1. Die Gründung des Bibelbundes 1894
Die Zeitschrift wird seit ihrem ersten Jahrgang vom „Bibelbund e.V.“ herausgegeben. Die Wurzeln des Bibelbundes reichen bis ins Jahr 1894 zurück. Damals trafen sich einige lutherische Pfarrer und Kirchenvertreter, um gegen die Bibelkritik zu protestieren. Im Pfarrhaus in Hohenselchow in Pommern gründeten sie damals den Bibelbund als Sammelbecken für bibeltreue Christen im Lande. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten: Pfarrer Gustav Sauberzweig (Hohenselchow), Professor Theodor Beyer (Neustettin), Superintendent August Vogel (Wollin), Pfarrer Wilhelm Quistorp (Schweringsburg), Pastor Oskar Steinmeier (Zarben), Pfarrer Julius Helterhoff (Langenhagen) und Pastor Friedrich Gaedke (Robe). Alle kamen aus dem Gebiet Mecklenburg/ Vorpommern und waren bibeltreue Lutheraner.
Von Anfang an stand die Überzeugung von der Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift im Mittelpunkt des neuen Bundes. In der ersten Satzung des Vereins hieß es dazu: „Die Mitglieder bekennen sich zu dem Glauben, dass die Heilige Schrift Alten und Neuen Testamentes nach ihrem Zeugnis über sich selbst das durchaus und in allem einzelnen wahre und von jedem Irrtum freie Wort Gottes und darum die einzige Richtschnur unseres Glaubens und Lebens ist.“ Über das „Wie“ der Inspiration wollte man nicht spekulieren und ließ auch in Zukunft diese Frage offen. Aber die Irrtumslosigkeit der ganzen Heiligen Schrift an sich wurde nicht in Frage gestellt.
Die Gründungsmitgliedern des Bundes mussten dabei an zwei Fronten kämpfen. Zunächst wandte man sich gegen die Bibelkritik der damaligen universitären Theologie. Adolf von Harnack, unbestrittener Meister der liberalen Theologie, hatte Anfang der 90er Jahre in einem Vortrag über das Apostolische Glaubensbekenntnis1 das Evangelium auf den gütigen Gott im Himmel reduziert. Die Lehre von Christus gehöre, nach Harnack, nicht zur ursprünglichen Botschaft des Christentums. Dagegen wandte sich der Bibelbund.
Aber selbst innerhalb des konfessionellen Luthertums bröckelte Anfang der 90er Jahre der Konsens um die Bedeutung der Heiligen Schrift. An diesem Punkt läuteten die Alarmglocken der genannten Pfarrer. Die Bibelkritik begann nun auch in die eigenen Kreise einzudringen und machte sich an der Gemeindebasis bemerkbar. Sie hatte längst die Katheder der Universitäten verlassen und sickerte nun in breite Bevölkerungsschichten durch. Hier musste etwas geschehen, wollte man nicht einen Totalschaden der ganzen Kirche mit ansehen.
Schwerpunktmäßig kamen die Mitglieder des Bibelbundes in den ersten Jahren aus Pommern, Schlesien und Sachsen, nur wenige aus dem Westen des Reiches. Zu ihnen zählten so bekannte Persönlichkeiten wie der Evangelist General von Viebahn (1840-1915), Superintendent Wilhelm Kölling, der Seminardirektor der Leipziger Mission Julius Greve, der Missionsinspektor der Breklumer Mission Bracker, Verleger Gottlieb Koezle, Pfarrer und Alttestamentler Eduard Rupprecht und Superintendent Wilhelm Rohnert. Einer der führenden Mitglieder des Bibelbundes war auch der unierte Superintendent in Pleß (Oberschlesien) Dr. Wilhelm Kölling (1836-1903).
1903 zählten sich 157 Mitglieder zum Bibelbund, ein Jahr später waren es schon 191. Etwa 70% waren Pastoren der Landeskirchen. Erste Schriften des Bundes erschienen ab 1897 im Verlag Wollermann in Braunschweig, darunter wichtige Arbeiten zum Pentateuch und zur Archäologie. Autoren waren u.a. Theodor Beyer, Adolf Zahn und Julius Greve.
2. 1901 bis 1911: „Nach dem Gesetz und Zeugnis“ unter Friedrich Gaedke
Ab April 1901 erschien erstmalig die Zeitschrift des Bibelbundes. Ihr Titel: „Nach dem Gesetz und Zeugnis“. Damit war eine Form gefunden worden, die Mitglieder regelmäßig über die geistliche Situation im Land zu informieren und gegen die Bibelkritik Stellung zu beziehen. Den Titel des Blattes leitete man von Jesaja 8,20, wo es nach der alten Lutherübersetzung im Zusammenhang hieß: „Wenn sie aber zu euch sagen: Ihr müsset die Wahrsager und Zeichendeuter fragen, die da flüstern und murmeln, so sprecht: Soll nicht ein Volk seinen Gott fragen, oder soll man die Toten für die Lebendigen fragen? Ja nach dem Gesetz und Zeugnis! Werden sie das nicht sagen, so werden sie die Morgenröte nicht haben“ (Jes 8,19-20). „Nach dem Gesetz und Zeugnis“ galt in diesem Text also als Aufruf zur Umkehr zu Gott und seinem Wort. Spätere Übersetzungen sprachen von einem Zurück zur „Weisung und Offenbarung“. Dieser Bußruf sollte durch die neue Zeitschrift über das geistlich tote Deutschland gerufen werden.
Erster Schriftleiter wurde das Gründungsmitglied Pfarrer Friedrich Gaedke (1863-1932). Er war als einziger der Gründungsmitglieder ein Mann der Gemeinschaftsbewegung, der die Erweckungsfrömmigkeit innerhalb des frühen Bibelbundes vertrat.
Aufgewachsen in einem gläubigen Elternhaus in Pommern hatte Gaedke Theologie in Leipzig, Rostock, Berlin und Greifswald studiert. 1889 wurde er Pastor in Robe in der Synode Treptow. Bekannt wurde er durch die Förderung der Mission und durch seine evangelistischen Predigten. Ab 1905 engagierte er sich in der Gemeinschaftsbewegung und war auch einige Zeit Vorsitzender des Pommerschen Brüderrates. Seit 1919 wirkte er als Missionsinspektor der Liebenzeller Mission.
Die Zeitschrift erschien damals monatlich in einem Umfang von jeweils 32 Seiten, d.h. jährlich immerhin 384 Seiten. Die Jahresgebühr lag bei drei Mark. In der Aufteilung der Hefte ging es um biblisch-erbauliche Betrachtungen und wissenschaftliche Abhandlungen. Geistliche Speise und akademische Betrachtung sollten also bewusst nebeneinander stehen. So verwundert es nicht, dass man z.B. einen Jahresplan für die Bibellese neben einer Widerlegung der religionsgeschichtlichen Schule abdruckte. Daneben berichtete man von den Aktivitäten des Bibelbundes und den Eintritten von neuen Mitgliedern. Biblische Fragen konnten an den Schriftleiter gestellt werden und wurden ausführlich beantwortet.
Die ersten Jahrgänge der Zeitschrift richteten sich insbesondere an Pfarrer, die auch den größten Teil der Mitglieder ausmachten. Die Sprache war klar und kernig, jedoch nicht polemisch. Über die Bibelkritiker seiner Tage urteilte Gaedke: „Wenn die Herren doch bedenken wollten, welchen Schaden sie mit ihrer ‚Wissenschaft‘ anrichten und wie vielen sie dadurch zum völligen Unglauben an der Bibel und zum ewigen Verderben verhelfen! Wenn das Licht der Offenbarung ausgelöscht und verdunkelt wird, so wird Tausenden das Licht des Trostes in ihrer Trübsal und das Licht der Hoffnung am Rande des Grabes genommen. Mit verfinstertem Herzen gehen sie in der Stunde des Todes in die ewige Finsternis.“2
Wichtige Themen waren damals der „Bibel-Babel-Streit“, die Quellenscheidung im Pentateuch, die Frage nach dem Verhältnis von Bibel und Naturwissenschaft und die Schrifthaltung Martin Luthers. Weiter kämpfte man auch gegen das Eindringen der Bibelkritik in die Kreise des konfessionellen Luthertums, aber auch der Gemeinschaftsbewegung. Zum Beispiel kritisierte man die offene Schrifthaltung des bekannten Evangelisten Samuel Keller und die eigentümlichen Textkonstruktionen von Johannes Lepsius, beides profilierte Vertreter der Gemeinschaftsbewegung.3 Zudem wandte man sich gegen die nicht eindeutige Schrifthaltung der unter Friedrich von Bodelschwingh eröffneten Theologischen Schule in Bethel.
