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Drei Dinge, die du wissen musst: Die tragenden Balken unseres Glaubens

Kürzlich sahen wir uns als Familie Fotos vom Umbau eines Hauses an. Die Besitzer hatten das ganze Gebäude ausgehöhlt. Nur einige Balken blieben übrig, die das ganze Gebäude stützten. Dies ist ein treffendes Bild für das, worum es in diesem Beitrag geht1. Was sind die tragenden Balken unseres Glaubens? Früher war es selbstverständlich dazu den Katechismus zu befragen, der die wichtigsten Glaubensgrundsätze zusammenfassen sollte.

Im vergangenen Jahr hatte der Heidelberger Kate­chis­mus von 1563 sein 450jähriges Jubiläum. Seine zweite Frage gibt nicht nur die Struktur für die 129 Fragen und Antworten vor, nach denen der Katechismus aufgebaut ist. Sie beschreibt auch in Kürze die Grundstruktur des christlichen Glaubens.

„Was musst du wissen, damit du in diesem Trost selig leben und sterben kannst? (Lk 24,46-47; 1Kor 6,11)

Erstens: Wie groß meine Sünde und Elend ist. (Tit 3,3-7; Joh 9,41; 15,22)

Zweitens: Wie ich von allen meinen Sünden und Elend erlöst werde. (Joh 17,3)

Drittens: Wie ich Gott für solche Erlösung soll dankbar sein. (Eph 5,8-11; 1Pet 2,2-12; Röm 6,11-14)“

Unser Glaube – so sagt es der Heidelberger im Einklang mit der Bibel – besteht aus dem Dreitakt Elend – Erlösung – Dankbarkeit. Alle drei Stücke gehören zusammen. Wird ein Stück herausgenommen, stürzt das gesamte Gebäude ein. Deshalb ist diese kurze Zusammenfassung auch ein geeignetes Instrument zur Prüfung, ob die Botschaft des Glaubens ausgewogen dargestellt wird. Ebenso bietet es eine Basis für ein Kontrastbild zum „Evangelium“ unserer Umgebung. Jeder Mensch muss nämlich eine Erklärung für das Elend liefern und eine Lösung bereithalten, die es ihm ermöglicht, sein Leben und Handeln zu rechtfertigen. Wenn er nicht vom Heiligen Geist erneuert worden ist, geht er jedoch in allen drei Dingen fehl.

Jede Frage und Antwort des Katechismus ist sorgfältig aus der biblischen Gesamtbotschaft abgeleitet worden. Dieselbe Grundstruktur wie im Heidelberger Katechismus finden wir beispielsweise in einer Argumentation von Paulus vor. Es geht um die Spannung des erlösten Menschen: Einerseits ist das Verlangen nach Gottes Gesetz tief in ihm verankert. Er macht jedoch die Erfahrung, dass er wegen der in ihm wohnenden Sünde nicht nach dem Gesetz handelt (Röm 7,13-25). Der abschließende Ausruf von Paulus beinhaltet in Kürze den Ausweg aus dem Dilemma und gleichzeitig die Konturen der rettenden Botschaft des Glaubens (Verse 24-25)2:

1. Ich elender Mensch!

2. Wer wird mich retten?

3. Dank sei Gott durch Jesus Christus.

 

Diagnose: Ich elender Mensch!

Von der zweiten bis zur zweitletzten Seite unserer Bibel lautet eine ihrer Hauptbotschaften: Die Sünde hat das Sein und das Tun aller Menschen nachhaltig geprägt. Wir haben ein korruptes Herz; jede Art von Unreinheit kommt aus unserem Inneren hervor; wir haben eine irrende Seele und einen stolzen Geist, ein verunreinigtes Gewissen und einen Willen, der unfähig ist Gutes zu tun.

Das Alte und das Neue Testament hallt vom Echo wider: Wir sind nicht mehr so, wie Gott uns ursprünglich geschaffen hatte. Nicht weil wir sündigen, sind wir Sünder, sondern: Weil wir Sünder sind, sündigen wir. David bekennt das, nachdem er durch seine schwere Sünde – Ehebruch und Mord – seine Familie in schweres Leid gestürzt hatte (Psalm 51,5-7):

• „Vor dir allein habe ich gesündigt.“

→ Sünde findet in erster Linie vor Gott statt.

• „In Schuld bin ich geboren.“

→ Sünde ist ein Zustand, in dem sich der Mensch von Anfang an vorfindet.

