ThemenGemeinde und Mission

Das Wesen Gottes und Gemeindebau

Die Ursache jeder Krankheit der Gemeinde ist immer ein angeschlagenes oder gar gebrochenes Verhältnis zu Gott.

Die Gemeinde Gottes ist die Gemeinschaft derer, die durch das Evangelium Gottes gerufen und zu Gott geführt worden sind. Ist nun das Evangelium ein Ausdruck von Gottes Gnade und Heiligkeit, Kraft und Weisheit, dann ist es die Gemeinschaft der durch das Evangelium Geretteten auch. Die Gemeinde Gottes heißt eben deshalb so, weil sie aus Gott geworden ist. Sie ist ein Ausdruck Seines Willens und Seines Wesens.

Die Gemeinde ist der Ort, an dem Gott wohnt und an dem Er Seine Herrlichkeit entfaltet (2Mo 25,8; 40,34; Mt 18,20; Off 21,10f). Wie beim Evangelium Gott die Hauptsache ist, weshalb es „Evangelium Gottes“ heißt, so auch in der Gemeinde, die deshalb „Haus Gottes“ und „Gemeinde Gottes“ heißt. Damit Gott im Leben der örtlichen Gemeinde auch die Hauptsache werde, müssen wir das zunächst verstehen, und haben wir es verstanden, müssen wir danach trachten, in der Erkenntnis Seines Wesens zu wachsen.

1. Vom Wesen Gottes und der Erkenntnis Gottes

1.1 Die Suche nach der erfolgreicheren Gemeinde

Von Zeit zu Zeit hört man, dass die meisten Christen unzufrieden seien mit dem gegenwärtigen Zustand der Gemeinde und der Gemeinden. Entsprechend werden in regelmäßigen Abständen Lösungen zur Beseitigung verschiedener Missstände angeboten. Wir haben nun einige Jahre hinter uns, in denen Gemeindewachstum durch besucherfreundliche Gemeinden als das Heilmittel der Gemeindemiseren angepriesen wurde. Gegenwärtig hört man viel von der emergierenden Kirche, die einmal mehr die Antworten feil hält auf die weit verbreitete Unzufriedenheit mit den existierenden Gemeinden und Gemeindeformen. Es gibt eine gute, eine heilige Unzufriedenheit. Wir lesen im Neuen Testament von einer Gemeinde, die mit sich selbst zufrieden war und die dafür vom Herrn scharf gerügt wurde (Off 3,15–17). Wir müssen uns aber bei unserer Unzufriedenheit fragen, welches die Gründe unserer Unzufriedenheit sind. Leiden wir darunter, dass wir nicht das sind und so sind, wie Gott es befohlen hat, oder sind wir unzufrieden, weil unser Wunschdenken noch immer Wunschdenken geblieben ist? Haben wir Träume, die wir gerne verwirklicht sähen, oder können wir mit dem Apostel Paulus sagen, wir richteten uns nach einem himmlischen Gesicht (Apg 26,19) und hätten im Licht dieses von Gott gegebenen – nicht von uns erdachten – himmlischen Bildes unsere Mängel erkannt?

1.2   Der Verlust der Identität der Gemeinde

Die meisten von uns sind gegenüber der Gemeindewachstumsbewegung und der emergierenden Kirche skeptisch geblieben, und das mit Recht. Der Grundirrtum dieser beiden oder eher dieser einen Bewegung, die unter einer neuen Fahne lediglich in eine nächste Phase getreten ist, ist der, dass sie im Menschen verankert ist statt in Gott und daher die Unzufriedenheit überwinden will, indem sie mitmenschlich Hantierbarem menschliche Erwartungen zufriedenstellen will. Das Zauberwort lautete beider besucherfreundlichen Kirche „Relevanz“. Die Gemeinde müsse den Zeitgenossen zeigen, dass sie relevant sei. Eine Zeit lang werden die entsprechenden Rezepte wohl ganz leidlich funktionieren, bis sich auch hier Ernüchterung und Kater einstellt. „Wenn das Ziel darin besteht, die Gemeinde zum Wachsen zu bringen, dann müssen wir dafür sorgen, dass die Leute sich wohl fühlen. Wenn die Leute später entdecken, dass man sich auch auf andere Weise wohl fühlen kann, verlassen sie die Gemeinde, die sie nicht mehr brauchen. Die Gemeinde, die relevant sein will, sät damit die Saat ihrer eigenen Irrelevanz und verliert dabei noch ihre Identität“.1

