ThemenIslam und Christentum

Ismael und Isaak nach Bibel und Koran

Der Hass der Muslime auf Juden hat einen Grund in ihrer Berufung auf Ismael, einen der Söhne Abrahams. Auch wenn sich beide Religionen auf Abraham berufen, stehen sie feindlich gegeneinander. Statt oberflächlicher Gleichsetzung ist genaues Hinschauen und Verstehen der Hintergründe angebracht.

In christlicher Literatur zur Mission unter Muslimen werden Muslime gern als „Söhne Ismaels“ bezeichnet und damit in eine heilsgeschichtliche Nähe zu den Juden oder gar den Christen gerückt. Kann eine solche Zuordnung biblisch wirklich begründet werden? – In christlichen Schriften zum Nahostkonflikt wird die Feindschaft zwischen Arabern und Israel gern als eine Fortsetzung des Konfliktes zwischen Ismael und Isaak gedeutet. Dabei werden die Araber gewissermaßen als Stiefbrüder der Juden verstanden. Auch hier ist zu fragen, ob die Bibel eine solche Sichtweise rechtfertigt.

Es lohnt sich, im Blick auf beide Fragen die biblischen Texte genau anzuschauen und die Korantexte kritisch zu hinterfragen.

1. Die Isaak-Ismael-Geschichte im Alten Testament

  1. Ismael, der eigenmächtig gezeugte Sohn (1. Mose 16,1-16)

    Sara macht Abraham den Vorschlag, die ägyptische Magd Hagar zur Nebenfrau zu nehmen und mit ihr den von Gott verheißenen Erben zu zeugen (2). Abraham willigt ein. Er ist in dieser Geschichte relativ passiv. Alle Aktion geht von Sara aus. Im Gesamtzusammenhang der Erzählung ist Saras Vorschlag ein ungeduldiges, menschliches Vorgreifen auf Gottes Eingreifen, ein Akt des Unglaubens. Aber Abraham wehrt sich merkwürdigerweise nicht.

    Seine Passivität setzt ein Eifersuchts­drama in Gang. Hagar wird schwanger und schaut auf ihre kinderlose Herrin herab (4). Sara ist verletzt, schiebt aber die Schuld Abraham in die Schuhe (5), obwohl doch sie alles eingefädelt hat. Aus dem Konflikt zwischen Herrin und Magd wird ein Ehekonflikt. Sara ruft Gott als Schiedsrichter an.

    Doch darauf wartet Abraham nicht. Er schafft klare Verhält­nisse und erlaubt Sara, die Magd zu demütigen (6). Hagar flieht in die Steppe zwischen dem Süden des West­jordan­landes und Ägypten. Hier greift Gott ein (7). Sein Engel findet Hagar und schickt sie zu Sara zurück. Sie soll sich demütigen, und sie tut es. Aber sie empfängt gleichzeitig eine Verheißung für ihren Sohn (10); Ismael – zu Deutsch „Gott hört“ – soll viele Nachkommen haben, die zu einem großen Volk werden. Die Ismael-Leute werden Beduinen sein und sich in der Steppe mit anderen Stämmen auseinandersetzen müssen (12). Das Leben in der Wüste wird für sie hart sein. Aber sie werden sich behaupten, auch gegenüber den Nachkommen Isaaks, die im fruchtbaren Land am Jordan leben dürfen.

  2. Isaak, der Sohn, durch den sich die göttlichen Verheißungen erfüllen (1. Mose 21,1-7)

    Es fällt auf, dass der Erzähler dreimal auf das verweist, was Gott angekündigt hatte („wie er gesagt hatte“, 1 und 2). Damit wird unterstrichen, dass mit der Geburt Isaaks die Verheißung Gottes in Erfüllung geht. Gott hat sich als der Zuverlässige erwiesen. Das Vertrauen Abrahams in Gottes Zusagen ist nicht enttäuscht worden, obwohl es nicht sehr stark war. Gott hat aber auch das getan, was in den Augen der Menschen unmöglich ist – ein altes Ehepaar bekommt ein Kind. Gott ist nicht nur der treue Gott, sondern auch der allmächtige Schöpfer.