Gaedke beschäftigte sich als Schriftleiter intensiv mit der Frage nach der Schöpfung im Kampffeld der Naturwissenschaften. Hier hat sich der Bibelbund von Anfang an auf die Seite der Kreationisten gestellt, die gegen die Evolutionslehre eine wörtlich verstandene 24-Stunden-Schöpfung vertreten. Auch in der Frage nach den geologischen Zeitskalen trat Prof. Endemann für eine junge Erde ein. In dieser Zeit waren diese Aussagen mutig und ein einsamer aber wichtiger Ruf, den Aussagen in 1Mose 1 vollständig zu vertrauen.
Einige weitere Überschriften von Artikeln dieser Zeit seien angeführt: „Zur Theologie Ritschls“; „Die Echtheit des Daniel“; „Das Alte Testament und Wellhausen“; „Konnte Jesus sündigen?“; „Gibt es zwei Schöpfungsberichte?“; „Was lehren die lutherischen Bekenntnisse von der heiligen Schrift?“; „Das Verhältnis der Evangelien zueinander“; „Jesaja als Zeuge gegen den Deuterojesaja“. Man merkt, wie stark die Schreiber sich an der aktuellen theologischen Diskussion beteiligten. So überrascht es nicht, dass häufig auf Neuerscheinungen von kritischen Theologen oder auf Ereignisse in den Landeskirchen eingegangen wurde. Der Bibelbund versteckte sich nicht, sondern wollte ein gewichtiges Wort im Kampf um die Bibel beitragen.
3. 1911 bis 1918: Die „Ära Steinmeier“
Gaedke legte 1911 die Schriftleitung von Nach dem Gesetz und Zeugnis nieder, die Gründe hierfür sind nicht bekannt. Trotzdem blieb er auch in Zukunft dem Bibelbund mit Beiträgen verbunden. Bis 1918 sprang der Vorsitzende Pfarrer Oskar Steinmeier aus Stettin ein. Die wichtigsten Autoren in dieser Zeit waren wieder Endemann, Beyer und der neue Schriftleiter. Auch jetzt druckte man noch jeden Monat eine Ausgabe mit 32 Seiten. In der Sparte „Allerleirauh“ gab Steinmeier regelmäßige Berichte über die geistliche Situation im Deutschen Reich. Obwohl es in diesen Jahren dem Bibelbund finanziell nicht immer gut ging, kamen doch neue Mitglieder hinzu: Dr. Emil Dönges, Dr. Georg Stosch, Prof. Hashagen und Pfarrer Johannes Kuhlo aus Bethel. 1915 begrüßte man das 300ste Mitglied im Bibelbund.
Steinmeier war der Monarchie streng ergeben und begann, auch zu politischen Fragen im Bibelbundorgan Stellung zu nehmen. Die damals aufkommende Kritik am Kaisertum war für ihn im Grunde ein Resultat der Kritik an Gott und seinem Wort. Sozialdemokratie stand gleichbedeutend mit Gottlosigkeit. So verwundert es nicht, dass er im 1. Weltkrieg eine scharfe Lanze gegen England und seine Verbündeten brach. Man zitierte gerne aus den englandfeindlichen „Kriegsaufsätzen“ von Houston Stuart Chamberlain. Den Kriegseintritt der USA bezeichnete man als Schmach für alle Amerikaner. Englische Lieder sollten aus den Gesangbüchern gestrichen werden. Das eigentliche Anliegen des Bibelbundes, die Verteidigung der Inspiration der Schrift, trat leider damals in den Hintergrund.
Im 1. Weltkrieg führte man auch eine Rubrik über Erlebnisse von der Ost- und Westfront ein. Immer wieder finden sich Aufrufe zum ernstlichen Gebet für den Sieg des deutschen Volkes über die Feinde. Als die Erfolge mit den Jahren ausblieben und der Krieg endgültig verloren war, suchte man nach Antworten. War nicht der allgemeine Abfall von Gott in der Gesellschaft der Hauptgrund für die Niederlage? Hatte man sich nicht in Selbstüberhebung und Hochmut gesonnt, nachdem die ersten Kriegserfolge bejubelt worden waren?
Bibelbund nicht totschweigen, sondern sich mit seinen Argumenten auseinandersetzen
Interessante Artikel zum eigentlichen Anliegen des Bibelbundes finden sich aber doch ab und an in den Jahrgängen. So eine schriftliche Kontroverse zwischen dem Alttestamentler Prof. Eduard König und Professor Karl Endemann vom Bibelbund. König galt als ein gemäßigter Bibelkritiker und hat Zeit seines Lebens immer wieder auf den Bibelbund hingewiesen, ohne seine Schrifthaltung zu teilen. Im Gegensatz zu seinen Universitätskollegen schwieg er den Bibelbund nicht tot, sondern setzte sich mit seinen Argumenten auseinander.
4. In der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“
Nach dem Tode Steinmeiers folgte als Schriftleiter von 1918 bis 1937 Heinrich Cornelius, ab 1929 in Zusammenarbeit mit dem Alttestamentler Wilhelm Möller. Cornelius war damals Pfarrer an der St. Michaeliskirche in Lütjenburg und über Prof. Endemann zum Bibelbund gestoßen. Seinen Dienst für den Bibelbund sah er zunächst nur als einen „Notnagel“, war aber bereit, mit seinen Fähigkeiten in die Bresche zu springen. Durch den Tod von Steinmeier war eine erhebliche Lücke im Bibelbund entstanden. In der Schriftfrage stand Cornelius unverbrüchlich zur Satzung des Bibelbundes: „Wir stehen mit diesem Bekenntnis zur Irrtumslosigkeit der Bibel voll und ganz auf dem Formalprinzip der deutschen Reformation… Wir meinen, wer ernst macht mit jenem Bekenntnis, dem müsse auch die Stellung des Herrn zur Schrift maßgebend sein!“4
Auslegungsserien lieferten Anfang der 20er Jahre Dr. Arnold Braune über Hesekiel, Prof. Theodor Beyer über die Chronik-Bücher und Prof. Dr. Karl Endemann über den Jakobusbrief. So wollte man auch die biblische Unterweisung der Gemeinde Jesu sicherstellen. Auffallend sind die vielen Buchbesprechungen in dieser Zeit. Kaum eine Ausgabe, in der nicht zwanzig und mehr neue Bücher vorgestellt oder rezensiert wurden. Inhaltlich ging es in diesen Nachkriegsjahren mehr um die Stärkung der Gemeinde angesichts der äußeren Not – scharfe Auseinandersetzungen mit der Bibelkritik waren eher die Ausnahme.
Die Zeit nach dem ersten Weltkrieg war wirtschaftlich eine Krisenzeit. Die Papierqualität wurde immer schlechter, der Umfang der Zeitschrift ging aus Geldmangel zurück. Manchmal war der Druck so schwach, dass man kaum einen Artikel richtig entziffern konnte. Nun fing man auch an, Doppelnummern für zwei Monate herauszugeben, später sogar für drei Monate. Während der Inflationszeit stiegen die Ausgaben für ein Heft auf 7 Milliarden DM! Hilfe kam damals aus dem Ausland, vor allen Dingen aus Schweden, Holland, und Nordamerika, wo Freunde des Bibelbundes größere Beträge zur Verfügung stellten. Nur durch ihre Hilfe gelang es, dass der Bibelbund überhaupt seine Arbeit weiterführen konnte. Zur Weimarer Republik fand der Bibelbund wie so viele andere Christen keine ausgewogene Stellung. Heinrich Cornelius nahm 1919 den Kaiser und General Ludendorff gegen jede Kritik in Schutz. Mit der Demokratie konnte man nichts anfangen – auch weil sie sich schlecht verkaufte.
Einen sichtlichen Aufschwung gab es dann mit dem Jahre 1925. Immer mehr neue Mitglieder konnten im Bibelbund begrüßt werden, so z.B. Pfarrer Theophil Krawielitzki vom Deutschen Gemeinschafts-Diakoniewerk, Johannes Warns und später Erich Sauer von der Bibelschule Wiedenest, Fritz Rienecker u.a. Der Umfang der Hefte stieg wieder auf jährlich über 400 Seiten. Auch das Niveau stieg und man beschäftigte sich wieder mit den theologischen Fragen um die Bibel. Seit 1924 gab es mehrjährige öffentliche Hauptversammlungen des Bibelbundes in Berlin und anderen Stätten, zu denen teilweise bis zu 400 Besucher kamen.
Die Themen dieser Zeit waren vielfältig. Seit Mitte der 20er Jahre bewegte den Bibelbund die Frage nach der Dialektischen Theologie Karl Barths, der mit seinem Römerbriefkommentar neuen Wind in die Theologie gebracht hatte. Zwar begrüßte man das neue Fragen nach dem Wort Gottes und die Ablehnung der liberalen Theologie bei Barth, durchschaute jedoch die unbefriedigende Haltung Barths zur Irrtumslosigkeit der Bibel.5 Auch in Zukunft wurde immer wieder vor der falschen Bibelhaltung Barths gewarnt, bei der das Wort Gottes erst durch die Verkündigung zum Wort Gottes würde. Diesen Kompromiss in der Schriftfrage lehnte der Bund von vornherein ab.