Die emergierende Kirche geht in der gleichen Richtung einen Schritt weiter, indem sie den Zeitgenossen nicht lediglich zeigen will, dass sie relevant sei; nein, sie will in ihrer Umwelt relevant werden. Hier lautet das Schlagwort Kulturrelevanz. Wie die Römisch Katholische Kirche ist die besucherfreundliche und emergierende Kirche christlich religiös, darum klingt so vieles, was diese propagieren, dem Bibelleser vertraut. Man hört den Namen Christi und vernimmt, Seine Kirche sei etwas Wunderbares; denn: Der Glaube an Gott und seine Kirche machen den Menschen glücklicher und sein Leben sinnvoller, und, was noch schöner ist: Der Glaube erhöht den Wert des Menschen; er adelt ihn; der Mensch ist wichtig! Gott darf uns den Steigbügel halten, damit wir aufs Ross steigen können. Damit aber sind die Verhältnisse, die Gott gesetzt hat und die gerade im Volk Gottes gekannt und verteidigt werden müssten, ins Gegenteil verkehrt, und damit hat die Gemeinde ihre Identität verloren.

1.3 Die Identität der Gemeinde wieder gewinnen

Die Identität der Gemeinde kann nirgends anders als in Gott gefunden werden; ihre Bestimmung und Aufgabe muss von Gott her erklärt werden. Wenn das ewige Leben darin besteht, den allein wahren Gott zuerkennen und Jesus Christus, den Er gesandt hat (Joh 17,3), dann müssen wir als Gemeinde mehr als alles andere um die rechte Erkenntnis Gottes ringen, dann muss ein gemeinsames Trachten der Glieder der örtlichen Gemeinde größer werden als jedes andere, nämlich „Ihn zu erkennen“(Phil 3,10). Vor diesem Begehren muss alles andere Begehren zurücktreten; im Vergleich dazu muss uns alles wie dem Apostel Paulus als Dreck und Unrat gelten. Ein Blick in die Gemeinde von Korinth Die Korinthergemeinde war von Uneinigkeit (Kap 1), Unreinheit (Kap 5), Unfrieden (Kap 6), Lieblosigkeit (Kap 11) und Unglauben (Kap 15) befallen. Ursache dieser großen Probleme war die mangelnde Gotteserkenntnis vieler Korinther:„Werdet rechtschaffen nüchtern und sündigt nicht, denn etliche sind in Unwissenheit über Gott; zur Beschämung sage ich’s euch“(1Kor 15,34).

Ein Blick in die Gemeinden von Galatien

Von den Galatern heißt es, dass sie sich gegenseitig bissen und fraßen (Gal 5,15).Das lag daran, dass sie, die einst Gott erkannt hatten (Gal 4,9), Ihn nicht mehr recht erkannten. Sie fielen zurück ins Gesetz, weil sie beides, Gottes Heiligkeit und Gottes Gnade, nicht erkannten. Entsprechend fragt Paulus, ob sie, die wieder unter das Gesetz zurück wollten, das Gesetz denn nicht hörten (Gal 4,21); denn hätten sie das Gesetz gehört, hätten sie in ihm Gottes Heiligkeit erkannt, und das hätte ihnen gezeigt, wie sehr sie auf Gnade angewiesen waren.

Die verhängnisvolle Krankheit der Hebräerchristen

Die Hebräerchristen standen in Gefahr, zum Judentum zurückzukehren, um damit dem Druck der Verfolgungen zu entgehen. In 5,12–14 nennt der Verfasser den wirklichen Grund für ihr Wanken und Zweifeln: Sie waren in der Erkenntnis Gottes und Seines Heils zurückgeblieben. Das Heilmittel gegen alle Unsicherheit und alle Ungeduld ist die Erkenntnis der Größe Jesu Christi; die Kraftquelle zum Ausharren im Glaubenslauf findet der angefochtene Christ im Betrachten des Herrn (Heb 3,1; Heb 12,1–3). Diese wenigen Beispiele zeigen, wie eng die Gemeinde mit Gottes Wesen verbunden ist und wie sehr das Gedeihen im Gemeindebau und Gemeindeleben von der rechten Erkenntnis Gottes abhängt. Wie sich die Krankheit der verschiedenen Gemeinden auch ausformt – als Weltlichkeit oder Gesetzlichkeit, als Liberalismus oder Traditionalismus, als Lauheit oder Schwärmerei –, die Ursache ist immer ein angeschlagenes oder gar gebrochenes Verhältnis zu Gott; und dieses ist gebrochen, weil unsere Erkenntnis Gottesmangelhaft ist. So behaupte ich: Die rechte Erkenntnis Gottes ist die eine Grundvoraussetzung für gesunden persönlichen Glauben wie für gesundes gemeinschaftliches Leben, also für gesunde Gemeinde. Aus dieser Grundtatsache folgere ich alles Weitere und im Folgenden Gesagte.