    Von Abraham selbst wird nur berichtet, dass er gehorcht. Gott hatte ihm geboten, das Kind „Isaak“ zu nennen (17,19) und es mit dem Bundeszeichen der Beschneidung zu versehen (17,11f). Abraham tut beides (21,3f.). Der Name Isaak bedeutet, dass Gott über diesem Menschen „freundlich lächelt“. Deshalb sollen sich die Menschen über das Wunder Gottes freuen.

    Merkwürdigerweise dankt Sara Gott nicht für das Wunder. Ihr Kommentar heißt: „Gott hat mir ein Lachen zugerichtet; denn wer es hören wird, wird über mich lachen.“ (6) Sara denkt mehr an das Gerede der Leute als an Gott. Schon bei der Ankündigung der wunderbaren Geburt Isaaks hatte Sara im Stillen gelacht (18,12). Sie hielt das Wunder nicht für möglich. Gott musste sie wegen dieses Lachens zurechtweisen: „Sollte dem Herrn etwas unmöglich sein?“ Sara leugnete, dass sie gelacht habe (18,15), aber Gott hatte sie durchschaut. Auch von Abraham wird in Kap. 17,17 ähnliches berichtet:

    „Da fiel Abra­ham auf sein An­ge­sicht und lachte und sprach in seinem Herzen: Soll mir mit hundert Jahren ein Kind geboren werden, und soll Sara, neunzig Jahre alt, gebären?“

    Deshalb ist der Name „Sohn des Lachens“ auch eine Mahnung zum Glauben und eine Warnung vor dem Unglauben. Gott lässt sich nicht lächerlich machen!

  3. Das Schicksal Ismaels (1. Mose 21,8-21)

    Die Familientragödie im Haus Abrahams nimmt nun dramatische Formen an. Zunächst lebt der große Ismael mit dem kleinen Isaak in Abrahams Haushalt. Isaak wird abgestillt, und aus diesem Anlass wird ein großes Fest gefeiert (8). Sara ist aber nicht glücklich. Ihre alte Eifersucht auf Hagar ist immer noch da. Sie kann sich nicht damit abfinden, dass Ismael und ihr Sohn Isaak zusammen aufwachsen. Sie beobachtet, wie Ismael mit Isaak „Mutwillen trieb“ (9). Diese Übersetzung der Lutherbibel ist von der Aussage des Paulus in Gal. 4,29 bestimmt, dass Ismael Isaak verfolgte. Im Hebräischen steht das Wort „spielen“, und das muss nicht unbedingt einen negativen Klang haben. Man kann es auch so verstehen, dass Ismael mit dem kleinen Isaak „schäkerte“.

    Aber Sara sieht das Verhältnis zwischen Ismael und Isaak negativ. Sie befürchtet, dass Abraham den Ismael und den Isaak gleich behandeln könnte (10). Tatsächlich schien Abraham an Ismael zu hängen. Der Vorschlag Saras, die Magd Hagar mit ihrem Sohn zu vertreiben und ihnen das Erbrecht zu nehmen (10), missfällt Abraham sehr (11). Doch Sara setzt sich mit ihrer Eifersucht durch (14). Es ist schon recht merkwürdig, dass die Eifersucht Saras im Heilsplan Gottes dazu helfen muss, dass der „Sohn des Glaubens“ wirklich der heilsgeschichtliche Segensträger wird und der „Sohn des Unglaubens“ vertrieben wird. Gott benutzt die sündige Sara, um Abrahams gut gemeintes Wohlwollen gegenüber Hagar und Ismael zu korrigieren (12f.).

    Sara betreibt also die Vertreibung Hagars und Ismaels. Abraham aber leistet Widerstand, so dass Gott selbst ihn überzeugen muss:

    „Lass es dir nicht missfallen wegen des Knaben und der Magd. Alles, was Sara dir gesagt hat, dem gehorche; denn nur nach Isaak soll dein Geschlecht benannt werden.“ (12).

    Nach Gottes Ratschluss ist nur Isaak der Erbe der Bundesverheißungen Land, Volk und Segen für alle Völker! Doch gleichzeitig wiederholt Gott die irdische Segensverheißung für Ismael. Weil auch er ein leiblicher Sohn Abrahams ist, soll er wenigstens ein großes Volk werden (13, vgl. Vers 18 und 17,20).

