottes auf Erden realisieren). Soziale Veränderungen (z.B. hin zum Reich Gottes) und individuelle Bekehrungen korrespondieren dabei miteinander in unterschiedlich begründeten und sich nicht selten widersprechenden Konzepten. Die Kirche hat in dieser und in der amillennialistischen Position häufig die Rolle Israels als Verheißungsempfängerin übernommen, das heißt, die Kirche hat Israel ersetzt.5 Dann – nach der irdischen Realisierung des Reiches Gottes auf Erden – folgen das Weltgericht und die neue Welt. Seit der Katastrophe des 1. Weltkriegs hat diese „fortschritts-optimistische“ Theorie viele Anhänger verloren.

Amillennialismus: Bei dieser Konzeption gibt es eine allgemein formulierte Ewigkeitshoffnung, die lautet: der Herr kommt wieder, auch zum Weltgericht mit doppeltem Ausgang; anschließend beginnt die neue Welt. Irgendwelche Zwischenzeiten, eschatologische Details oder ein eschatologisch bestimmbarer, chronologisch nachvollziehbarer Heils- zeitenplan werden nicht wirklich erwartet. Bibelleser, die das dennoch tun, werden nicht selten anathematisiert (als „irrend“ gebrandmarkt). Gelegentlich, in Anlehnung an Augustinus, wird das Tausendjährige Reich als in der seit Pfingsten bestehenden Kirche verwirklicht und gegenwärtig vorgestellt. Ein futurisches Millennium wird nicht mehr erwartet.

Ungefähr seit dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts wird nun die Vor-Entrückungslehre gelehrt und „diskutiert“ – gewöhnlich im Rahmen der Vorstellung des Prä-Millennialismus. Dabei wird eine Entrückung im Sinne von 1Thes 4,13ff. angenommen. Wie jedoch diese „Entrückung“ der Gläubigen chronologisch den endzeitlichen Trübsalszeiten zugeordnet werden soll, bleibt umstritten. Geschieht sie vor oder nach der „großen Trübsal“ oder mittendrin? Die Lehre der Vor-Entrückung gilt also als ein Unterpunkt des Prämillennialismus. Über ihre Bedeutung und Sachgerechtheit wird unter Christen gestritten (sofern überhaupt über diese Lehre nachgedacht wird). Etliche lehnen jedoch jede Form heilsgeschichtlich-chronologischer Bibelinterpretation ab und erkennen in den biblischen Endzeittexten nur noch „existentiell Gleichzeitiges“ im Sinne einer präsentischen Eschatologie.

3. Die Vor-Entrückung in heilsgeschichtlicher Perspektive

3.1 Biblisch-exegetische Beobachtungen

Aus der Sicht derer, die begründet zu den Befürwortern zu zählen sind, wenden wir uns den Feldern der biblischen Endzeitaussagen zu.

Zu den markantesten endzeitlichen Aussagen des Neuen Testaments gehört neben Mt 24 und 25, Lk 21 und 1Kor 15 auch die Belehrung des Apostels Paulus im 1Thessalonicherbrief (4,13-5,11). Darin beantwortet Paulus offensichtlich die von Sorgen beladene Anfrage der Gemeinde, was – angesichts der proklamierten Naherwartung der Wiederkunft des Herrn – mit den Brüdern und Schwester im Glauben geschieht, die vor der Rückkehr ihres geliebten und sehnlich erwarteten Herrn bereits verstorben sind. Und in diesem Zusammenhang begegnet uns dann auch die Passage, die dazu führte, von einer „Entrückung der Gemeinde“ als christlicher Glaubenswahrheit sprechen zu können (in Korrelation zu 1Kor 15, 51-52).

Gehen wir – hinsichtlich der Offenbarungsqualität ihres Inhalts – von der Gleichwertigkeit aller kanon-biblischen Schriften aus und verstehen die Bibel als normative Offenbarungsurkunde Gottes bei prinzipiell gleicher Autorität aller Aussagen, wenn auch mit unterschiedlichen Offenbarungs- oder Bedeutungsnuancen, so bildet diese Aussage des Paulus bezüglich der „Entrückung“ einen wichtigen und zentralen Mosaikstein im Gesamtrahmen biblischer Endzeitaussagen. Das heißt geschlussfolgert: es wird auf jeden Fall eine Entrückung der Gläubigen geben, einschließlich einer Auferstehung der bereits verstorbenen Gläubigen, die in 1Thes 4,13ff. ohne die Auf- erstehung der ungläubigen Toten vorgestellt wird. Unklar bleibt zunächst aber, wann genau im Endzeitfahrplan die Entrückung geschieht und wie sie endzeit-chronologisch einzuordnen sein könnte.

Aus 1Thes 4 ergibt sich (bei wörtlichem Verständnis = Literalsinn), dass es definitiv eine Entrückung der Christus-Gläubigen geben wird, die folgende Detailbeobachtungen beinhaltet:

  • Jesus kommt wieder,
  • noch lebende wie auch bereits gestorbene Gläubige, die gleichzeitig bei diesem Ereignis aus den Toten auferweckt werden, werden miteinander zugleich dem kommenden Herrn Jesus in die Luft entgegen „entrückt“ (gr. harpazo; lat. rapturo),
  • diese Entrückung ist nicht vorhersehbar, sie kommt plötzlich (vgl. auch 1Kor 15, 51-52, wo auch von einer Art „Entrückung“ die Rede ist);
  • der wiederkommende Herr wird merkwürdigerweise als in „der Luft“ bleibend vorgestellt, als würde er nicht unmittelbar auf die Erde zurückkehren.
  • Davon, dass Christen und Jesus zusammen in den Himmel gehen, ist allerdings – jedenfalls in dieser Passage – nicht ausdrücklich die Rede. Nur davon, dass die Entrückten „allezeit bei dem Herrn“ sein werden. Was das wiederum bedeutet, ist unter Auslegern umstritten. Auf der Erde ist dieser „Aufenthaltsort“ jedenfalls kaum anzunehmen, vergleichen wir die „himmlischen Wohnstattbeschreibungen“ anderer Bibelstellen. Die Entrückten gehen Jesus entgegen, der sich anscheinend auf dem Weg zur Erde befand. Dass Jesus die Christen aber nur abholt und seinen Weg zur Erde nicht fortsetzt, lässt sich anhand dieser Stelle allein nicht begründen, aber auch nicht widerlegen. Soweit so gut. Eine Entrückung wird es also geben, die ausdrücklich nur Christus-Gläubige umfasst und die das „ewige Zusammenbleiben mit Christus“ zur Folge hat.

