ThemenWort- und Themenstudien

Heiligkeit ist anders – Die Meinung des „Mannes auf der Straße“

Angenommen, wir veranstalten auf einer Straße bei zufällig vorbeikommenden Passanten Kurzinterviews mit der Fragestellung. „Was verstehen Sie unter ‚Heiligkeit’? Wer oder was ist Ihrer Meinung nach heilig?“ Wahrscheinlich könnten wir die Antworten in drei Kategorien einordnen:

Einige würden dem Sinne nach erklären: Wer heilig lebt, ist sittlich rein und sündlos. Er ist kein gewöhnlicher Mensch, sondern frei von Anfechtungen. Und wenn er doch wider Erwarten in Versuchung gelangt, dann ist es für ihn nicht allzu schwer, sie zu überwinden.

Andere sind folgender Auffassung: Die Eigenschaft „heilig“ ist in erster Linie ein Synonym, für „Ehrfurcht gebietend“ oder gar „Furcht erregend“. Sie denken etwa an das „heilige Vaterland“, von dem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts oft die Rede war. Unter der Heiligkeit Gottes verstehen sie vorwiegend eine Ausstrahlung seiner Unnahbarkeit, als eine Art gefährlicher „Energiegeladenheit“. Sie sind der Auffassung, dass die Heiligkeit eines Domes in seinem Inneren von jedem gottesfürchtigen Kirchenbesucher als das ganz andere, Unnahbare, vom Alltagsleben Entfernte mit einer Art Erschauern empfunden wird.

Jene Befragten aber, die in ihrer Bibel zu Hause sind, werden „heilig“ vielleicht als „für Gott abgesondert“ oder „von Gott beschlagnahmt“ verstehen. So liest man es jedenfalls in vielen theologischen Büchern. Alle drei Verständnisweisen des Wortes „heilig“ sind nicht direkt falsch, aber unvollkommen. Sie beschreiben nur einen Teilbereich und sind deshalb auch angreifbar. Auch die zuletzt genannte.

• Es gibt viele Missverständnisse über Heiligkeit
• Heiligkeit kommt aus dem Segenskanal der Wirkungen Gottes
• Man kann heilig, aber nicht gläubig sein

Zur ersten Erklärung: Wenn „heilig“ lediglich ein anderesWort für „sittlich rein“ oder „sündlos“ ist, muss man sich fragen, wieso beispielsweise Paulus die Epheser in seinem Brief anfangs als Heilige anredet, sie aber später ermuntert, den neuen Menschen anzuziehen und die Lüge abzulegen.

Und wenn Martin Luther einmal schreibt, dass „heilig sei ein jeder Christ auf Erden“, dann wusste er von sich selbst, dass das Sündigen für einen Christen nicht ausgeschlossen ist, ja, dass gerade ein Christ spürt, dass er immer wieder Vergebung benötigt, weil er nicht ohne Sünde lebt.

Wer unter Heiligkeit nach dem zweiten Erklärungsmuster vor allem eine Furcht und Ehrfurcht gebietende Eigenschaft versteht, die besonders in Gottes Nähe spürbar wird, übersieht, dass die von Paulus immer wieder als heilig bezeichneten Christen sich eher durch ihre Freundlichkeit und Liebe auszeichnen sollten als durch Zornesausstrahlung und Unnahbarkeit. Selbst die dritte Definition befriedigt nicht vollständig. Wer „heilig“ vor allem als „für Gott abgesondert“ begreift, kommt dem Hauptverständnis zwar näher, aber er hat nicht jede Bedeutung des Wortes in ihrem biblischen Zusammenhang eingeschlossen.

Denn wir finden in Gottes Wort immer wieder eine deutliche Hervorhebung der Aussage, dass Gott selber heilig sei. Ja, er wird „der Heilige“ schlechthin genannt. Eben deshalb wird man nicht behaupten dürfen, Gott sei heilig, weil er für Gott, also für sich selber abgesondert sei. Das wäre ein Widerspruch in sich selbst.