    Abraham gehorcht schweren Herzens. Früh am Morgen bereitet er die Vertreibung Hagars und Is­maels vor und versorgt sie mit Proviant (14). Obwohl er emotional an Ismael hängt, akzeptiert er die von Gott gesetzte Rangfolge: der Jüngere hat – gegen alles orientalische und menschliche Denken – den Vorzug vor dem Älteren.

    Wieder erbarmt sich Gott des Elends der Hagar und ihres Sohnes. Die Beiden irren im Südland in der Steppe umher. Das Wasser ist zu Ende, sie bereiten sich auf den Tod vor. Ismael schreit vor Durst, Hagar weint (14-16). Aber Gott hört das Schreien des Jungen. Ein Engel Gottes greift ein (17). Er ermutigt Hagar und wiederholt die Verheißung für Ismael – er wird ein großes Volk werden. Doch damit nicht genug. Gott kümmert sich um das leibliche Wohl der Verstoßenen. Hagar sieht einen Brunnen und schöpft Wasser. Hagar und Ismael sind gerettet (19).

    Ismael wird erwachsen und lebt mit seiner Mutter und seiner ägyptischen Frau im Gebiet der Sinaihalbinsel (20f). Gott ist offensichtlich mit ihm. Hier wird deutlich, dass das Versagen Abrahams und Saras noch nicht das Ende der Wege Gottes ist. Gottes Barmherzigkeit steht im Kontrast zum ungläubigen und lieblosen Handeln des Erzvaterehepaares. Gott gewährt auch dem Ausgestoßenen einen irdischen Segen. Gleichzeitig aber hält Gott an der Heilsordnung fest: der jüngere Sohn, der Sohn göttlichen Wunders, soll – entgegen allem menschlichen Denken – Träger der Bundesverheißung sein. Auch hier wird deutlich, dass Gott nicht gemäß menschlicher Erwartung nach Würdigkeit und Verdienst handelt, sondern nach seiner Gnade.

  4. Von Ismael zu den Ismaelitern

Die Bibel berichtet, dass die Verheißung irdischen Segens für Ismael in Erfüllung gegangen ist. In 1. Mose 25,12-18 werden die zwölf Söhne Ismaels und ihre Wohngebiete genannt. Sie liegen am Nordrand der Arabischen Halbinsel zwischen dem Ostjordanland, der Sinai-Halbinsel, dem Zwei­strom­land und der Syrisch-Arabischen Wüste. Der Stammbaum Ismaels wird in der Bibel aber nicht fortgeführt. Ismael wird nur noch einige wenige Male erwähnt. Esau heiratete eine Tochter Ismaels (1. Mose 28,9; 36,3). Ismaeliter (bzw. Midianiter) kauften Josef (1. Mose 37,25-28) und verkaufen ihn in Ägypten (39,1). In der Simson-Geschichte (Richter 8,24) werden noch einmal feindselige Ismaeliter bzw. Midianiter (V. 22) erwähnt. Eine Schwester Davids, Abigal (1Chr 2,17) war mit einem Ismaeliter namens Jeter verheiratet.

Ps 83,7 bestätigt, dass die Ismaeliter südlich von Israel in Zelten, also in der Steppe wohnten; sie werden hier zusammen mit den Edomitern, Moabitern und Hagaritern als Feinde des Gottesvolkes genannt. Israel wusste einerseits um die Verwandtschaft mit Ismaelitern und Edomitern, andererseits aber um die Trennung von ihnen durch den Gottesbund.

In der biblischen Heilsgeschichte verlieren sich die Spuren der Ismaeliter. Sie werden nicht mehr erwähnt, und auch in der Profangeschichte hören wir nichts mehr von ihnen. Das ist nicht verwunderlich, da Beduinen keine Staatlichkeit und keine Geschichtsschreibung kennen. Vermutlich haben sich die Nachfahren Ismaels mit anderen Völkerschaften vermischt. Dabei sind die großen Zeiträume zu beachten. Zwischen dem biblischen Ismael und der Lebenszeit Mo­hammeds lie­gen ca. 2500 Jahre! Schließlich ist zu bedenken, dass Beduinen immer die Tendenz zur Sesshaftigkeit am Rand der Kulturländer oder gar zur Eroberung von fruchtbaren Ländern hatten. Es ist deshalb ausgeschlossen, in Ismael den Stammvater der Bewohner der Arabischen Halbinsel zu sehen! Eher haben sich die Nachfahren Ismaels irgendwo in den Gebieten östlich des Jordans sesshaft gemacht.