3.2 Baldige Wiederkunft des Herrn und die Entrückung der Gläubigen

Wann konkret (als punktuelles Ereignis) die Entrückung stattfinden wird, das weiß keiner, außer Gott allein. Dass sie stattfinden wird, dürfte angesichts der Aussage von 1Thes 4,13ff. eigentlich kein Streitpunkt mehr sein. Unter denen, die nun alle Endzeitaussagen sach- und schriftgemäß systematisieren wollen, stellt sich nun die Frage, WANN – auf die Zeitskala aller Endzeitaussagen bezogen – findet diese „Entrückung“ statt, von der Paulus in 1Thes 4,13ff. spricht? Welche endzeitlichen Ereignisse gehen ihr zeitlich voraus, welche folgen ihr?

Wir wollen uns um eine Zu- und Anordnung unterschiedlicher Endzeitaussagen bemühen. Ich gehe folgendermaßen vor: alle alt- und neutestamentlichen Aussagen müssten jetzt daraufhin untersucht werden, ob Anhaltspunkte zu finden sind, die eine präzisere chronologisch-heilsgeschichtliche Einordnung der „Wiederkunft des Herrn“ und der „Entrückung der Gläubigen“ liefern könnten. Da finden wir, dass Paulus die Thessalonicher lehrte, dass der Herr nahe ist. Die Naherwartung des Herrn Jesus prägte die Erwartung der Christen in apostolischer Zeit (Röm 13). Jesus kommt wieder. Darauf wurden die Christen hingewiesen. Doch damals starben Gläubige in Thessalonich. Was nun? Was ist mit diesen, die gestorben sind? Die nah erwartete Wiederkunft von Jesus und die Entrückung der Gläubigen stehen also – zumindest in paulinischer Lehre – in einem deutlichen lehrmäßigen Zusammenhang. Es sind Ereignisse, die zur Grundlehre (= Apostellehre) des Paulus gehörten.

Probleme ergeben sich dennoch, wollen wir diese Beobachtungen zeitlich präzisieren: Diskutiert werden muss, was vor der erwarteten Wiederkunft von Jesus und der Entrückung der Gläubigen endzeitlich geschehen wird. Können zeitlich vor der Entrückung von 1Thes 4,13ff. alle Endzeitereignisse stattfinden und in Erfüllung gehen, die z.B. in den Endzeitreden von Jesus (Lk 21; Mt 24-25 usw.) erwähnt werden? Oder wie steht es mit den prophetisch vorgesagten apokalyptischen Ereignissen und Katastrophen der Offenbarung (Offb 4-21)? Finden alle in der Bibel genannten Endzeitaussagen, vor allem auch die Gerichts- und Trübsalsankündigungen, vor dieser Entrückung der Gemeinde aus 1Thes 4 statt? Leitet die Entrückung mit dem Kommen von Jesus zum Gericht dann lediglich das Ende ein ? Ist das z.B. das Ereignis, das in Mt 24,30 ausgesagt wird?

Paulus erwartete die Entrückung „bald“, also als nächstes heilsgeschichtliches Ereignis für die GemeindeDass die meisten oder sogar alle Endzeitaussagen der Schrift vor der nahe erwarteten Entrückung geschehen könnten, ist doch höchst unwahrscheinlich und nicht zu erwarten. Es scheint eher plausibel, dass diese Endzeitereignisse erst nach der erwähnten Entrückung der Gläubigen stattfinden werden. Dies schließe ich daraus, dass Paulus die Entrückung als „bald“ erwartete, sozusagen als nächstes wichtiges heilsgeschichtliches Ereignis für die Gemeinde Jesu.

In diesem Zusammenhang ergibt sich dennoch die Frage: Wird mit dem Kommen von Jesus in der Luft und der Entrückung der Gläubigen nach 1Thes 4 schon das Endgericht eingeleitet? Kann das denn sein, dass die Entrückung sofort und unmittelbar zum Weltgericht führt? Gibt es Hinweise darauf, welche endzeitlichen Ereignisse nach dieser Entrückung, die wir als fixen Punkt der Endzeitlehre markieren können, stattfinden? Welche weiteren Endzeitereignisse könnte es geben, die nach der Entrückung und vor dem eigentlichen Ende ablaufen, also irgendwann dazwischen liegen?

Ohne jetzt diese angedeutete (sicherlich nötige) Analyse im Detail an allen nötigen Bibelstellen aufzeigen zu können, kann man doch ohne Zweifel definitiv festhalten: die Entrückung der Gemeinde muss vor dem Endgericht und vor der Neuschaffung der Welt stattfinden. Die Entrückung ist jedenfalls nicht das Letzte, was endgeschichtlich geschehen wird. Darauf kann man sich meines Erachtens einigen. Die Entrückung ist nicht das „Ende der Welt“. Nach der Entrückung der Gläubigen geschehen noch andere Dinge, die vorhergesagt sind.