Ein Missverständnis

Auf ein Missverständnis müssen wir ebenfalls hinweisen: Die katholische Kirche kennt den besonderen Status eines Heiligen. Er wird in einem verhältnismäßig seltenen Verfahren, das an viele Vorbedingungen geknüpft ist, lediglich einem Verstorbenen oder einer Verstorbenen zugesprochen. Das katholisch orientierte Lexikon „Der Neue Herder“ umschreibt dies so: Heilige sind Menschen, die „von der Erbsünde mittels Taufe, von den nachfolgenden Sünden mittels des Bußsakramentes oder vollkommener Reue befreit und, durch die heilig machende Gnade gerechtfertigt, der Gotteskindschaft teilhaftig geworden sind und in vollkommener Gottes- und Nächstenliebe diesen Gnadenstand durch ein frommes Leben bewähren.“

Wenn nur die vom Vatikan Heiliggesprochenen heilig wären, gäbe es Probleme mit dem Sonntag für Sonntag in den Gotteshäusern gesprochenen Glaubensbekenntnis. Denn in ihm bekennen die Christen: „Ich glaube an die heilige christliche Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen.“Was sollte eine Gemeinschaft von Verstorbenen in diesem Zusammenhang bedeuten? – Außerdem: Wenn die Kirche nur aus der Gemeinschaft jener Heiligen bestünde, die kirchenamtlich heilig gesprochen würden, wäre sie doch sehr klein und kein Lebender würde zu ihr gehören.

Versuch einer umfassenden Definition

Die Probleme sehen wir. Es ist ziemlich schwierig, eine Definition für „heilig“, “Heilige“ oder „Heiligkeit“ zu formulieren, die auf alle Verwendungsmöglichkeiten in der Heiligen Schrift passt.

Ich habe mich deshalb näher damit befasst und die genannten und anderen Verwendungsweisen in der Heiligen Schrift und im profanen Bereich studiert. Ich entdeckte eine Lösung, nämlich einen gemeinsamen (wenn auch nicht einfach zu formulierenden) Oberbegriff, der für alle Verwendungsweisen geeignet und sinnvoll ist.

Von dem wirkenden Gott geht ein „Segenskanal“ aus. Er führt von ihm aus durch die Gemeinde von Jesus Christus, also durch die Kirche der Gläubigen hindurch in die sichtbare und unsichtbare Welt hinein. Und nur das, was in irgendeinem Zusammenhang mit diesem Segenskanal der Wirkungen Gottes steht, wird in der Bibel „heilig“ genannt.

Anders ausgedrückt: Nur jene Personen oder Gegenstände, die in einem Zusammenhang mit diesem Segenskanal stehen, werden im Wort Gottes als „heilig“ bezeichnet.

Gott heißt in der Bibel immer nur dann „der Heilige“ wenn er in einem Berichts-Abschnitt ausdrücklich als mit diesem „Kanal“ in irgendeinem Zusammenhang stehend dargestellt wird. Insbesondere der in voller Souveränität erkennbar wirkende Gott wird „heilig“ genannt.

Wenn wir beispielsweise in Jesaja 6,3 lesen: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth“, ist damit gemeint: „Gott wirkt, Gott wirkt, Gott wirkt!“ Das wird bestätigt durch die Fortsetzung im folgenden Vers: „Alle Lande sind seiner Ehre voll“, oder wie es eine genauere Übersetzung sagt: „Die ganze Erde ist voll von seiner Herrlichkeit.“ Gottes Herrlichkeit und seine Heiligkeit stehen in einem engen Verhältnis zueinander.1

Gott steht am Ausgangspunkt des beschriebenen Wirkungskanals. Er spendet und speist seine Energie.

Heilige Gegenstände

In der Bibel, vor allem im Alten Testament, werden auch bestimmte Gegenstände als „heilig“ bezeichnet.

So galten z. B. die Bundeslade wie auch Geräte, die bei den Opfern im Tempel benötigt wurden, als „heilig“. Sie standen nämlich für die alttestamentliche Gemeinde im Zusammenhang mit dem direkten Wirken Gottes. Zwar waren die heiligen Geräte auch Ehrfurcht gebietend. Und als einmal ein Unbefugter die Bundeslade berührte, wie es in 1. Chronik 13 beschrieben wird, starb er sogar an der Heiligkeit dieses hochheiligen (hochwirksamen) Gegenstandes, der an sich zum Segen gedacht war.

Wie elektrischer Strom in rechterWeise verwandt zum Heil und zur Hilfe dienen kann, wenn er durch dafür vorbereitete Geräte an geeignete Verbraucher kommt, so ist es auch mit GottesWirksamkeit, seiner Heiligkeit: Sie wirkt sich zum Segen aus bei allen jenen, die sie in rechterWeise vorbereitet empfangen. Sie bedeutet andererseits Gericht für jene, die ihr ungeschützt und unbefugt begegnen.

Objektive und subjektive Heiligkeit

Bei der Gemeinde von Jesus Christus sollten wir zwei Arten von Heiligkeit unterscheiden:

  1. die objektive, gleichsam durch einen „Hoheitsakt“ zugesprochene, geschenkte Heiligkeit und
  2. die subjektive, die im Verhalten erkennbar werdende Heiligkeit eines Gemeindemitgliedes.