2. Die Ismael-Isaak-Typologie im Neuen Testament

In Galater 4,21-31 argumentiert Paulus typologisch und sieht in Ismael und Isaak unterschiedliche Typen für das Verhalten von Menschen vor Gott. Hagar und Ismael stehen für den eigenmächtig handelnden Menschen, weil Abraham Ismael im Unglauben zeugte. Obwohl die Ungeduld Saras und Abrahams zur Zeugung Ismaels führten und Hagar und Ismael eigentlich unschuldig waren (von Hagars Hochmut einmal abgesehen, vgl. 1. Mose 16,4), stehen sie dennoch typologisch für die menschliche Eigenmächtigkeit. Alle Menschen, die nicht auf Gottes Handeln warten wollen, sind „Ismael-Typen“.

Paulus kannte den Islam nicht, der erst sechs Jahrhunderte nach ihm entstand. Für den Apostel waren die Juden seiner Zeit, sofern sie Jesus ablehnten, „Ismael-Leute“. Sie lehnten den Retter Jesus ab, weil sie durch das gewissenhafte Einhalten der mosaischen Gesetze die Gerechtigkeit vor Gott erlangen wollten. Paulus sah darin eine gegen Gottes Heilsplan gerichtete Eigenmächtigkeit. Nur wer sich durch Jesus mit Gott in Ordnung bringen lässt, folgt der Verheißung Gottes! Indem er Gott vertraut, ist er wie Isaak ein „Sohn des Glaubens“. Da das gesetzestreue Judentum die junge Christengemeinde verfolgte, sah Paulus in Ismael typologisch den Verfolger des Isaak. Das hat Luthers Übersetzung des alttestamentlichen Textes von 1. Mose 21,9 beeinflusst (vgl. oben).

Für jüdische Hörer war die Argumen­tation von Paulus ein Schock. Wie können die Erben der Verheißung mit dem „Sohn des Unglaubens“ verglichen werden? Als Christen sollten wir an dieser biblischen Denkweise festhalten. Ismael steht typologisch für alle Men­schen, die Jesus als Erlöser ablehnen und durch eigenes Bemühen vor Gott gerecht sein wollen – seien sie Juden oder Muslime oder gesetzliche Christen.

Paulus ruft seine Leser in Galatien dazu auf, „Isaak-Leute“ zu sein, im Vertrauen auf das Heilsangebot Gottes zu leben und nicht im Vertrauen auf das Halten des Gesetzes! Denn Isaak steht typologisch für das grenzenlose Vertrauen in Gottes Macht und Möglichkeiten, für Menschen, die im Glauben mit leeren Händen vor Gott stehen und sich beschenken lassen. Isaak steht für das grenzenlose Schenken Gottes in Jesus, in dem Gott alles darbietet, was für Zeit und Ewigkeit nötig ist.

Als Christen müssen wir gestehen, dass wir immer wieder geneigt sind, ungeduldig dem Handeln Gottes vorzugreifen und eigenmächtig etwas nachzuhelfen wie Sara und Abraham. Wie rasch meinen wir, durch unsere Frömmigkeit bei Gott etwas erreichen zu können. In unserem Herzen gleichen wir oft dem Ismael-Typ. Deshalb sind wir auf Gottes Erbarmen angewiesen. Die Geschichte von Abraham und seinen beiden Söhnen zeigt uns, wie Gott mit unserem Versagen umgeht. Gott hatte viel Geduld mit Sara und Abraham. Ja, er erhörte das Flehen Hagars in der Wüste und rettete sie. Auch wir dürfen uns an Gottes Erbarmen klammern.

Schließlich wollen wir nicht übersehen, dass der Isaak-Segen durch Jesus zu allen Menschen gelangen möchte. Auch Juden, Muslime und alle anderen Zeitgenossen sollen in Jesus gesegnet werden. Deshalb können Christen den Jesus-Segen nicht für sich behalten, sondern wollen ihn allen Menschen bezeugen.

