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Buch: Ich bin bei Dir – 366 Liebesbriefe von Jesus

Ein beliebtes und weit verbreitetes Andachtsbuch bringt den Lesern Schamanismus nahe. Die Autorin scheint ihre Erkenntnisse teilweise über mediale Fähigkeiten zu erlangen.

Sarah Young. Ich bin bei Dir366 Liebesbriefe von Jesus, 1. Auflage, aus dem Amerikanischen übersetzt von Silvia Lutz .Asslar: GerthMedien 2011, 414 Seiten, 16,99 €. ISBN 978-3-86591-649-5.

young-ich bin bei dirDas Buch wird als Bestseller deklariert und hat bereits ein Nachfolgebuch und auch eines für Kinder.

Im Rahmen einer Konferenz für biblische Prophetie mit dem Thema „Esoterik“, trat die Frage nach einer Beurteilung zu dem Andachtsbuch von Sarah Young auf. Da es mir bis dahin unbekannt war, konnte ich keine unmittelbare Antwort geben, las es aber ein paar Tage später, um mich zu informieren.

Die wichtigsten Informationen fand ich in der Einleitung. Darin berichtet Sarah Young über ihren persönlichen Prozess, Gegenwart und Reden von Jesus im Laufe der Jahre immer mehr erfahren zu haben, sodass sie heute in der Lage ist, Gottes Stimme direkt zu hören.

Ihr erstes Erlebnis hatte sie während eines nächtlichen Spaziergangs bei Mondlicht in den Schweizer Bergen.

„Plötzlich hatte ich das Gefühl, ein warmer Hauch hülle mich ein. Ich wurde mir einer wunderbaren Gegenwart bewusst, und ich reagierte unwillkürlich damit, dass ich ‚Lieber Jesus‘ flüsterte. … in diesem Moment wusste ich, dass ich Gott gehörte“ (S.6+7).

Das zweite Erleb­nis ereignete sich, als sie um das Ende einer Liebesbeziehung trauerte und in der Nacht ein Buch von Catherine Marshall Beyond Ourselves (Baker Books, 1994) las:

Plötzlich fühlte sie sich „nicht mehr allein. Ich kniete in meinem Hotelzimmer neben dem Bett nieder und fühlte, wie mich eine überwältigende Gegenwart voller Frieden und Liebe berührte. Ich wusste, dass Jesus bei mir war und dass er mit mir litt. Es war ohne Frage derselbe ‚liebe Jesus‘, den ich in den Alpen erlebt hatte“ (S.7).

Sechzehn Jahre später begab sie sich, bedingt durch eine bevorstehende berufliche Veränderung in Australien, „erneut auf die Suche“. Ein Buch von Andrew Murray regte sie an, unablässig die Erfahrung von Gottes Gegenwart machen zu wollen. Da Murray die Wichtigkeit einer stillen, ungestörten Gemeinschaft mit Gott betonte, begab sie sich noch mit Bibel, Andachtsbuch, einem Gebetstagebuch, einem Stift und Kaffee in Gottes Gegenwart. Sie schreibt, dass, während sie wartete, „begann Gott, sich mir zu offenbaren“ (S.9).

In dem neuen Dienst waren sie und ihre Familie einem starken geistlichen Kampf ausgesetzt, darum wurde ihr das Gebet um Schutz besonders wichtig. Eines Morgens stellte sie sich bildlich vor, wie „Gott jeden von uns beschützte“ (S.10). Tochter Sohn und Ehemann waren von „Gottes Gegenwart umhüllt, die wie ein goldenes Licht aussah. Als ich für mich selbst betete, wurde ich plötzlich von einem strahlenden Licht und einem tiefen Frieden umgeben. Ich verlor jedes Zeitgefühl, als ich auf diese intensive Art Gottes Gegenwart erlebte“ (S.10).

Aller spätestens hier sollte der Leser wach werden. Das Visualisieren, wie Sarah Young es während des Gebets praktizierte, gehört zu den Praktiken des Schamanismus und der Esoterik, in denen man versucht, die sichtbare, vor allem aber die unsichtbare Welt gemäß den eigenen, inneren Bildern wirksam werden zu lassen.

Da ich selber etwa zehn Jahre in der Esoterik war, kenne ich die Wirkung solcher Methoden. Sie vermitteln ein Gefühl des realen Erlebens, fördern den Gedanken, Verfügungsrecht über Gottes Wirken zu haben und mehr auslösen und erfahren zu können als bisher. Diese Verlockung bringt eine zunehmende Öffnung für den Einfluss einer (Ver-)Führung aus der unsichtbaren Welt mit sich. Die Bibel gibt kein einziges Mal eine Anweisung darüber, uns Gott, seinen Schutz oder seine Heilung, in irgendeiner Form vorzustellen. Mit einer derartigen Methode meinen Christen die Kluft zwischen Glauben und Schauen überwinden zu können. Sie fühlen sich in Sicherheit, weil sie sich auf Gott oder Jesus Christus ausrichten und ahnen nicht, dass auch Satan – wie es Paulus in 2.Kor.11,3 beschreibt – über unsere Gedanken wirken kann und will, um uns von der Einfalt und Lauterkeit gegenüber Christus abzuwenden.