1.4 Eine kurze Erklärung des Begriffs „Erkennen“

Wenn die Bibel von „erkennen“ spricht, dann meint sie häufig mehr als bloßes Wissen. Wir lesen in 1Mo 18,19 folgenden Satz: „Denn ich habe ihn (Abraham) erkannt, damit er seinen Kindern und seinem Hause nach ihm befehle…“: Gott erkennt, „damit“ Abraham etwas soll, nicht lediglich „dass“ Abraham etwas tun wird. Es handelt sich um eine Erkenntnis, beider Gott nicht bloß Tatsachen erfasst, sondern die Dinge wirkt, die Er erkennt. Im Zusammenhang mit der Not der Kinder Israel in Ägypten lesen wir in 2Mo2, 24–25: „Gott nahm Kenntnis von ihnen“, oder, wie das Hebräische schlicht sagt: „Und Gott erkannte sie.“ Wenn es heißt, dass Gott sein Volk erkennt, ist wiederum mehr gemeint, als dass er merkt, dass sein Volk da ist oder dass es Not leidet. Es wäre eine Gott ganz entwürdigende Sache, so von Ihm zu denken. Nein, Gott erkennt Sein Volk und beginnt jetzt an diesem Volk all das zu wirken, was er im Bund mit den Vätern verheißen hatte. Wen Gott erkennt, mit dem verbindet Er sich. Die anhand dieser Zwei Beispiele erhobene Bedeutung von Erkennen findet sich auch in der Sprache des Neuen Testaments, dort nämlich, wo die Apostel die Heilslehre verhandeln.

„Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken, denen, die nach Vorsatz berufen sind. Denn welche er zuvor erkannt hat, die hat er auch zuvor bestimmt, dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern“ (Rö 8,28–29).

Gott hat Seine Erwählten zuvor erkannt und damit dazu bestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu werden. Wenn Gott jemanden in der hier genannten Weise erkennt, dann verordnet Er etwas, das mit dieser Person geschieht. In 1Pet 1,2 findet sich das Hauptwort „Vorerkenntnis“ und in 1,20 das Verb „zuvor erkennen“. Gott hat uns, die wir an Ihn glauben, in der gleichen Weise zuvor erkannt, wie Er das Lamm Gottes zuvor erkannt hat, wie 1,20 sagt. Wenn Gott jemanden erkennt, dann hat Er für diese Person etwas verordnet und bereitet und sich mit ihr in Liebe verbunden. Ich sagte: „sich mit jemandem in Liebe verbinden“ – das nennt die Bibel „erkennen“. Das gilt auch für das menschliche Erkennen, wie wir aus 1Mo 4,1 verstehen: „Und der Mensch erkannte Eva, seine Frau, und sie ward schwanger und gebar Kain.“

Wenn das Alte Testament davon spricht, dass jemand den HERRN erkennt, dann meint es, dass dieser Mensch den HERRN fürchtet, an Ihm hängt, Ihn liebt und Ihm gehorcht. Das zeigen uns folgende Stellen aus dem Propheten Jeremia: „Deine Wohnung ist mitten unter Trug. Vor Trug weigern sie sich, mich zu erkennen, spricht der HERR“ (Jer 9,6). Hieraus verstehen wir, wie den HERRN erkennen und Trug, Lüge, Verlogenheit sich gegenseitig ausschließen. „Er hat die Rechtssache des Elenden und des Armen gerichtet; da stand es wohl. Heißt das nicht mich erkennen? spricht der HERR“ (Jer 22,16). Hier lernen wir, dass den HERRN erkennen untrennbar verbunden ist mit einem Wandel, der Gottes Wesen entspricht, denn Er ist par excellence derjenige, der die Rechtssache der Elenden und der Armen verficht (siehe Ps 68, 8).

„Und ich will ihnen ein Herz geben, mich zu erkennen, dass ich der Herr bin; und sie werden mein Volk, und ich werde ihr Gott sein; denn sie werden mit ihrem ganzen Herzen zu mir umkehren“ (Jer 24,7).