1929 zog der Schriftleiter Cornelius von Lütjenburg nach Bad Salzuflen. Im Rahmen dieser Adressenänderung des Schriftleiters wurde auch Dr. Wilhelm Möller (1872-1956) gebeten, als Mitherausgeber zu fungieren. Er, der nach langem Ringen die Bibelkritik abgelegt hatte, wurde der bekannteste Autor des Bibelbundes.
Seit 1924 veröffentlichte Möller seine Erkenntnisse über das Alte Testament in der Zeitschrift des Bibelbundes . Hier fand er nach Jahren der Einsamkeit die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, in der sich seine Gaben entfalten konnten. Möllers tiefgründige Artikel gehören zu dem Besten, was in Nach dem Gesetz und Zeugnis je erschienen ist. Immer wieder ging es um die Einheit und Echtheit des Pentateuch gegen die liberale Theologie seiner Tage.
War die zweite Hälfte der 20er Jahre eine Blütezeit im Bibelbund, kam mit dem Nationalsozialismus ab 1933 eine weitere Krise. Die Mitgliederzahlen gingen wieder zurück. Vor allen Dingen durchschaute man nicht die Gefahr des heraufziehenden Nationalsozialismus, sondern hängte sich unkritisch an den Führer und seine Genossen. In dem Kampf um die Glaubwürdigkeit der Bibel übersah man den Feind von der politischen Seite.
Trotzdem war man dem Nationalsozialismus gegenüber zunächst vorsichtig. Schon früh wehrte man sich im Bibelbund gegen die Vorstellung, dass Jesus ein Arier und kein Jude gewesen sei.6 Auch der von der deutsch-völkischen Bewegung geforderte Loslösung vom Alten Testament wurde schon in den 20er Jahren widerstanden. Nach der Machtergreifung Hitlers wandte man sich gegen die politischen und religiösen Ziele der Deutschen Christen und gegen den Antijudaismus eines Ludendorff. Eine Reichskirche lehnte Cornelius schon aus konfessionellen Gründen ab.
Andererseits sprach Wilhelm Möller schon 1926 auf einer Bibelbundtagung von der „zersetzenden Wirkung des Judentums auf die Völkerwelt“. Auch sah man die antichristliche Internationale mehr im Bolschewismus, als in der Gefahr von rechts. Die Machtergreifung Hitlers begrüßte man im Bibelbund als eine Führung Gottes vor der drohenden Gefahr des Bolschewismus. Das Vorgehen des Staates gegen die Juden spielte man herunter und rechtfertigte sie mit den besonders schwierigen Verhältnissen der Zeit. Vielmehr machte man auf die Anstrengungen der Reichsregierung gegen Schund- und Schmutzliteratur und gegen die Prostitution aufmerksam. An Hitler konnte und wollte man keine Kritik üben. 1936 hieß es: „Als Deutsche wollen wir Gott danken, dass er uns einen Führer gegeben hat, der mit starker, energischer Hand dem verderblichen Einfluss des Judentums in Wirtschaft, Politik, Recht und Kultur Schranken setzt.“7 Auch Cornelius drückte mehrfach im Blatt seine Liebe zum Führer Adolf Hitler aus.
Auch für Schriftleiter Cornelius war klar, dass nach der Verwerfung Jesu durch die Juden nur noch Unheil von ihnen über die Erde kommen konnte. Die schlimmste Judenhetze formulierte Schuldirektor August Fliedner in einer Artikelserie über die Schöpfung. Nach einer Aufzählung von Gräueltaten der Juden an Christen, in denen auch die Verfolgungen unter dem Bolschewismus in Russland eingereiht wurden, entblödete der Autor sich nicht, neben die scheinbaren Kronzeugen für Judenfeindschaft wie Jesus, Paulus und Luther auch Hitler als „vierten Zeugen“ aufzuführen, der „unserm Volke mit so goldtreuem Herzen so große Wohltaten getan hat, der uns Leib und Leben behütet hat; denn sonst hätten uns die Juden schon von Haus und Hof getrieben und unsere Kirchen zerstört, ja, uns selbst ums Leben gebracht. Hitler ist der größte deutsche Staatsmann, größer als einst Bismarck; denn zum erstenmal seit Luther habe Adolf Hitler der jüdischen Lügen- und Mordpest auf den Grund gesehen und deshalb die Schutzgesetze gegen die Juden gegeben.“8
Auch Wilhelm Möller konnte sich noch 1939, als die Judenverfolgungen schon längst bekannt waren, hinter den nationalsozialistischen Staat stellen:
„Und es ist erst recht kein Geheimnis, wie unselig und verderblich sich der jüdische Geist, qualitativ betrachtet, ausgewirkt hat. Dass der Staat hier eingegriffen hat, war nicht nur sein gutes Recht, sondern seine von früheren Regierungen nicht geübte Pflicht, und alle müssen ihm das von ganzem Herzen danken, auch die evangelischen Christen; denn alle hatten in dem jüdisch verseuchten Staat mitzuleiden.“9
Für ihn gab es einen starken Gegensatz zwischen Altem Testament und heutigem Judentum, so dass man beides nicht miteinander verbinden dürfe. Auf diese Art und Weise wollte auch Möller gegen die Abschaffung des Alten Testamentes als Wort Gottes protestieren. Ja das Alte Testament galt ihm sogar als bester Verbündeter im Kampf gegen das moderne Judentum. Damit lieferte er jedoch ungewollt den Machthabern ein weiteres Argument für die Vernichtung der Juden. Zur Bekennenden Kirche hat man im Bibelbund keinen Kontakt bekommen, weil man sich zu starr an das lutherische Bekenntnis hielt. Ein Bündnis mit unierten oder reformierten Pfarrern war nicht möglich.
Im August 1937 erkrankte der Schriftleiter des Bundes, Heinrich Cornelius, ernsthaft. Fast zwanzig Jahre hatte er diesen aufopferungsvollen Dienst ehrenamtlich neben seinem Pfarramt ausgeführt. Er übergab die Arbeit in die Hände von Karl Ramge. Ramge war Strafanstaltspfarrer in Amberg in der Oberpfalz und bis dahin eigentlich nicht sonderlich im Bibelbund in Erscheinung getreten. Besonders die Theologie Vilmars hat auf Ramge gewirkt und wurde nun mehrfach in Zitaten und ganzen Artikeln angeführt. Auch Ramge war überzeugter Hitlerverehrer und fand glühende Worte für den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. 1938 wurde er auch erster Vorsitzender des Bibelbundes, konnte aber bis zum Verbot des Blattes 1939 keine neuen Impulse mehr setzen.
1939 gehörten zum Bibelbund ca. 250 Mitglieder, also 200 weniger als 1929, als man 450 zählte. In den Zwischenjahren wurde zu wenig Öffentlichkeitsarbeit getrieben, auch die Konferenzen fanden in den 30er Jahren nur noch sporadisch statt. Mit Abstand die meisten Mitglieder wohnten in Norddeutschland. Mit Kriegsbeginn hörte die eigentliche Bibelbundarbeit auf, die Katastrophe der deutschen Niederlage beendete auch im Bibelbund alle nationalen Träumereien. Zu den eigentlichen Herausforderungen der Zeit und zur Judenfrage hatte man keine Antwort gefunden.
5. Die Nachkriegsphase 1945 bis 1964
Wie auch bei vielen anderen Vereinen und Gruppierungen gestaltete sich der Wiederaufbau nach dem Kriege äußerst schwierig. Die desolate wirtschaftliche Situation und die völlige Zerschlagung der kommunikativen Einrichtungen erschwerte die Kontaktfindung der zerstreuten Mitglieder. Zusätzlich stand man vor der Problematik, dass viele Bibelbundmitglieder nach dem Kriege als vermisst galten. Niemand konnte über ihren Verbleib Auskunft geben, weshalb die Adressen aus den Listen gestrichen werden mussten. Noch 1950 fand man im Bibelbundorgan Anfragen über den Verbleib älterer Mitglieder, insbesondere aus den ehemaligen Reichsgebieten in Schlesien, Pommern, Ost- und Westpreußen, aber auch aus Polen und der Tschechei.
Das Hauptproblem war jedoch die jetzt nach und nach deutlich werdende Isolierung der Ostgeschwister. Man muss bedenken, dass ca. 60% der Mitglieder in der späteren DDR oder in Schlesien lebten. Die Hauptführer des Bibelbundes in der Vorkriegszeit waren fast ausschließlich Ostdeutsche gewesen. Eine Neubelebung des Bundes – und das wurde spätestens 1949 klar – konnte aber nur von Westdeutschland aus gelingen. Die dortige schmale Mitgliederbasis verzögerte jedoch den zügigen Wiederaufbau. Eine Ausnahme bildete allein Baden-Württemberg.