Wir leben ja in der Zeit des Neuen Testamentes, der Epoche der Gnade. Wer in die Nachfolge von Jesus Christus tritt, wer sein Leben durch den Glauben an die Wirksamkeit des auf Golgatha vergossenen Bluts von Jesus Christus in eine neue Grundposition bringen ließ und damit die grundlegende Lebenskorrektur, auch Bekehrung genannt, vornahm, der ist dadurch Mitglied (Glied) der Gemeinde der Heiligen geworden. Andere sind in sie ohne eine punktuelle Entscheidung hineingewachsen.

Beide Gruppen erhalten von Gott die objektive Heiligkeit zugesprochen. Sie dürfen sich wie die Empfänger der vielen paulinischen Briefe als „Heilige“ bezeichnen. Denn sie verfügen über die objektive, gleichsam „amtliche“ Heiligkeit.

Doch ist diese nicht automatisch verbunden mit der subjektiven, der persönlichen, einer für die Umwelt erkennbaren und spürbaren Heiligkeit. Sonst wären die wiederholten Aufrufe in der Bibel, sich doch zu heiligen, überflüssig.

Mehrfach werden (objektiv) heilige Menschen in der Bibel aufgefordert, sich zu heiligen, obwohl sie gläubig und damit bereits Heilige sind.

Ich bin Professor (inzwischen emeritiert) an einer Universität, an der auch Lehrer ausgebildet werden. Unsere Studenten müssen, um ihre Befähigung für das Lehramt nachzuweisen, eine ganze Anzahl von Teil-Examina ablegen. In vielen Fächern werden sie befragt. Von mir geschah dies in allgemeiner und schulischer Pädagogik. Bei manchen war Pädagogik das letzte Prüfungsfach.

Sie kamen am Prüfungstage manchmal zuletzt als Studenten in mein Prüfungszimmer herein. Sie bestanden meine Prüfung. Deshalb verließen sie, da alle Bedingungen erfüllt waren, den Raum als Lehrer.

Mit Abschluss dieser letzten erfolgreich abgelegten Prüfung hatten sie sich objektiv entscheidend verwandelt. Sie durften sich nun „Lehrer“ nennen. Und das, obwohl sie noch keine Klasse hatten, noch nicht regelmäßig unterrichteten und noch keiner Schule zugewiesen waren. In die Rubrik „Erlernter Beruf“ ihrer Personalpapiere durften sie nun eintragen: „Lehrer“.

Ihrem objektiv neuen Berufsstand, dem des Lehrers, musste allerdings notwendigerweise ein persönliches, subjektives Umsetzen in die Tat und in die Praxis folgen.

Ich durfte, um diesem neuen Sachverhalt gerecht zu werden, sie manchmal (scheinbar) widersprüchlich so ermahnen: „Sie haben soeben eine wichtige Linie Ihres Lebens überschritten. Sie verlassen den Raum als voll geprüfter Lehrer. Und weil Sie nun von Berufs wegen Lehrer sind, so werden Sie nun bitte auch wirklich Lehrer, damit Sie tatsächlich Lehrer sind und bleiben.“

Übertragen wir den geschilderten Tatbestand auf unsere Überlegungen zum Thema „Heiligkeit“.

Ein Seelsorger dürfte einem bisher lediglich Suchenden, der nunmehr sein Leben bewusst in die Nachfolge Christus gestellt hat, die Versicherung geben: „Du bist jetzt ein Christ und damit – wie Paulus es nennt – ein Heiliger. Aber weil du nun vor Gott objektiv gesehen heilig bist, heilige dich! Und das immer wieder. Tritt also möglichst oft in den Segensstrom hinein, der von Gott ausgeht.“

Die Bibel bestätigt unseren Wortgebrauch, wenn sie an „heilig“ genannte Menschen die Aufforderung richtet: „Denn das ist der Wille Gottes, eure Heiligung!“ (1Thes 4,3). Damit ist gemeint: Es ist Gottes Wille, dass ihr euch bewusst in jenen Segenskanal (von Gott durch die Gemeinde in die Welt) hineinbegebt.

In Römer 6,19 lesen wir: „Stellet nun eure Glieder dar als Knechte der Gerechtigkeit zur Heiligung!“

Wir dürfen dies so auslegen: Stelle du, Angehöriger der Gemeinde von Jesus Christus, auch deine Körperlichkeit in den Segensvermittlungsdienst, der den Heiligen aufgetragen ist. Lass auch deine Personalität dafür zubereiten.