Hier erfahren wir, dass den HERRN erkennen heißt, dass man Sein Eigentum wird. Ferner bedeutet es, dass man sich selbst verleugnet, dem Eigenwillen absagt und zum Herrn umkehrt. Darum bedeutet die Aufforderung „erkenne den HERRN“(Jer 31,34) nicht lediglich: „Wisse, dass es einen Gott gibt, und wisse, wie dieser Gott ist“, sondern: „Fürchte Ihn, liebe Ihn, gehorche Ihm!“ Und nun verstehen wir den Inhalt der bereits zitierten Worte aus Joh 17,3 besser: „Dies aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen.“ Ewiges Leben heißt Gott erkennen, d. h. durch Glauben und in Liebe mit Ihm vereint sein, am Ende Ihm gleich sein und dort sein, wo Er ist. Und nun verstehen wir auch besser, warum wir mehr als alles danach trachten müssen, Christus zu erkennen, und darum ringen müssen, in dieser Erkenntnis beständig zu wachsen.

1.5 Der Stellenwert der Erkenntnis Gottes

„Die Furcht des HERRN ist der Weisheit Anfang; und die Erkenntnis des Heiligen ist Verstand“ (Spr 9,10). Es ist ein Beweis von Verstand, den Heiligen zu erkennen. Er ist der würdigste Gegenstand, mit dem sich der menschliche Verstand befassen kann. Die Erkenntnis Gottes ist die höchste aller Erkenntnisse.

„So spricht der HERR: Der Weise rühme sich nicht seiner Weisheit, und der Starke rühme sich nicht seiner Stärke, der Reiche rühme sich nicht seines Reichtums; sondern wer sich rühmt, rühme sich dessen: Einsicht zu haben und mich zu erkennen, dass ich der HERR bin, der Güte, Recht und Gerechtigkeit übt auf der Erde; denn daran habe ich Gefallen, spricht der HERR“ (Jer 9,23-24).

„Und es wird Festigkeit deiner Zeiten, Fülle von Heil, von Weisheit und Erkenntnis geben; die Furcht des HERRN wird sein Schatz sein“ (Jes 33,6).

Heil und Erkenntnis gehören zusammen: Es gibt kein Heil ohne Erkenntnis. Der höchste und alle weiteren Segnungen enthaltende Segen des neuen Bundes ist die allen Erlösten gewährte Erkenntnis Gottes:

„Und sie werden nicht ein jeder seinen Mitbürger und ein jeder seinen Bruderlehren und sagen: Erkenne den Herrn! denn alle werden mich erkennen vom Kleinen bis zum Großen unter ihnen“ (Heb 8,11).

Erkennen wir nämlichen Herrn recht, sind wir ins rechte Verhältnis zu ihm gesetzt; und in diesem Verhältnis ist alles enthalten, wozu Gott uns bestimmt hat und was er uns bereitet hat. Der Sohn Gottes nennt es, wie wir gesehen haben, „das ewige Leben“ (Joh 17,3).

Erkenntnis und Erlösung

Gott schuf den Menschen in Seinem Bild und erhob ihn so über die Tiere. Es waren drei Dinge, die den Menschen vor dem Tier auszeichneten: Er war heilig, er war gerecht, er hatte Erkenntnis Gottes. Das können wir aus zwei neutestamentlichen Stellen folgern, nämlich aus Eph 4, 24 und Kol 3,10. Durch die Sünde gewann der Mensch die Erkenntnis des Bösen, und zwar indem er selbst böse wurde, aber er verlor damit die Erkenntnis Gottes (siehe Joh 1,10; 17,25). Es verhält sich aber dabei nicht wie bei einem Blinden, dessen Blindheit lediglich Verlust der Sehfähigkeit ist, sondern das Böse, das den Menschen regiert, erzeugt in ihm aktiven Widerstand gegen die Erkenntnis Gottes.

Röm 1,18 sagt, dass der Mensch die Erkenntnis Gottes unterdrückt; 2Kor 10,5 sagt gar, dass er sich beständig Argumente ausdenkt, die sich gegen die Erkenntnis Gottes erheben. Inder Erlösung wird der Mensch von diesem bösen Drang befreit und damit erneuert „zur Erkenntnis… dessen, der ihn erschaffen hat“ (Kol 3,10). Wir lernen aus Joh 8,32, dass es die Erkenntnis der Wahrheit ist, die den Menschen aus der Knechtschaft der Sünde befreit. In 1Tim 2,4 sagt Paulus, dass die Menschen errettet werden, indem sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. In Luk 1,77 sagt Zacharias, der Vater Johannes des Täufers, dass dessen Dienst zur „Erkenntnis des Heils“ führen sollte.