Außerdem – und das sollte man durchaus beachten: Da die Auferstehung der ungläubigen Toten offensichtlich nicht (!) zeitgleich mit der Entrückung der Gläubigen nach 1Thes 4,13ff. verbunden ist, wird das Endgericht auch nicht unmittelbar anschließend stattfinden. So muss man den Apostel wohl verstehen. An dieser Stelle nennt Paulus keine zeitlich vor der „Entrückung“ liegende „Endzeitereignisse“. Die Entrückung ist das für Gläubige nächstliegende Ereignis, auf das sie in Verbindung mit der Erwartung des baldigen Kommens des Herrn zugehen.

Aus diesen Beobachtungen ergibt sich folgerichtig die Frage: Ist die Wiederkunft von Jesus also möglicherweise „zweigeteilt“ zu verstehen, einmal inklusive der Auferstehung für die gläubigen Toten und die Entrückung zusammen mit den Lebenden (so lautet die Aussage in 1Thes 4,13-18), dann später eine zweite Wiederkunft inklusive einer „zweiten Auferstehung“, u.a. zum Gericht für alle Menschen? Oder wäre das ein völlig auszuschließender eher absurder Gedanke? Die Vertreter der Vor-Entrückungslehre sehen diese in „zwei Ereignisse“ aufgeteilte Wiederkunft von Jesus als plausible Möglichkeit an, die auf die zwei Auferstehungen, von denen die Schrift andeu- tungsweise spricht, bezogen werden könnte. Plausibel ist diese Lösung. Der sichere Grund, warum das plausibel sein kann, ist immer wieder zu überprüfen. Nicht alle Exegeten überzeugt diese Interpretation.

3.3 Endzeitaussagen – unsortierte Puzzlesteine

Wir dürfen an Endzeit-Etappen denken, die chronologisch beschreibbar und darstellbar sindWenn wir die oben gemachten Aussagen nachvollziehen können, wollen wir uns weiteren Endzeitaussagen widmen. Alle diese Überlegungen haben Antworten im Für und Wider gefunden. Eine einheitliche Sicht gibt es unter Christen nicht. Die radikalste Sicht wäre die, dass die allermeisten Endzeitaussagen der Bibel „keine historische“ Erfüllung zu erwarten haben bzw. dass diese bereits weitgehend „erfüllt“ seien. Nur noch die Wiederkunft von Jesus, dann das Gericht und die neue Welt stünden auf dem „Endzeitfahrplan“. Details einer Endzeit-Chronologie werden bei dieser Auffassung abgewiesen. Die Details der Endzeitaussagen seien – so die Vertreter dieser Position – als „Ermahnung“ gedacht (also geistlich-erbaulich zu verstehen) und sollen den Gläubigen in jeder Art von Trübsal Trost spenden, Trost für Glaubensüberwinder. Diese Hermeneutik führt zu etlichen Problemen in der Schriftauslegung, die hier nicht disku- tiert werden können. Ich jedenfalls lehne sie ab, gehe vielmehr von futurisch gedachten, endzeitlich-heilsgeschichtlichen Etappen aus, die benennbar sind und die auch endzeitlich-chronologisch beschreibbar und darstellbar sind als Wahrheitsaussagen des Glaubens für die Gemeinde von Jesus.

Wie stellen sich also Christen, die die Bibel als Norm und Richtschnur bekennen, die Etappen der Endzeit vor? Solche Endzeitetappen begegnen uns in der Schrift ja wie unsortierte „Puzzle-Steine“, die nicht auf Anhieb ein klar zu ermittelndes „Bild“ ergeben. Wir stehen vor einer ähnlichen theologischen Herausforderung, wie beim Bemühen, die „Dreieinigkeit Gottes“ oder die „Zwei-Naturenlehre von Jesus“ in verständliche Worte fassen zu wollen. Der Unterschied besteht darin, dass das Ringen um die Gottheit des drei-einen Gottes und die Zwei-Naturen von Jesus natürlich viel wichtiger anzusehen ist, als das Ringen um Endzeitfragen. Wie interpretieren wir die relevanten Endzeitaussagen der Bibel richtig? Was kommt in Zukunft auf uns Christen, die Welt, die Menschheit zu? Was sollen Christen glauben, worauf sollen sie vertrauen, was sollen sie inhaltlich im Blick auf die Endzeit im Leben und im Sterben bekennen?

In aller Kürze: Da wären einmal die Endzeitaussagen von Jesus, dann auch die verheißenen Trübsale als Läuterungen Gottes, die schon im Alten Testament, aber auch im Neuen angesprochen werden, außerdem die Hinweise auf ein „1000-jähriges Reich“ und die Königsherrschaft Gottes (in den Evangelien), Beschreibungen über das Weltgericht, die Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde usw. Dazu kommen die unerfüllten Aussagen bezüglich der Wiedereinsetzung Israels (Röm 11,17- 32) und die verheißenen „irdischen Heils- und Friedensreichsankündigungen“ (im AT), die – wenn man die entsprechenden biblischen Prophetien im Literalsinn auslegt – eigentlich noch nicht in Erfüllung gegangen sein können und auch nicht „präsentisch“ in der Kirche vorhanden sind. Im folgenden Abschnitt wollen wir neben der „Plausibilität“ auch theologische Gründe anführen, die für einen bestimmten endzeitlichen Plan Gottes sprechen, der die Vorentrückung beinhalten kann.