Nehmen wir nun noch einWort aus dem Alten Testament. Der damaligen Gemeinde wird als Wort Gottes in 3. Mose 11,44 gesagt: „Seid heilig, denn ich bin heilig!“ Das meint mit anderen Worten: „Ich, euer Gott, stehe am Anfang des Segensflusses. Stellt euch in ihn hinein, damit ihr von mir gesegnet werdet. Nicht allein ihr, sondern auch viele andere durch euch!“

Geheiligt, aber nicht gläubig

Im Neuen Testament finden wir einen Text, der beschreibt, dass es eine Konstellation geben kann, in der Menschen zwar heilig, aber nicht gläubig sind. Durch die früheren Erklärungsversuche allein (z.B. heilig heißt „für Gott beschlagnahmt, abgesondert“) können wir keine Klarheit über die Bedeutung bekommen. Hier der schwierige Text aus 1. Korinther 7, 12–14:

„Wenn ein Bruder eine ungläubige Frau hat und sie ist bereit, bei ihm zu bleiben, so soll sie sich nicht von ihm scheiden. Und wenn eine Frau einen ungläubigen Mann hat und er ist bereit, bei ihr zu bleiben, so soll sie sich nicht von ihm scheiden. Denn der ungläubige Mann ist geheiligt durch die Frau. Und die ungläubige Frau ist geheiligt durch den gläubigen Mann. Sonst wären eure Kinder unrein. Nun aber sind sie heilig! Wenn aber der Ungläubige sich scheiden will, so mag er sich scheiden.“

Im Text steht nicht, dass Ehepartner und Kinder gläubig werden, wohl aber heilig. Nach unserer Definition, wonach Menschen und Gegenstände „heilig“ genannt werden, wenn sie in irgendeinem positiven Zusammenhang mit jenem Segenskanal stehen, befinden sich also der ungläubige Ehepartner und die Kinder in einem besonderen Verhältnis zu dem eben umschriebenen Segenskanal. Daher ist das Wort „geheiligt“ angemessen.

Und in der Tat haben die Kinder eines gläubigen Vaters oder einer gläubigen Mutter, die von der Bibel als Heilige bezeichnet werden, einen großen Vorzug vor anderen Kindern, vorausgesetzt dass bei Vater oder Mutter zur objektiven auch noch möglichst viel subjektive, ausgelebte Heiligkeit hinzutritt. Von früh an werden sie mit den Inhalten der Heiligen Schrift vertraut gemacht. Der christliche Elternteil wird mit ihnen beten, von Jesus erzählen undWegweiser zum persönlich anzunehmenden Heil sein. Es ist eine Tatsache, dass Kinder gläubiger Eltern in der Regel eher in der Lage sind, auch Christen zu werden, als jene, die in ungläubigen Elternhäusern aufwachsen.

Und was wir eben für die Kinder beschrieben, gilt in ähnlicher Weise auch für den ungläubigen Ehepartner. Nicht, dass er immer gläubig wird. Aber er erlebt mit Gewinn die Auswirkungen des Segens Gottes stets in seiner Nähe. Die Paare sind nicht selten, in denen ein während der Ehe gläubig gewordener Partner den anderen mit seinem Glauben gleichsam ansteckte, weil sein Leben ein ständig einladender Erweis der Gnade Gottes war.

Andererseits blieb trotzdem der andere manchmal ohne eigenen Glauben. In diesem Sonderfall kann es also vorkommen, dass jemand heilig ist, ohne gläubig zu sein.

Die innige Gemeinschaft zwischen Ehepartnern, die ja von der Bibel – „die beiden werden sein ein Fleisch“ – geradezu als Doppelperson angesehen werden, und das unvergleichbar enge Verhältnis zwischen Kindern und Eltern bewirken diese gnädige Gegebenheit eines erleichterten persönlichen Zugangs zum Heil.

Ein Leben in Heiligung meint, sich immer wieder nach dem Ausgangspunkt des Segens auszustrecken, der von Gott ausgeht, und in Dankbarkeit jene Freundlichkeit Gottes, die sich insbesondere durch den Opfertod seines Sohnes Jesus Christus erwies, in praktisches Leben umzusetzen.

Die objektive Heiligkeit wurde uns zugesprochen, als wir den Schritt über die Linie, die uns von der Nachfolge Christus trennte, wagten. Hinzu kommen sollte nun ein großes Maß an subjektiver, d. h. auch im Alltagsverhalten erkennbarer Heiligkeit.