Es kann niemand zum Sohn kommen und in Ihm ewiges Leben empfangen, wenn der Vater ihn nicht zieht (Joh 6,44). Es wird aber niemand gezogen, den Gott nicht gelehrt hat (Joh 6,45). Gott lehrt den Sünder durch Sein Wort und durch Seinen Geist, den Sohn zu erkennen. Erkennt er Ihn, wird sein Widerwille (Joh 5,40) überwunden, und er kommt zum Sohn und empfängt das Leben. In Joh 8,28 und 12,32 lehrte der Herr, dass die Menschen Ihn erkennen müssen und dass Er sie dadurch, dass sie Ihn erkennen, zu sich ziehen würde:

„Wenn ihr den Sohn des Menschen erhöht haben werdet, dann werdet ihr erkennen, dass ich es bin und dass ich nichts von mir selbst tue, sondern wieder Vater mich gelehrt hat, das rede ich.“

„Und ich, wenn ich von der Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen.“

In Seinem Kreuzestod erkennt der Mensch deutlicher als irgendwo sonst, wer Jesus ist, wie Er selbst sagt: „… dann werdet ihr erkennen, dass ich es bin“. Darum predigen wir Christus, und zwar Ihn als gekreuzigt (1Kor 2,2), und erfahren, wie dieses Wort Gottes Kraft zur Errettung ist (1Kor 1,18); wie durch dieses Wort den Menschen der „Lichtglanz der Erkenntnis Gottes im Angesicht Christi“ (2Kor 4,6) aufstrahlt.

Zusammenfassend können wir also sagen: Wir werden erlöst durch Erkenntnis der Wahrheit, d. h. Gottes; wir sind erlöst, um in der Erkenntnis der Wahrheit, d. h. Gottes, zu wachsen. Das erklärt, warum Paulus für die an Christus gläubig Gewordenen betete:

„Deshalb hören auch wir nicht auf, von dem Tage an, da wir es gehört haben, für euch zu beten und zu bitten, auf dass ihr erfüllt sein möget mit der Erkenntnis seines Willens in aller Weisheit und geistlichem Verständnis, um würdig des Herrn zu wandeln zu allem Wohlgefallen, in jedem guten Werke fruchtbringend, und wachsend durch die Erkenntnis Gottes“ (Kol 1,9–10).

Mit allem, was ich bisher gesagt habe und noch sagen werde, ist allen Versuchen, mit besseren Methoden erfolgreichere Gemeinde zu sein, eine Absage erteilt. Alles Ummodellieren der Gottesdienste und Pröbeln mit neuen Gemeinschaftsformen ist Kosmetik und damit nichtig. Das Suchen nach anderen Formen und neuen Methoden lenkt uns alle auf listige Weise ab von unserer Berufung und Bestimmung; denn: Ihn zu erkennen, dazu sind wir erlöst worden; in Seiner Erkenntnis zu wachsen, ist der von Gott verordnete Weg, um als Gemeinde vor Abirren bewahrt zu werden, um gesund zu wachsen (2Pet3,18).

1.6   Die Gemeinde offenbart Gottes Herrlichkeit

Einem erlösten Volk bekundet Gott Seinen Willen, unter ihm zu wohnen (2Mo 25,8). Wir müssen sogar sagen, das sei das große Ergebnis der Erlösung, dass fortan Gott unter Seinen Erlösten wohnen könne. Seine Wohnung ist der Wohnort Seiner Herrlichkeit, wie David in Ps 26,8 sagt. Das hatte er wahrscheinlich aus der Geschichte der Erlösung Seines Volkes gelernt; denn wir lesen im letzten Kapitel von 2Mose, dass die Herrlichkeit Gottes die Wohnung erfüllte (2Mo 40,34). In Gottes Haus ruft alles: „Herrlichkeit!“ (Ps 29,9). Und warum rufen sie das? Weil Gott in Seinem Haus alle Seine Vollkommenheiten manifestiert. Das Haus Gottes ist aber seit Pfingsten die Gemeinde. Ist die Gemeinde aus Gottes Herzen hervorgegangen und durch Ihn geworden, dann kann es gar nicht anders sein, als dass sie Seine Wesenheiten widerspiegelt. Eph 1,3–14 bieten uns ein Panorama des Heilshandelns Gottes, das mit Gottes vor Grundlegung der Welt gefasstem Heilsrat beginnt, über die Verwirklichung des Heils durch die Menschwerdung und den Tod des Sohnes Gottes bis zur Mitteilung des Heils durch den Heiligen Geist führt:

  • Eph 1,3–6: Der Vater erwählt
  • Eph 1,7–12: Der Sohn führt aus
  • Eph 1,13–14: Der Geist macht es wirksam

Diese Aufstellung zeigt uns schon, wie sich Gott in der Erwählung, Erlösung und Berufung der Gemeinde als der dreieine Gott offenbart. Wir erkennen an der ganzen Erlösung die Eigenschaften Gottes:

  • Souveränität: Er hat erwählt (V. 4); er hat nach dem Wohlgefallen Seines Willens gehandelt (V. 4; 9; 11)
  • Heiligkeit: Wir sollen heilig sein vor Ihm
  • Liebe: Wir sollen in Liebe sein vor Ihm
  • Gnade: In seiner Gnade hat Er uns angenommen in dem Geliebten (V. 6)
  • Freigebigkeit: Er hat Seine Gnade gegen uns überströmen lassen
  • Weisheit: Er hat Seine Gnade in aller Weisheit gegen uns überströmen lassen
  • Wahrheit und Wahrhaftigkeit: Das Wort der Wahrheit hat uns das Heil gebracht
  • Treue: Den vom Sohn Gottes für uns erworbenen und im Evangelium verheißenen Besitz werden wir eines Tages in Besitz nehmen.

Entsprechend sagt Paulus in diesem Panorama der Erlösung dreimal, dass Gott alles, was zum Heil gehört, gewirkt habe, damit Seine Herrlichkeit erkannt und von den Erlösten gepriesen werde: V. 6. 12. 14.

Gottes Weisheit in der Erlösung

In Eph 3,10 lesen wir, dass die Engel an der Gemeinde Weisheit Gottes ablesen:

„Ein Zweck, den Gott verfolgte bei der Offenbarung seines Rats zum Heil und bei dessen Verwirklichung, wie sie so vollkommen und herrlich durch Jesus Christus geschah, war der, dass die Engel im Himmel daran die Herrlichkeit seiner Weisheit sehen sollten. Obwohl sie so hohe Intelligenzen sind und allezeit das Angesicht Gottes des Vaters sehen und so viel wissen, steht ihnen hier etwas vor Augen, an dem sie etwas lernen können. Hieran können sie mehr von Gottes Weisheit erkennen, als sie bisher je erkannt hatten … und hier ist Raum genug für die Engel, um in alle Ewigkeit mehr von der Weisheit Gottes zu entdecken … Es wird als eine Weisheit bezeichnet, die die Engel bisher nie zuvor gesehen hatten, in Gott nicht und noch viel weniger in sich selbst. Damit jetzt die mannigfaltige Weisheit Gottes kundgetan werde, jetzt, d.h. Tausende von Jahren nach der Schöpfung. In all der Zeit davor hatten die Engel beständig Gottes Angesicht gesehen, hatten Gottes Schöpfungswerke studiert, und doch hatten sie noch nie, bis zu jenem Tag, etwas Vergleichbares gesehen; sie hatten nie gewusst, wie mannigfaltig Gottes Weisheit ist, wie sie sie jetzt erkennen konnten an der Gemeinde“.2

Gott verstand es, Sünder zu Heiligen zumachen, ohne je Seine Gerechtigkeit zu kompromittieren. Er verstand es, Schuldigen die Schuld zu nehmen, ohne dabei auch nur eine der gerechten Forderungen des Gesetzes zu übergehen. Diese Weisheit ist größer als die Weisheit, mit der Gott Himmel und Erde schuf (siehe Spr 3,19). Beider Erschaffung aller Dinge konnte Er Weisheit ohne Bindung entfalten; bei der Erlösung musste Er Weisheit unter Bindung an Gerechtigkeit und Liebe entfalten. Er musste einen Weg entwerfen, auf dem Er verherrlicht, das Böse überwunden, das Gesetz bestätigt, der Teufel besiegt und der Widerstrebende zum Willigen und der Ungläubige zum Glaubenden, der Schuldige zum Schuldlosen, der Sünder zum Heiligen, der Sterbliche zum Unsterblichen würde. Indem Er all das tat, entfaltete die Weisheit Gottes ihre ganze Tiefe und ihren ganzen Reichtum, wie der Apostel Paulus anbetend bekennt:

„O Tiefe des Reichtums sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes“ (Röm 11,33).