3. Wie der Isaak-Segen durch Jesus Christus zu den Nachfahren Ismaels kam

Für Griechen und Römer waren die Menschen, die an den östlichen Rändern Syriens, des Ostjordanlandes und des Toten Meeres lebten, „Araber“, d.h. nichtsesshafte Nomaden oder Halbnomaden. Unter ihnen lebten einzelne Juden, vielleicht Kaufleute oder Proselyten. Auch sie galten in der jüdischen Diaspora als „Araber“ und waren beim Pfingstwunder in Jerusalem vertreten (Apg 2,11). Es wundert deshalb nicht, dass sich Saulus nach seiner Bekehrung von Damaskus nach „Arabien“ zurückzog (Gal 1,17). Wir können deshalb davon ausgehen, dass der Glaube an den Gott Israels unter den Menschen im syrisch-arabischen Grenzgebiet nicht unbekannt war, und dass es bald nach Pfingsten dort auch Jesus-Gläubige gab.

Im Laufe der nächsten Jahrhunderte entstanden – vor dem Aufkommen des Islam – im östlichen Syrien und im Ostjordanland bis hinunter ans Rote Meer christliche Gemeinden und Bischofssitze, deren Namen uns von den Synoden und Konzilien bekannt sind. Es gab also so etwas wie eine „arabische Kirche“, die entweder nach Westen hin, d.h. zur Kirche im Römischen Reich orientiert war, oder nach Osten hin zur „Apostolischen Kirche des Ostens“. Der Grad der Christiani­sierung war vermutlich relativ oberflächlich, besonders nachdem sich im 4. und 5. Jahrhundert das Christentum im Römischen Reich durchgesetzt hatte und im Perserreich zahlenmäßig stark geworden war. Politisch gehörten die christlichen Araber zu „Pufferstaaten“ zwischen dem Oströmischen Reich und dem Perserreich, die von diesen als Bollwerke gegen Beduineneinfälle gefördert wurden.

Auf jeden Fall sind die Menschen im alten Siedlungsgebiet der Ismaeliter vor dem Aufkommen des Islam (im 7. Jahrhundert) unter den Einfluss des Evangeliums gekommen. Dadurch kam der Isaak-Segen für die Völkerwelt auch zu den Nachfahren Ismaels. Ismael bekam also nicht nur einen irdischen Segen. Der geistliche Segen gelangte über die Verheißungs­linie Isaak-Israel-Jesus auch zu den Nachfahren Ismaels. Auch Ismael hatte seine Gnadenstunde! Sie währte allerdings nur kurz. Nach dem Sieg der muslimisch gewordenen Zentralaraber über das Oströmische und das Persische Reich zwischen 634 und 642 n. Chr. wurden die christlichen Nordaraber eine rasche Beute des Islam.

4. Ismael und Isaak nach dem Koran

Der Verkündiger des Koran erhielt seine Informationen über Personen des Alten Testamentes überwiegend von jüdischen Gewährsleuten. Dabei fällt auf, dass die koranischen Aussagen recht vage sind, sich im Laufe der „Offenbarung des Koran“ (nach der Tradition etwa zwischen 610 und 632 n. Chr.) veränderten und teilweise falsch sind. Das gilt auch für die Erwähnungen von Ismael und Isaak.

Der Koran bietet kein klares Bild von den beiden Söhnen Abrahams, von ihrem Verhältnis zueinander und ihrer geschichtlichen Bedeutung. Die Dramatik der biblischen Ismael-­Isaak-Geschichte, d.h. die Geschichte göttlicher Verheißung, menschlicher Eigenmächtigkeit und menschlichen Vertrauens spielt keine Rolle. Vielmehr sind Ismael und Isaak in das koranische Propheten­schema eingeordnet und zu früheren Propheten Allahs umgedeutet worden (37,112; 19,49; 19,54; 4,163; 3,84; 2,136). An einer Stelle werden sie einfach als Gläubige an den einzigen Gott Allah (d.h. als Muslime) bezeichnet (2,133). In der Auseinandersetzung mit Juden und Christen argumentiert der Koran, dass Ismael und Isaak als Gottgläubige keine Juden oder Christen waren (2,140) und es deshalb für die Araber nicht nötig ist, zum Judentum oder Christentum überzutreten (vgl. 2,135). Erbaulichen Charakter hat der Vers 14,39, nach dem Abraham Allah dafür dankt, dass er ihm in Erhörung seiner Gebete in seinem Alter Ismael und Isaak als Söhne geschenkt hat (14,39). In sechs Versen werden beide gemeinsam genannt. In elf weiteren Versen wird Isaak allein erwähnt, Ismael in sieben Versen. Wenn man die Koranverse in ihrer zeitlichen Entstehung betrachtet, erscheint Isaak in den früheren Versen als der Wichtigere, während Ismael in den späteren Texten bedeutsamer wird.