Wir wissen, dass gleich nach dem Kriege im württembergischen Raum jährliche Tagungen des Bibelbundes abgehalten wurden. Durch Rundbriefe wurden die Mitglieder dort über den Fortgang der Arbeit unterrichtet. Diese Ausweitung des Bibelbundes in Württemberg führte jedoch zwangsläufig zu einer Veränderung in der Ausrichtung des Bibelbundes, die für den Fortgang entscheidend wurde: man wandte sich vom lutherischen Konfessionalismus hin zum Pietismus.
Wir müssen uns noch einmal vergegenwärtigen, dass der Bibelbund vor dem zweiten Weltkrieg eine fast ausschließlich innerkirchlich-lutherische Angelegenheit war. Obwohl es auch einige Mitglieder aus Freikirchen und der Gemeinschaftsbewegung gab, so standen sie doch nur am Rande. Die entscheidenden Leute im Bibelbund waren bis zu diesem Zeitpunkt überzeugte Mitglieder der lutherischen Landeskirchen. Immer noch bildeten die Pfarrer die Mehrheit der Mitglieder. Sie waren es, die bis dahin die meisten Artikel geschrieben und auf den Versammlungen geredet hatten.
Nach 1945 änderte sich diese Situation. Immer mehr Pietisten aus Württemberg schlossen sich dem Bibelbund an. Ihr geistiger Hintergrund war der Neupietismus der Erweckungsbewegung. Hier standen Wiedergeburt und Bekehrung wesentlich mehr im Vordergrund als im Luthertum. Heiligung und einfältiges Christenleben wurden betont, weniger der Kampf um die rechte Lehre. Diese unterschiedlichen Traditionen – hier Luthertum, dort Pietismus – trafen nun Ende der 40er Jahre im Bibelbund aufeinander. Dass es dabei zu Konflikten kommen musste, versteht sich fast von selbst.
Die ersten Konsequenzen zog der damalige Vorsitzende des Bibelbundes, Karl Ramge. 1946 reichte er seinen Rücktritt ein, weil er es nicht mit ansehen wollte, wie aus einem lutherischen Kämpferbund ein „farbloser Erbauungsbund“ gemacht wurde.
Im März 1950 erschien nach über 10jähriger Pause wieder das erste Heft von Nach dem Gesetz und Zeugnis. Als Schriftwart zeichnete Friedrich Hübner (1881-1953) verantwortlich, Pastor i.R. in Albersdorf/ Holstein. Der neue Schriftleiter, der schon 1930 zum Bibelbund gestoßen war, schrieb in der Erstausgabe über die Ziele des Bibelbundes:
„Noch ist ja die Stimme unseres Bundes keineswegs überflüssig geworden… Es kommt bei Theologen und Nichttheologen in diesen unseren Kirchen ganz und gar darauf an, wie man sich der Bibel nähert. Es gibt nur eine gültige Art das zu tun, nämlich dass ihnen dieses Wort des ewigen, allmächtigen Gottes, dieses Wort Seiner Geduld in Christus (Offb. 3,11) das für den, der es annimmt, das gerechte Wort des göttlichen Zornes in das Wort Seiner Gnade und Huld wandelt, so wichtig ist, dass sie aus allen seinen Teilen Gott selber hören.“10
An der Überzeugung von der Irrtumslosigkeit der Schrift wollte der neue Schriftleiter keinen Zweifel lassen. Der Rückgriff auf die alte Orthodoxie schien Hübner der Ausweg aus dem Dilemma der kraftlosen Kirche. Und so ist es nicht verwunderlich, dass gleich in der ersten Nummer auch auf die sogenannte Entmythologisierungstheologie Rudolf Bultmanns eingegangen wurde, die in den 50er Jahren die Kirche zu erobern drohte. Hier hatte man eine neue Gefahr für die Gemeinde Jesu entdeckt, der man zu Leibe rückte.
Pfarrer Hübner brachte für den Bibelbund eine entscheidende Voraussetzung mit: Er kannte das Luthertum und den Pietismus aus seiner eigenen Lebensgeschichte. Aufgewachsen in Linden-Hannover war er streng lutherisch erzogen worden, traf aber auf dem Missionsseminar in Breklum auf den pietistischen Geist der Erweckten. In Kombination beider Elemente ging er als Missionar der Breklumer Mission nach Indien und holte nach seiner Rückkehr sein Theologiestudium in der Heimat nach. Im Pfarramt traf er, durch Pfr. Cornelius vermittelt, 1930 auf den Bibelbund, dem er sich bald anschloss. In der Zeit nach dem Krieg war für den Bibelbund ein Mann von Nöten, der Pietismus und Luthertum miteinander verbinden konnte – und da war Hübner gerade recht.
Nach und nach wurden in dieser Aufbauzeit auch neue Autoren für den Bibelbund gewonnen. Zunächst war Dr. Gahr aus Erlangen sehr aktiv. Dann finden sich Aufsätze von Dr. Theophil Flügge aus Berlin. Flügge stand zu dieser Zeit in harten Kontroversen mit der ostdeutschen Kirchenleitung über die Glaubwürdigkeit der Bibel. Thematisch ging es von Anfang an wieder fast ausschließlich um die Bibelfrage und die Zurückweisung der Bibelkritik. Die Theologie Karl Barths wurde ebenso in Frage gestellt wie der schon erwähnte Neuansatz Bultmanns, aber auch die Ablehnung der Verbalinspiration beim Gemeinschaftsmann Dr. Ludwig Thimme. Ausführlich unterrichtete man die Leser auch über die Ausgrabungen in Qumran und den Bestseller von Immanuel Velikowsky Welten im Zusammenstoß. Der konservative lutherische Theologieprofessor Hermann Sasse führte eine längere Auseinandersetzung um die Schriftfrage mit dem Bibelbund. Thematisch ging es in den ersten Nummern mehrfach auch um die Allversöhnungslehre, die gerade im württembergischen Raum manche Anhänger hatte. Umstritten blieb noch die Frage nach der Evolutionslehre: Vertreter einer vermittelnden Position (theistische Evolution) und eines strengen Kreationismus standen sich Mitte der 50er Jahre gegenüber. Aber schon in dieser Zeit finden sich Artikel des bekannten Prof. Dr. Wilder-Smith.11 Kritisch äußerte sich der Bibelbund damals zur aufkommenden ökumenischen Bewegung.
Im Bibelbundorgan berichtete der Schriftleiter auch über persönliche Nöte und Veränderungen im Kreis der Mitglieder. Überhaupt überwog in dieser Zeit die persönliche Note des Bibelbundes, dem es um Austausch und Ermutigung der einzelnen Mitglieder ging. Der Schriftleiter Friedrich Hübner entfaltete hier eine rührige Aktivität. Von Bedeutung war auch die Einführung einer „Theologischen Beilage“ zur Zeitschrift, in der anspruchsvolle Artikel für theologisch vorgebildete Leser erschienen. Nicht vorgebildete Leser konnten diese Rubrik überspringen.
Die ersten Hefte der Zeitschrift Nach dem Gesetz und Zeugnis seit 1950 hatten noch eine recht einfache Aufmachung.
Da das Geld knapp war, musste man auf billiges Papier zurückgreifen. Auch der Umfang der Hefte reichte zunächst nicht über 30 Seiten hinaus. Alles in allem war der Beginn noch sehr bescheiden und unprofessionell. Alle Arbeiten geschahen ehrenamtlich. Der Haushalt belief sich im Geschäftsjahr 1949/50 auf nur 2.400,- DM und mehrmals musste der Druck hinausgezögert werden, bis genügend Beiträge eingegangen waren. Und doch entstand durch die Treue der Mitarbeiter aus einem kleinen Kreis eine schlagkräftige Gruppe für die Zukunft. Der Beharrlichkeit der damaligen Vorstandsmitglieder ist es zu verdanken, dass die Bibelbundarbeit überhaupt weitergeführt wurde.
Es war ein harter Schlag für den Bibelbund, als Hübner plötzlich am 21. Mai 1953 starb. In den Riss trat damals das Ehrenmitglied Christoph Schulz aus Leonbronn. Zu dieser Zeit hatte der Bibelbund nur 372 Mitglieder, 60 davon in der „Ostzone“. Es zeigte sich nun, dass der Bibelbund zu wenig organisiert war, denn nach dem Abgang von Ramge hatte es keinen festen Vorstand mehr gegeben. Eine Neubelebung war dringend notwendig, wollte man in Zukunft die Arbeit fortführen.
