Weil die ganze materielle Welt in ihrem Grundbestand auf die Schöpfung Gottes zurückgeht, verdankt der Mensch seinen Körper und alles was er besitzt diesem Herrn des Universums. Weder ist die Materie an sich schlecht, wie die frühen Gnostiker und manche mittelalterlichen Mönche annahmen, noch steht sie in direkter Konkurrenz zum Geist.1 Die Materie, also auch alles was ein Mensch hat und besitzt, kommt von Gott, der es gut mit ihm meint. In der heilsgeschichtlichen Phase der gegenwärtigen Welt gehören Materie und Geist zusammen, wie es schon bei der Schöpfung des Menschen deutlich wird (1Mo 2,7).
Wohlstand ist Segen
Gott beschenkt die Menschen verdient (vgl. Hi 42,10ff) und unverdient (vgl. Mt 5,45) mit zahlreichen materiellen Gütern (Haus, Auto, Kleidung, Computer, Geld …). Natürlich hat nicht Gott all diese Gegenstände hergestellt, aber er hat die materiellen Voraussetzungen dafür geschaffen, deren Grundstoffe (Metall, Silizium, Erdöl …) und die Naturgesetze, mit deren Anwendung aus diesen Rohstoffen die Dinge hergestellt werden können, die Menschen gerne besitzen und benutzen wollen. Diese Produkte sind dem Menschen für eine Zeitlang anvertraut, spätestens bei seinem Tod muss er sie zurücklassen, meist schon früher (Hi 1,21; 1Tim 6,7).
In der Bibel finden sich zahlreiche Beispiele dafür, dass Gott Menschen, denen er Gutes tun will, materiell beschenkt, sogar reich werden lässt (vgl. 1Kön 3,10-14; Spr 10,22). Manchmal ist äußerer Reichtum Gottes Antwort auf ein vorbildliches Leben (vgl. Hi 42,10ff). Gott verspricht dem, der nach seinem Willen lebt, ein langes Leben (vgl. 2Mo 20,12; Ps 91,16) und materielles Wohlergehen. Typische Beispiele wären hier Abraham, David, Salomo und Hiob. In der Kirchengeschichte hob besonders Calvin diesen Aspekt hervor, dass Reichtum ein Zeichen des besonderen Segens Gottes sein kann.2 In anderen Situationen beklagen sich biblische Autoren darüber, dass es den Ungläubigen so gut geht, dass sie reich werden und gesund bleiben und angesehen (vgl. Ps 73,12; Jer 5,26ff). Gott verteilt materielle Güter nicht unbedingt nach dem Grad der Frömmigkeit.
In jedem Fall sollte der Glaubende alles, was er besitzt, als Geschenk Gottes erkennen und ihm dafür dankbar sein (vgl. Mt 14,19; Phil 4,6; Kol 3,17), ganz gleich ob es Villen und Millionen sind oder nur Bett und Kühlschrank.
Gläubig heißt nicht reich
Unter Christen gibt es nicht nur diejenigen, die Reichtum und Besitz skeptisch gegenüberstehen, sondern auch diejenigen, die meinen jeder Gläubige könne im Wohlstand leben, wenn er nur genügend glaube. Gott wolle, dass alle seine Kinder reich würden, als Zeichen seiner Liebe. Um den vorgeblich zugesagten Segen Gottes zu realisieren müsse der Christ lediglich intensiver glauben, bzw. die mutmaßlichen Zusagen Gottes für sich in Anspruch nehmen. Wer allerdings in der Bibel nach einer Bestätigung dieser These sucht, wird enttäuscht, es sei denn er sucht nur die Beispiele heraus, wo es Glaubenden tatsächlich materiell gut ging. Weitaus häufiger jedoch litten vorbildliche Gläubige des Alten und Neuen Testaments unter materiellen Einschränkungen. Propheten wie Elia, Elisa, Jeremia, Johannes der Täufer, aber auch Jesus und seine Jünger gehörten eher zu den wenig Besitzenden. Jesus besaß weder Immobilien noch größere Geldsummen oder aufwändige Kleidungsstücke (vgl. Mt 25,31-36; Lk 9,58). Auch seine Apostel hatten nur was sie gerade benötigten, selten mehr (vgl. Mt 10,8f; Apg 3,6; 2Kor 11,16-28).