• „Ich erkenne meine Übertretungen.“

→ David legt ein Schuldbekenntnis ab.

Alles Denken und Streben des Menschen ist „nur böse den ganzen Tag“ (1. Mose 8,21). So wird nach der Sintflut zur Zeit Noahs protokolliert. David singt: Es gibt keinen Gerechten, auch nicht einen einzigen (Psalm 14,3). Salomo resümiert: Es gibt keinen Menschen, der nicht sündigte (Prediger 7,20). Hiob ruft in seinem Schmerz: Kann ein Unreiner von einem Reinen kommen? Unmöglich (Hiob 14,4). Worin bestand der Aufruf von Jesus? Tut Buße (Matthäus 4,17)! Ihr müsst von neuem geboren werden (Johannes 3,5). Auch Paulus wird bei seiner Bekehrung gesagt, dass seine Sünden abgewaschen werden (Apostelgeschichte 22,16). Johannes fasst zusammen: Die ganze Welt liegt im Bösen (1. Johannes 5,20). Das letzte Buch der Bibel beginnt mit einem Lob auf Jesus, der uns von unseren Sünden durch sein Blut erlöst hat (Offenbarung 1,5).

Die falsche Diagnose unserer Gesellschaft

Nun besteht eine große Spannung zwischen diesem biblischen Befund und der Diagnose unserer Gesellschaft. Leihen wir ihr Gehör, so leben wir in einer „sündenfreien“ Umgebung. Seit der Aufklärung ist der Sündenbegriff in Raten abgeschafft worden. Wer die Werbung aufmerksam studiert, merkt schnell, dass der Begriff „Sünde“ zwar oft verwendet wird. Ein Promi bekennt auf der Titelseite eines Hochglanzmagazins: „Ich genieße, ich sündige nicht.“ Das Wort ist nur noch eine Hülle, die mit einem anderen Inhalt gefüllt worden ist. Sünde ist etwas Prickelndes und Auf­regendes. Vor allem ist sie etwas, worüber wir Menschen befinden. Doch: Obwohl wir die Sünde abgeschafft haben, besteht sie nach wie vor. So sehr wir sie ausblenden mögen – wir sind gezwungen, sie neu zu interpretieren. Drei Alternativen bieten sich zum Ausruf von Paulus „Ich elender Mensch“ an. Alle drei Ausflüchte sind in sich eine Bestätigung, dass der Mensch Sünde sehr wohl wahrnimmt.

1. „Du elender Mensch!“ Was gibt es Einfacheres, als die Schuld dem Nächsten zuzuschieben? Ich nenne dies den „Eva-Reflex“. Von Gott auf ihre Verfehlung angesprochen, gab sie die Anschuldigung flugs weiter (1. Mose 3,13). Ganz Unrecht hatte sie dabei nicht. Auch die anderen Menschen sind von der Sünde betroffen. Doch das entschuldigt uns selbst keineswegs.

2. „Du elender Gott!“ Manche Menschen, bei denen Gott eine Statistenrolle im Leben spielt, holen ihn dann auf die Bühne ihres Lebens, wenn ihnen Unrecht widerfährt oder sie im Matsch ihres Alltags feststecken. Dann machen sie reflexartig Gott dafür verantwortlich.

3. „Diese elende Umgebung!“ Wie beliebt ist die dritte Variante. Die Schuld wird delegiert an das falsche Arbeitsumfeld, das falsche Wohnquartier, die falsche Schulklasse. Auch hierzu muss ergänzt werden: Die Umgebung beeinflusst tatsächlich. Ebenso ist sie von der Sünde betroffen.

Lösung: Wer wird mich retten?

Stell dir die Szene vor: Mein Sohn kommt mit einem Matheproblem zu mir. Ich schicke ihn weg mit der Lösung, er solle doch ein Stück in seinem aktuellen Abenteuerbuch weiterlesen. Oder: Mein Arzt schickt mich mit Magenschoner­tabletten heim, dabei liegt ein akuter Verschluss der Herzkranzgefäße vor. Was will ich damit sagen? Wer falsch diagnostiziert, bietet auch eine falsche Lösung an. Wer das Elend des Menschen ausblendet, geht fehl bei der Beseitigung dieses Elends. In der Regel sucht er die Lösung für das Problem im Menschen selbst, weil er auf niemand anders zurückgreifen kann. In meinem eigenen beruflichen Umfeld der Beratung und Therapie treffe ich drei Lösungsansätze an:

1. Die Lösung über den Verstand: „Du musst mehr wissen.“ Der menschliche Verstand erhebt sich über seine eigene Situation und entwirft eine geeignete Strategie. In anderen Worten: Das Problem liegt in fehlender Kenntnis. Der Bildungsstand muss angehoben werden!