Als ein weiterer wichtiger Einschnitt in der Geschichte des Bibelbundes ist der Eintritt von Pfr. Fritz Rienecker (1897-1965) zu sehen. In einer Phase des Niederganges und der Unsicherheit über den weiteren Fortgang trat hier ein Gottesmann an, der die geistlichen und organisatorischen Fähigkeiten mitbrachte, an alte Zeiten anzuknüpfen und neue Perspektiven zu wagen. Rienecker, ein gebürtiger Sachse, hatte Theologie und Pädagogik in Berlin, Kiel und Hamburg studiert und war dann Mitarbeiter Im Verlag Ihloff in Neumünster geworden. Bald begann sein schriftstellerischer Dienst, so als Redakteur der Zeitschriften „Nimm und lies“ und „Auf der Warte“. Seit 1949 war Rienecker Dozent für Systematische Theologie und Neues Testament an der Evangelischen Akademie in Braunschweig, danach bis 1957 am Predigerseminar auf St. Chrischona.
Auf der Mitgliederversammlung 1953 in Bad Cannstatt wurde Rienecker um die Schriftleitung und den Vorsitz im Bibelbund gebeten. Man hatte kaum Aussicht, den durch seine vielen Dienste überbeschäftigten Bruder für das Amt zu gewinnen. Rienecker selbst war auch zunächst vorsichtig und wollte die Arbeit nur vorläufig für ein Jahr übernehmen. Trotzdem wurde sein Entschluss mit Jubel aufgenommen. Durch sein Ansehen war man hoffnungsvoll gestimmt, dass es mit dem Bund nun aufwärts gehen könnte.
Anfang 1954 verband Rienecker das Organ Nach dem Gesetz und Zeugnis mit dem Informationsdienst für biblische Fragen von Prediger Eugen Reichart in Zürich, um noch mehr Leser aus der Schweiz zu gewinnen. Die Werbung und Auslieferung übernahm nun der Brockhaus Verlag in Wuppertal, wobei weiterhin bei der Firma Killinger in Reutlingen gedruckt wurde. Die internationalen Beziehungen von Fritz Rienecker und Rolf Brockhaus sollten dadurch genutzt werden. Auch die gesamte Geschäftsführung wurde damals durch den Brockhaus Verlag abgewickelt, was eine ungeheure Erleichterung für die ehrenamtlichen Kräfte bedeutete.
Ein weiterer wichtiger Einschnitt zu Beginn der Tätigkeit Rieneckers war der Namenswechsel der Zeitschrift in „Bibel und Gemeinde“ ab Dezember 1954. Damit wollte man einen leichter verständlichen Titel vorlegen, denn mit der bisherigen Bezeichnung konnten damals schon wenige etwas anfangen. Hintergrund war auch der Wunsch Rieneckers, unbedingt neue Leser zu gewinnen. Bis dahin gab es nur 500 Mitglieder und Leser. Ein neues Cover, ein neuer Titel, durchgehend zweispaltiger Text und ein frischer Inhalt sollten die Sache attraktiver machen. Ein Hauptanliegen Rieneckers war die Förderung der wissenschaftlichen Schriftforschung auf bibeltreuer Grundlage.
Die meisten Artikel in der Zeitschrift kamen nun aus der Feder des neuen Schriftleiters Rienecker. Wichtig wurden die Artikel über das „Leid in der Welt“ und die vielen Einführungen in biblische Bücher. Vor allen Dingen merkte man aber, dass Rienecker den Bibelbund wieder an die aktuelle Diskussion um die Schriftfrage heranführen wollte. So finden sich in der Rezensionsspalte Auseinandersetzungen mit modernen theologischen Werken von Martin Noth, Franz Mussner, Rudolf Bultmann u.a. Und auch grundsätzliche Artikel zur Bibelinspiration fallen beim Lesen ins Auge.
Zum Bibelbund kamen damals solch profilierten Männer wie Hans Bruns, Friedrich Hauss, Ernst Schrupp, Heinrich Jochums u.a. Weitere interessante Themen im Heft waren die Stellung zu Karl Barth, Fragen nach der Quellenscheidung in den Evangelien, die Bedeutung des Judentums in der Gegenwart und die Haltung zur neuen Naturwissenschaft. Mit dem Jahr 1961 vervierfachte sich der Umfang der Hefte von Bibel und Gemeinde – ebenfalls ein Indiz für Wachstum. Nun druckte man jeweils 40 Seiten auf gutem Papier. Besonders die Stuttgarter Tagung 1960 im Haus des CVJM scheint in vielerlei Hinsicht ein Durchbruch für den Bund gewesen zu sein. Dort sprachen zum Thema „Bibel und Naturwissenschaft“ u.a. Prof. Hans Rohrbach und der damals noch recht unbekannte Drs. Samuel Külling. Erstmals erschienen zu den Vorträgen bis zu 600 Besucher. Der Durchbruch war geschafft: Nach Jahren der Stagnationen war die Bedeutung der Bibelfrage wieder in das Bewusstsein der Gemeinde Jesu gestellt. Die scharfe Kritik auf den theologischen Lehrstühlen führte zu einer Gegenreaktion auf Gemeindebasis und in der Pfarrerschaft. Hier half der Bibelbund vielen angefochtenen Brüdern und Schwestern mit fundierter Analyse und Kritik an der Kritik. Die eigentliche Aufgabe des Bundes konnte gerade in den 60er Jahren effektiv verwirklicht werden.
Seit 1963 ging es aber mit der Gesundheit von Fritz Rienecker bergab. Er gab den Vorsitz des Altpietistischen Gemeinschaftsverbandes auf und konnte nur auf Drängen des Bibelbundvorstandes überzeugt werden, weiter dem Bund vorzustehen. Aber die gesamte Arbeitslast ruhte seit dieser Zeit auf den Schultern von Missionar Reinhard Hildenbrand in Bad Liebenzell. Trotzdem stieg die Zahl der Mitglieder. Auch die Tagungen waren weiter gut besucht. Im Kampf gegen die Entmythologisierung suchte man immer mehr den Kontakt zu geistverwandten Geschwistern im In- und Ausland.
6. Die „Ära Külling“ 1965 bis 1979
Nach dem gesundheitlich bedingten Rücktritt Rieneckers war Reinhard Hildenbrand eingesprungen und hatte die Arbeit vorangetrieben. Schon seit 1961 war er auch alleinverantwortlich für die Herausgabe von Bibel und Gemeinde. Das Amt des Vorsitzenden blieb aber für über ein Jahr unbesetzt. Hier musste eine Änderung eintreten, darin waren sich alle Vorstandsmitglieder einig. Wer sollte aber in die Fußstapfen von Pfr. Rienecker treten? Alle wünschten sich einen jungen, theologisch geschulten Anwärter, der auf die wachsenden Gefahren wegweisende Antworten geben konnte.
Diese Person fand der Bibelbund Mitte der 60er Jahre in Samuel Külling. Unter seiner Schriftleitung und Vorsitz machte der Bibelbund erhebliche Wandlungen durch, die sich auf die gesamte Bibelbundarbeit auswirkten. In vielerlei Hinsicht bekam der Bibelbund erst jetzt sein Profil wieder, das ihn bis zum 2. Weltkrieg ausgezeichnet hatte: kompromissloser Einsatz für die Irrtumslosigkeit der ganzen Bibel und Stärkung der bedrängten Gemeinde in der Endzeit. Die Zeit von 1965 bis 1979 bedeutete für den ganzen Bibelbund eine starke Ausweitung im Bereich der Mitglieder- und Autorenwerbung.
Samuel Külling war nach seinem Theologiestudium in Bern und Edinburgh zunächst Pfarrer der evangelisch-reformierten Kirche gewesen. Angesichts der Not der Kirche durch die Bibelkritik entschloss er sich, seine Ausbildung zu vertiefen. Es folgten Studien in Jerusalem, anschließend in Holland, wo er auf bibeltreue Professoren in der konservativen reformierten Kirche stieß. 1964 promovierte er mit einer Arbeit über die „Datierung der Genesis-P-Stücke“ an der reformierten Fakultät in Kampen, Holland. Seit 1964 war Külling Lehrer am Predigerseminar auf St. Chrischona in der Schweiz. Parallel dazu lehrte er als Professor an der Faculté Libre de Théologie Evangélique in Vaux-sur-Seine bei Paris.
Nach dem Ausscheiden von Pfr. Rienecker aus Vorstand und Schriftleitung war man im Vorstand dankbar, als Külling 1965 die Schriftleitung und im selben Jahr auch den Vorsitz übernahm. Damit waren die Weichen für einen zügigen Ausbau der gesamten Bibelbundarbeit gestellt. Schon in seinem ersten Artikel als neuer Schriftleiter forderte er 1965 mehr „Zivilcourage“: „Besonders gilt dies für die Schriftleitung, die wagen muss, sich zu der Schriftautorität zu bekennen, koste es, was es wolle. Sie darf die Übelstände der Bibelkritik nicht unwidersprochen hinnehmen. Es muss eine Front echter Kämpfer für die Wahrheit geben, die sich durch nichts einschüchtern oder zurückhalten lässt. Zum würdigen Wandel nach dem Evangelium gehört solch ein gemeinsamer Kampf (Phil. 1,27.28). Dieser braucht Mut.“12 Als Ziel formulierte er den Kampf für die Wahrheit, nicht allein den Kampf gegen die Bibelkritiker.