Reichtum garantiert?3
Nach David Harrell (All Things Are Possible) ist die Wohlstandslehre „der wichtigste neue Gedanke der charismatischen Erweckung“. Das Versprechen der Glaubensprediger, wohlhabend und erfolgreich zu werden, ist für viele ein Grund sich der Bewegung anzuschließen. Einmal wird die materielle Segnung Gottes von der Investition des Gläubigen ins Werk des Redners abhängig gemacht. Ein andermal wird von geistlichen Gesetzen des Universums gesprochen, die es zu beachten gelte. Diese Auffassung wird auch von Kenneth Copeland vertreten:
„Dabei müssen wir verstehen lernen, dass die geistliche Welt und ihre Gesetze mächtiger sind als die natürliche Welt mit ihren Gesetzen. Die geistlichen Gesetze haben einst die Naturgesetze erst geboren. … Das gilt auch für den Wohlstand. In Gottes Wort gibt es bestimmte Gesetze, die den Wohlstand bestimmen. … Die Erfolgsformeln im Wort Gottes zeitigen Ergebnisse, wenn sie wie angegeben benutzt werden.“4
Mit Bezug auf Mk 10,30 erläutert Gloria Copeland eine solche Erfolgsformel:
„Du gibst 1$ um des Evangeliums willen, und 100 $ gehören dir. Gib 10 $ und empfange 1000 $; gib 1000, und du wirst 100.000 $ bekommen. … Gib ein Haus und du wirst hundert Häuser bekommen oder ein Haus, das hundertmal mehr wert ist …“5
Hagin geht davon aus, dass auch ein Ungläubiger dieses universale Gesetz zu seinen Gunsten anwenden kann:
„… wenn du mit diesen Gesetzen und Regeln in Berührung kommst, dann arbeiten sie einfach für dich – wer du auch sein magst. Wenn man mit Gottes Gesetzen in Berührung kommt, dann funktionieren sie auch.“6
Die geistliche Reife des Bittenden spielt demnach ebenso eine untergeordnete Rolle wie die Führung Gottes für den Einzelnen. Der einem frommen Werk spendende Atheist stünde im Einklang mit Gottes Willen, der in Armut lebende Gläubige hingegen würde Gott entehren. –
„Für Gläubige ist es völlig unnormal, von Armut gefesselt zu sein, so dass sie in der Welt um Hilfe nachsuchen müssen.“7
Der Unity-Gründer Charles Fillmore und der wichtige Vertreter des Neuen Denkens Ralph Waldo Trine formulieren ganz ähnlich. Auch sie sprechen von einem allgemeingültigen geistigen Gesetz, das den Wohlstand des Menschen bestimmt. Unter anderem sei es auch das Denken, das unmittelbar den eigenen Besitz beeinflusst: wer nur an Armut denkt, wird arm; wer sich seinen Reichtum ausmalt, wird wohlhabend.
„Das Denken ist eine Kraft, und es hat okkulte Macht von unvorstellbarem Ausmaß, wenn es richtig eingesetzt und weise gesteuert wird.“8
„Stell dir Reichtum vor. Sieh dich selbst von Reichtum umgegeben. Bekräftige innerlich, dass du über kurz oder lang von Reichtum umgeben sein wirst.“9
Copeland stimmt hier seinen Vorläufern aus dem Sektenumfeld weitgehend zu:
„Du kannst haben, was du aussprichst! Es ist tatsächlich so: Was du aussprichst, wirst du jetzt bekommen. Lebst du in Armut und Mangel mit vielen Wünschen, dann verändere das, was du sagst. Es wird verändern, was du hast.“10
Sorgt Gott, nach Kenyon, in erster Linie für alles Lebensnotwendige, gehen seine Nachfolger in der Glaubensbewegung weit darüber hinaus. Gott
„möchte, dass seine Kinder immer nur vom Feinsten speisen, er möchte, dass sie zu den Bestgekleidetsten gehören, sie sollen die größten Autos fahren und allgemein immer das Allerbeste bekommen“,
verspricht Hagin.11 Wenn schon die Mafia mit Luxuskarossen fährt, müssten Christen als Königskinder einen Rolls Royce besitzen, meint Fred Price.12 Allerdings schränkt er ein, dass gelte nur für diejenigen, die genügend Glauben für ein solches Auto hätten. Andere sollten erst einmal für einen Gebrauchtwagen glauben. Eine Unterscheidung zwischen lebensnotwendigen Bedürfnissen und eigensüchtigen Gelüsten wird an dieser Stelle nicht mehr gemacht. Glaube wird zu einer automatisierten Methode bei einem Gott, der keinen eigenen Willen mehr hat, sondern gern alles gibt, was der Mensch sich ausmalt.13
Ganz ähnliche Aussagen finden sich bei dem esoterischen Bestsellerautor N.D. Walsch:
Gott empfiehlt dem Menschen, nach Walsch, sich intensiv auf den Inhalt seiner Wünsche zu konzentrieren und so zu leben und zu reden als seinen diese bereits erfüllt (Positives Denken).