↔ Nur gibt es immer wieder Situationen, in denen der Mensch „am Ende seines Lateins“ angelangt ist.

2. Die Lösung über den Willen: „Du musst einfach wollen.“ Wer seine ganze Kraft zusammennimmt und Durchhaltevermögen zeigt, wird schon zum Ziel kommen.

↔ Nur treffe ich Menschen an, die gar nicht mehr in der Lage sind zu wollen.

3. Die Lösung über die Gefühle: „Du musst es für dich stimmig machen.“ Die Neuordnung des Gefühlshaushalts hilft, nicht Stimmiges neu zu interpretieren. Vertreter des positiven Denkens rufen uns zu, uns täglich unserer negativen Gefühle zu entledigen.

↔ Nur begegne ich ständig Menschen, deren Gefühle sie regelmäßig einholen.

Hier versperrt uns eine fehlende Unterscheidung den Blick für die wahre Lösung. Nur das Wirken des Heiligen Geistes kann diese Einsicht schenken. Der Verstand ist zwar in der Lage, neue Dinge zu erfinden, die die Lebens­bedingungen des Menschen verändern können. Der Wille des Menschen treibt ihn dazu an, schwierige Unterfangen zu Ende zu führen. Die Neuordnung der Gefühle unterstützt ihn beim Erreichen von Zielen. Dies hat damit zu tun, dass der Mensch im Bild Gottes geschaffen und trotz Sünde noch immer in der Lage ist, Gottes Schöpfung – wenn auch mangelhaft – zu bewahren und zu entwickeln.

Bezogen auf das Heil und das grundsätzliche Problem seines ganzen Elends bringt ihn dies jedoch keinen Zentimeter weiter!

Die Lösung kommt ganz von außen her zum Menschen. Der dreieine Gott, der den Menschen geschaffen hat, bewerkstelligt auch dessen Erlösung. Wie?

Gottes Sohn gab seine Herrlichkeit auf, um Mensch zu werden. Er hat in seinem Leben Gottes Gesetz vollkommen erfüllt. Zum Ende gab er sein eigenes Leben stellvertretend für die Schuld der Menschen hin. Unsere Selbstgerechtigkeit tauschen wir mit der geschenkten Gerechtigkeit Gottes ein. Gott nimmt unsere Schuld und vergibt uns diese in Jesus Christus. Dieser hat sie an unserer Stelle mit seinem Leben bezahlt. Als Tausch schenkt er uns seine Gerechtigkeit als Kleid, um unsere Blöße zu bedecken vor den eigenen und anderen kritischen Augen. Mit diesem Mantel der Gerechtigkeit bedeckt und von Gott als gerecht bezeichnet, sind wir Menschen nicht mehr „bloß gestellt”. Wir brauchen uns nicht mehr selbst zu rechtfertigen, weil wir eine bessere Bedeckung erhalten haben.

Welchen Auftrag vermittelte Jesus bei seinem Weggang seinen Jüngern? Was war sein Vermächtnis? Er beauftragte seine Jünger als Stellvertreter, weltweit „Buße und Vergebung der Sünden“ zu verkündigen (Lukas 24,46+47). Diesen Auftrag befolgten sie beim Siegeszug des Evangeliums im Römischen Reich (siehe zum Beispiel die Verkündigung von Petrus vor dem römischen Hauptmann und seinen Verwandten und Bekannten, Apostelgeschichte 10,43). Der wichtigste Auftrag der Kirche besteht deshalb darin, diese umfassende Lösung in die entferntesten Winkel der Erde zu tragen.

 Leben: Gott sei Dank!

Damit sind wir beim dritten Stück unseres Glaubens angelangt. Wir wurden zur Ehre Gottes geschaffen. Wir leben nicht zur eigenen Entfaltung. Unser Leben trägt zur Erfüllung des Willens Gottes und seines Planes bei. Mit dem von Gott veranlassten und durchgeführten Werk der Versöhnung sind wir in die Lage versetzt, Gottes Willen zu erfüllen. Über unsere Unverständigkeit, unseren Eigenwillen und Stolz, unseren Streit und Hass können wir ein Schild hängen: „Einst“ (Titus 3,3).