4. Die theologische Möglichkeit der Vor-Entrückungslehre

Die Dogmen- und Theologiegeschichte ist ein beredtes Zeugnis für solche spät entdeckten biblischen WahrheitenDiese zusammengerafften Überlegungen und die oft nur in Fragen gekleideten theologischen Ansichten zur Endzeitlehre, dazu viele andere Aspekte, die zu berücksichtigen wären (Verhältnis zur Gotteslehre, zur Heilslehre usw.), beschreiben die theologischen Problemfelder, die bis in die Gegenwart hinein zu unterschiedlichen Lösungen geführt haben. Etwa seit dem Jahre 1830 (wahrscheinlich zeitlich nicht viel früher) wird die Möglichkeit der „Vor-Entrückung“ vor der kommenden „großen Trübsal“ als begründete Auslegungsmöglichkeit in die theologische Diskussion eingebracht, vor allem verbreitet durch den Einfluss J.N. Darbys und die Anhänger der Brüderbewegung, heutzutage durch eine theologische Schulrichtung vertreten, die man Dispensationalismus (Zeitalterlehre) nennt.

Diese „späte“ Einsicht in biblische Zusammenhänge und die umstrittene kirchengeschichtliche Figur Darbys als Referenz für diese Lehre hat die Vor-Entrü- ckungslehre unter vielen Christen in ein schlechtes Licht gerückt. Es wurde allerdings selten ernsthaft exegetisch oder biblisch-theologisch geprüft, was an der Auffassung eventuell doch biblisch sein könnte. Denn selbst wenn es so wäre, dass die Vor-Entrückung eine theologiegeschichtlich „späte“ Erkenntnis des Bibelstudiums gewesen ist und dass sie aus der Brüderbewegung stammt, sagt das noch lange nichts darüber aus, ob diese Interpretation biblisch richtig oder falsch ist. Das kanon-biblische Zeugnis selbst muss stets die Entscheidung in solchen strittigen Fragen bringen, da viele Wahrheiten der Bibel erst im Laufe der Jahrhunderte erstmals richtig wahrgenommen oder vielfach erst später wiederentdeckt wurden. Die Dogmen- und Theologiegeschichte ist ein beredtes Zeugnis über solche „spät entdeckten biblischen Wahrheiten“ und über den Weg der biblisch ableitbaren „Wahrheitsfindung“.

4.1 Argumente für eine „Vorentrückung“ der Gemeinde

Folgende Beobachtungen inspirieren die theologische Möglichkeit einer Vor-Entrückungslehre:

  • Die Empfänger der Endzeitworte waren Juden, die dem Messias Jesus anhingenViele Passagen der sogenannten „Endzeitreden von Jesus“ (z.B. Mt 24 u. 25) tragen sehr deutliche „Israel-spezifische“ Kennzeichen (z.B. Mt 24,15-20), die – „wörtlich“ verstanden – schwer auf die nach-pfingstliche Gemeinde des Herrn oder eine andere Zielgruppe der Menschheit übertragen werden können. Eine Vergeistlichung dieser Passagen mit dem Ziel, dass auch Christen dadurch direkt angesprochen sein könnten und diese Endzeitaussagen für Christen bestimmt seien,  wirkt künstlich und ist aus hermeneutischen Gründen nicht plausibel. Jesus zeigt seinen Jüngern (den Juden, die an ihn als Gottessohn, Messias und Retter glaubten) damals als den ersten Hörern und typischen Repräsentanten Israels, dass vor dem Kommen des Menschensohns in Herrlichkeit antichristliche Verführung, „große Trübsale“ und weltbewegende Katastrophen kommen müssen (Mt 24,4-13; 21-24. 29). Nach „der Trübsal jener Zeit“ erscheint chronologisch dann das Zeichen des wiederkommenden Menschensohnes in Herrlichkeit am Himmel (Mt 24,30) oder der Menschensohn in Kraft (Lk 21,27.35). Soweit ist die dort verankerte Chronologie verständlich: globale Trübsale und erschreckende Endgerichte vor der Herrlichkeitserscheinung des Herrn. Die geschilderten Schreckensereignisse verdeutlichen, dass sehr wahrscheinlich Juden (die dem Messias Jesus anhingen) als Empfänger der Endzeitworte gemeint sind: vgl. Mt 24,1 = Jerusalem; Mt 24,22-24: Auserwählte, Sabbat; Mt 24,34: „dieses Geschlecht“ = Juden; Mt 25,1: mit dem „Himmelreich“ ist nicht die Gemeinde, es sind offenbar Juden gemeint; Mt 25,32-46: das „Völkergericht“ von Böcken und Schafen hat nichts mit dem Leib des Christus zu tun (Joh 5,24; 1Kor 3,12-15; 1Kor 6,2 usw.); Lk 21,21-24: Judäa, „dies Volk“ = Juden, Jerusalem usw. Der Leib des Christus als Ekklesia war zu diesem Zeitpunkt, als Jesus seinen Jüngern die Endzeitreden hielt, noch nicht existent (erst ab dem ersten Pfingstfest, Apg. 2), auch wenn es richtig ist, dass die anwesenden Jünger als Repräsentanten der 12 Stämme Israels zugleich als Kernbestand der damals noch zukünftigen Gemeinde gelten. Diese Jünger aus den Juden bilden ja einige Zeit später die Ekklesia. Und der Evangelist Matthäus schreibt Jahre nach den Ereignissen sein Evangelium und schickt es an „Gemeindeglieder“, an Christen. Zu dieser Zeit gibt es natürlich die Ekklesia, die sein Evangelium empfängt. Doch die in den Reden adressierten „Empfänger“ der Endzeitreden sind ohne Zweifel in erster Linie Juden, nicht Christen.
  • Christus selbst hat einige der Reich-Gottes-Attribute auf die Gemeinde übertragen, ohne die buchstäbliche Aufrichtung des messianischen Reichs überflüssig zu machenEine Fülle an alttestamentlichen Verheißungen ist direkt auf Israel bezogen. Gott will ein irdisches Friedensreich unter einem Messias-König auf dem Thron Davids schenken. Diese Verheißungen sind bis heute definitiv noch nicht in Erfüllung gegangen. Denn laut Apg 1,6-8 und anderen Stellen wird das Reich für Israel nach Gottes Ratschluss zu einer nicht näher bestimmbaren Zeit aufgerichtet werden.6 Jesus, der Messias-König der Juden, wollte ja bereits während seiner irdischen Wirksamkeit dieses „Friedensreich“ aufrichten. Er war selbst in Person „als Regent“ des Reiches mitten unter dem Volk anwesend (Mk 1,15 u.a.). Aufgrund der Herzenshärte Israels wurde es jedoch (noch) nicht (wie erhofft) aufgerichtet, es blieb unerfüllt und von Jesus daher auch weiterhin als zukünftig beschrieben (vgl. neben Apg 1,6-8 z.B. auch Lk 21,31; Lk 22,18).Den Versuch, diese Fülle an „Friedens- bzw. Gottesreichs-Aussagen“ als weitgehend in der Gemeinde und für die Gemeinde von Jesus Christus erfüllt zu interpretieren, erachte ich für eine mehr als waghalsige Exegese mit fragwürdigen hermeneutischen Vorentscheidungen. Schon das Alte Testament berichtet umfassend von dem Friedensreich für Israel. Auch Jesus hat davon gesprochen, als er sein Volk der Juden mit „Reich-Gottes-Predigten“ (Gleichnisse usw.) ansprach. Ich erachte daher folgende Lösung für plausibler: Der Messias als König des Gottesreiches war während seiner irdischen Wirksamkeit anwesend: zunächst partikular für Israel, dann nach Kreuzigung, Auferstehung und Himmelfahrt universal für alle Menschen. Aber das Friedensreich, das er für Israel bringen und aufrichten wollte, konnte nicht realisiert werden. Stattdessen ist Christus selbst als Haupt der Gemeinde derjenige, der einige Reich-Gottes-Attribute auf die Ekklesia überträgt, ohne dadurch die buchstäbliche Aufrichtung des messianischen Königreiches auf dem Thron Davids überflüssig gemacht zu haben.7 Geistliche Aspekte des Reiches Gottes gelten in der Gemeinde. Die irdisch-materielle Erfüllung für Israel im literalen Sinn der einst gegebenen Verheißungen steht noch aus. Dies ist durch Bibelstellen wie Apg 1,6-8, Lk 21,31 und Lk 22,18 sowie in Verbindung mit Röm 11,15ff. plausibel ableitbar.
  • „Das ganze Israel“ wird „Barmherzigkeit erlangen“ und in der Zukunft „seinen“ Retter und Messias Jesus im Glauben annehmen. Laut Röm 11,11.17-24 und 25-32 wird Israel (die natürlichen, zum Teil abgeschnittenen Zweige) wieder in den Ölbaum der Segens- und Väterverheißungen (= Weinstock)8 eingepfropft werden. Gegenwärtig ist dies noch nicht erfüllt. Die volle Wiederherstellung Israels und die endzeitliche Bekehrung zum HERRN aufgrund der ewigen, nicht aufgelösten Bundesschlüsse mit Israel stehen noch aus. Sie sind nicht stellvertretend oder ersatzweise in der Gemeinde erfüllt.
  • Die historisch zu erwartenden Endzeittrübsale und Katastrophen sind offensichtlich – nimmt man AT- und NT-Aussagen zusammen – spezifische Ereignisse, die zugespitzt Israel und die Völkerwelt betreffen werden.9 Das bedeutet nicht, dass Christen sich nicht ebenso vor den endzeitlichen, antichristlichen Verführungsmächten in Acht nehmen müssten. Das Gegenteil ist der Fall (1Thes 5,1-11; 2Tim 4,1-4; 1Joh 4,1-6)! Klar wird dabei allerdings, dass beispielsweise der „Papst“ nicht der biblische Antichrist usw. sein kann, weil der „Antichrist“ primär unter dem heute noch zukünftigen „Israel“ sein Zerstörungswerk ausüben wird, nicht unter Christen, nicht in der Ekklesia. Antichristliche Verführung innerhalb der Gemeinde und als Bedrohung von Außen, die gab und gibt es trotzdem zu jeder Zeit (vgl. 1Joh 4,1-5 u.a.).
  • Insofern – das ist jedenfalls mein Ergebnis der Einzelexegese vieler Endzeitbibelstellen – die globale Christus-Gemeinde in vielen Israel-spezifischen Endzeitaussagen überhaupt nicht als Adressat, auch nicht als Handelnde gemeint sein kann, fragt sich, wo sich die Gläubigen der Gemeinde während dieser vorhergesagten Zeiträume denn aufhalten. Eine Möglichkeit einer geschlussfolgerten Antwort lautet: sie sind nach 1Thes 4 bereits dem Herrn entgegen „entrückt“ und „alle Zeit bei ihm“. Denn diese Auferweckung von den Toten bezog sich ausschließlich auf Christen (vgl. Vers 16). Von einer Auferstehung der „Ungläubigen, die keine Hoffnung haben“, ist nicht die Rede.