In Bibel und Gemeinde wurde während dieser Zeit auch von den Aktivitäten der Bekenntnisbewegung berichtet, die nach der Gründungsversammlung 1966 in der Dortmunder Westfalenhalle von sich reden machte. Aber in dieser Gruppe liebäugelte so mancher mit einer gemäßigten Form der historisch-kritischen Methode. Hier konnte und wollte Külling nicht mitgehen. Külling nannte in Zukunft offen Namen von Brüdern, die nicht uneingeschränkt zur Wahrheit und Inspiration der Schrift standen. Darunter waren bekannte Namen wie Gerhard Bergmann, Paul Deitenbeck, Hellmuth Frey, Otto Rodenberg u.a. Kompromisslos formulierte Külling damals:
„Es geht uns darum, die Feuerwehr zu alarmieren, bevor die Flammen den Dachstock erreichten. Wer eine Krankheit überwinden will, darf nicht nur ihre Symptome bekämpfen. Er muss die Ursachen zu erkennen suchen und nach Möglichkeit Abhilfe dafür schaffen. Wer Unkraut jätet, darf nicht nur oben abreißen, er muss die Wurzel mit herausbekommen. Das heißt: Wehre den Anfängen.“13
Insgesamt wurden die Artikel in Bibel und Gemeinde damals wissenschaftlicher und tiefgründiger. Man beschäftigte sich in erster Linie mit Behauptungen der Bibelkritiker, z.B. zur Autorenschaft der fünf Bücher Mose und zur Einheit des Jesajabuches. Dank seiner profunden Kenntnisse des Alten Testamentes konnte Külling gegen die Quellenscheidungstheorien im Pentateuch und Jesaja vorgehen. Andere Artikel beschäftigten sich mit der Bibelhaltung von Karl Barth, mit der Formkritik der Evangelien und den verschiedenen Befreiungstheologien. Auch ökumenekritische Beiträge erschienen von verschiedenen Seiten.
Ein weiteres Entscheidungsfeld begann sich Mitte der 60er Jahre abzuzeichnen: die Frage nach der Beurteilung der Evolutionslehre. Der frühe Bibelbund hatte ja schon zu Beginn des Jahrhunderts eine klar ablehnende Haltung zur Frage nach der zufälligen Entstehung des Lebens eingenommen. Darwins Deszendenzlehre war einfach nicht mit der Schöpfungsgeschichte in Einklang zu bringen. Nach dem Kriege gewannen jedoch die Vertreter einer „theistischen Evolution“ die Oberhand. Sie wollten die Ergebnisse des Darwinismus mit dem Schöpfungsbericht in 1Mose 1 harmonisieren.
In dieser Situation stellte sich Külling nach einigem Zaudern hinter die alte Position des Bibelbundes von einer wörtlich verstandenen 7-Tage-Schöpfung. Entscheidende Impulse bekam der neue Schriftleiter durch den Pharmakologen Prof. Wilder-Smith. Külling selbst stellte sich Anfang der 70er Jahre ganz auf die Seite des Kreationismus. Theistische Evolutionskonzepte wurden im Bibelbund nicht mehr geduldet. Personen, die daran festhielten, traten aus dem Vorstand aus. In mehreren Artikel nahm Küllling dann 1975 noch einmal zu diesem Thema Stellung und untermauerte seinen Kreationismus auch exegetisch.14 Angesichts der damaligen Situation, in der es noch kaum geeignete Literatur von Seiten der Kreationisten gab, war diese zweite Kurskorrektur Küllings für den Bibelbund maßgeblich und bedeutungsvoll. In Zukunft liefen so die Bemühungen des deutschen Kreationismus und des Bibelbundes Hand in Hand. Hier hatte man einen Bereich gefunden, in dem die Überzeugung von der Glaubwürdigkeit der Bibel auch für die Wissenschaft fruchtbar gemacht werden konnte.
Külling baute auch den Redaktionskreis der Zeitschrift aus. Er selbst übernahm die Leitung für Artikel zum Alten Testament, Prof. Dr. Wilhelm Mundle aus Marburg kümmerte sich um Beiträge zum Neuen Testament, Dekan Richter um die Kirchengeschichte. Für die Naturwissenschaften war zunächst noch Prof. Dr. Rohrbach aus Mainz zuständig, die Weltanschauungsfragen behandelte Dr. Arthur Hoffmann aus Düsseldorf-Kaiserswerth. Später übernahm dann Prof. Wilder-Smith die Rubrik Naturwissenschaft. Durch diesen großen Mitarbeiterstab waren die Aufgaben verteilt worden, auch wenn Külling die Hauptverantwortung blieb. Parallel dazu stieg das akademische Niveau der Zeitschrift an, ohne dass die Ebene der Allgemeinverständlichkeit verlassen worden wäre. Trotzdem äußerten manche Leser ihre Bedenken, dass einige Beiträge für den Nichttheologen kaum zu verstehen seien. Külling plädierte an diesem Punkte für eine Offenheit beider Seiten: es müsse in Bibel und Gemeinde Artikel für den „Laien“ und für den Theologen geben.
Zugleich wurde die Internationalisierung des Bibelbundes vorangetrieben. In den Heften nach 1965 fallen manche ausländische Namen unter den Autoren auf: aus Holland die Professoren Zuidema, Ridderbos, Mulder und Gispen, aus Frankreich J.M. Nicole vom Bibelinstitut Nogent-sur-Marne, aus Ungarn Franz Kiss, aus Israel Yigael Yadin, aus Amerika Allan MacRae und John C. Whitcomb. Regelmäßig berichtete man über die Situation in anderen Ländern. Besonders wurde die Bibelbundarbeit in der Schweiz ausgebaut, indem man Regionalbeauftragte einsetzte. Spezielle Tagungen in der Schweiz sollten den persönlichen Kontakt zu den dortigen Mitgliedern verstärken.
Durch eine Skandinavienreise Küllings im Jahre 1964 wurden die Mitglieder auch mit den dortigen Bibeltreuen bekannt gemacht, so z.B. mit dem Schweden David Hedegard, dem Finnen Uuras Saarnivara und dem Dänen Pfr. Niels Ove Rasmussen.15 Auch über die Gemeindefakultät in Oslo wurde berichtet, ebenso von der Neugründung der bibeltreuen Fakultät im französischen Vaux-sur-Seine bei Paris. Positiv war auch der Bericht des Schriftleiters über den Weltkongreß für Evangelisation in Berlin im Jahre 1966. Instruktiv wurde über Lausanne 1974 informiert.
Külling gewann auch neue Autoren. Z.B. Dr. H.H. Janzen, ein kanadischer Mennonit, der Gastlehrer auf St. Chrischona war. Daneben war er ein beliebter Evangelist und Radioprediger. Janzen legte in mehreren Fortsetzungen den Römerbrief und den ersten Johannesbrief aus. Ein weiterer Autor war Pfr. Georg Vischer, ebenfalls lange Jahre Lehrer auf St. Chrischona und später Leiter der Freien evangelischen Schule in Zürich. Vischer beschäftigte sich insbesonders mit dem Zeugnis des Neuen Testamentes über das Alte Testament. Horst Thurmann (*1911), Krankenhauspfarrer in Wuppertal und Lehrer am Bibelseminar in Wuppertal, gehörte ebenfalls zum Autorenkreis von Bibel und Gemeinde und steuerte mehrere profunde Artikel bei. Abraham Meister, ein theologischer Autodidakt, beschäftigte sich mit vielen biblischen Fragen und übernahm die Verantwortung für die Rubrik der Fragenbeantwortung. Seine umfangreichen Bücher zum Alten und Neuen Testament fanden weite Verbreitung. Herbert Jantzen, Bibellehrer und späterer Dozent an der FETA, erfreute auf Tagungen und in Artikeln durch seine tiefgründige Bibelkenntnis.
Auch die Zahl der Bibelbundmitglieder stieg in diesen Jahren an. Durch Kontakte zu den Schülern auf St. Chrischona, durch die großen Bibelbundkonferenzen, durch mehrfache Israelreisen usw. knüpften Külling und von Almassy vielfältige Kontakte. Aber auch andere Mitglieder warben kräftig für den Bund, so dass die Zahl der Mitglieder und Leser auf über 3.000 stieg.
Ende der 70er Jahre kam es dann zu Konflikten im Bibelbund. Leider spitzte sich die Situation in diesen Wochen und Monaten so zu, dass Külling im Dezember 1979 von seinen Verpflichtungen als Vorsitzender und Schriftleiter zurücktrat. Als Folge dieses Konfliktes konnte damals die Nr. 4 des 79. Jahrgangs von Bibel und Gemeinde nicht erscheinen. Auf der nächsten Mitgliederversammlung im Frühjahr 1980 in Frankfurt am Main wurden aber die Weichen im Bibelbund wieder neu gestellt.