Isaak wird in einem Atemzug mit Abraham und Jakob (aber ohne Ismael) als „Diener“ Allahs bezeichnet (38,45; Koranübersetzung jeweils nach Paret 2001). Isaak wurde Abraham als Prophet und rechtschaffener Mensch „verkündigt“, der von Allah gesegnet wird (37,112f). Allah schenkte dem Abraham „den Isaak und Jakob“ (deren Vater-Sohn-Verhältnis hier nicht deutlich wird, vgl. auch 19,49; 11,71; 6,84), in deren Nachkommenschaft er „die Prophetie und die Schrift“ heimisch machte (29,27). Allah schenkte dem Abraham Isaak zusätzlich“ zu Lot (bzw. Jakob zusätzlich zu Isaak, 21,72; vgl. auch 11,71). In Sure 14,39 werden Ismael und Isaak (in dieser Reihenfolge) als Söhne Abrahams genannt. Dagegen erwähnt die Sure „Joseph“ nur Abraham und Isaak (12,6), bzw. Abraham, Isaak und Jakob (12,38). Alle in diesem Absatz genannten Koranverse werden der „mekkanischen Periode“ zugerechnet.

Ismael wird in 38,48 nicht zusammen mit Abraham genannt, sondern in einer Reihe mit „den Frommen“ Elisa und Dhû l-Kifl, in 21,85 in einer Reihe mit den „Geduldigen“ Idrîs und Dhû l-Kifl, wobei umstritten ist, wer mit Idrîs und Dhû l-Kifl gemeint ist. Die Zusammenstel­lung dürfte zei­gen, dass sich der Verkündiger des Koran anfangs über die Zuord­nung von Ismael nicht im Klaren war. Sehr allgemein ist auch 19,54: „Und gedenke in der Schrift des Ismael! Er war einer, der hält, was er verspricht, und ein Gesandter und Prophet.“ Erst in 14,39 wird Ismael zusammen mit Isaak und vor diesem genannt. In 6,86 erscheint Ismael als erster in einer Reihe mit Elisa, Jonas und Lot. Alle diese Verse werden allgemein Mohammeds Zeit in Mekka zugerechnet.

Erst in der späten, Medina zugeordneten, Sure 2 (Verse 125-127) tritt Ismael allein mit Abraham in Mekka auf, um das Haus Allahs (die Kaaba) für die Wallfahrer zu reinigen, ja „die Grundmauern – dies des Hauses – aufzuführen…“. Hier erscheint Ismael nicht nur als ein Prophet Allahs, sondern zusammen mit Abraham als Stifter des arabischen Kaaba-Kultes.Er ist hier nicht nur „islamisiert“, sondern „ara­bi­siert“ worden. Isaak ist in den Hintergrund getreten, Ismael ist der entscheidende Sohn Abrahams geworden. Diese Entwicklung spiegelt den Kampf Mohammeds gegen die Juden Medinas wieder. Isaak war jetzt nur noch ein Ahnherr der aus dem „Haus des Islam“ ausgestoßenen Juden, während Ismael zum Garanten des „reinen arabischen und universalen Islam“ emporgehoben wurde.

5. Der Islam als Religion menschlicher Eigenmächtigkeit

  1. Die Umdeutung der biblischen Heilsgeschichte

    Der Verkündiger des Koran – nach der Tradition war es Mohammed (ca. 570-632 n. Chr.) – hat eigenmächtig die biblische Heilsgeschichte „auf den Kopf gestellt“. Der ältere Sohn Abrahams, Ismael, wurde zum entscheidenden Heilsträger, der den Allah-Glauben zu den Arabern brachte und zeitversetzt über Mohammed zu allen Menschen. Damit setzte Mohammed die biblische Heilslinie „Isaak-Israel-David-Jesus“ faktisch außer Kraft bzw. stufte sie zu einer überholten „Seitenlinie“ herab. Um dies zu begründen, benutzte Mohammed vermutlich legendarische Erzählungen, die Ismael zum Stammvater der Araber machten, die aber geschichtlich keinerlei Basis haben.