Das Reich Gottes beschreibt eine begrenzte Herrschaft Gottes vor der EwigkeitDie Schlussfolgerung für Vertreter der Vor-Entrückungslehre lautet daher: Bevor Jesus in Herrlichkeit wiederkommen wird, werden „große Trübsale“ stattfinden, die es so noch nie gab oder je wieder geben wird (Mt 24,29.30; Lk. 21,27.35). Diese betreffen jedoch weitgehend Israel (bzw. die Völker), nicht aber die Gemeinde, nicht den Leib des Christus, der als himmlisch charakterisiert wird (Kol 3,1-4 usw.). Ein messianisches Friedensreich für Israel steht aufgrund biblischer Prophetie noch aus. Es ist kein Friedensreich für Christen. Die Verwirklichung dieses Friedens- oder Gottesreiches (vgl. die Evangelien oder Offb 20,1-10 usw.) wird aber erst nach diesen als Läuterung für Israel gedachten Trübsalen stattfinden können, nicht vorher. So könnte die Gemeinde bereits vor diesen Ereignissen als entrückt betrachtet werden. Sie, die Ekklesia, ist beim Herrn und wird schließlich die Welt „mit-richten“ (1Kor 6,2). Aber für Israel sitzt der Gesalbte (Messias, Christus) auf dem Thron Davids und herrscht im Millennium in seinem für Israel verheißenen Königreich auf Erden, und zwar eindeutig vor dem Weltgericht, vor dem Weltuntergang, vor der Schöpfung eines neuen Himmels und einer neuen Erde und vor dem Beginn der Ewigkeit. Das Reich Gottes ist in den allermeisten Bibelstellen nicht identisch mit dem „Himmel“ oder mit der Ewigkeit bei Gott, sondern es beschreibt eine zeitlich begrenzte Herrschaft Gottes vor der Ewigkeit. Diese Interpretation ist unter Auslegern umstritten, doch ist sie nicht grundsätzlich als undenkbar auszuscheiden. Es ist zumindest eine plausible Denk-Möglichkeit in der Auswertung unterschiedlicher Endzeitaussagen.

4.2 Ein biblischer „Endzeitfahrplan“ als plausible Möglichkeit

Nach biblisch-theologischen Überlegungen und sachlichem Abwägen möglichst aller Endzeitaussagen ist es also plausibel und nicht allzu weit hergeholt, dass der kanon-biblische Endzeitfahrplan einschließlich Vor-Entrückungslehre grob folgendermaßen aussehen kann:

  1. das nächste heilsgeschichtliche Ereignis wird sein, dass der Herr wiederkommt; dabei wird die Ekklesia, d.h. die Gemeinde von Jesus als universaler, überkonfessioneller Leib des Christus (gemeint sind die Christus-Gläubigen, die Wiedergeborenen) dem Herrn entgegen „entrückt“ (plötzlich, unerwartet, unvorhersehbar). Bereits verstorbene Gläubige werden unmittelbar vor der Entrückung von den Toten auferstehen und mit den dann noch lebenden Gläubigen in die Luft dem Herrn entgegen entrückt, um allezeit bei dem Herrn zu sein. Die Erfüllung von Mt 24,30 oder Kl. 21,27 ist in diesem Ereignis aber noch nicht beschrieben.
  2. Es wird primär für „Juden“ eine Erscheinung von Jesus Christus in Herrlichkeit geben, der schreckliche Trübsalszeiten und Endgerichte vorangehen werden, die vor allem Juden als Leidtragende und Adressaten durchleben müssen. Die Gemeinde von Jesus als Leib des Christus ist in diesen Aussagen nicht angesprochen. Die „nahe bevorstehende“ Entrückung der Gemeinde, die mit dem Kommen von Jesus in den Wolken einhergeht, nennt und kennt offensichtlich keine Trübsale oder eine endgeschichtliche „große Trübsal“ vor diesem Kommen des Herrn und jener Entrückung der Gemeinde nach 1Thes 4,13f. Die Erscheinung des Herrn in Herrlichkeit in den Endzeitzeitenreden von Jesus (Mt 24,21) und die Erscheinung von Jesus aus 1Thes 4,13ff. sind endzeit-chronologisch geurteilt ganz offensichtlich keine identischen Ereignisse, sondern zwei Ereignisse. Der Schluss liegt nahe, dass – da es offensichtlich zwei Auferstehungen von den Toten geben wird, eine für Gläubige nach 1Thes 4,13ff. bei der Ankunft von Jesus zur Entrückung der Gemeinde und die andere zum Gericht für alle übrigen Menschen – auch eine zweigeteilt zu denkende Wiederkunft von Jesus plausibel sein kann.
  3. Die Zeit Israels beginnt nach der Entrückung der Gemeinde mit Läuterungsgerichten und „großen Trübsalen“, wie im Alten Testament, in den Endzeitreden von Jesus und in der Offenbarung vorhergesagt wurde; schließlich beginnt dann die Zeit des an den Messias gläubig gewordenen „Israels“ (Röm 11,26) und die der Bekehrten aus den Nationen.
  4. Diese Zeit des durch Trübsale geläuterten, wiederbelebten und wiederhergestellten Israels mündet nach gesamtbiblischer Erwartung in das zugesagte irdische Friedensreich ein, das nach Offb 20,1-6 offensichtlich „1000 Jahre“ andauern wird – einschließlich der sich davor ereigneten Erfüllung von Mt 24,30. In dieser Zeit werden Israel und die Völker (die beide nicht entrückt wurden) irdisch erleben und erleiden, was die Bibel diesbezüglich vorhergesagt hat, während der Messias-König Jesus auf dem Thron Davids regiert (gemeinsam mit der entrückten Gemeinde, die ja bei und mit ihm ist).
  5. Danach die Endzeitszenarien hinsichtlich der Freilassung des Teufels (Offb 20,7-10).
  6. Anschließend beginnen die Endzeitszenarien des Weltgerichts mit „doppeltem Ausgang“ („Heil und Hölle“, Offb 20,11-15). Das „Preis-Gericht“ für die Gemeinde von Jesus Christus wäre davon inhaltlich sowie endzeitlich-chronologisch zu unterscheiden (vgl. 1Kor 3,11-17; 2Kor 5,10; Joh. 5,24; 1Kor 6,2).
  7. Es folgt der Weltuntergang im Feuer (2Petr 3,10-13) und
  8. die Neuschöpfung von Himmel und Erde, um schließlich
  9. den Beginn der „Ewigkeit“ einzuläuten, in der Gott alles in allem sein wird (Offb 21 u. 22).

