Jorge Mario Bergoglio macht seit seiner Wahl im März 2013 zum Bischof von Rom als Papst Franziskus fast täglich von sich reden. Besonders sein „unpäpstliches“ Auftreten findet Anklang, seine Bescheidenheit, die Nähe, die er zu Menschen sucht, aber auch seine undogmatischen Äußerungen. Fußballer Diego Maradonna brachte es kürzlich so auf den Punkt:
„Diesen Papst kann ich umarmen, seinen Vorgängern musste ich den Ring küssen“.
Man hört immer wieder Menschen, die beinahe euphorisch davon sprechen, dass die römische Kirche sicher bald vom neuen Papst reformiert werde.
Da ist es gut, genauer hinzuschauen. Bestenfalls werden wir Zeugen einer neuen Reformation und gerade wenn nicht, kann es nicht schaden, hinter die Schlagzeilen zu blicken.
Im Zusammenhang mit Andeutungen des Papstes zu Kompromissen in einigen sexualethischen Streitpunkten der römischen Kirche hat der Präfekt der Glaubenskongregation Kardinal Gerhard Müller eine zu wenig beachtete Tatsache herausgestellt:
„Ich kann die katholische Glaubenslehre nicht verändern, der Papst kann sie nicht verändern, und die Bischöfe insgesamt können sie auch nicht verändern“.
Das wird zwar von vielen als Machtanspruch gedeutet. Müller benennt aber ein Wurzelproblem der römischen Kirche. Sie kann aufgrund des Prinzips „Bibel und Tradition“ keine Entscheidung eines Konzils zurücknehmen. Würde sie bibelfremde Lehren verwerfen, hörte sie auf, die römisch-katholische Kirche zu sein. So gibt es den Ablass oder die Heiligen- und Reliquienverehrung wie zur Zeit der Reformation. Nur die Praxis kann sich ändern, sogar bis ins Gegenteil des Gelehrten.
Trotzdem muss man mehr auf die Lehrentscheidungen der römischen Kirche achten1 als auf medienwirksame Auftritte. Der katholische Katechismus2 erklärt diese Lehren und das Kanonische Recht3 setzt sie in Gesetze um, die in der römisch-katholischen Kirche gelten.
Als der Lutherische Weltbund und die Römisch-Katholische Kirche ihre gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre erarbeiteten, hatten sie das Problem, dass Rom die Verdammungsurteile von Trient (1545-63) nicht zurücknehmen konnte. Man verlegte sich darauf, zu sagen, dass das Konzil verdammt habe, was angesichts des „Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre“ als „Lehrverurteilungen des 16. Jahrhunderts heute den Partner nicht treffen“ würde. Alles nur Missverständnisse? Zum Teil mag das stimmen, aber nur zum Teil. Die dann 1999 feierlich angenommene Gemeinsame Erklärung zeigt bei genauem Hinsehen auch, dass die Römische Kirche bei ihrer Lehre blieb4. Ansonsten redet die Erklärung die bestehenden Unterschiede der reformatorischen und der römischen Sicht klein5.
Das römisch-katholische Grundprinzip hatte Martin Luther dazu geführt, nicht nur die Bannbulle, mit der er aus der römischen Kirche exkommuniziert wurde, zu verbrennen, sondern auch die Bücher mit dem Kanonischen Recht.
Das Stichwort „exkommuniziert“ ist hilfreich, die Art von Papst Franziskus besser zu verstehen. Am 22. Juni 2014 titelten zahlreiche Zeitungen ähnlich wie die Frankfurter Rundschau: „Papst exkommuniziert die Mafia“.
Was war geschehen? Der Papst hatte ein Gefängnis besucht, in dem der Vater eines von der Mafia getöteten dreijährigen Jungen wegen Rauschgifthandels einsaß. Der Junge war im Gefängnis geboren, seine Mutter zwar aus der Haft entlassen, aber noch unter Hausarrest stehend. Während er mit seinem Großvater unterwegs war, starb er zusammen mit ihm durch einen Anschlag einer Gruppe der Mafia. Wahrscheinlich war es ein Racheakt. Auch wenn sich viele Italiener mit den mächtigen Organisationen der Mafia arrangiert oder doch wenigstens abgefunden haben, löste der Mord an einem Kind Empörung aus.
Der Papst sagte in einer Messe:
„Diejenigen, die den falschen Weg wählen, wie auch die Mafiosi, sind nicht in der Kommunion mit Gott. Sie sind exkommuniziert“.
Dieses Urteil scheint eindeutig zu sein. Tatsächlich aber wurde damit kein einziger Mafiosi aus der römisch-katholischen Kirche ausgeschlossen.
Am Tag nach dieser Aussage stellte Radio Vatikan die Sache klar6. Unter dem Titel „Hat der Papst die Mafia exkommuniziert?“ beantwortete die Redaktion die Frage mit einem klaren „Nein“. Der Papst habe keine „kirchenrechtlichen Spitzfindigkeiten“ im Blick gehabt, sondern sich von der Ungeheuerlichkeit des Verbrechens und seiner Empörung darüber leiten lassen.
Zwar gibt es bei bestimmten Taten auch eine automatische Exkommunikation (zum Beispiel bei Abtreibung), aber für die Zugehörigkeit zur Mafia gilt das nicht. Es muss erst zu einem ordentlichen kirchlichen Prozess kommen und die Person muss von einem Bischof oder dem Papst ausdrücklich exkommuniziert werden.