    Hinter dieser eigenmächtigen Umdeu­tung steht der Kampf Mohammeds mit Juden und Christen seiner Zeit. Die anfängliche Wertschätzung schlug zuletzt in bittere Feindschaft um. Was war der Grund? Mohammed wusste um die jüdische und christliche Einladung, an Gott zu glauben und dadurch das Heil zu erlangen. „Und sie (d.h. die Leute der Schrift) sagen: ‚Ihr müsst Juden oder Christen sein, dann seid ihr rechtgeleitet.’ Sag: Nein! (Für uns gibt es nur) die Religion Abrahams, eines Hanîfen – er war kein Heide…“ (2,135). Der Araber Mohammed lehnte es also ab, Jude oder Christ zu werden. Man mag dafür Verständnis äußern und sagen, dass weder das Judentum noch das Christentum in Arabien besonders attraktiv waren. Es geht jedoch um wesentlich mehr.

  2. Die Selbsterhöhung Mohammeds

    Mohammed hatte sich als endzeitlicher Prophet und Offenbarungsempfänger ausgegeben. Sowohl Juden als auch Christen lehnten dieser Anspruch – sicher mit unterschiedlichen Begründungen – ab. Damit stellten sie Mohammed als angemaßten Propheten und Lügner hin. Das muss Mohammed tief verletzt haben. Deshalb ging er zum Gegenangriff über und unterstellte Juden und Christen die Korruption ihrer Offenbarungs­schriften (z.B. Sure 2,79). Der Rückgriff auf den gottesfürchtigen Abraham, der vor Mose und vor Jesus lebte, war ein Schachzug in dieser Auseinandersetzung. Denn damit entzog sich Mohammed nicht nur dem Anspruch des durch Mose offenbarten göttlichen Gesetzes als auch dem Evangelium von Jesus Christus, sondern erhob den in Mekka verehrten Allah zu dem einen wahren Gott und sich selbst zu dem abschließenden und alle früheren Boten überbietenden Verkündiger Allahs: „Es gibt keine Gottheit außer Allah, und Mohammed ist der Gesandte Allahs.“ Mit diesem Bekenntnis setzte Mohammed seine eigene Auffassung von Gott und seinem Heil durch.

    Man mag einwenden, dass Moham­med es nicht anders wusste. Er kannte die Heilige Schrift nicht, sondern erhielt von seinen jüdischen und christlichen Gesprächspartnern nur biblische „Splitter“, die durch die mündliche Weitergabe überdies entstellt waren. Gegen Mohammed spricht aber, dass er seine anfängliche „Gottsuche“ nicht aufrichtig fortsetzte, sondern schließlich seinen eigenen Vorstellungen folgte. Es ist offensichtlich, dass es dabei auch um menschliche Macht ging. Der Koran und die muslimische Tradition machen deutlich, dass Mohammed seine prekäre Situation in Mekka (Verspottung, Verfolgung, Bedrohung) nach der Flucht erfolgreich wenden konnte und in Medina zum Herrscher über Arabien aufstieg. Vermutlich steht hinter dieser Geschichte ein politischer Prozess, in dem sich die Araber bewusst vom Judentum und Christentum und den damaligen Großmächten Ostrom (Byzanz) und Persien abwandten, um selber Nation und Großmacht zu werden. Hinter der religiösen Eigenmächtigkeit Mohammeds steht nur zu deutlich ein politischer Machtanspruch.

