Moll, Sebastian. Jesus war kein Vegetarier. Berlin: University Press 2011. 110 S. Hardcover: 19,90 €. ISBN 978-3-86280-019-3
Das Büchlein unter dem merkwürdigen Titel ist für einige Überraschungen gut, nicht nur was den Preis betrifft. Dr. Sebastian Moll, Jahrgang 1980, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Mainz wagt es, „wider den Stachel zu löcken“. In bildhafter Sprache und mit geschickten Vergleichen spießt er Behauptungen aus seinem kirchlich-theologischen Umfeld auf. Dabei lässt er kein „Fettnäpfchen aus. Er nimmt Ideen zu Tieren, Frauen, Homosexualität, Judentum und die „Bibel in gerechter Sprache“ aufs Korn.
Immer wieder tun Repräsentanten der Evangelischen Kirche der Bibel mit haarsträubenden Interpretationen Gewalt an. Moll meint, dass seine Kirche „für derartige ideologische Verwirrungen nun einmal, sagen wir anfälliger ist …“ (S. 15). Nicht zuletzt geschieht das durch die Herausgabe der „Bibel in gerechter Sprache“. Müsste der Titel nicht eher so lauten, wie ihn einmal ein Student ergänzt hat: „Bibel in selbstgerechter Sprache“. Normalerweise hat jeder Bibelübersetzer „den Anspruch, der ursprünglichen Botschaft so nahe wie möglich zu kommen“ (S. 94). Doch der Übersetzerkreis der genannten Bibelausgabe war davon „weit entfernt. Ihm ging es vor allem darum, ‚Ungerechtigkeiten’ im Original zu bereinigen, mit anderen Worten, den Text nach ihrer eigenen Ideologie umzuschreiben. In früheren Zeiten galt die Verfälschung der heiligen Texte als höchste Blasphemie, heute wird sie von der Kirche gefördert.“ (S. 94)
Was die Tiere anbetrifft, „reagieren und argumentieren die Menschen“ bei kaum einem Thema „so irrational wie beim Tierschutz“ (S. 21). So muss laut „Glauberger Schuldbekenntnis“ für einen Verrat „am diakonischen Auftrag Jesu“ Buße getan werden, weil wir „unseren geringsten Brüdern, den Tieren, nicht gedient“ hätten. (S. 31) Man bezieht sich dabei auf Matthäus 25,40. Nun kann man darüber streiten, wer die „geringsten Brüder“ von Jesus sind, Tiere sind es sicher nicht. Jesus nimmt in einem anderen Zusammenhang überhaupt keine Rücksicht auf Tiere, als er nach Markus 5,13 zum Beispiel zweitausend Schweine einen Abhang hinunterstürzen und ertrinken lässt.
Bei dieser Gelegenheit wird aber auch klar, dass Moll wohl kein bibeltreuer Evangelikaler sein will, denn er schreibt: „An der historischen Korrektheit dieses Berichts darf zwar mit Recht gezweifelt werden, aber auch wenn er erfunden sein sollte, so zeigt er doch deutlich, dass die urchristliche Gemeinde keinerlei Probleme hatte, ihrem Herrn derartiges zuzuschreiben.“ (S. 32)
Trotzdem heben sich seine klaren Hinweise auf biblische und geschichtliche Zusammenhänge über Frauen, Homosexualität und Judentum (besonders was die Evangelisation unter Juden betrifft) deutlich von dem Unsinn der politischen Korrektheit unserer Tage ab, sodass man das Büchlein mit Vergnügen und großer Zustimmung liest.
Kein Wunder, dass Moll bald ins Kreuzfeuer der Medien geriet. Die Zeitschrift „Christ & Welt“ interviewte ihn (Ausgabe 36/2011) und fragte zum Beispiel: „Warum legen Sie sich auf knappstem Raum mit der größtmöglichen Zahl von Leuten an?“ Seine Antwort: „Es geht mir nicht darum, mich mit möglichst vielen Leuten anzulegen. Mich besorgt nur, dass die Bibel inzwischen völlig verzerrt wird. Sie muss zum Beispiel als Begründung dafür herhalten, auf Fleisch zu verzichten, die Frauenquote gut zu finden und gegen Atomkraft zu sein.“ Auf eine andere Frage sagte er: „Mich stört aber, wenn man die Fakten der Schrift dahingehend verdreht, dass sich Christus und Paulus bewusst für die Belange der Frauenbewegung eingesetzt hätten, wie das heute in Positionspapieren der EKD geschieht.“
Als er nach seiner theologischen Karriere gefragt wurde, erwiderte er: „Ja, ich arbeite an meiner Habilitation, aber die Berufungskriterien der Hochschulen sind mitunter schon beunruhigend … Ich habe es erlebt, dass jemand nicht eingestellt wird, nur weil derjenige sich gegen die Frauenordination ausgesprochen hat. Es heißt ja immer, Frauenordination sei gar keine Glaubensfrage, sondern eine Frage der Konvention. Aber wenn dann einer etwas dagegen sagt, wird es plötzlich doch zur Glaubensfrage erhoben.“
In der darauf folgenden Nummer der gleichen Zeitschrift (37/2011) konterte Johann Hinrich Claussen, Hauptpastor in Hamburg. Ihm fiel allerdings nicht viel mehr ein, als dem Autor zu unterstellen, er würde sich in eine antimoderne Gegenwelt zurückziehen und verfalle in einen simplen Biblizismus. „Der aufgeklärte Protestantismus versucht deshalb, mit Blick auf Bibel und Gegenwart danach zu fragen, was das Wesen des Christentums ist. Und dieses ist nicht einfach identisch mit dem Textbestand der Bibel. Deshalb geht es bei aller Herkunftstreue nicht ohne Brüche ab. Die Verantwortung von bewusst gewählten Traditionsbrüchen und kritischen Umformungen der Kirche ist deshalb eine der Hauptaufgaben moderner Theologie.“
Das soll dann noch Theologie sein – Lehre von Gott? Hier kann man nur sagen: Gute Nacht, moderner Protestantismus!