„Nichts geschieht, was du nicht geschehen lassen willst.”14
Jede menschliche Seele verfügt eigentlich schon über Glück, Erfolg, Gesundheit usw. Um diese Zustände auch in der sichtbaren Welt Wirklichkeit werden zu lassen, muss der Mensch lediglich so leben als wäre er schon reich, erfolgreich und schön.
„Die im Voraus getroffene Entscheidung, etwas zu sein … erzeugt eben dies in deiner Erfahrungswelt. … Handle so als wärest du es, und du wirst es anziehen. Du wirst das, was du durch dein Handeln … zum Ausdruck bringst. Mit anderen Worten: Täusche es vor, bis es Wirklichkeit wird.”15
Tatsächlich sagt Jesus seinen Nachfolgern zu, dass ihr himmlischer Vater ihre Bedürfnisse kennt und sie mit allem Notwendigen versorgen wird (vgl. Mt 6,8.25-32). Allerdings wird der Christ auch aufgefordert, nicht nach irdischem Reichtum oder Wohlergehen zu suchen, sondern sich bedingungslos für das Reich Gottes zu engagieren. Dann wird Gott ihm geben, was er darüber hinaus nötig hat (Mt 6,19f.33; Röm 14,17). Dazu zählen vor allem Nahrung, Kleidung und die Nähe Gottes (vgl. Mt 6,25ff; 1Tim 6,8). Eigene, irdische Wünsche nach Luxus und Wohlleben hingegen werden in der Bibel als Fleisch bezeichnet, das den Christ eher von Gott und dem wirklich Wichtigen im Leben abhält (Röm 6,1-14; 8,12; Gal 5,15-24).
Im Neuen Testament findet sich auch kein einziger Christ, der durch die richtige Anwendung geistlicher Gesetze seinen Reichtum herbeigedacht hat. Jesus selbst wurde eher ärmlich geboren (Lk 2,7), seine Eltern bringen im Tempel das Armenopfer (Lk 2,24), später hebt er hervor, dass er über fast keinen materiellen Besitz verfügt (Lk 9,58). Seinen Jüngern geht es nicht anders. Im Zusammenhang mit einer Krankenheilung betont Petrus kein Silber und Gold zu besitzen (Apg 3,6). Paulus war keineswegs reich, sondern musste sich häufig mit dem Nötigsten zufrieden geben (1Kor 4,9-13; 1Tim 6,7f). Die falschen Apostel, gegen die Paulus sich zur Wehr setzen musste, versprachen wie die Glaubenslehrer heute Macht, Ansehen und Wohlstand für geisterfüllte Christen. Paulus hingegen hob seine eigene Unzulänglichkeit und materielle Armut hervor (2Kor 10,7-18; 11,5-33, 12,1-6). Vehement warnte er vor dem verhängnisvollen Irrtum, sich um irdische, materielle, vergängliche Güter zu bemühen (Mt 13,22; 2Kor 4,16ff). Es wird sogar darauf hingewiesen, dass Wohlstand von Gott ablenkt und dass Reiche nur schwer gottgefällig leben können (Mt 19,23ff; 1Tim 6,9; Jak 5,1ff).
Christliche Nachfolge beinhaltet im Neuen Testament, die Aufgabe eigener Selbstverwirklichung, materieller Ziele und illusionärer Lohnforderungen (Mt 20,8ff; Lk 17,7ff). Stattdessen wird Selbstaufgabe und Opferbereitschaft gefordert (Mt 10,38; Mk 8,34). Inhalt neutestamentlicher Predigt ist nicht der Wohlstand, sondern der Kreuzestod von Jesus und seine vollkommene Hingabebereitschaft (1Kor 1,17f.23; 2,2). Nach dem Vorbild von Jesus sollten auch Christen ihr Verlangen nach Reichtum, Bedeutung und Genuss überwinden, um sich besser geistlich verändern lassen zu können und andere Menschen auf die Liebe Gottes hinzuweisen (Gal 6,14.24). Gelegentlich wird sogar gewarnt, dass Liebe zu Gott und Liebe zu materiellem Besitz und irdischem Vergnügen einander ausschließen (Mt 6,24; Jak 4,4; 1Joh 2,15-17).