  3. Die Verharmlosung menschlicher Sünde

Wir müssen das Problem noch tiefer sehen. Die Umdeutung Ismaels, des im Unglauben gezeugten Sohnes, zum wichtigsten Sohn Abrahams, macht deutlich, dass der Verkündiger des Korans die Tiefe menschlicher Sünde nicht erkannt hatte. Die Zeugung Ismaels mit Hagar war ja letztlich Misstrauen gegen Gott und seine Verheißung. Nach dem biblischen Zeugnis richtet sich die menschliche Sünde gegen Gott selbst (vgl. 1. Mose 3, 5; vgl. David in Ps. 51, 6). Der Koran betont dagegen, dass der Mensch „gegen sich selbst“ sündigt (z.B. Sure 7,23), weil er dann die Strafe des Höllenfeuers zu erleiden hat. Dahinter steht eine theologische Entscheidung. Der Allah des Islam gilt als so sehr über alles Menschliche erhaben, dass der Mensch unmöglich gegen ihn sündigen kann. Die Bibel bezeugt dagegen, dass Gott so sehr voller Liebe zu seinen Geschöpfen ist, dass er unter ihrer Rebellion „leidet“ und alles unternimmt, um sie zu beenden. Hier wird der Unterschied zwischen dem biblischen und dem koranischen Gottesverständnis deutlich.

Man mag auch hier einwenden, dass Moham­med die bibli­sche Ismael-Isaak-Ge­schich­te nicht richtig zu hören bekam. Das ist aber letztlich nebensächlich. Die Berufung auf Ismael macht beispielhaft den „Geist des Islam“ sichtbar. Allzu menschliches, sündiges Handeln wird religiös legitimiert. In diesem Sinne werden im Koran viele anfechtbare Handlungen Mohammeds mit dem offenbarten Willen Allahs gerechtfertigt. Im Koran wird menschliche Macht- und Gewaltausübung als von Allah gewollt verschleiert. Es würde zu weit führen, das hier im Einzelnen zu belegen.

6. Konsequenzen

Ich hoffe, dass deutlich geworden ist, warum die Araber oder gar die Muslime nicht als „Söhne Ismaels“ bezeichnet werden können. Eine solche Ausdrucksweise folgt dem Koran, aber nicht biblischem Denken.

Aus dem gleichen Grund kann der zeitgenössische Nahostkonflikt nicht direkt aus dem „Konflikt“ zwischen Ismael und Isaak (1. Mose 21,9) abgeleitet werden. Folgen wir der biblischen Typologie (Gal 4), so stehen der „Sohn des Glaubens“ und der „Sohn des Unglaubens“ für den Konflikt zwischen der Jesus-Gemeinde und dem Judentum, sofern es Jesus als Messias ablehnt. Natürlich können wir diese Typologie auch auf den Islam ausdehnen, der im Namen des „Gesetzes Allahs“ die Gemeinde des Christus unterdrückt.

Der moderne Konflikt zwischen Israel und den arabischen Staaten liegt aber nicht in der Bibel, sondern im Koran begründet. Das Machtstreben Mohammeds und der heftige Konflikt zwischen ihm und den Juden seiner Umgebung haben sich im Koran niedergeschlagen. Der Hass auf die Juden ist im Koran festgeschrieben und stimuliert Muslime bis heute in ihrer Feindschaft gegen Juden. Diese werden unter islamischer Herrschaft nur dann geduldet, wenn sie auf gesellschaftlichen Einfluss verzichten. Der eigentliche Anstoß ist deshalb der Staat Israel, der in einem Gebiet gegründet wurde, das über 1500 Jahre muslimisch beherrscht war und deshalb nach islamischer Rechtsvorstellung immer muslimisch bleiben muss. Das gilt natürlich besonders für Jerusalem, das für Muslime nach Mekka und Medina der drittheiligste Ort ist.

Für Christen liegt die Herausforderung des Nahostkonfliktes an anderer Stelle. Wir glauben, dass nur im Glauben an den Erlöser Jesus Christus Friede und Versöhnung mit Gott und unter Menschen möglich ist. D.h. nur im Glauben an Jesus können sich Juden, arabische Traditionschristen und muslimische Araber finden. Unter den Arabern gibt es gläubige Christen; unter den Juden gibt es messiasgläubige Menschen, und einzelne arabische Muslime haben zum Glauben an Jesus gefunden. In den letzten Jahren haben sich diese drei Gruppen von jesusgläubigen Menschen kennen-, schätzen- und lieben gelernt. Auf ihnen liegt eine große Verheißung. In Jesus werden die jüdische, die traditionschristliche und die muslimische Eigenmächtigkeit überwunden.