Gottes Kraft in der Erlösung

In Ps 106,8 lesen wir: „Er rettete sie um seines Namens willen, um kundzutun seine Macht.“ In der Errettung entfaltet Gott Seine Macht. Röm 1,16 sagt, das Evangelium sei Gottes Kraft zum Heil. Gottes Kraft und Macht mussten aufgewendet werden, damit Heil geschehen konnte, denn dabei musste er Menschen, die tot waren in ihren Sünden, auferwecken (Eph 1,19.20). Die Macht, die sich hier entfaltete, war größer als die Macht, die Gott bei der Erschaffung der Welt aufwendete. Wie können wir das belegen?

Aus dem Nichts schuf Gott alles, so dass das Nichts fortan Sein hatte. Er musste dabei keinen Widerstand überwinden. Aus Sündern machte Er Heilige; dabei musste er den Widerstand der Sünde, des Todes und des Teufels überwinden (siehe Lk 11,21). Die Distanz, die er beider Erlösung überwand, ist unendlich größer als die Distanz, die er bei der Schöpfung überbrückte. Das Nichtsein ist weniger weit weg von Gott als das Bösesein; und das bloße Sein ist weniger erhaben als das glückselige Sein der Erlösten, die an Gottes Glückseligkeit teilhaben. An der Erwählung, Berufung und Bestimmung jedes einzelnen Erlösten und noch mehr der ganzen Gemeinde werden alle diese Vollkommenheiten Gottes – seine Weisheit und seine Macht, seine Heiligkeit und seine Liebe – manifest. Die Gemeinde, das vollendete Ergebnis der Erlösung, ist das vollständige Abbild von Gottes Herrlichkeit. Und erst die vollendete Gemeinde lässt alle Vollkommenheiten Gottes aufstrahlen (Off 21,10). Damit die Gemeinde Gottes Herrlichkeit haben und widerspiegeln kann, musste Folgendes geschehen: Zuerst offenbarte sich Gott vollkommen und umfassend in der Menschwerdung, im Tod und in der Auferstehung des Sohnes Gottes. Darum konnte der Sohn zum Vater sagen:

„Ich habe dich verherrlicht auf der Erde; das Werk habe ich vollbracht, welches du mir gegeben hast, dass ich es tun sollte“ (Joh 17,4).

Hier blieb Gott aber nicht stehen; er wollte Seine Erwählten an dieser Herrlichkeit teilhaben lassen, wie wir aus den Worten vernehmen, die der Sohn Gottes im Gebet an den Vater richtete: „Und die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben“ (Joh 17,22). Indem der Sohn Gottes Mensch wurde und damit Gottes Herrlichkeit in einem Menschenmanifest wurde, konnte seine Herrlichkeit auf die erlöste Menschheit übergehen. So erweitert Gott seine Herrlichkeit auf seine Kinder, Er dehnt sie aus auf die Gemeinschaft der Erwählten, auf die Gemeinde.

Das geschieht zunächst wie die Rechtfertigung durch Zurechnung; aber dann geschieht es durch Aneignung. Das Mittel, das Gott verordnet hat, damit das geschehe, ist die Erkenntnis Gottes, die Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Christi. Indem die Erlösten in dieser Erkenntnis zunehmen, werden sie Schritt um Schritt umgestaltet ins Bild des Sohnes Gottes (2Kor 3,18; 4,4). An der Gemeinde soll sichtbar werden, wie der Gott ist, der sie erlöst hat. Sein Haus muss sein wie Er selbst. Er ist heilig, darum geziemt seinem Haus Heiligkeit (Ps 93,5). Nicht erst in der Vollendung (wie in Off21,11), sondern bereits hier auf der Erde sollen an der Gemeinde die Wesenheiten Gottes sichtbar werden; soviel sagt Paulus im 1Tim 3,15:

„… damit du wissest, wie man sich verhalten soll im Hause Gottes, welches die Versammlung des lebendigen Gottes ist, der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit.“

Damit wir wissen, wie wir uns Gottes würdig verhalten sollen, müssen wir Gott erkennen und in dieser Erkenntnis beständig wachsen. 1Tim 3,15 verweist auf drei Eigenschaften Gottes: Wahrheit, Stärke („Pfeiler“) und Unveränderlichkeit („Grundfeste“). Diese müssen wir erkennen, damit sie uns zunehmend regieren. In Heb 3,6 lesen wir: „Christus aber als Sohn über sein Haus, dessen Haus wir sind.“ Das Haus Christi wirft allen, die es sehen oder betreten, Licht auf Christus. Sein Haus aber sind wir. Unser Wandel wirft ein helles oder ein schiefes Licht auf den Besitzer des Hauses. Damit es ein helles Licht auf Ihn werfe, müssen wir in Wort und Wandel werden wie unser Herr (1Jo 2, 6); damit wir aber so werden können wie Er, müssen wir Ihn erkennen.