7. Die 80er Jahre bis zur Gegenwart
Auf der angesprochenen Mitgliederversammlung 1980 in Frankfurt wählte man Paul Schnabel (*1923) zum neuen ersten Vorsitzenden des Bibelbundes. Innerhalb kurzer Zeit konnte auch ein neuer Schriftleiter gewonnen werden, nämlich Hans Passarge (*1923).
Auch er arbeitete seit Jahren im Vorstand mit und setzte sich besonders bei Tagungen und Freizeiten für die Sache des Bibelbundes ein. Als 9jähriger hatte Passarge in Essen das Weigle-Haus unter der Führung von Wilhelm Busch kennen- und liebengelernt. Hier bekam er seine entscheidenden geistlichen Prägungen. Dort bekehrte er sich als 14jähriger, und wurde später Helfer in der Jugendarbeit in einem Essener Stadtbezirk. Nach dem Krieg hatte Passarge Geodäsie in Karlsruhe studiert und war später im Bereich der Flurbereinigungsverwaltung in Stuttgart tätig. Seine geistliche Heimat fand er im Bereich des Liebenzeller Gemeinschaftsverbandes. 1966 kam Passarge mit dem Bibelbund in Berührung und war von seinem Anliegen gleich begeistert. Hier fand er eine Vereinigung von treuen und hingegebenen Christen, die ohne wenn und aber zur Irrtumslosigkeit der ganzen Schrift standen.16
Der Neuanfang nach dem Ausscheiden von Külling gestaltete sich schwierig. Immerhin hatte Külling als Schriftleiter viele Kontakte zu Autoren auf nationaler und internationaler Ebene aufgebaut. Woher sollten nun neue Artikel kommen? Auch wussten die Autoren nicht, ob sie nun weiterhin für „Bibel und Gemeinde“ schreiben sollten, oder aber nach Küllings Ausscheiden erst abwarten sollten, wie sich das Blatt weiter entwickelt. Angefangene Fortsetzungsartikel mussten abgebrochen werden, weil sich einige Schreiber hinter Külling stellten. Der neue Schriftleiter musste sich erst neu in die technischen Abläufe einarbeiten. Angesichts des totalen Neuanfanges ist es erstaunlich, dass die erste Nummer von Bibel und Gemeinde einigermaßen pünktlich im Frühjahr 1980 erscheinen konnte. Viele Beweise der Solidarität von Autoren und Lesern trafen in den nächsten Wochen ein und bestärkten das neue Führungsteam.
Bei inhaltlichen Sachfragen gab es keine Neuerungen im Organ des Bibelbundes. In der Frage nach der Evolution stellte man sich weiter hinter den Kreationismus und die nun entstehende Studiengemeinschaft Wort und Wissen um Prof. Horst Beck und Dr. Joachim Scheven. Mehrmals erschienen Artikel über die Situation der Debatte um Schöpfung und Evolution. Deutlich kritisierte man auch die synkretistischen Tendenzen innerhalb des Weltkirchenrates. Passarge forcierte auch die Übersetzung von englischsprachiger Literatur für Bibel und Gemeinde. Viele Artikel erschienen aus der Feder von Martin Lloyd-Jones, von 1938 bis 1968 Pfarrer an der berühmten Westminster Chapel in London.
Ende der 70er Jahre war es zu Differenzen über die Beurteilung der neu aufgekommenen sogenannten Charismatischen Bewegung im Bibelbund gekommen. Unter dem neuen Schriftleiter erschienen nun Artikel und Stellungnahmen, die sich gegen die Bewegung wandten. Z.B. kritisierte man die Gruppe um Volkhard Spitzer in Berlin, oder die fragwürdigen Veröffentlichungen von Kathleen Kuhlmann, Agnes Sandford, Charles Hunter, Reinhard Bonnke u.a. Man hatte im Bibelbund erkannt, dass die unnüchternen Lehren und Begleiterscheinungen nicht biblisch legitimiert waren. Alles in allem hat es der Bibelbund verstanden, als eine der wenigen Stimmen auf die verhängnisvollen Auswirkungen der Charismatischen Bewegung und neuerdings der sogenannten Dritten Welle hinzuweisen. Auch wenn die Stellungnahmen nicht immer nur positives Echo hervorriefen, so waren sie doch für viele eine Wegweisung in unsicheren Zeiten.
Passarge verstand es, weitere aktuelle Themen in Bibel und Gemeinde anzupacken: Auseinandersetzung mit der christlichen Rockmusik, Psychologie, Stellungnahmen zur Alternativmedizin wie Homöopathie, Akupunktur, Yoga, Warnung vor Bibelkritik auch in den Freikirchen und evangelikalen Kreisen, Wurzeln der Freimaurerei usw. Dazu kamen auch Informationen über Sekten und Weltanschauungen. Damit erweiterte sich das Gesichtsfeld des Bibelbundes. Nun ging es nicht mehr nur um die Zurückweisung der Bibelkritik, sondern um Apologetik in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Sicher lag dies auch daran, dass die Zahl der Theologen im Bibelbund in dieser Zeit abnahm. Grundlegende exegetische und hermeneutische Beiträge kamen seltener vor als früher. Aber der neue Schriftleiter des Bibelbundes hatte erkannt, dass die Frontstellungen der modernen Zeit über die eigentliche Auseinandersetzung mit der Bibelkritik hinausgingen.
In dieser Zeit erreichte die Zeitschrift eine Auflage von 3.000 Exemplaren. 1981 und 1984 bekam Bibel und Gemeinde ein neues Cover, um auch äußerlich attraktiver zu werden. 1981 wurde der Vorstand erweitert: Mit Pfr. Lienhard Pflaum von der Liebenzeller Mission und Dr. Cleon Rogers von der Freien Theologischen Akademie traten zwei versierte Brüder in das Leitungsgremium des Bibelbundes ein. 1984 verjüngte sich der Vorstand durch das Hinzukommen von Dr. Helge Stadelmann, Thomas Schirrmacher, Roger Wyssbrod und Fritz Weber. Durch den Letztgenannten gab es nun auch einen Vertreter aus Österreich im Bibelbundvorstand.
Ab 1985 las man häufig auch Artikel des Theologischen Referenten des Bibelbundes, Dr. Bernhard Kaiser, in Bibel und Gemeinde. Durch seine Mitarbeit wurde die theologische Arbeit im Bereich der Fundamentaltheologie wieder aufgenommen. Der Bibelbund fand in Bernhard Kaiser einen Mann, der dogmatisch die eigenen Positionen gründlich aufarbeiten konnte. Sein Ziel war das Heraustreten aus der bloß defensiven Abwehrhaltung. Langfristig könne man der Gemeinde Jesu wesentlich effektiver zur Seite stehen, wenn die biblischen Positionen tiefgehend erfasst und aufgearbeitet würden – so war seine Überzeugung. Dabei stand Kaisers mehr reformatorische Position manchmal im Gegensatz zum Dispensationalismus vieler Bibelbundmitglieder. Aber sie regte zum Nachdenken und Überdenken der eigenen Anschauungen an. Im gemeinsamen Zentrum der Bibeltreue konnten sich beide Traditionen nebeneinander stehen lassen.
Ein entscheidender Wechsel in der Leitung des Bibelbundes wurde dann im Jahre 1986 beschlossen. Ab dem Januar 1988 sollten der Vorsitz und die Schriftleitung wieder in die Hände von zwei Volltheologen übergehen. Nach längerer Vorbereitung entschied sich der Vorstand für Dr. Helge Stadelmann, den Dekan der Freien Theologischen Akademie, und Dr. Thomas Schirrmacher, Leiter des Institutes für Weltmission und Gemeindebau in Bonn.
Schirrmacher, der neue Schriftleiter von Bibel und Gemeinde, war von 1978 bis 1982 an der FETA in Basel ausgebildet worden, promovierte 1985 mit einer Arbeit über Theodor Christlieb an der reformierten Fakultät in Kampen, Holland. Er leitete das Institut für Weltmission und Gemeindebau in Bonn, dem auch ein eigener Verlag angegliedert war. Schirrmacher wollte als neuer Schriftleiter zunächst die Kontinuität des Blattes wahren und nahm nur behutsam Änderungen vor. Wie sein Vorgänger Passarge veröffentlichte er viele Artikel aus dem gesamten Bereich der Apologetik. Um die Beiträge besser zu gliedern, teilte er sie in verschiedene Rubriken ein. Als Missionswissenschaftler hatte Schirrmacher auch einen Blick für die Nöte der Weltmission – ein Bereich, der bisher im Bibelbund zu kurz gekommen war. In der neuen Rubrik „Stimmen der Väter“ druckte man in Zukunft wertvolle Beiträge aus vergangenen Tagen ab. Auf unterschiedliches Echo stieß die Spalte „Zur Diskussion gestellt“, in der es um umstrittene Themen aus evangelikalen Kreisen ging. Hier wurden manche „heiße Eisen“ diskutiert, wie z.B. Ehescheidung, Wiederheirat, Heilsgewissheit, Schwören usw. In der Spalte „Umschau“ wurde wieder mehr über aktuelle Entwicklungen berichtet. Aber auch Sekten, Weltreligionen, Religions- und Konfessionskunde standen ab sofort auf dem Programm der Zeitschrift. Nun begann man auch mit Schwerpunktheften, in denen von verschiedenen Autoren verwandte Themen behandelt wurden. Auf dieser Weise versuchte Schirrmacher, mehr systematisch zu arbeiten. Um die anfallende Mehrarbeit effektiv zu gestalten, formierte sich 1992 auch ein Redaktionskreis, der dem Schriftleiter zur Seite stand und sich um neue Autoren bemüht.