In der Glaubenstheologie scheint der materielle Vorteil des Menschen treibende Motivation der Hinwendung zu Gott zu werden. Gott ist nicht mehr der souverän Entscheidende, sondern der Garant für ein beliebig anwendbares Naturgesetz zum persönlichen Vorteil. Dass gerade materielle Bedürftigkeit die Abhängigkeitsbeziehung zu Gott stärkt, die eigene Unzulänglichkeit vor Augen führt und anderen die Gelegenheit gibt mit Hilfeleistungen ihre Liebe auszudrücken (Mk 14,7; Röm 12,20; 2Kor 8,14f; Eph 4,28; 1Tim 6,18f) bleibt vollkommen unberücksichtigt. Reiche sind im Neuen Testament keinesfalls immer von Gott Gesegnete oder gar geistliche Vorbilder und Arme sind hier ebenso wenig ungläubige Zweifler. Reiche werden von Jesus gewarnt, dass ihr Besitz ihnen ein Hindernis werden kann auf Gott zu vertrauen und sich nach seinem Willen zu orientieren (Mt 6,19-24; Mk 10,25; Lk 6,24). Christen werden gewarnt, nach materiellem Wohlstand zu suchen (Mt 6,19ff). Irdischer Reichtum wird als trügerisch bezeichnet (Mk 4,19; 1Tim 6,17). Die Sehnsucht nach Besitz kann schnell zur Gier werden, die auch vor Unmoral und Betrug nicht halt macht und letztlich die Sehnsucht nach Gott ersticken kann (Mk 4,19; Jak 5,1-3).
Jesus wendet sich mit seinen Predigten insbesondere an die Armen (Lk 4,18). Ihnen wird Gottes Segen versprochen (Lk 6,20; Jak 2,5). Reiche fordert Jesus auf, ihren hinderlichen Besitz aufzugeben (Mk 10,21). Gelegentlich wird das Vertrauen und der Glaube der Armen als vorbildlich hervorgehoben (Mk 12,43f). Christen werden ermahnt, Menschen nicht nach ihrem materiellen Besitz zu bewerten (1Kor 12,13; Jak 2,2ff). Natürlich werden vereinzelt auch Reiche genannt, die sich Gott gegenüber öffnen (Mt 27,57; Lk 7.15; Joh 3,1), niemals jedoch wird ihr Besitz als Ausweis ihrer geistlichen Einsicht beschrieben.
McConnell kommentiert:
„Die Wohlstandslehre ist in der Tat eine ganz fleischliche Anpassung an den puren Materialismus der amerikanischen Kultur. Sie ignoriert die Forderungen des Neuen Testaments … und entwirft eine Theologie, die das Ungleichgeweicht zwischen Arm und Reich nicht nur hinnimmt, sondern auch noch die Armen herabwürdigt, indem sie behauptet, deren Armut sei darauf zurückzuführen, dass sie Gott nicht ehren würden.“16
Vgl. Wolf Dieter Hauschild: Lehrbuch der Kirchen und Dogmengeschichte. Band 1. Alte Kirche und Mittelalter, 2.überar. Aufl. Gütersloh, Gütersloher Verlagshaus 2000, S. 70-72. ↩
Vgl. Michael Kotsch: Johannes Calvin. Reformator und Wegbereiter, Dillenburg, Christliche Verlagsgesellschaft 2009, S. 157. ↩
Vgl. Michael Kotsch: Die Charismatische Bewegung 2. Praxis, Theologie, Geistesgaben, Lage, Lichtzeichen 2008, S.161-164 / McConnell, D.R.: Ein anderes Evangelium. Eine historische und biblische Analyse der modernen Glaubensbewegung, Fliß, Hamburg 1990, S. 213-22. ↩
Kenneth Copeland: The Laws of Prosperity, Kenneth Copeland Publications 1995, S. 18-20. ↩
Gloria Copeland: God’s Will Is Prosperity, Harrison House 1978, S. 54. ↩
Kenneth Hagin: The Law of Faith, in: Word of Faith, Nov. 74, S. 2f. ↩
E.W. Kenyon: Jesus the Healer, Kenyons Gospel Publ. Soc., 1989 S. 67 / vgl. Hagin: Authority, S. 22. ↩
Ralph Waldo Trine: In Tune with the Infinite, London, George Bell & Sons 1903, S. 137. ↩
Trine: In Tune, S. 138f, vgl. 135, 141. ↩
Copeland: The Laws of Prosperity, S. 98, 101. ↩
Kenneth Hagin: New Thresholds, Kenneth Hagin Ministries edition, Paperback, 2nd ed., 1980 [1972], S.54f. ↩
Vgl. Frederick Price: Faith, Foolishness, or Presumption, Harrison House 1981, S. 28. ↩
Vgl. D.R.McConnell: Ein anderes Evangelium, S. 213-229. ↩
N.D. Walsch: Zuhause in Gott, München, Goldmann Verlag 2009, S. 24. ↩
N.D. Walsch: Gespräche Mit Gott Bd.3, München, Goldmann Verlag 1999, S. 31 ↩
D.R.McConnell: Ein anderes Evangelium, S. 226 ↩