Wäre es anders gewesen, dann hätte der Papst wohl den Vater des Jungen ebenso exkommuniziert wie zahlreiche Priester seiner Kirche, die die Mafia unterstützen, indem sie deren Angehörige z.B. bei öffentlichen Prozessionen besonders ehren oder sie sogar mit Falschaussagen vor Strafverfolgung schützen. Das emotionsgeleitete Verhalten des Papstes macht ihn sicher für viele zu einem sympathischen Menschen. Und bei oft unklaren Verhältnissen der Kirche zur Mafia fand auch der Kämpfer gegen die Mafia Roberto Saviano anerkennende Worte. Wenn aber Tatsachen etwas anderes sagen als die Wörter, relativiert das manche Aussage des Papstes.
Anderes erinnert daran, dass es sich bei dem Jesuiten Franziskus um einen echten Katholiken handelt. Im April 2014 sprach er zwei seiner Vorgänger heilig und sagte in seiner Predigt:
„Mögen diese beiden neuen heiligen Hirten des Gottesvolkes mit ihrer Fürsprache für die Kirche eintreten“.
Zum Heiligsprechungsprozess sei nur soviel gesagt: Um als Heiliger angerufen werden zu dürfen, muss eine Person tot sein. Sie muss zwar zu Lebzeiten ein vorbildliches Leben geführt haben, aber entscheidend sind normalerweise zwei Wunder, die die verstorbene Person vollbracht haben muss. Im Falle von Johannes Paul II. soll eine an Parkinson erkrankte Ordensschwester am Tag nach dem Tod Johannes Pauls (2.6.2005) durch ihn geheilt worden sein. 2011 dann hatte eine Frau aus Costa Rica angeblich eine Erscheinung des verstorbenen Papstes und bat diese um Fürsprache bei Gott wegen eines Aneurysmas. Das sei dann am nächsten Tag verschwunden gewesen.
Eine derartige Anrufung von Toten erscheint uns von der Bibel her ausdrücklich verboten. Im Übrigen gibt es keinen Grund, warum man nicht Jesus Christus selbst um Heilung bitten sollte. Und wenn er nicht erhört, dann ist das sicher keine Aufforderung, auf anderen Wegen Hilfe zu suchen.
Vom November 2013 stammt das Apostolische Schreiben des Papstes Evangelii Gaudium (Freude am Evangelium), das an einigen Stellen so „evangelisch“ klingt, dass man viele Sätze voll unterstreichen möchte. Wer Franziskus aber auf einer Linie mit den Evangelikalen sieht, sollte bedenken, dass er innerhalb des Systems römisch-katholischer Lehre spricht. Und auf die Verbundenheit des Schreibens mit dem ganzen dogmatischen System weist er auch ausdrücklich hin (17+18).
Evangelisierung – das Hauptthema des Papstes – ist nicht das gleiche wie Evangelisation, sondern umfasst missionarische Verkündigung an Nichtchristen ebenso wie Seelsorge und Lehre und eine „Inkulturation des Glaubens“, die zu einer „evangelisierenden Kraft der Volksfrömmigkeit“ führen soll. Allerdings ist zu fragen, was mit „Evangelium“ genau gemeint ist. Der Papst legt Wert auf die Erfahrung der Liebe von Jesus Christus, tragend bleibt aber die sakramentale Taufe:
„In allen Getauften, vom ersten bis zum letzten, wirkt die heiligende Kraft des Geistes, die zur Evangelisierung drängt“ (119).
Das Schreiben ist von Weisheit und zum Teil von biblischen Gedanken geprägt, aber spätestens am Ende wird deutlich, in welchem Geist es verstanden werden will:
„Zusammen mit dem Heiligen Geist ist mitten im Volk immer Maria. […] Maria ist die Mutter der missionarischen Kirche, und ohne sie können wir den Geist der neuen Evangelisierung nie ganz verstehen“ (284).
Franziskus schließt dann konsequent mit einem Gebet zu Maria.
Mit Respekt können wir anerkennen, wo immer das Richtige gesagt wird. Dabei fordert uns die Bibel aber auf, nüchtern und wachsam zu bleiben (2Tim 4,5; 1Pet 5,8).
Lesen Sie zum Thema die ausführliche Besprechung des gegenwärtigen römisch-katholischen Kirchenrechts von Dr. Thomas Schirrmacher.
Außerdem dient die Padua-Erklärung von 1999 der Evangelischen Allianz Italiens auch weiter zur Orientierung.
Dazu dienen die Sammlungen, die nach ihren Herausgebern Neuner-Roos (13. Aufl. Regensburg, 1992) oder Denzinger-Hünermann (14. Aufl. Freiburg, 2014) benannt sind. ↩
zuletzt von 1997, Text unter http://www.vatican.va/archive/DEU0035/_INDEX.HTM ; unter dem Titel „Youcat“ ist auch ein verständlicher und gut aufgemachter Jugendkatechismus herausgegeben worden ↩
zuletzt 1983 beschlossen, Text unter http://www.vatican.va/archive/DEU0036/_INDEX.HTM. Lesen Sie die weiterhin aktuelle Besprechung des Kirchenrechts von T. Schirrmacher ↩
Text unter http://www.vatican.va/roman_curia/pontifical_councils/chrstuni/documents/rc_pc_chrstuni_doc_31101999_cath-luth-joint-declaration_ge.html oder www.velkd.de/downloads/GER_Text.pdf ↩
Eine ausführliche Darstellung und Kritik bietet Bernhard Kaiser, „Konsens oder Differenz? Eine kritische Bewertung der Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“, Reiskirchen 2006. http://www.irt-ggmbh.de/downloads/kondif.pdf ↩
http://de.radiovaticana.va/news/2014/06/22/hat_der_papst_die_mafia_exkommuniziert/ted-808650 ↩