Dieses letzte – von Young beschriebene Erlebnis (Ich würde es als eine Initiation bezeichnen) – gibt den Durchbruch zu einer medialen Tätigkeit, die sie das Hören Gottes nennt.

„Im selben Jahr begann ich, God Calling zu lesen, ein Andachtsbuch, das zwei anonyme `Zuhörerinnen` geschrieben haben. Diese Frauen warteten mit Stift und Papier in der Hand still in Gottes Gegenwart und schrieben Botschaften auf, die sie von ihm bekamen“ (S.11).

Man vergleiche dazu folgende Anleitung unter der Überschrift „Die Ausbildung der Medien“: Der Auszubildende „beginnt mit einem kurzen Gebet, hält eine Lesung aus der Heiligen Schrift und denkt über das Gelesene nach. Darauf hält er seine Hand mit einem Bleistift auf ein vor ihm liegendes Blatt Schreibpapier und verhält sich abwartend ohne irgendwelche geistige Spannung. Wird er zur Niederschrift von Gedanken gedrängt, die mit großer Bestimmtheit ihm inspiriert werden, so schreibt er sie nieder“ [Johannes Greber, Der Verkehr mit der Geisterwelt (Zürich: A. Brunner Verlag, 1932), S. 133].

Fasziniert von den bereits gemachten Erfahrungen scheint Sarah Young nicht mehr in der Lage gewesen zu sein, zu erkennen, dass es sich um eine schamanische Praxis handelte.

Allein die Tatsache der Anony­mität der Autorinnen hätte sie stutzig machen müssen. Die Esoterik bietet zahlreiche Bücher dieser Art an. Eines dieser Bücher mit dem Titel Die neue Zeit ist jetzt (Smaragd Verlag, 2002), ist z.B. von einem Geist namens Sananda durchgegeben worden. Er behauptet von sich, hier auf der Erde als Jesus gelebt zu haben. Auch seine Botschaften sind in der Ich-Form geschrieben. Er sagt z.B.: „Die Vollkommenheit des AllEinen liegt hinter den Worten. Sie ist in der Stille zu finden. Sie ist zu finden, …, wenn du dich öffnest für das was ist“ (S. 106).

Auch Young fordert in ihren Andachten die Leserinnen immer wieder auf, mit einem offenen Geist zu kommen oder sich zu öffnen.

Das persönliche Hören und Erleben wurde ihr immer wichtiger. Sie schreibt: „Ich wusste, dass Gott durch die Bibel zu mir spricht, aber ich sehnte mich nach mehr … Ich beschloss, mit dem Stift in der Hand auf Gott zu hören und aufzuschreiben, was er meiner Meinung nach sagte“ (S.11). Von da an erwartete sie nicht mehr mit oder durch die Bibel die Weisungen Gottes, sondern nur noch persönlich. 

Während sie am Anfang noch unsicher war, kamen die Botschaften bald „ungehinderter“. Diese Erfahrungen führt sie auf das Praktizieren von Ps. 46,11 zurück: „Seid stille und erkennt, dass ich Gott bin!“.

„Diese regelmäßige Praxis, Gott zuzuhören, hat meine Beziehung zu ihm viel stärker vertieft als irgendeine andere geistliche Übung“ (S.13). Mit dieser Aussage und der Tatsache, dass die Andachten in der Ich-Form geschrieben sind, stellt sie das Wort Gottes unter ihr persönliches Hören. Weil sie aber doch der Meinung ist, das Wort Gottes müsse der Maßstab sein, an dem sie die Worte misst, die sie gehört hat, belegt sie diese mit verschiedenen Bibelversen, die ihr, während sie Gott zuhörte, oft in den Sinn kamen.

Zusammengefasst werden folgende Botschaften durch dieses Buch vermittelt:

1) Gott spricht nur in der Stille.

2) Das persönliche Reden Gottes (Erfahrung) steht über dem Wort der Bibel.

3) Indem sie die Ich-Form benutzt, stellt sie ihre Worte als die tatsächlichen Worte von Jesus dar und gibt sich damit den Anstrich einer neutestamentlichen Prophetin, die Offenbarungen von Jesus vermittelt.

4) Die Leserinnen werden indirekt zur Nachahmung aufgefordert und damit zur Medialität verführt.

5) Durch bloßes Öffnen wird zur Passivität und nicht zur Wachsamkeit oder zum Studieren des Wortes Gottes erzogen.

6) Ziel ihrer Andachten besteht darin, dass die Leserinnen Gottes Liebe und Frieden genießen. Wer sich die Mühe macht, die Andachten nicht nur täglich, sondern durchgehend zu lesen, wird feststellen, dass es sich hierbei um viele seichte, sanfte Aussagen handelt, die uns in Sicherheit und guten Gefühlen wiegen und sich häufig wiederholen.

Was hier fehlt, ist nicht nur die Realität des Leidens von Jesus am Kreuz, sondern auch Hinweise auf eventuelle Leiden durch Nachfolge. Es wird zu einer Spiritualität der direkten Erfahrung aufgerufen, wo das Schauen (Erfahren, Fühlen) über dem Glauben steht.