Unangemessener Gebrauch des Wortes „heilig“

Wir sollten auch begrifflich klar formulieren und Wörter im Umfeld von „Heiligkeit“ nicht in einem unzutreffenden Zusammenhang verwenden.

In der Zeit vor 1945 sprach man oft vom „heiligen Vaterland“. Das ist ein absolut unangemessener Gebrauch, weil kein Zusammenhang zu dem beschriebenen Segenskanal erkennbar ist. Es gibt auch keine „heilige Heimat“ auf dieser Erde. Und wenn während des Krieges etwa zu lesen war: „Die Toten von Stalingrad vergossen ihr heiliges Blut für unser Vaterland“, so war diese Formulierung natürlich unpassend.

Manche Eltern, die ihr Kind aufklären wollten, sprechen unsachgemäß von einem „heiligen Geheimnis“, das sie nun ihren Kleinen enthüllen wollen. Das ist zwar gut gemeint, aber man sollte sich anders ausdrücken.

Zusammenfassung

  1. Das Wort „heilig“ wird im weltlichen wie im religiösen Sprachgebrauch recht unterschiedlich verwendet. Die einen verstehen darunter einen Zustand der sittlichen Reinheit oder der Sündlosigkeit, andere etwas Furcht- oder Ehrfurchterregendes, wieder andere sehen in Heiligen nur Verstorbene, die durch ein langwieriges Verfahren der katholischen Kirche dazu erklärt wurden.
  2. Auch jenes stärker bibelorientierte Verständnis, das „heilig“ lediglich als „für Gott abgesondert“ begreift, trifft nur teilweise den Sprachgebrauch der Bibel. Denn wie sollte der heilige Gott für sich selber abgesondert sein?
  3. „Heiligkeit“ und „heilig“ haben es mit jenem Segenskanal zu tun, der von Gott ausgeht und einst durch die alttestamentliche Gemeinde, heute aber durch die Gemeinde von Jesus Christus führt und auf die Umwelt zielt. So, wie einst dem Abraham verheißen wurde: „Durch dich sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden“, so gilt dies im übertragenen Sinne auch für die alttestamentliche oder heute die neutestamentliche Gemeinde Gottes auf Erden.
  4. „Heilig“ werden alle jene Personen im Alten Testament, sogar einige Gegenstände, Tage und Festzeiten genannt, die innerhalb dieses eben beschriebenen Segenskanals eine vermittelnde Funktion haben und Gottes Segen seinem Wunsch gemäß aufnehmen und weiterleiten.
  5. Objektive, gleichsam „amtliche“ Heiligkeit erhält heute jeder zugesprochen, der auf dem von Gott dafür vorgesehenen Weg, das ist der Glaube an Jesus Christus, grundsätzlich in diesen Segenskanal hinein tritt. Subjektive, ausgelebte Heiligkeit dagegen meint die Umsetzung der so zugesprochenen Heiligkeit in Denken, Glauben und Handeln. „Heiligung“ im Sprachgebrauch der Bibel ist zu verstehen als die Verwandlung der objektiven in subjektive Heiligkeit. Sie ist ein Leben vor und in Gott.
  6. Die Umwelt spürt die Heiligkeit eines in ihrer Nähe lebenden und handelnden Christen. Sie hat somit durch die Gemeinde einen gewissen Anteil an der Heiligkeit Gottes, z. B. als Angebot. In Ehen, in denen einer der beiden Partner im Verlauf der Ehe zum Glauben kommt, wird vom Ehepartner und den Kindern zwar nicht gesagt, dass sie auch automatisch gläubig werden.Wohl aber darf Paulus erklären, dass Ehepartner und Kinder nunmehr „geheiligt“ sind. Damit ist eine besondere Nähe zu dem Segenskanal und seinen Auswirkungen in der Ehe und in der Familie gemeint.
  7. Wenn Gott in der Bibel ausdrücklich als „heilig“ oder „der Heilige“ bezeichnet wird, ist damit insbesondere seineWirksamkeit als der Alles-Wirkende hervorgehoben. Form und Intensität seines Wirkens werden allein von seiner Souveränität bestimmt, die sich durch nichts einengen lässt.

Und wer es noch prägnanter haben will: Wenn in der Bibel von „Heiligkeit“ die Rede ist, darf man fast immer einsetzen: „Gott wirkt! Gott wirkt! Gott wirkt! Und hier besonders intensiv!“


  1. Zum Begriff der Herrlichkeit vgl. meinen Artikel zu den Stichwörtern „Herrlichkeit, Verherrlichen“ in: F. Grünzweig u.a. (Hrsg.), Brockhaus Biblisches Wörterbuch, Wuppertal 1982.