Das kann man an zwei Bibelstellen besonders klar zeigen: an der oben bereits angeführten Stelle 2Kor 3,18 und an 1Jo 3,2.3. In 1Jo 3,2.3 lesen wir:

„Geliebte, jetzt sind wir Kinder Gottes, und es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden; wir wissen, dass, wenn es offenbar werden wird, wir ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist. Und jeder, der diese Hoffnung zu ihm hat, reinigt sich selbst, gleichwie er rein ist“ (1Jo 3,2-3).

In diesen Versen steht zweimal, dass wir dem Herrn gleich werden: Dann, wenn wir den Herrn sehen werden, werden wir ihm gleich sein (V. 2). Ihn sehen, das steht für die ungehinderte Schau, die wir in der Herrlichkeit von Ihm haben werden (Off 21,3). Mithin: Erst dadurch, dass wir ihn vollkommen erkennen, werden wir ihm auch vollkommen gleich werden. Entsprechend gilt: Je inniger und je tiefer wir ihn hier auf Erden erkennen, desto ähnlicher werden wir ihm jetzt schon. Genau das besagt Johannes in seiner zweiten Aussage (V. 3): Wer die Hoffnung der Herrlichkeit vor Augen hat, reinigt sich dadurch und wird damit dem Herrn, der der Reine schlechthin ist, mehr und mehr gleich.

1.7   Eine Lektion aus dem Propheten Hesekiel

Das große Thema des Propheten Hesekiel ist die Herrlichkeit Gottes. Entsprechend ist das Buch aufgebaut. Im ersten Teil des Buches zeigt Hesekiel, wie die Herrlichkeit des Gottes Israels den Tempel in Jerusalem und die Stadt verlässt (Kap 1–11). Im letzten Teil des Buches zeigt Hesekiel, wie die Herrlichkeit Gottes wieder zurückkehrt und das Haus Gottes erfüllt (Kap 40–48). Im einleitenden Kapitel erscheint dem Propheten die Herrlichkeit Gottes in einem Gesicht:

„Wie das Aussehen des Bogens, der am Regentage in der Wolke ist, also war das Aussehen des Glanzes ringsum. Das war das Aussehen des Bildes der Herrlichkeit des HERRN. Und als ich es sah, fiel ich nieder auf mein Angesicht; und ich hörte die Stimme eines Redenden“ (Hes 1,28).

In den sich anschließenden Kapiteln wird begründet, warum die Herrlichkeit Gottes das Haus Gottes in Jerusalem verlassen muss: Es ist wegen der Gräuel, die im Volk Gottes geschehen. Fragen wir, warum solche Gräuel geschehen, dann antwortet Hesekiel: Weil das Volk Gott nicht mehr erkennt. Hosea bestätigt das:

„Mein Volk wird vertilgt aus Mangel an Erkenntnis; weil du die Erkenntnis verworfen hast, so verwerfe ich dich, dass du mir nicht mehr Priesterdienst ausübest“ (Hos 4,6).

Entsprechend kündigt Hesekiel die Gerichte an, die Gott über Sein Volk bringen muss, und nennt als Zweck und Ergebnis Seines Handelns an ihm immer wieder das gleiche: „Und ihr werdet erkennen, dass ich der Herr bin“ (11,8.10.12; 12,15.16.20; 13,9.14 usw.) In den letzten Kapiteln des Buches zeigt Hesekiel, wie Gottes Herrlichkeit zu seinem Volk zurückkehrt, weil es Ihn jetzt erkennt (43,1–6).

Was wollen wir daraus für die Gemeinde lernen?

Alles Abweichen beginnt damit, dass wir den Herrn nicht mehr erkennen, und in dem Maß wird Gottes Herrlichkeit zuerst verhüllt; schließlich entweicht sie ganz. In dem Maß, wie wir Gottes Wesen erkennen, werden wir ihn lieben und ihn fürchten, und in dem Maß werden seine Wesenheiten unter uns, seinem neutestamentlichen Volk, sichtbar werden.


  1. Zitiert bei Mark Dever: Nine Marks of a Healthy Church, S. 25. 

  2. J. Edwards: The Wisdom of God Displayed in the Way of Salvation, Works vol. II, S.142.