Die „großen Trübsale“ (zur Läuterung) beziehen sich – jedenfalls durch AT- und NT-Aussagen nicht schlecht begründet – auf Israel, und zwar offensichtlich bevor das Friedensreich für Israel beginnen kann. Daher umfasst die Vor-Entrückung der Gemeinde neben dem Trost des Paulus an die Gemeinde auch die exegetisch und dogmatisch ermittelten Beobachtungen, dass die endzeitliche Trübsale und das erst daran anschließende tausendjährige Friedensreich Israel-spezifische Ereignisse sein werden, die nicht auf die Gemeinde und die Christus-Gläubigen bezogen werden sollten (außer natürlich im Sinne von 2Tim 3,16).

Somit steht hier die Position der Vor-Entrückung der Gemeinde von Jesus vor den „kommenden großen Trübsalen“ und vor dem Millennium als glaubhafte, biblisch begründbare Lösung zur theologischen Diskussion. Es bleibt sicherlich noch Klärungsbedarf im Bereich dieser Lehre. Einzelexegesen zu umstrittenen Bibelstellen müssten genauer diskutiert werden (z.B. das Verhältnis von Mt 24,30; Lk 21,27 mit 1Thes 4,13-5,11 usw.), hermeneutische Voraussetzungen sollten abgeklärt werden. An einer rechtgläubigen Denkmöglichkeit der Vorentrückungslehre ändert die bleibende Forderung zur Präzisierung im Detail und zur Rechtfertigung dieser Lehre zunächst einmal nichts.10

4.3 Eine Alternative: die „Nach-Entrückung“

Andere Bibelausleger bemühen sich im Rahmen des Prämillennialismus darum, die genannten Schlüsselstellen aus 1Thes 4,13ff., 1Kor 15,51-52 und Mt 24,29.30 als Beschreibung eines einzigen endzeitlichen Sachverhaltes zu verstehen (Stichwort: „letzte Posaune“). Sie betonen, dass die Gemeinde durch die Trübsalgerichte hindurch gehen müsse – bis zur Wiederkunft des Herrn zur Entrückung für die Gläubigen und bis zur Errichtung des „tausendjährigen Friedensreiches“ für Israel. Die übrigen Endzeitereignisse würden dann im linearen Ablauf dementsprechend zuzuordnen sein. Diese Ansicht wird als Nach-Entrückungslehre bezeichnet. Sie hat ebenfalls Gründe für sich. Die gründliche Prüfung beider Auffassungen ist notwendige Verpflichtung für solche, die Gottes Wort respektieren und um die dort offenbarte Wahrheit ringen.

5. Plädoyer für einen sachgerechten Dialog in Endzeitfragen

Vor jedem Streitgespräch müssen die hermeneutischen Voraussetzungen geklärt sein. Sonst wird jedes Gespräch über Endzeitfragen scheitern.Unter denen, die gewissenhaft mit und unter der Bibel theologisch forschen, gibt es weltweit eine große Anzahl fähiger Theologen, die akademisch kompetent, seriös und begründet Antworten geben, wie und warum die Vor-Entrückung plausibel, schriftgemäß und für den Glauben wichtig ist (Charles C. Ryrie, D. L. Pentecost, J. Walvoord usw.). Tim LaHayes populäre, oft (leider) effekthascherisch gestaltete Publikationen sind auf jeden Fall nicht die einzigen „Untersuchungen“ zur Vor-Entrückungslehre. Die gegenwärtige seriöse theologische Forschung ist – sofern Forscher die Vorentrückung biblisch begründet in die theologische Diskussion als eschatologische Denkmöglichkeit einbringen – wesentlich umfangreicher, fern jeder Belletristik. Diese Tatsache ist im deutschsprachigen Raum wenig bis gar nicht bekannt. Daneben gibt es natürlich auch kompetente, fähige, wiedergeborene Bibelleser und Theologen, die die Vorentrückungslehre aus exegetischen Gründen ablehnen.

Die Auseinandersetzung mit den Argumenten dieser theologischen Position der „Vor-Entrückungslehre“ muss sachlich geführt werden, nicht konfessionalistisch oder vorurteilsbehaftet, weil auf beiden Seiten „Geschwister in Christus“ ihre Sache vortragen. Ich bin deshalb für eine offene disputatio im klassischen Sinne, ein organisiertes „Streitgespräch“ zur Klärung von Sachfragen, bei der die kritischen Anfragen und Probleme der Vor-Entrückungslehre, aber damit untrennbar verbunden auch die der gesamten christlichen Eschatologie zur Sprache kommen.

Dabei müssten dann natürlich auch die hermeneutischen Voraussetzungen der jeweiligen theologischen Schulrichtungen auf den Tisch und sachgerecht er- bzw. „geläutert“ werden. Ohne diese Darlegung, die ich in folgenden Fragenkatalog geliedert habe, wird jedes Gespräch über Endzeitfragen zwangsläufig scheitern. Zu klären wäre:

  • Literalsinn – Ja/ Nein ? Wie begründet? Welche Grenzen? (sensus literalis et claritas scriptura in verbum externum nach Luther)
  • Welche Art von „Literalsinn-Hermeneutik“ wird befürwortet?
  • Umgang mit und Wertung der Typologie bzw. der allegorischen Auslegung der Schrift?
  • Auslegungskriterien, Sinn und Bedeutung biblischer Apokalyptik: Wie deutet man die apokalyptischen Sprache bzw. die Apokalyptik als Genre?
  • Vergeistlichung des AT/ der Evangelienaussagen ist erlaubt? – Ja/ Nein ? Wie begründet?
  • Unterschiedliche „Hermeneutische Zugänge“ zur Bibel – welche/ warum?
  • Klärung der Fragen nach den Adressaten der biblischen Prophetie und
  • nach dem Grade der Erfüllungsgenauigkeit biblischer Verheißungen etc.