Aber Achtung: Wir tragen das alte Programm, die Sünde, noch in uns. In unserem Leben macht sich die Grundspannung bemerkbar, von der Paulus in Römer 7 schreibt. Einerseits verlangt das neue Leben nach dem Gesetz Gottes, die noch in uns wohnende Sünde zieht jedoch in eine andere Richtung. Was ist der Ausweg aus dem Dilemma?

Paulus beschreibt das in Römer 6. Wir sind mit Christus gestorben und auferstanden. Zurück ins Leben gekommen, betrachten wir das Leben unter dem Blickwinkel dieser neuen Identität. Unser ganzes Leben spielt sich vor Gott ab. Deshalb sind wir für die Sünde tot und verhalten uns auch aktiv dementsprechend, indem wir uns mit unseren Fähigkeiten ganz Gott zur Verfügung stellen.

Verkürzungen und Entstellungen erkennen

Die drei Stücke des Glaubens werden von zwei Seiten her beschnitten:

1. Entweder wird das Elend ausgeblendet. Der Mensch ist dann von sich aus in der Lage, sein Grundproblem zu lösen. Über diesem Versuch hängt die Überschrift „Moralismus“. Dies beinhaltet die Botschaft, dass es nur an uns liege, das Gute zu tun. Die Folge ist ein Konzept des „Gutmenschen“. Er hat sich an eine Batterie von (selbst aufgestellten) Regeln zu halten. Oftmals hängt er sich seine eigene „Latte“ so auf, dass er eben noch darüber springen kann. Er meint sich auf diese Art dem Urteil Gottes entziehen zu können. Doch er bleibt in seinem Sein und seinem Tun von Gott entfremdet. Er kann sich ihm niemals durch eigene Kraft nähern.

2. Die zweite Verfälschung schneidet das letzte Stück – das Leben in Dankbarkeit – weg. Sie nimmt gerne die eigene Unpässlichkeit wie auch die Lösung von außen in Anspruch. Die „göttliche Versicherungspolice“ wird als Vorwand genommen, um das eigene Leben weiterzuleben (Relativismus). Das ist jedoch eine trügerische Sicherheit: Wer sein eigenes Elend erkannt hat und von Gott erneuert worden ist, strebt nach einem gottgefälligen Leben.

Beide Verkürzungen berauben letztlich das Mittelstück, die Erlösung durch Christus, der Bedeutung und Wirkung. Wer durch eigene Kraft meint, zu Gott zu kommen, braucht keinen Erlöser mehr. Wer das „Ticket für den Himmel“ als Freibrief für ein gottloses Leben nimmt, entehrt das Werk Gottes und erklärt es für wirkungslos.

Wie hilft uns dieser Dreitakt des Glaubens, die alternativen Evangelien unserer Gesellschaft zu beurteilen? Ich skizziere dies beispielhaft am Thema „Weihnachten“. Das Problem wird oft zweiteilig beschrieben. An oberster Stelle steht die Hektik und fehlende Ruhe. Knapp dahinter folgt der familieninterne Streit. Welche Lösung wird angeboten? Ein üppiges Essen vermag teilweise zu beruhigen. Darüber hinaus bieten neue elektronische Geräte eine willkommene Zerstreuung. Was bedeutet dies für das Leben (Ethik)? Man erlaubt sich übermäßiges Essen und Trinken, betäubt sich mit Endjahreskäufen und rechtfertigt die Buchung für den Flug in die Wärme.

Fazit

Der Dreitakt unseres Glaubens lautet: Elend, Erlösung, Dankbarkeit. Erst eine richtige Diagnose unseres Elends er­mög­licht eine angemessene Lösung: den Glauben an den Erlöser Jesus Christus. Der Glaube wiederum ermöglicht ein wirklich erfüllendes Leben aus und in Dankbarkeit.


  1. Zu diesem Aufsatz angeregt hat mich Thomas K. Johnson mit seinem Aufsatz „Triple Knowledge and the Reformation Faith“, MBS Texte 136. Martin Bucer Seminar: Bonn, 2009. Weitere entscheidende Einsichten verdanke ich Francis Schaeffer. Was ist geistliches Leben? 

  2. Ausleger sind sich uneinig, ob es sich in diesem Abschnitt a) um Paulus selbst und b) um einen bekehrten oder c) einen nicht bekehrten Menschen handelt. Ich gehe davon aus, dass Paulus von sich selbst als gereiftem Christen spricht, der sich dieser Spannung immer deutlicher bewusst wird.