Zur gleichen Zeit trat der Osten Deutschlands wieder ins Blickfeld von Gesellschaft und Gemeinde. Der Bibelbund hatte ja nach dem 2. Weltkrieg die Mitglieder in den Ostgebieten fast vollständig verloren. Und doch gab es Ende der 70er Jahre dort unabhängig von der Entwicklung in Westdeutschland einen Aufbruch in bibeltreuen Kreisen, der für die spätere Arbeit wichtig werden sollte. Im Mai 1977 trafen sich einige Brüder – meist aus dem Kreis der dortigen Brüdergemeinden – zum ersten Male in einem Arbeitskreis bibeltreuer Theologie. Man traf sich ca. fünfmal im Jahr zum theologischen Gedankenaustausch. Trotz unterschiedlicher Meinungen war es allen Beteiligten klar: Die irrtumslose Bibel gibt uns die Leitlinie für unsere Erkenntnis.
Ein mutiges Unterfangen dieses Kreises war die Herausgabe einer eigenen Informationsbroschüre unter dem Titel Biblisch Glauben, Denken, Leben. Den Mangel an hilfreicher, bibeltreuer Literatur empfand man im Osten noch viel stärker als im Westen.
Diese kleine Gruppe von ostdeutschen Bibeltreuen kannte den Bibelbund recht gut. Bibel und Gemeinde wurde auch im Osten gelesen und durch private Besuche von Mitgliedern war ein brüderlicher Zusammenhalt gewachsen. Aus dem Arbeitskreis wurde so Anfang 1990 der Bibelbund-Ost. Aber diese Zweigleisigkeit war nicht effektiv und forderte schon bald eine einheitliche Marschrichtung. So wundert es nicht, dass auf der Vorstandssitzung 1992 in Friedrichroda der Bibelbund Ost mit dem Bibelbund West verbunden wurde. Eine unselige staatliche Trennung hatte nach über 40 Jahren ihr Ende gefunden und damit konnten sich auch die Bibeltreuen vereinigen. Angesichts der Situation vor dem Kriege nahm der Bibelbund damit ein alte Tradition wieder auf, in dem er auch in Ostdeutschland aktiv wurde.
Als Zeichen der brüderlichen Verbundenheit wurde im Rahmen der Vereinigung der Bünde Ost und West auf der Vorstandssitzung 1992 in Friedrichroda auch ein Ostdeutscher zum Vorsitzenden des Bibelbundes gewählt, nämlich Richard Bergmann. Das Organ des Bibelbundes-Ost, die Zeitschrift Biblisch Glauben-Denken-Leben, wurde nur als zweite Publikation des gesamten Bibelbundes auch im Westen bekannt gemacht. Umgekehrt erreichte Bibel und Gemeinde nun auch viele neue Mitglieder in den neuen Bundesländern.
Auch in der Schweiz wurde der Bibelbund Mitte der 90er Jahre verstärkt aktiv. Durch einen eigenen Verein, dem Bibelbund-Schweiz, knüpfte man an vergangene Tage an, in denen der Bibelbund in der Schweiz viele aktive Mitglieder hatte. Unter dem großen Engagement von Jürgen Neidhardt, Steffen Denker, Albert Sigrist und vielen anderen Mitgliedern der Schweiz wurde auch die Zeitschrift Bibel und Gemeinde bekannter und als Wegweiser durch die Orientierungslosigkeit der Zeit gerne akzeptiert.
1997 übernahm Karl-Heinz Vanheiden, der Sekretär des Bibelbundes, aus den Händen von Thomas Schirrmacher die Leitung von Bibel und Gemeinde.
Ihm war und ist es ein Anliegen, an der unbedingten Treue zur Heiligen Schrift fest zu halten. Unter seiner Leitung wurde die Zeitschrift leserfreundlicher gestaltet, ohne dass man an der inhaltlichen Qualität Abstriche machen wollte. Zudem gelang unter Vanheiden der Einstieg in die modernen Medien (Internet), damit noch mehr Menschen weltweit von den Artikeln profitieren konnten.
100 Jahre Bibel und Gemeinde: Was bleibt? Nicht nur viele Regalmeter mit alten Jahrgängen, nicht nur Hunderte von wichtigen Artikeln zur Bibelfrage, nicht nur Tausende von mühevollen Stunden der Redakteure. Das wichtigste sind die geistlichen Impulse, die durch die Artikel aus Bibel und Gemeinde in den letzten 100 Jahren ins Land gegangen sind. Diese geistige Frucht ist hier auf der Erde nicht messbar. Sie ist jedoch Verpflichtung und Motivation auch für die Zukunft. Von Gaedke bis Vanheiden: Für jeden Schriftleiter war die Vertrauenswürdigkeit der Bibel das Fundament für seine Arbeit und die Zielrichtung aller Bemühungen. Dieses Anliegen ist auch nach 100 Jahren immer noch aktuell und braucht alle Unterstützung durch die Leser von Bibel und Gemeinde und die Mitglieder des Bibelbundes.
(Dieser Artikel enthält aktualisierte Auszüge aus dem umfangreicheren Artikel des Autors über die Geschichte des Bibelbundes in Bibel und Gemeinde, 94 (Heft 2, 1994), S. 6-68.)
Adolf von Harnack, Das Apostolische Glaubensbekenntnis: Ein geschichtlicher Bericht nebst einem Nachwort, 5. Aufl. Berlin: A. Haack, 1892. ↩
F. Gaedke, „Zwei verschiedene Lichter!“ Nach dem Gesetz und Zeugnis, 3 (Heft 1, 1903), 5. ↩
Zu Lepsius vgl. den Artikel von Karl Endemann, „Dr. Johannes Lepsius und ‚Ein menschlicher Tag‘,“ Nach dem Gesetz und Zeugnis, 4(1904), 38-56, 77-82. ↩
Heinrich Cornelius, „Die Aufgaben unseres Bibelbundes in der Gegenwart,“ Nach dem Gesetz und Zeugnis, 24(April-Juni, 1924), 6. ↩
O. Rohnert, „Karl Barth und wir,“ Nach dem Gesetz und Zeugnis, 26(Januar-März, 1927), 350-60. ↩
Theodor Beyer, „Jesus, kein Arier, sondern ein Glied des auserwählten Volkes der Juden,“ Nach dem Gesetz und Zeugnis, 25(Juli-September, 1925), 130-36. ↩
E. Kruse, „Das Alte Testament – heute noch?“ Nach dem Gesetz und Zeugnis, 36(August/ September, 1936), 166. ↩
August Fliedner, „Die Schöpfung der Welt,“ Nach dem Gesetz und Zeugnis, 37(September, 1937), 134f. ↩
Wilhelm Möller, „Zum Brückenbau zwischen Staat und Kirche,“ Nach dem Gesetz und Zeugnis, 38(Januar-Februar, 1939), 233. ↩
Friedrich Hübner, „Zum Geleit,“ Nach dem Gesetz und Zeugnis, 40 (Heft 1, 1950), 2. ↩
Vgl. z.B. A.E. Wilder Smith, „Schöpfung und Naturwissenschaft,“ Nach dem Gesetz und Zeugnis, 42(März, 1952), 32-34. ↩
Samuel Külling, „Der Bibelbund verlangt Zivilcourage: Ein Wort des neuen Schriftleiters,“ Bibel und Gemeinde, 65 (Nr. 1, 1965), 5. ↩
Samuel Külling, „Initiis obsta!“ Bibel und Gemeinde, 66(Heft 1, 1966), 4. ↩
Samuel Külling, „Der Schöpfungsbericht und naturwissenschaftliche Fragen,“ Bibel und Gemeinde, 75(Nr. 1-4, 1975). ↩
Vgl. die Berichte über die Skandinavienreise im Jahrgang 1965. ↩
Vgl. seinen Artikel zur Vorstellung seiner Person in Bibel und Gemeinde, 80 (Heft 2, 1980), 131-34. ↩