Die Endzeitlehre des christlichen Glaubens ist zu einem hohen Grad klar in der Schrift bezeugt und klar und einwandfrei ausformulierbar. Gewisse Details bleiben nach wie vor biblisch-theologisch „unscharf“. Doch Letzteres darf nicht dazu führen, die Aussagen der Schrift zur Endzeit auf ein Minimum beschränken zu wollen oder diese gar als irrelevant abzutun. Das wäre biblisch- und offenbarungstheologisch nicht sachgerecht.

DENN: Die biblische Eschatologie und die gelebte christliche Existenz im Hier und Heute sind nach der Schrift viel stärker miteinander verbunden und ineinander verwoben, als viele Gläubige oft wahrhaben wollen (z.B. durch eine aktive Erwartungshaltung: „Marathana, Herr, komme bald“ oder vgl. 2Petr 3,11-13). Christliche Heiligung und christliche Ethik sowie gelebtes Leben als Gemeinde von Jesus sind in vielen Punkten direkt mit einer futurischen Endzeiterwartung der Bibel verknüpft (Wiederkunft von Jesus, Weltgericht, Heilsgewissheit, Weltuntergang, Trübsale, neue Welt usw.) oder sogar dadurch begründet, in vielen Fällen wenigstens durch sie motiviert.

Christen sollten daher theologisch ernsthaft über die Möglichkeit einer „Vor-Entrückung“ ringen. Überspannte Endzeit-Spinnereien oder spekulative (auch säkulare) Endzeithysterien, z.B. im Sinne der aktuellen, religiösen Charakter tragenden Klima-Debatte und der damit zusammenhängenden Angst vor dem Weltuntergang, sind dabei natürlich abzulehnen. Ich plädiere vielmehr für ein gemeinsames, nüchternes Bemühen und ein besonnenes Ringen um Wahrheit, auch in Details der Endzeitlehre.

An dem Fürwahrhalten oder der Ablehnung bestimmter Endzeitlehren hängt jedoch in der Regel keine unmittelbare Heilsnotwendigkeit. Also bitte, liebe Brüder und Schwestern in Christus, lasst uns sachlich, biblisch abgewogen um die Wahrheit in Endzeitfragen ringen, dabei bitte nicht diffamieren oder schmähen. Könnten sich viele Christen auf solch ein „faires“ Verfahren im Umgang miteinander einigen, wäre in vielen Fällen schon viel gewonnen für das Miteinander im Leib des Christus oder auch für das sachlich gebotene theologische Streitgespräch, das immer wieder – auch in Endzeitfragen – geführt werden muss.


  1. Viele, eher liberal-theologische Richtungen lehnen eine „linear futurische Historizität“ endzeitlicher Aussagen oder „heilsgeschichtliche Periodisierungen“ der Bibel meistens aufgrund bestimmter Ergebnisse der historisch-kritischen Forschung, aufgrund philosophischer Konzeptionen im Umgang mit dem Begriff „Zeit“ oder aufgrund des angeblich zwielichtigen Genres „Apokalyptik“ ab. 

  2. Deutsch: Das Finale etc., insgesamt 12 Bände. 

  3. Vgl. die Auffassung des „progressiven Offenbarungsverständnisses“ 

  4. Tendenz zu einer Lehre, die die Kirche durch die „bevorstehenden Trübsale“ gehen lässt. 

  5. Hier klingen Spielarten der Substitutionslehre bzw. der Ersatztheologie an. 

  6. Vgl. auch die Tränen von Jesus über Jerusalem und das damit verbundene Urteil: Mt 23,38 par. 

  7. Auf die Überschneidung und Kontinuität von „Reich Gottes“-Aspekten, die in Jesus selbst bzw. in der Gemeinde „erfüllt“ sind, und solchen, die für Israel noch zukünftig erfüllt werden, kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Es gibt eine Schnittmenge zwischen Reich Gottes-Attributen für die Gemeinde heute und das zukünftige Israel, vgl. Röm 14,17; „Neuer Bund“ in Hebr 8 usw. 

  8. Der Weinstock in Röm 11 ist nicht Israel, sondern ein illustrativer Ausdruck der Verheißungen an Abraham, Isaak und Jakob (= Väterverheißungen). Die natürlichen Zweige, von denen Paulus spricht, über die Abraham-Isaak-Jakob-Linie verkörpern „Israel“, weil es „natürlich“ aus dem Weinstock der Väterverheißungen herausgewachsen ist. Die eingepropften ‚fremden’ Zweige verkörpern die Nationen, die nie Anteil hatten an den Väterverheißungen. So lautet die stringente Argumentation des Paulus in allen seinen Briefen. Demnach werden Christus-Gläubige nicht in Israel eingepflanzt – was in der Theologie des Paulus absurd wäre – sondern in die Abrahamverheißung des Glaubens (vgl. Eph 2,11-16; Röm 9,1-5; Röm 4; Gal 3,16-18 u.v.a.). 

  9. Eine Detailexegese und die dogmatische Zusammenschau müssten das letztlich klären. Nicht jede Exegese überzeugt auf Anhieb. Doch ein faires Ringen um die Wahrheit bei strittigen Aussagen ist empfehlenswert. 

  10. Diese Lösung steht zur Diskussion. Sie muss und soll abgewogen werden, da sie einige stichhaltige Beobachtungen für sich hat, die nicht leichtfertig von der Hand zu weisen sind. Es bleiben aber durchaus auch einige Probleme in der Auslegung offen, die sie in Frage stellen können. Aufrichtige Anfragen an diese Lehrauffassung sind daher Ernst zu nehmen. Nicht auf alle Anfragen gibt es bereits einleuchtende Erwiderungen aus den Reihen der „Vor-Entrückungsvertreter“.